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Gute Witze, schlechte Witze

2. September 2014 6 Kommentare

Seit ich (bewusst) fernsehe, gibt es amerikanische Sitcoms, bei denen ich immer mal wieder beim Durchzappen hängen geblieben bin; einige davon habe ich irgendwann regelmäßig geguckt; zwei davon habe ich irgendwann komplett auf DVD erworben und auch noch einmal von A bis Z geguckt: „Seinfeld“ (NBC, 1989 – ’98, deutsche Erstausstrahlung 1995 auf ProSieben) und „Frasier“ (NBC, 1993 – 2004, dt. Ea. 1995 auf Kabel eins). Jetzt, nachdem das Box Set in Großbritannien auf erschwingliches Niveau gefallen ist, ist „Cheers“ dran (NBC 1982 – ’93, dt. Ea. 1985 im ZDF).

Klar, nach „Cheers“ kamen US-Sitcoms, die mich mehr geprägt haben: „Married … with Children“ (Fox, 1987 – ’97, dt. Ea. 1992 auf RTL als „Eine schrecklich nette Familie“) und „Frasier“, weniger schon wieder „Friends“ (NBC, 1994 – 2004, dt. Ea. 1996 auf Sat.1). Heute bleibe ich hin und wieder bei „The Big Bang Theory“ (CBS, seit 2007, dt. Ea. 2009, ProSieben) und „How I Met Your Mother“ (CBS, 2004 – ’15, dt. Ea. 2008, ProSieben) hängen, aber erwerben und von Anfang an gucken würde ich sie nicht. Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.

Alle diese Sitcoms hatten drei Gemeinsamkeiten:

– Sie liefen sehr lange und hatten viele Folgen pro Staffel (i.d.R. über 20), so dass sie schon allein qua Menge praktisch täglich liefen und laufen, oft sogar mehrere Folgen am Tag. Man konnte ihnen gar nicht entkommen. Schon gar nicht früher, als es noch nicht so viele Sender gab.

– Sie waren praktisch statisch, d.h. es kamen zwar über die Staffeln hinweg Figuren dazu und andere Figuren verließen die Show, aber abgeschlossene Handlungsbögen (wie sie bei britischen Sitcoms mit ihren sechs Folgen pro Season die Regel sind) gab es praktisch nicht. Dass mal eine Figur eine andere heiratete (Niles etwa Daphne) war schon ein Höhepunkt und auf lange Sicht auch schon einigermaßen knifflig, weil es das Beziehungsgefüge der Figuren ja nicht unwesentlich veränderte. Die Frage will they, won’t they war damit nämlich beantwortet.

– Sie waren alle live vor Publikum aufgezeichnet.

Als ich gestern nun die ersten drei Folgen „Cheers“ zum ersten Mal in dieser Reihenfolge gesehen habe (womöglich auch tatsächlich zum ersten Mal, jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern, wie Diana überhaupt zum Bar-Team gestoßen ist), war ich überrascht: überrascht, wie gut „Cheers“ gealtert ist. Denn 1982 war ich zehn, die Fernsehstandards haben sich seitdem stark geändert, und ich wüsste auf Anhieb weder eine deutsche noch eine englische Sitcom aus dieser Zeit, die heute noch den Test der Zeit so gut bestünde.

Aber „Cheers“ funktioniert wie ein Uhrwerk: Diana (Shelley Long) kommt in der Pilotfolge als die neue Figur in ein schon bestehendes Setting (das der Bar), und zwar auf eine Weise, die ihre spannungsgeladene Beziehung zu Sam (Ted Danson) klärt: sie, Studentin der Boston University, ist mit ihrem Verlobten, dem Professor Sumner Sloan auf dem Weg zur Hochzeit und in die Flitterwochen. Er will nur noch den Ehering von seiner zukünftigen Exfrau holen, Diana wartet so lange im Cheers. Und wartet. Und wartet. Und lässt sich so lange von Sam aufziehen, der als ehemaliger Jock, als gutaussehender (und dem Vorurteil nach dümmlicher) Sportler das Gegenteil von dem ist, was Diana als männliches Ideal vorschwebt. Während umgekehrt natürlich auch sie als halbintellektuelle Oberschichtsangehörige überhaupt nicht in sein Beuteschema passt.

