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Bergab in die Hölle

12. August 2012 4 Kommentare

Vielleicht liegt es daran, dass ein Leben nun mal nicht der dreiaktigen Filmstruktur folgt, wie wir sie aus den meisten Filmen kennen. Möglicherweise war dieses Dilemma jeden Biopics, dass man sich immer zwischen einer halbwegs geradlinigen Dramaturgie und dem mäandernden Verlauf eines echten Lebens entscheiden muss, der Grund, „Permanent Midnight“ (1998) eine Schachtelstruktur zu geben, die der Geschichte wenigstens eine gewisse äußere Form gibt. Eine Entscheidung, die den Film unnötig künstlich und anstrengend und sehr, sehr schwer gemacht hat, obwohl er gerne leicht sein möchte. Dabei hätte er diese überambitionierte Verschachtelung gar nicht nötig gehabt.

Vielleicht hat es aber auch ganz andere Gründe, dass die Verfilmung von Jerry Stahls Leben (bzw. der ersten, drogengeschwängerten Hälfte davon) misslungen ist, obwohl Ben Stiller und Elizabeth Hurley von der Partie sind (ja, auch Owen Wilson ist mit dabei) und die „Natural Born Killers“-Produzenten Jane Hamsher und Don Murphy. Und obwohl Stahls Leben alles andere als das eines typischen Junkies war. Und doch auch wieder genau das eines typischen Junkies.

Denn Jerry Stahl war, als er ans Heroin geriet, Fernsehautor in Hollywood, und ein erfolgreicher dazu. Allerdings erfolgreich mit nichts, worauf er hätte stolz sein können: Stahl war (unter anderem) Autor für „Alf“ (NBC, 1986 – 90). Und er hat seine Abhängigkeit ignoriert, verleugnet, heimlich zelebriert, wie es alle Junkies tun, bis sie sich nicht mehr ignorieren und verheimlichen ließ.

Wo aber der Film versucht, ComedyDrama zu sein (woran er am kläglichsten scheitert), da ist die viel bessere Autobiographie von Stahl eindeutig: Wir haben es mit einem Drama zu tun. Wenn auch mit einem, innerhalb dessen immer wieder finstere, ja geradezu dämonische Momente des comic relief gesetzt sind.

Denn Stahl lebt nicht in dem Lemmy-Kilmister-Ronnie-Wood-Universum, wo Drogen zwar böse sind, aber im Grunde nur die Gesundheit ruinieren, nicht das Leben, weil der Star selbst nicht ersetzbar ist. Autoren sind ersetzbar und werden ersetzt, auch Stahl. Der lebt in einem Universum, in dem er auf Heroin von L.A. nach Pittburgh fliegen muss, zurück nach Hause, weil sich seine schwer depressive Mutter umgebracht hat. In ihrem Appartement ist alles voll mit ihrem Blut, und im Bad entdeckt er, immer noch im Heroinrausch, ihren Abschiedsbrief: ein „NO“, das sie mit ihrem eigenen Blut an den Spiegel geschrieben hat. (Eine Szene, die im Film nicht halb so eindringlich geschildert wird wie im Buch.) Dann schrubbt er das Blut weg und fliegt er zurück nach L.A., eine weitere Folge „Alf“ schreiben.

Besser noch als solchermaßen dramatische Szenen sind aber die eher leisen Beschreibungen Stahls, wie das Leben als hochfunktionierender Junkie zu Beginn seiner Karriere verläuft: wie er das Timing lernt, sich gerade einen Schuss auf der Toilette zu setzen, während die Gäste für den Abend an der Tür klingeln. Wie er ansonsten gesund und geregelt lebt: nur Biogemüse isst, regelmäßig joggt, eigenes Häuschen, sogar eine Frau, die ihn zwar mehr wegen der Greencard geheiratet hat, aber sich irgendwann in ihn verliebt. Wenn da nicht das Heroin wäre und später das Crack. Und Alf, der irgendwann beginnt, Stahl bis auf die Toilette zu verfolgen. Auch daraus macht Stahl wiederum eine Geschichte, über die die Leute lachen können.

Jerry (Ben Stiller) auf Crack

Und da ist noch das ganze restliche kaputte Leben mit viel Talent und wenig Willenskraft; ein Leben, das für Stahl professionell beginnt, als er semipornographische Kurzgeschichten für das Beaver Magazine schreibt, später für den Playboy, während ihn sein Talent rasch höheren Aufgaben zuführt. Immer ist da schon der Alkohol und verkorkste Frauengeschichten; die amour fou mit der Deutschen Dagmar etwa, die opiumabhängig ist und verheiratet mit einem Sohn der Familie Krupp, was für einen Juden wie Stahl recht eindeutige Assoziationen mit sich bringt:

She rolled her eyes and wailed at the faraway Fatherland, „Nein, nein, nein!“ And then, even louder, „Oi Gott! I’m fucked by a Jew!“

Selbstredend fügt sich da auch der Name Stahl bestens in die Geschichte: Krupp, Stahl, Jerry Steel, harter Sex… Da stimmt alles, es wird schon zum Klischee.

Doch während seiner äußert erfolgreichen Zeit beim Fernsehen, als er 5000 Dollar die Woche verdient, beginnen die Probleme: er hat ein 6000-Dollar-die-Woche-Hobby. Und dann wird er Vater.

Selbst diesen Moment, wie Stahl während der Geburt seines Kindes auf der Krankenhaustoilette fixt, ruiniert der Film leider komplett. Ben Stillers Charme ist das Gegenteil von Stahls Charakter im Buch: Stillers liebenswerte Naivität hat nichts mit der Persönlichkeit Stahls zu tun, die immer auf Distanz zur Welt bedacht ist, sich (und anderen) permanent zusieht und eben deshalb erfolgreiche Drehbücher schreiben kann.

Warum irgendjemand den Stahl Ben Stillers einstellen sollte, wird im Film leider nie klar. Der wirkliche Jerry Stahl dagegen schreibt eben nächtelang durch, sein allererstes Drehbuch für eine Folge „Alf“ wird doppelt so lang, wie es für 20 Minuten hätte sein dürfen. Der echte Stahl brennt für etwas. Ben Stillers Stahl brennt nicht.

Schade also, dass Jane Hamsher aus diesem Buch nicht mehr herausgeholt hat. Dabei ist sie selbst Autorin. Unter anderem hat sie ein Buch über die Entstehung von „Natural Born Killers“ geschrieben, in dem Quentin Tarantino nicht sehr gut wegkommt. Darüber ein andermal mehr. Anders vermutlich als über die Filmversion von „Alf“, die demnächst kommen soll. Das hier ist ein Blog über Comedy, nicht über Horrorfilme.