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Artikel Tagged ‘Steve Pemberton’

Das glückliche Tal der schwachen Männer

Habe ich gestern geschrieben, dass „Happy Valley“ (BBC1, 2014) mich schon nach der ersten Folge überzeugt hatte, weil die sehr gut erzählt war, so ist mir im Laufe der weiteren fünf Folgen aufgefallen, was konkret mir an der (auch im Weiteren exzellent geschriebenen) Serie gefällt: nämlich ihre weibliche Perspektive und wie sie von schwachen Männern erzählt und davon, dass es vorrangig Frauen sind, die diese Schwächen ertragen müssen. Weil es vorrangig Männer sind, die kriminell werden, und weil ihre Taten Auswirkungen auf Familien haben, ob sie das wollen oder nicht — auf fremde Familien wie auf die eigene.

Dabei ist die größte Schuld der Männer (ich werde keine Inhalte erzählen, weil ich Spoiler vermeiden möchte) ihre Schwäche: Neid, Feigheit, Gier, Gewalttätigkeit — um nur mal vier zu nennen. Aus den Schwächen der Männer entsteht Verbrechen: Entführung, Vergewaltigung, Mord. Und die Verbrechen wirken sich auf Familien aus, auf Frauen, auf Kinder. „Happy Valley“ ist genauso sehr Drama- wie Krimiserie, und die Gewalttätigkeiten, die hier so explizit gezeigt werden, wie es derzeit eben erzählerischer Standard ist, in ein Familiendrama hineingetragen zu sehen, das macht „Happy Valley“ mitunter schwer erträglich. Und zu einer fantastischen Serie.

Starke Polizistinnen haben derzeit offenbar Konjunktur. Nicht nur in den USA („Fargo“), auch in Großbritannien gibt es mittlerweile einige: In „The Fall“ (RTÉ1/BBC2, 2013) ermittelte Gillian Anderson in Belfast in einer äußerst düsteren Atmosphäre einem Serienmörder hinterher, in „Broadchurch“ (ITV, 2013) war es Olivia Colman, die neben David Tennant in ihrem eigenen kleinstädtischen Umfeld den Mord an einem Kind aufklären musste. Mit erschütterndem Ergebnis.

Aber Sarah Lancashires Catherine Cawood in „Happy Valley“ ist weder die toughe, selbstbestimmte Ermittlerin, wie Anderson sie spielt, noch die schwache Ellie Miller aus „Broadchurch“. Sie ist beides: eine selbstbewusste, sehr professionelle Kriminalerin (die sich öfter gegen ihre tendenziell korrupten und faulen Kollegen durchsetzen muss), und alleinerziehende Oma, die unter dem Selbstmord ihrer Tochter beinah zusammenbricht. Auch sie ist also schwach, und auch aus ihrer Schwäche erwächst Schuld, wenn sie etwa mit einer jungen Polizistin strenger umspringt, als es der Situation angemessen gewesen wäre. Oder mit ihrem Exmann eine Affäre beginnt, obwohl der wieder in festen Händen ist.

Sally Wainwright, die „Happy Valley“ geschrieben hat, schafft es durch die Bank, Figuren zu zeichnen, die ungeahnte Tiefen und Untiefen haben. Keiner ist ganz böse oder ganz dumm und schon gar nicht ganz unschuldig; sie kompromittiert nicht einmal die übelsten Burschen unter ihren Figuren durch platte, zweidimensionale Darstellung, sondern gibt auch ihnen Momente, in denen sie uns nahe kommen. Näher als uns lieb ist sogar. Selbst das erbärmlichste Wiesel, der wachsweiche Kevin Weatherill (der brillante Steve Pemberton), der zwischendurch zur Witzfigur mit comic relief-Momenten wird, kriegt eine Szene, in der er eine böse Wahrheit aussprechen darf und uns damit klar macht, wie sehr wir uns vor moralischer Überlegenheit hüten sollten. Weil es womöglich gerade die Selbstgerechtigkeit ist, die uns schuldig werden lässt. Böse Ironie also.

Diese böse Ironie ist bei „Happy Valley“ schon im Titel zu spüren: happy valley nennen die Cops die Gegend, in der die Serie spielt, wegen des massiven Drogenkonsums dort.