Während Diana also auf ihre Verlobten wartet (der selbstverständlich nicht zurückkehrt), wird uns das restliche Personal vorgestellt: Coach (Nicholas Colasanto) als seniler Alter, der für irrlichternd-abseitige Witze zuständig ist, Carla (Rhea Perlman) als verbitterte Kellnerin, dere Gebiet die schneidend-treffende Punchline ist, sowie die Stammgäste Norm (George Wendt) und Cliff (John Ratzenberger), die das tun, was Bargäste tun: saufen und Quatsch reden („Bier? Ja, davon habe ich gehört“).

Die Dialoge aber sind so schnell und mit guten, nacherzählbaren Pointen gestrickt, dass ich kaum mit dem Mitschreiben nachgekommen bin: visuelle Scherze, Dialogscherze, schnell reingestreute Gags (das Telefon klingelt. Carla: „Who’s not here?“ alle Gäste: „Me!“) — alle Witze zeitlos (also ohne Anspielungen ewta auf zeitgenössische Promis oder Themen), immer in charakter (also nicht nur komisch, sondern auch die Figur beschreibend, die den Gag liefert) und selten der erwartbarste Witz, sondern meistens ein besserer. Wenn es aber der Witz war, den ich habe kommen sehen, dann war er immerhin viel schöner ausgeführt, als ich es erwartet hätte.

Aber das sind halt die Vorteile, wenn man erfahrene Produzenten (in diesem Falle James Burrows, Glen Charles und Les Charles) und Autoren hat (u.a. Ken Levine und Earl Pomerantz), die in der Lage sind, so gute Witze gut in Szene zu setzen, dass ein Live-Publikum sich wegschmeißt vor Lachen.

Und dann habe ich „Welcome to Sweden“ gesehen (NBC, 2014).

Gut, das hätte ich nicht, wenn nicht Amy Poehler („Parks and Recreations“) als Produzentin hinter dieser Show steckte, in der ihr Bruder Greg Poehler die Haupt- und sie selbst eine Nebenrolle spielt. Wie auch Aubrey Plaza (dito „Parks and Rec“), Will Ferrell, Gene Simmons von Kiss, Patrick Duffy und andere Prominente.

„Welcome to Sweden“ ist eine mit nur einer Kamera gefilmte Sitcom (das immerhin im schönen Schweden), also ohne Publikum. Und das ist auch besser so, denn viel zu lachen hätte da auch niemand. Was jetzt nicht bedeuten soll, dass das die Anforderung an jede Comedy ist; Louis CK etwa schafft ja auch (oft) gute Sitcomfolgen, die ohne große Lacher auskommen.

Aber „Welcome to Sweden“ behauptet, komisch zu sein. Stattdessen liefert die Show über US-Expat Bruce (Poehler), der mit seiner schwedischen Frau Emma (Josephine Bornebusch) in ihre Heimat zieht, dann allerdings nur konventionelle Peinlichkeitsscherze, die ohne große Pointen auskommen — wenn sich etwa Emma mit einer Freundin auf Schwedisch über eine sterbende gemeinsame Bekannte unterhält und Bruce dazwischenkaspert, indem er sich über die schwedische Sprache lustig macht. Oder komisch gemeinte Figuren wie Emmas Slacker-Bruder Gustaf, der aber über diese eine Eigenschaft großer Faulheit hinaus völlig flach bleibt.

Ich habe so eine Ahnung, dass „Welcome to Sweden“ in dreißig Jahren nicht mehr so gut funktioniert wie „Cheers“ heute. Aber das ist nur so eine Ahnung. Als Kontrastmittel zu einer klassischen Sitcom hätte es aber kaum ein besseres geben können.

Und „Welcome to Sweden“ hat so (unfreiwillig und eher zufällig) meine These untermauert, dass es kein Zufall ist, dass die großen Sitcoms, die, mit denen wir auf- und die uns ans Herz wachsen, alle live vor Publikum gedreht sind. Schon weil ein Livepublikum der beste Test dafür ist, wie komisch eine Sitcom tatsächlich ist.

