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Artikel Tagged ‘Blake Edwards’

Große Momente

8. Januar 2011 4 Kommentare

„Drei große Momente“ seien es, so Graham Linehan neulich, die für das Gelingen einer Sitcom-Folge wichtig seien — viel wichtiger als ausgefuchste, konsistente Plots (wir berichteten). Tatsächlich konnte man sich kürzlich während der langen „Father Ted“-Nacht in gleich zwei Dokumentationen abermals davon überzeugen, wie viele solcher unvergeßlicher Momente es in „Father Ted“ gab. (Und wo der Punkt war, an dem diese Momente ein bißchen zu groß wurden, um noch in die eher traditionelle Sitcom-Narration der Serie zu passen: nämlich da, wo Teds Flugangst so überwältigend wird, daß er sich an das Fahrwerk eines Flugzeugs klammert, und wir ihn dann im Wohnzimmer des Pfarrhauses sehen — noch immer an das Fahrwerk geklammert.)

In Filmen heißen solche großen Momente Setpieces. Jeder Actionfilm hat im dritten Akt ein Setpiece, viele auch schon eines am Anfang des ersten. Eines der schönsten Beispiele für Setpieces in Komödien habe ich gestern abend mal wieder bewundern dürfen: „The Party“ (1968, auf Deutsch: „Der Partyschreck“) vom immer noch unterschätzten Blake Edwards, der leider Mitte Dezember gestorben ist. Ganz abgesehen davon, daß der ganze Film ein reiner Werbeclip für Peter Sellers‘ Slapstick-Talente ist und eine Aneinanderreihung von kleinen und großen Setpieces, ist doch der Showdown im letzten Akt ein prima Beispiel dafür, wie richtig Graham Linehans Comedy-Konzept ist — und wie unwichtig nicht ganz logische Handlungselemente sind, wenn ihr Pay-Off nur schön inszeniert ist.

In „The Party“ spielt Sellers den äußerst ungeschickten, aber liebenswürdigen indischen Schauspieler Hrundi V. Bakshi, der zu Beginn der Handlung die Dreharbeiten zu einem Monumentalfilm ruiniert (erstes Setpiece): Erst ruiniert er eine Massen-Szene, dann löst er vorzeitig eine Explosion aus und zerstört so nicht nur die Kulissen, sondern den ganzen Film. Daraufhin wird er von den Studio-Bossen auf eine Schwarze Liste gesetzt — bzw. eben nicht, sondern versehentlich auf die Einladungsliste zu einer Party des Produzenten. Die findet in einer schicken, vollautomatischen Villa mit großer Pool-Landschaft statt und endet in vollkommener Zerstörung — durch Schaum. Wie ein riesiger Blob wächst dieses Schaum-Monster, droht die immer weiter dudelnde Jazz-Band zu verschlucken und Gemälde zu zerstören, läßt eine ganze Verfolgungsjagdgesellschaft einen nach dem anderen verschwinden, quillt und wabert immer mächtiger, bis alles, alles in einer weißen Wand aus Schaum verschwindet.

Beginnt man nun genau hier, von hinten, kann man sich schon recht lebhaft vorstellen, wie Edwards‘ (der auch das mit 60 Seiten eher dünne Drehbuch mitschrieb) Gedankenprozeß ablief: „Ich will, daß die ganze Villa in weißem Schaum versinkt, in Schaum, der die hilflose Wut der einen verschluckt wie der Londoner Nebel die Untaten von Jack the Ripper, und der die Ausgelassenheit der anderen noch steigert, die sich wie kleine Kinder über Schaumberge in der Badewanne freuen. Aber wie kommt das ganze Waschpulver in den Pool? Schüttet es jemand einfach hinein? Welches Motiv hätte er dafür? Nein, wir brauchen etwas, das im Pool gewaschen werden muß. Es muß etwas großes sein, so groß, daß es viele Leute mit Bürsten und Besen schrubben und große Mengen Schaum erzeugen können. Es muß so groß sein wie ein Elefant. Das ist es! Ein Elefant! Bakshi ist Inder, das würde schon mal passen. Aber warum muß der Elefant gewaschen werden? Hat ihn jemand bemalt? Na klar, wir haben die späten Sechziger, junge Leute machen die verrücktesten Sachen, wenn sie gegen das Establishment revoltieren. Wir behaupten einfach, da kommt die Tochter des Produzenten mit ihrer Hippie-Clique von einer Demonstration, sagen wir: von einem Love-In, und die haben einen Elefanten dabei, auf den sie allerlei psychedelische Muster und Sponti-Sprüche gemalt haben. Und Bakshi, dem Elefanten heilig sind, überzeugt die junge Frau davon, daß der Elefant sauber gemacht werden muß. Bingo! Werden uns die Leute glauben, daß eine Handvoll junger Hippies nur für ein öffentliches Happening irgendwo einen Elefanten besorgt hat? Und dann bemalt? Ach, egal, wird schon gehen…“

Ging ja auch. Sehr gut sogar. Ich habe das ganze Jahr noch nicht so gelacht wie gestern abend bei „The Party“ — und bin kurz davor, mir die „Pink Panther“-Box zu bestellen. Auch wenn ich die schon tausendmal gesehen habe: So schön inszenierter Slapstick wird auch beim tausendersten Mal sehen nicht alt.