Wie man Backstory erzählt

28. Juni 2014 8 Kommentare

Gerade habe ich die erste Folge „Happy Valley“ (BBC1, 2014) gesehen und bin wieder einmal beeindruckt, wie viel höher die erzählerischen Standards des englischen Fernsehens im Vergleich zum deutschen sind. Da gibt es zum Beispiel die Ehefrau einer Hauptfigur, die im Rollstuhl sitzt, aber diese wichtige Information wird uns nicht aufs Brot geschmiert, sondern ganz beiläufig erzählt: nicht in der ersten Szene, in der die beiden beim Abendessen am Tisch sitzen und wir die Behinderung gar nicht sehen können, sondern in der zweiten, wo Kevin (Steve Pemberton) Jenny (Julia Ford) ins Bett hilft. Erwähnt wird die Behinderung der Frau mit keiner Silbe. Und prompt wissen wir: Kevin ist nicht mit einer Querschnittgelähmten verheiratet, sondern mit einer Frau, die querschnittsgelähmt ist*. Die Figur ist nicht durch ihre Behinderung definiert, ihre Behinderung ist einfach ein Aspekt dieser Figur, und vielleicht nicht einmal ihr wichtigster.

Aber viel entscheidender: Die andere Hauptfigur von „Happy Valley“ ist eine 47jährige Polizistin in Yorkshire. Sie ist geschieden, lebt mit ihrer Schwester zusammen, die ein cleaner Heroin-Junkie ist, sie hat zwei erwachsene Kinder, von denen eines tot ist und eines nicht mit ihr spricht, und einen Enkel. Es geht in dieser Serie von Anfang an um den seelischen Ballast, den Catherine (Sarah Lancashire) mit sich herumträgt, also die Backstory ihrer Figur, so dass das Drehbuch zumindest ein paar zentrale Informationen über diese Figur sehr schnell klar machen muss. Der Grundsatz „show, don’t tell“, der bei einer Körperbehinderung leicht umzusetzen ist, funktioniert hier nicht. Diese Informationen aber in Dialoge zu zwängen, die die Handlung nicht vorantreiben, verbietet sich andererseits auch – wie quälend schlecht solche Dialoge zwangsläufig sein müssen, sieht man bei mediokren deutschen Fernsehkomödien ja in schöner Regelmäßigkeit: „Übrigens erwarten wir heute Abend deine Tante zum Essen, du weißt schon, die bei unserer Hochzeit mit deinem Vater geschlafen hat!“ – „Wie, Tante Erna kommt den ganzen weiten Weg aus Buxtehude her zu uns nach Drömmelhausen?“ usw. usf.

Wie also löst Autorin Sally Wainwright („Bonkers“) dieses Dilemma? Sie lässt Catherine sagen: „Ich bin geschieden, lebe mit meiner Schwester zusammen, die ein cleaner Heroin-Junkie ist, habe zwei erwachsene Kinder, von denen eines tot ist und eines nicht mit mir spricht, und einen Enkel.“ Klingt nicht sehr clever? Ist es aber: denn sie sagt es einer Situation, in der sie in ihrer Eigenschaft als Polizistin mit einem zugedröhnten Twen spricht, der sich auf einem Spielplatz mit Benzin übergossen hat und sich anzuzünden droht. Sie sagt es, weil sie weiß, dass man in solchen Situationen am Besten viel persönliche Information von sich preisgibt, um zwischenmenschlichen Kontakt herzustellen. Was auch funktioniert. Und schwups ist das Problem gelöst: die Backstory im Dialog erzählt UND die Handlung vorangetrieben: wir wissen neben ihrer Geschichte nämlich auch, dass sie eine patente, erfahrene, umsichtige Polizistin ist, die sich einerseits einfühlsam zu verhalten, andererseits entschieden vorzugehen weiß — denn einen Feuerlöscher hat sie praktischerweise gleich mitgebracht.

Toll. Diese Lösung war so clever, dass ich den Trick überhaupt erst bemerkt habe, als in der zweiten Folge genau diese paar Sätze im „Was bisher geschah“-Vorsetzer auftauchten.

Dass die Serie offenbar gut bis sehr gut ist, ist übrigens im Verlauf der ersten Episode schnell deutlich geworden. Mehr vielleicht demnächst, wenn ich mehr gesehen habe.

* Sie ist nicht querschnittsgelähmt, sondern leidet an Multipler Sklerose, aber das macht hier ja keinen Unterschied.

Manic Monday (1)

14. November 2011 Keine Kommentare

Je näher Weihnachten rückt, desto zahlreicher werden die DVD-Neuerscheinungen, die am ersten Tag der Woche in den Läden liegen. Heute sind es allein 14 neue Stand-Up-DVDs! Die meisten sind für mich allerdings uninteressant — außer von den ganz Großen guck ich mir Bühnenshows eher nicht im Fernsehen an. Und von denen ist heute eigentlich nur einer dabei: Dylan Morans neue DVD „Yeah, Yeah — Live in London“.