„Cheers“ ist komisch, nach dreißig Jahren immer noch. „Welcome to Sweden“ nicht.

Ich werde über die nächsten Wochen nach und nach die 42 DVDs durcharbeiten, die der Ziegel von einer Komplettbox „Cheers“ hat, oder es jedenfalls versuchen, und darüber bloggen. Wenn es etwas Bloggenswertes gibt jedenfalls.

„Cuckoo“ revisited

19. Februar 2013 Keine Kommentare

Es ist ja oft gut, Sachen zwei-, dreimal anzusehen. Erst wenn man die Handlung und die Witze schon kennt, kann man sich nämlich auf die Mechanik hinter Serien und Filmen konzentrieren und gucken, wo die Fäden laufen, an denen die Puppen tanzen. Ich habe kürzlich noch einmal die ganze Staffel „Cuckoo“ (BBC3, 2012) gesehen, dabei festgestellt, dass die Serie auch beim zweiten und dritten Mal noch wunderbar funktioniert. Insbesondere die erste Folge ist mir noch eine Weile im Kopf herumgegangen.

In „Cuckoo“ geht es um den titelgebenden jungen Mann (Andy Samberg), einen hippiesken Amerikaner, der die 18jährige Rachel (Tamla Kari), Tochter einer englischen Mittelklasse-Familie, in Thailand kennen- und liebengelernt hat und nun mit ihr zusammen bei ihren Eltern in den englischen Midlands einzieht — zum Missfallen ihres Vaters Ken (Greg Davies). Denn Cuckoo ist eine veritable Landplage, faul und selbstgefällig, dabei allerdings gutaussehend und nicht uncharmant: nicht nur auf Rachel, auch auf ihre Mutter Lorna (Helen Baxendale) macht er durchaus Eindruck.

Die Konflikte und Spannungen sind also klar: hier der Silberrücken der Familie (Greg Davies ist ca. 2,95 Meter groß), da der freche Jungaffe, der dem Alten Revier und Weibchen streitig machen kann.

Wo nun beginnt man als Autor, diese Geschichte zu erzählen? Was ist Backstory? Wo beginnt die eigentliche Serie?

Es gibt zwei Arten von ersten Folgen bzw. Piloten: den sogenannten Premise Pilot im Gegensatz zu einer regulären ersten Folge, die sich von den anderen Folgen einer Serie nicht unterscheidet. Beide Möglichkeiten haben bestimmte Vor- und bestimmte Nachteile.

Der heute beliebtere Weg, eine Serie zu beginnen, ist der des Premise Pilot, in dem erzählt wird, wie die Hauptfiguren in die Lage kommen, aus der heraus die Serie anschließend erzählt wird: Wie die jungen Straffälligen in „Misfits“ durch ein mysteriöses Gewitter zu Superkräften kommen, mit denen sie anschließend umzugehen lernen müssen. Wie ein Werwolf und ein Vampir in einer WG ziehen, wo schon ein Geist wohnt, und was sich aus dieser Konstellation ergibt („Being Human“). Wie zwei junge Londoner umziehen wollen bzw. müssen und, um überhaupt eine Wohnung zu bekommen, ihrer Vermieterin in spe vorspielen müssen, sie seien ein Paar, obwohl sie sich überhaupt nicht kennen („Spaced“).

Solche Piloten haben den Vorteil, dass wir die Figuren und ihre Charaktere ausführlich vorgestellt bekommen, und dass wir erfahren, wie und warum sie in welche Situation gekommen sind. Das ist besonders dann hilfreich, wenn die Prämisse so außergewöhnlich ist, dass sie ansonsten schwer zu erklären wäre (siehe „Misfits“ und „Being Human“). Sie sind vermutlich auch leichter zu schreiben, weil man so nicht viel in Dialogen verpackt erklären muss („Weißt du noch, wie wir damals Annie kennengelernt haben?“).