Gavin & Smithy kill some Lesbian Vampires

Zwei Jungs Ende zwanzig/Anfang dreißig sitzen im Pub. Der Dicke versucht den Traurigen aufzuheitern, weil dieser gerade von seiner Freundin verlassen worden ist. Dann bricht die Untoten-Hölle los. — Kommt einem irgendwie bekannt vor, als Auftakt einer Horrorkomödie? Jepp, das ist der Anfang von „Shaun of the Dead“ (2004), und es ist der Anfang von „Lesbian Vampire Killers“ (2009), der jüngsten Filmkomödie mit Mathew Horne und James Corden (beide „Gavin & Stacey“, „Horne and Corden“).

https://www.youtube.com/watch?v=33988JSCCnA&hl=de&fs=1&

Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon wieder auf. Denn „Shaun of the Dead“ ist lustig. „Lesbian Vampire Killers“ nicht. Schlimmer noch: „Shaun of the Dead“ verhält sich zu „Lesbian Vampire Killers“ wie eine Komödie von Blake Edwards zu einem beliebigen Film von Uwe Boll. Man könnte sogar sagen: Hätte sich Uwe Boll je an einer Horrorkomödie versucht — viel schlechter als „Lesbian Vampire Killers“ könnte sie auch nicht sein.

Fletch (Corden) und Jimmy (Horne), völlig mittellos (beide) und frisch verlassen (Jimmy), beschließen wandern zu gehen. Der Dart-Pfeil, den Jimmy zur Zielbestimmung auf eine alte Landkarte wirft, trifft Norfolk. Dort landen sie in einer Art „mittelalterlicher Schwulenbar“, wo sie von der Legende von Carmilla erfahren, laut der alle jungen Frauen des Dorfes an ihrem 18. Geburtstag lesbisch werden. Dafür verantwortlich sind Carmilla und ihre Gang von Lesben-Vampiren, die nur von einem Mann gestoppt werden können: Dem Nachfahren eines Ritters, der — Überraschung! — die gleichen Male auf der Brust hatte wie Jimmy. Dazu benötigt er ein Schwert, dessen Griff einem metallenen Penis ähnelt: Das Schwert von Daeldo. Ja, Daeldo spricht sich fast wie Dildo aus. Exakt auf diesem Niveau befinden wir uns.

Dazu kommen Dialoge, die (schon wieder fällt mir Boll ein!) kurz davor sind, unfreiwillig komisch zu sein („The legends… they’re true!“), oder mit möglichst großer Derbheit Komik zu evozieren versuchen („Why are they taking so long?“ — „She’s probably having a massive shit“), ein Plot, der amateurhaft gestrickt ist und deshalb ab und zu völlig rätselhaft bleibt, und etliche geklaute Motive. Was dafür völlig fehlt: Jeder Funke von Wissen um das Genre und seine Filme, und deshalb auch all die clevere Anspielungen, die „Shaun“ für Horrorfreunde erst so vielschichtig gemacht haben. Jeder Wille zur Exploitation. Und jeder Mut: zum Ekel — statt Blut fließt hier leuchtend weißer Schleim — oder auch nur zu ein paar Titten.

Ja, ich weiß, „LVK“ will eine Hammer-Parodie sein. Es ist aber keine. Parodien müssen ihre Vorlagen kennen — und bis zu einem gewissen Grad auch mögen und respektieren. Das tun die beiden Autoren Paul Hupfield und Stewart Williams (angeblich seinerzeit in der MTV-Comedyentwicklung bestallt) aber nicht. Was eine Erklärung dafür sein mag, daß das Projekt jahrelang liegengeblieben war. Vermutlich ist es nur realisiert worden, weil der Titel so gut war.

Uff. Schön langsam reicht es mit Horne und Corden: Eine vergeigte Sketchshow und eine unterirdische Komödie (warum versuchen Fernsehkomiker sich immer und immer wieder an Filmkomödien für’s Kino?!) werfen schön langsam sogar in der Retrospektive ein schlechtes Licht auf „Gavin & Stacey“, diese romantische Sitcom, die einige von Anfang an für überschätzt gehalten haben. Ich ja nicht, mir hat’s gefallen, aber von nun an werde ich vermutlich bei jedem gemeinsamen Auftritt der beiden an diesen Ramsch denken müssen. Hmpf.

„Lesbian Vampire Killers“ ist heute auf DVD erschienen.