Interessanter dagegen: ein extrem günstiges Box-Set von Rob Brydon, in dem seine Frühwerke „The Keith Barret Show“, „Human Remains“ und „Marion & Geoff“ zusammen für schlappe 11,48 Euro enthalten sind — günstiger wird’s nicht mehr. Insbesondere „Human Remains“ (2000, BBC), in dem Brydon zusammen mit Julia Davis sechs unterschiedliche englische Paare spielt, ist eine zu Unrecht etwas vergessene Sitcom und ein früher Fall von bitterböser und rabenschwarzer Mockumentary, den mal wieder zu besichtigen sich absolut lohnt.

Weiterhin heute erschienen: Die vierte Staffel „Benidorm“ (ITV, seit 2000) (und das Box-Set mit allen vier Staffeln plus Specials). Diese Sitcom bzw. dies ComedyDrama (nach der zweiten Staffel wurden die Folgen von brutto 30 auf 60 Minuten umgestellt) erzählte mit einem teilweise hochkarätigen Ensemble (Johnny Vegas, Nicholas Burns — beide leider in der letzten Staffel nicht mehr dabei –, Steve Pemberton von der „League of Gentlemen“ u.a.) Urlauber-Geschichten von rotgebratenen Briten in Spanien: Rentner mit Swinger-Ambitionen, Töchter, die mit spanischen Kellnern flirten, Teenager-Schwangerschaften, schwule Mittelschichtsangehörige, die sich eigentlich für zu gut für All-Inclusive-Urlaube halten, Karaoke-Abende und sehr, sehr viel Alkohol — wie Engländer halt so Urlaub machen. Die letzte Staffel schwächelte etwas, und Creator und Autor Derren Litten hat bereits angekündigt, sich von der Serie zu verabschieden; dennoch könnte es im nächsten Jahr mit „Benidorm“ weitergehen: Denn die Einschaltquoten sind nach wie vor sehr gut.

Außerdem heute erschienen: „Soap Box“ von David Mitchellund die vierte Staffel „Not Going Out“ (sowie das Box-Set).

Nächste Woche sind „Come Fly With Me“ dran, John Cleese‘ „The Alimony Tour 2011“, die vierte Staffel „Outnumbered“ und „Rev“ (die erste Folge der zweiten Staffel hat mir gut gefallen). Dann mehr.

Show me the way to Psychoville

4. August 2009 3 Kommentare

Ab heute, es geht immer schneller, daß DVDs nach der Fernseherstausstrahlung erscheinen, gibt es „Psychoville“ (BBC2) auf DVD (und Blue-ray). Allerdings fällt mir kein Grund ein, warum sich jemand die Serie auf DVD kaufen sollte — ich hatte ja von Anfang an kein Faible für das Horror-Comedy-Thriller-Genre, das die „League of Gentlemen“-Macher Shearsmith und Pemberton sich hier vorgenommen haben. An meinem Urteil von damals hat sich auch nach fünf weiteren Folgen wenig geändert; außer daß mich die erheblichen formalen und qualitativen Unterschiede zwischen den Episoden verblüfft haben: Da gibt es eine Folge, die in einem einzigen Take aufgenommen ist (bzw. so scheint — ein Schnitt ist doch drin, angeblich weil die HD-Kameras nach 20 Minuten heruntergefahren werden müssen) und so etwas äußerst Theaterhaftes hat, was der Rest der Serie nicht hat, ohne daß es einen erkennbaren Grund für diesen Bruch gäbe. Daß mal eine nicht so gute Folge in einer Serie vorkommt, ist ja nicht ungewöhnlich, aber das Finale von „Psychoville“ ist schon sehr hanebüchen: Da werden alle Erpressungsopfer zum Showdown in einer verlassenen psychiatrische Klinik versammelt — oder eben nicht alle, sondern nur einige, weil ein paar andere es drehbuchbedingt nicht schaffen, was ein beträchtlich schwächeres Finish ergibt. Über diese Skriptschwäche wird dann sogar noch verhandelt, statt sie dezent zu überspielen. Und der letzte große Höhepunkt (inklusive einer furchtbar schlecht inszenierten Explosion) läßt der Möglichkeit einer zweiten Staffel so viel Raum, daß das Finale der ersten endgültig vage bleibt.

Die einzigen echten Lacher hat der Clown Jelly, der sich ob seines Versagens immer wieder schön in Rage redet wie hier im Altenheim:

Doch sonst regiert, was belachbare Gags angeht, leider der horror vacui. Schlecht für eine Sitcom.