Sie haben aber den großen Nachteil, dass sie sich von den anderen Folgen einer Serie womöglich sehr unterscheiden: Wir wissen nach der ersten Folge als Zuschauer nicht unbedingt, wie die nächste Folge aussieht, weil sie konzeptuell anders sein muss als die erste. Das ist für eine Serie keine gute Voraussetzung.

Daher bin ich im Grunde ein Fan der anderen Möglichkeit: Einer regulären ersten Folge, in der schon alles so ist, wie es später auch ist. In „The Office“ etwa müssen wir nicht erfahren, wie David Brent Chef wurde oder wie und warum ein Kamerateam ihn im Alltag begleitet. Es ist einfach da, filmt ihn und seine Untergebenen, und gut ist. In „Seinfeld“ streiten sich George und Jerry in der ersten Szene, als hätten sie nie etwas anderes getan, und das haben sie auch nicht. Die Charaktere und ihre Konstellation erklären sich aus sich selbst.

Ein großer Freund dieser Variante ist auch Graham Linehan, der uns weder in „Father Ted“ in einer eigenen ersten Folge erklärt, wie drei Priester auf eine einsame irische Insel gekommen sind, noch in „Black Books“ die Eröffnung von Bernard Blacks Buchladen. In „The IT Crowd“ sind die ITler schon in ihrem Kellerverschlag, als Jen als ihre Chefin dazustößt — aber damit kommen wir schon zum cleveren Teil der Problemlösung, die auch die Autoren von „Cuckoo“, Robin French und Kieron Quirke, gewählt haben:

Eine Mischung aus beiden Möglichkeiten.

Im Falle von „Cuckoo“ ist das schön offensichtlich, denn die Serie beginnt an einem thailändischen Strand, wo ein Platzregen eine Party abrupt beendet und Rachel und Cuckoo sich zum ersten Mal begegnen: Rachel noch ein braves Mädchen, das aber prompt die Sekretärinnenbrille abnimmt, als es von einem äußerst charmanten, aber wahnsinnig verblasenen Cuckoo angesprochen wird: ihre Verwandlung, ihre Befreiung (auch von ihrer kotzenden Freundin, die sich im gleichen Moment zurückzieht und Rachel mit Cuckoo alleine lässt), zusammengefasst in einem einzigen Bild. Schnitt auf Ken, der zuhause eine Collage aus braven Papa-&-Tochter- und anderen Familienfotos betrachtet und sich dann mit Lorna auf den Weg zum Flughafen macht, um Rachel abzuholen. Schon bei Minute drei tauchen Cuckoo und Rachel zusammen am Gate auf — und in der fünften, sechsten Szene sind bereits alle Fallen gestellt, alle Stricke gelegt und alle Gruben gegraben, in die die Figuren anschließend laufen.

Bei Linehan ist es meist nur die Ankunft je einer neuen Figur in einem ansonsten festgefügten Tableau (in „Black Books“ ist es die Nebenfigur des Manny Bianco, der das „Book of Calm“ verschluckt und so zum Nebenberufsheiligen mutiert, in „IT Crowd“ ist es die neue Chefin Jen, der Moss und Roy die Lage verklickern müssen), die die erste Folge von allen anderen unterscheidet — zu wenig, um als Premise Pilot durchzugehen, aber zu viel Veränderung, um nur eine beliebige Folge innerhalb der Serie zu sein.

„Cuckoo“ ist, und das betrifft nicht nur die erste Folge, sehr schön erzählt und so selbstsicher, dass die Autoren sich sogar trauen, für eine Folge die Chemie zwischen Ken und Cuckoo völlig zu verändern, und zwar durch eine (zumindest von Ken) unbeabsichtigt eingenommene MDMA-Pille. Genau diese Folge ist prompt die beste der ganzen Staffel, an deren Ende eine weitere unerwartete Änderung in der Chemie zwischen den Figuren steht.

Das wiederum unterscheidet die kurzen britischen natürlich von den langen amerikanischen Serien. Und darin dürfte auch die Antwort auf die Frage liegen, welche Art von Pilot die beste ist: das hängt stark von der Serie ab. Je statischer, je mehr auf Unendlichkeit angelegt oder sogar frozen in time, desto mehr spricht für eine erste Folge, die so ist wie alle anderen. Je kürzer, je dominanter der Handlungsbogen über der ganzen Staffel ist und je mehr eine Serie ein High Concept verflogt, desto mehr spricht wohl für einen Premise Pilot. 

Louis C.K.: der Jazzer unter den Comedians

30. August 2012 3 Kommentare

Lange schon wollte ich etwas über Louis C.K. und „Louie“ (FX, seit 2010) schreiben. Vielleicht habe ich zu lange gewartet. Denn spätestens seit Anfang der laufenden dritten Staffel ist mir die „Sitcom“ (bzw. das „ComedyDrama“), man kann sie schon nur noch in Anführungszeichen so nennen, dann doch fast ein bisschen zu sehr… nun ja, Jazz.

Dabei hat alles so gut begonnen: Der Stand-Up Comedian Louis C.K. spielt in „Louie“ einen Stand-Up Comedian namens Louie, der (wie Louis C.K.) in New York lebt und wirkt, geschieden ist (wie Louis C.K.) und deswegen seine beiden Töchter (im Vorschulalter bzw. gerade eingeschult) vorwiegend an den Wochenenden bei sich hat (ebenfalls wie Louis C.K.).

Die Trailer zu den drei Staffeln zeigen schon die Entwicklung von „Louie“ ganz gut, darum sind sie hier alle drei: Das ist der erste (2010)

Die Show selbst erzählt meist unaufgeregt kleine Episoden aus Louies Alltag: wie es ist, als Über-Vierzigjähriger noch bzw. wieder Dates haben zu müssen, obwohl einem die Haare ausgehen und die Wampe wächst. Gegen wie viele verzweifelte, neurotische Singlefrauen in seiner Umgebung Louie zu kämpfen hat. Über die Comedy-Kollegen, mit denen er sich die Abende und Nächte in Comedyclubs um die Ohren schlägt. Und über Louies schwieriges Verhältnis zu seiner gesamten Verwandtschaft. (Die ganzen Brüder, Schwestern, Mütter usw., die Louie über die letzten Staffeln für nur eine Folge oder zwei aus dem Hut gezaubert hat, hätten ein erster Hinweis sein können auf den Charakter der Show, denn die waren erkennbar ausgedacht und als reine Vehikel eingesetzt.) Dabei zeigen die meisten Folgen zwei kleine Geschichten, manche nur eine etwas größere Story, zwischengeschnitten mit Louies Auftritten und Stand Up-Monologen; ein bisschen wie bei „Seinfeld“.

Es wäre sehr leicht, jetzt eine Überleitung zu finden, die auf „Show about nothing“ abzielte, als die „Seinfeld“ immer wieder dargestellt wurde — fälschlicherweise, denn tatsächlich konnte man bei „Seinfeld“ ja meistens eine Geschichte ausmachen, die durchaus nacherzählbar war. Anders als bei späteren z.B. englischen Serien („The Royle Family“), wo das nicht mehr ging. Aber gegen „Louie“ war „Seinfeld“ der reinste Pop: mit einer Band, in der jeder eine erkennbare Funktion hatte, mit Songs, die einer klaren Struktur folgten. „Louie“ aber ist Jazz.

Jazz ist auch der bevorzugte Soundtrack von „Louie“. Vermutlich eher nicht zufällig. Denn es gibt zu viele Parallelen zwischen Musik und Comedy in dieser Serie. Das beginnt damit, dass wir zwar noch einen formalen Rahmen haben: eine klassische 22-Minuten-Single-Camera-Show, die mit Louies Stand-Up beginnt und aufhört und dazwischen meist die Ereignisse eines Tages, einer Nacht oder höchstens einiger weniger Tage erzählt.

Doch die Melodie, der Inhalt, die Story jeder Folge der Show wird immer freier, immer improvisierter; die gleichen Themen von Einsamkeit, Sex, Kindern und Altwerden werden von Louis C.K. immer freier interpretiert. Mittlerweile hängen die beiden einzelnen kleinen Geschichten einer Folge schon gar nicht mehr zusammen, und auch die Stand-Up-Schnipsel haben manchmal gar keinen erkennbaren Bezug mehr zur restlichen Folge.