ProllCom from Benidorm

14. Juli 2009 10 Kommentare

Wie ich gerade Spiegel online entnehme, sendet Timm ab heute abend die Britcom „Benidorm“ immer dienstags um 22.15 Uhr (bedeutet UT Original mit Untertiteln oder was?). Die Kritiken der britischen Presse waren nicht so schlecht, wie Spon es darstellt, aber für mich war „Benidorm“ einen Ticken zu lowbrow, trotz eines einwandfreien Cast inklusive Nicolas „Nathan Barley“ Burns, Johnny „Ideal“ Vegas und Steve „diesmal ohne groteske Verkleidung wie sonst immer in ‚The League of Gentlemen‘ oder ‚Psychoville'“ Pemberton. Geschrieben hat die ganze Serie Derren Litten von der „Catherine Tate Show“, mit der ich auch nie recht warm geworden bin. Trotzdem tut „Benidorm“ aber nicht direkt weh und bietet hie und da sogar echte Lacher.

Will they never leave?

30. Juni 2009 4 Kommentare

Nun ist die League of Gentlemen umgezogen: Von Royston Vasey (Grußschild am Ortseingang: „You’ll never leave“) nach „Psychoville“ (BBC2, donnerstags). Bislang (zwei Folgen) kein sehr weiter Umzug: Auch in Psychoville begegnen wir wieder inzestuösen Hinterwäldlern, amtlichen Irren und dem typischen Pemberton-Shearsmith-Gatiss-Humor zwischen Goth-Horror und „Little Britain“-Nonsens.

„Psychoville“ allerdings geht einen Schritt weg vom „League of Gentlemen“-Realismus und sieht bislang aus, als ob Stephen King sich an einer Comedy probiert hätte: Eine illustre Runde grotesker Figuren erhält von unbekannter Seite Drohbriefe — in der ersten Folge schön auf Büttenpapier abgefaßte und versiegelte Briefe mit den Worten „I know what you did“, in der zweiten Folge schon persönlichere Botschaften mit den Worten „You killed her“. Die Adressaten sind der böse Clown Mr. Jelly (Reece Shearsmith), der bei seinen Auftritten im Clown-Leichenwagen vorfährt und Kinder mit seinem Armstumpf erschreckt, ein offenbar direkt aus Royston Vasey stammendes und inzestgezeichnetes Mutter-Sohn-Duo (Steve Pemberton und Shearsmith), das sich für Serienkiller begeistert, ein ungepflegter blinder Millionär, der Plüschfiguren sammelt (Pemberton), eine psychotische Hebamme, die permanent eine Babypuppe mit sich herumträgt und diese für ein echtes Baby hält (Dawn French), und ein kleinwüchsiger Schauspieler, der sich vom Schneewittchen aus seinem Theaterensemble permanent sexuell demütigen läßt („you’re giving it to her — all both inches!“).

Mr. Jelly in action:
https://www.youtube.com/watch?v=6IK-9l7F4QE&hl=de&fs=1&

Was genau diese Geisterbahngestalten getan haben, in welcher Verbindung sie stehen und wer der geheimnisvolle Erpresser ist, ist noch keineswegs klar; klar ist allerdings: die Begeisterung von Zusehern und Presse ob des neuen LoG-Projekts ist groß und wird durch virale Sperenzchen wie eigenen Internetseiten der Figuren auch von Seiten der Produzenten befeuert (eine schöne Übersicht hat der Comedy-Guide im Angebot). Ein noch kommender Gastauftritt von Mark Gatiss wird ebenso vorab bejubelt wie die Ankündigung, die letzten beiden Folgen seien praktisch in einem Take gedreht, und man kann der Serie durchaus zugutehalten, daß sie überdurchschnittliche Schauwerte hat, wie „The League of Gentlemen“ ja auch.

Mutter und Sohn Sowerbutts und ihre Serienkillerbegeisterung:

Meins, man ahnt es vielleicht schon, ist es trotzdem mal wieder nicht. Wie schon bei „League of Gentlemen“ (und auch bei „Little Britain“) kann ich einfach nichts mit diesen Provinzbeschimpfungen anfangen, die sich über tumbe bis bösartige Hillbillies lustig macht. Degeneration allein finde ich zu wenig Fallhöhe für eine Sitcom. Und das Rezept Comedy plus Horror geht in meinen Augen gar nicht: So lange die Comedy im Vordergrund steht, finde ich den Horror keinen Millimeter gruselig. Ganz im Gegensatz, natürlich, zum umgekehrten Rezept Horror plus Comedy: „Dead Set“ finde ich sensationell, weil comic relief nach oder in packenden Horror-Szenen immer funktioniert.

Andere mögen das aber anders sehen, und vielleicht sogar auf Pro7, die schließlich „The League of Gentlemen“ auch schon ausgestrahlt haben (die entsprechenden DVDs gibts also auch auf deutsch).