Interessanterweise ist mir das als Zuschauer aber lange gar nicht aufgefallen. Zu sehr habe ich mich darauf verlassen, dass da schon ein zugrundeliegendes Thema sein wird, das in zwei disparaten Plots auf unterschiedliche Weise behandelt wird (wie es „Modern Family“ beispielsweise tut, wo gerne das selbe Thema von den drei Familien in drei Varianten paraphrasiert wird). Ich dachte, ich sei nur zu faul, darüber eingehender nachzudenken, was die gemeinsamen Wurzeln der jeweiligen Folge sind.

Bis ich irgendwann darauf kam, dass da kein gemeinsames Thema ist. Es ist nur die formale Klammer, die alles zusammenhält. Das wiederum bedeutet aber, dass eine große Kunstfertigkeit im Spiel sein muss, weil ich sonst als Zuschauer ja nur verwirrt und gelangweilt wäre. Bin ich aber nicht. Noch bin ich nicht so weit, „Louie“ von meinem Fernsehprogramm zu streichen — obwohl ich mittlerweile nicht mehr sicher bin, warum eigentlich.

Denn mit Comedy haben die meisten Folgen der laufenden Staffel schon kaum mehr zu tun. Zwar gibt es viele oft schwarzhumorige Momente, und oft genug ist der Ton der Show so uneigentlich, dass sie unterhaltsam genug ist. Gags im engeren Sinne gibt es aber schon länger kaum noch.

Aber „Louie“, die Serie, hat einen so starken eigenen Charakter, eine solche Distinktion, eine so eigene Humorfarbe, dass ich gerne zusehe. Louis C.K. hat von FX wohl weitgehend freie Hand für seine Serie, was eine große Ausnahme für us-amerikanisches Fernsehen ist: Er schreibt, führt Regie, produziert und spielt die Hauptrolle — das kennt man zwar aus vielen britischen Fernsehcomedys. Aus amerikanischen aber eigentlich nicht.

Und Louie bzw. Louis, der Stand-Up Comedian, hat ebenfalls einen so eigenen und starken Charakter, dass ich ihm meistens gerne zusehe: Wie er es schafft, so sympathisch rüberzukommen, dass er die schlimmsten Gedanken in seinen Stand Up einbauen kann, ohne verprügelt und/oder verhaftet zu werden, das ist schon ziemlich sensationell. Immer wieder überschreitet er Grenzen, wenn er davon berichtet, wie sehr er seine Kinder hasst, wenn er Gedankenspielen nachgeht, wie schlimm Mord eigentlich ist, wenn ihn keiner bemerkt, und natürlich wenn er erbärmlichste Sex-Übungen alleine und zu zweit vollführt — und doch ist er das Gegenteil von zynisch, doch identifiziert man sich in jeder Sekunde mit ihm.

Allerdings muss man, wenn man die aktuellen Folgen „Louie“ sieht, die Figur Louie und die Regeln der Show schon gut kennen, um noch etwas davon zu haben. Man muss Jazz-Fan sein. Der Comedyautor und Blogger Ken Levine berichtet, Louis C.K. habe sich mit seiner Bewerbungs-DVD für die Emmys eher selbst geschadet (gerade sehe ich, ich habe darüber schon einmal geschrieben):

Personally, I thought his screener DVD hurt him. There were better, funnier episodes he could have submitted. The first one he offered opens with him waiting at a subway platform. There’s a violinist playing furiously for five minutes and a homeless guy showering by pouring bottled water on himself. This goes on endlessly. Then the subway arrives. We see the refuge of New York City. On a seat there is some disgusting sludge. People stare at it. Louie finally gets us, takes off his jacket, and mopes up the disgusting mess. If you’re a LOUIE fan, I’m fan (sic) this was all rollicking. But if you’re not, or you’ve heard good things but were sampling the show for the first time, I think by the seven-minute mark you were done.

Wenn diese Szene nicht Jazz ist, dann weiß ich auch nicht. Kann natürlich verwirrend sein, wenn man Pop erwartet hat: Weil man bei Comedy immer wissen muss, in welchem Bezugsrahmen man gerade ist. Falsche Erwartungen sind tödlich für Komik. Womit wir letztlich bei einer Kommunikationstheorie für Komik gelandet wären. Darüber, und über das herausragende Buch „What Are You Laughing At?“ von Dan O’Shannon, das genau eine solche Kommunikationstheorie für Comedy entwickelt hat, ein andermal mehr.

Die Rückkehr des Nichts

16. September 2010 1 Kommentar

„Shows about nothing“ sind sooo Neunziger! Gut, „Seinfeld“ behauptete nur, „about nothing“ zu sein. In Wahrheit hatte aber natürlich jede Episode eine nacherzählbare Story, und oft sogar ein Thema, das Jerry in den ersten Staffeln meist im Anfangsmonolog umriß. Zeitgleich mit dem Ende von „Seinfeld“ aber lief in England eine Show an, die der Idee des „about nothing“ viel eher entsprach: „The Royle Family“ (1998 – 2000, BBC2/BBC1). Da sah man Woche für Woche einer Manchester Arbeiterklassen-Familie dabei zu, wie sie im Wohnzimmer vor dem Fernseher saß und sich unterhielt — und allenfalls ab und zu Besuch empfing. Das ganze in Realtime, mit nur einer Kamera und auf 16-mm-Material gefilmt statt wie die meisten Sitcoms mit mindestens drei Kameras auf Video. Und mit „Storys“, die man kaum als solche bezeichnen konnte: Es ging zwar schon immer um irgendwas — aber es passierte doch so gut wie nichts.

Ein minimalistisches Konzept also, mit dem Caroline Aherne und ihre Mitautoren Craig Cash und Henry Normal anfänglich auf wenig Gegenliebe stießen. Und zwar zuallererst beim legendären Comedy-Produzenten Geoffrey Perkins, der in seiner damaligen Funktion als Head of Comedy der BBC schon in der Entwicklungsphase vehement Einwände hatte. Zum Glück konnte sich Aherne durchsetzen — und so eine der erfolgreichsten und landesweit beliebtesten Sitcoms der späten Neunziger kreieren.

Offenbar ist die „Royle Family“ nun so lange her, daß man keine Bauchschmerzen mehr haben muß, sich das Konzept einfach anzueignen. Gleich zwei Sitcoms versuchen sich derzeit in dieser Art Kammerspiel: „Roger And Val Have Just Got In“ (BBC2) in der Rentner-Version mit Dawn French und Alfred Molina. Und nun „Him & Her“ (BBC3, bislang zwei Folgen) mit Sarah Solemani und Russell Tovey („Being Human“) in der Mittzwanziger-Version der storyfreien Realtime-Sitcom.

„Him & Her“ sind Steve und Becky: arbeitslos und sexbesessen, dabei aber auch faul, schlampig und eklig. Sieht man in der ersten Folge Becky bei offener Scheißhaustür defäkieren (und anschließend nicht runterspülen), puhlt sie ihm in der zweiten Folge einen schönen dicken Popel aus der Nase und schmiert ihn ans Bettlaken. Im Bett liegen die beiden eigentlich die ganze Zeit, dort essen sie (auch wenn Kontrollfreak Steve, in dessen Wohnung wir uns befinden, das wegen der Krümel nicht so gerne hat), dort sehen sie fern (und zwar mit einer Vorliebe den spießig-langweiligen „Inspector Morse“ auf DVD), und dort empfangen sie auch Besuch: den unvermeidlichen Weirdo-Nachbarn Dan (Joe Wilkinson, der tatsächlich einige Lacher verbuchen kann), die Schwester von Becky und ihren Freund, der gleichzeitig ein Kumpel von Steve ist, und Steves Mutter, die ihm zum Geburtstag einen Dachs-Kalender schenkt und eine Flasche Ouzo („Den gab’s günstig in der Zwei-für-eins-Packung!“ — „Und wo ist deine Flasche?“). Das erinnert, wenn man nach der „Royle Family“ noch einen zweiten Vergleich braucht, sehr an „Ideal“, wo Moz in einer ebenfalls, sagen wir: leicht unhygienischen Kifferhöhle haust und Besuch kriegt. Nur daß die beiden Spießer nicht mal kiffen.

Das Publikum schien sich schon nach der ersten Episode in zwei Lager geteilt zu haben: in begeisterte Fans, die von den brillanten Skripts von Stefan Golaszewski („Cowards“) sprechen, und in eine Fraktion, die „Him & Her“ nicht begreift. Oder höchstens als Zeitverschwendung. So wie, leider mal wieder, ich. Denn auch wenn ein paar gute Gags dabei sind pro Episode: Lange Strecken der ersten beiden Folgen kamen ohne jeden Witzversuch aus. Dafür mag ich weder sie noch ihn. Sie hat, so gut sie aussieht, leider zu viele abstoßende Angewohnheiten, und er neigt zu sehr zu Hysterie und Selbstverliebtheit („You are very good at blow jobs, and I am very good at receiving them“). Und daß er ihr aus reiner Gehässigkeit das Brot unterjubelt, das eben noch mit der Butterseite nach unten auf dem gewöll-übersäten Schlafzimmerteppichboden lag: igitt. Benehmen sich Mittzwanzigjährige wirklich so? Und wenn ja: Was hält sie zusammen? Denn Hinweise auf Affekte zwischen ihm und ihr fehlen einfach, da ist kein Moment von Zuneigung oder gar Liebe — nur dauerndes Gerede über Sex, Sex und noch mal Sex.

„Ehrlich und akurat beobachtet“ nennt der Comedy-Guide das. Ich will mal hoffen, daß das nicht stimmt. Und daß BBC3 („Two Pints Of Lager And a Packet Of Crisps“, „Horne & Corden“) bald auch für etwas anspruchsvollere Mittzwanziger gute Comedy produziert.

„Seinfeld“ sein Feld trägt reiche Früchte

Über den Grund für Jerry Seinfelds Dauergrinsen berichtet am Montag der Guardian: Laut Barry Meyer von Warner Brothers Entertainment hat „Seinfeld“ allein mit Wiederholungen seit 1998 gute 2,7 Milliarden Dollar verdient. Zwar ist unbekannt, wieviel davon an Larry David und Jerry Seinfeld fließt. Bei solch astronomischen Zahlen dürfte aber schon ein Bruchteil des „Seinfeld“-Umsatzes für dauerhaft gute Laune mehr als genügen.

Shop it!

8. Juni 2010 1 Kommentar

Seit gestern in den Regalen (englischer Versandhäuser): Die siebte Staffel „Curb Your Enthusiasm“, in der Larry mit der Schwarzen Loretta zusammenkommt und bei ihr Krebs diagnostiziert wird, während er gleichzeitig feststellt, daß ihre Beziehung nicht funktioniert, in der Larry anschließend versucht, die geplante „Seinfeld“-Reunion dazu zu nutzen, wieder mit Cheryl anzubandeln, und in der es eine Wiedervereinigung aller „Seinfeld“-Schauspieler im Original-Set gibt… aber keine wirkliche.

Beim ersten Sehen im letzten Jahr schien es mir, als ob Larry David die Klippen der Sentimentalität gut umschifft hätte, die bei Wiedervereinigungen so großer Shows wie „Seinfeld“ unweigerlich auftauchen. Der „Seinfeld“-Plot wird ganz zu Beginn zwar sofort eingeführt, dann aber über etliche Episoden hinweg sehr zurückhaltend weitergesponnen und vor allem nie emotional aufgeladen: zum einen, weil Larry die Reunion schön peinlich für seine Zwecke mißbraucht (oder jedenfalls mißbrauchen möchte), zum anderen, weil die Spannungen innerhalb des „Seinfeld“-Casts ausgespielt werden und so nie Rührseligkeit aufkommt. Der ganze saisonale Handlungsbogen ist besser, glaubwürdiger und auch lustiger als der der Staffel davor, in dem Larry nach der Überflutung New Orleans‘ eine schwarze Familie in seiner Villa aufnimmt.

Die achte Staffel, in der offenbar auch Ricky Gervais eine Rolle spielen wird, kommt frühestens 2011 auf HBO.