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Inder Bredouille

Als die Frankfurter Rundschau im Laufe der Tageszeitungskrise im Allgemeinen und ihrer hausgemachten Misere im Besonderen einmal ein wenig Geld sparen wollte, kam irgend jemand auf die Idee, die Telefonzentrale von Redaktion, Verlag und Druckerei dort hin zu verlagern, wo es wenig kostet, jedenfalls weniger als in Frankfurt am Main: nämlich in den Osten, in ein Call-Center, seßhaft vermutlich in einer Mittelstadt in wasweißich Thüringen oder Sachsen. Seitdem wird der Anruf von jedermann, der die Frankfurter Rundschau anwählt, nicht im hessischen Idiom beantwortet, sondern, wenn er Glück hat, mit „Frankfodder Ründschau, güdn Dooch“ und „waskonnschfürSiedüün“. Von Vorgängen im Haus haben die Menschen im Call-Center naturgemäß keine Ahnung, vermutlich war nie einer von ihnen in Frankfurt/M. und hat auch noch nie eine Rundschau in der Hand gehabt.

Eine Sitcom in diesem Milieu könnte nun so gehen: Ein Ossi, seit kurz nach (oder besser noch vor) der Wende im Westen, hat es geschafft. Er hat einen schönen Job in einer westdeutschen Stadt bei einer z.B. Unternehmensberatung. Dort ist er rasch aufgestiegen, weil er seinen Job gut macht und kaum etwas an seine Herkunft erinnert. Dann bekommt sein Unternehmen den Auftrag, eine marode Tageszeitung vollends zu ruinieren, und richtet ein Call-Center in Ostdeutschland ein. Als es dort zu Problemen mit der Technik und der Mentalität der Angestellten kommt, erinnert sich ein hoher Manager der Unternehmensberatung: Da war doch ein Mitarbeiter, der ursprünglich aus dem Osten kam! Und prompt wird unser Ossi nach Zwickau versetzt, wo er, der den liberalen westlichen Lebensstil schätzt wie kein zweiter, plötzlich im kleinbürgerlichen Mief zwischen Unwilligen und Unfähigen sitzt, Chef zwar, aber ausgeliefert dem „Das machen wir hier schon immer so“ und „Da könnte ja jeder kommen“. Eine Fish out of water-Story mit dem Twist, daß dieser Fisch dahin zurück muß, wo er froh war, endlich weg zu sein.

Ganz so schlimm ist es nicht für Kenny Gupta (Sanjeev Bhaskar) in „Mumbai Calling“ (ITV, samstags, 21.30 Uhr). Er, der in Wimbledon korrigiere: Wembley geborene indisch-stämmige Engländer, muß nicht in den deutschen Osten, sondern nur nach Mumbai (hierzulande noch weitgehend als Bombay bekannt), um das (in Großbritannien operierende) Call-Center Teknobabel auf Vordermann zu bringen. Dabei wird er nicht nur in Kämpfe mit dem dortigen Büroleiter Dev (Nitin Ganatra) verwickelt, der zwar sympathisch ist, aber mehr an Frauen als an Arbeit interessiert, sondern auch noch mit Terri Johnson (Daisy Beaumont), einer Britin, die Gupta hinterhergeschickt wird, weil der sich über Monate hinweg an seinem Arbeitsplatz gar nicht blicken läßt, sondern lieber trinkt und in Clubs herumhängt — wer könnte es ihm verdenken.

https://www.youtube.com/watch?v=iK3EVYPomO8&hl=de&fs=1&

Drei Folgen „Mumbai Calling“ sind schon gelaufen, und Setting wie Cast sind eine angenehme Abwechslung zu anderen Sitcoms. Gedreht wurde vor Ort in Indien und mit indischen Schauspielern (Single Camera, kein Laugh Track), Sanjeev Bhaskar kann mit „Goodness Gracious Me“, einer ethnischen Sketch-Comedyshow, auf große Erfolge zurückblicken, und Daisy Beaumont ist als Ensemble-Mitglied von „Star Stories“ ebenfalls schon auf dem Comedy-Radar aufgetaucht. HBO hat „Mumbai Calling“ bereits im November vergangenen Jahres in Indien ausgestrahlt, ITV allerdings nach einem Pilot von Mai 2007 sehr lange zugewartet, bis sie die längst fertige Serie doch noch ausgestrahlt haben. Doch noch ausgestrahlt vermutlich wegen des großen Erfolgs von „Slumdog Millionaire“ (und weil auch ITV die Krise sehr zu spüren bekommt und es sich nicht leisten kann, fertige teure Serien einfach in den Giftschrank zu tun), so lange damit gewartet aber aus einem anderen Grund: „Mumbai Calling“ ist zwar schön anzusehen, aber nicht übermäßig dicht an Lachern. Was die Serie aber an Knaller-Pointen verschenkt, macht sie durch einen großen Sympathie-Bonus wett, den sie bei mir hat. Und vielleicht wird sie ja auch noch ein bißchen besser.

Einen Scherz hab ich noch, der leider für die Ossi-Sitcom unübersetzbar ist: „You want a four letter word?“ — „Yeah!“ — „Work!“

  1. Dashcroft
    19. Juni 2009, 15:01 | #1

    Oliver, Graham Linehan und David Mitchell z. B. können es nicht mehr hören: Britische Sitcoms verwenden keinen Laugh Track. Audience Laughter: ja, Laugh Track: nein. Die Szenen werden direkt im Studio vor Live-Publikum gespielt und gefilmt, und Außenaufnahmen werden ebenfalls einem Live-Publikum im Studio vorgeführt.

  2. 19. Juni 2009, 15:11 | #2

    schon klar, ich glaube aber, man kann „laugh track“ im sinne von „tonspur mit gelächter“ (ob live oder nicht) schon stehen lassen, der british sitcom guide etwa tut das auch, wenn er sitcoms mit „laugh track: no, laugh track free“ kommentiert.

  3. Dashcroft
    19. Juni 2009, 18:07 | #3

    Sie haben ja recht, ich wollte nur ein wenig mit angelesenem Wissen prahlen. 😉

  4. 21. Juni 2009, 02:26 | #4

    Kenny Gupta kommt aus Wembley, nicht aus Wimbledon. 🙂

    Und wenn ich schon beim Meckern bin: Die Analogie mit Mumbay-Zwickau ist nicht übermäßig treffend, denn Zwickau ist wirklich eher kleinstädtisch. Eher würde da Leipzig passen, weil die Stadt wirklich quirlig und weltoffen ist.
    Aber ansonsten passt die Analogie ganz gut – denn gerade hier im Osten werden die Dinge ähnlich dem „Indian Way“ (vgl. Folge 4 – unbedingt anschauen, wesentlich mehr Lacher als in der 3. Folge) gehandhabt.

  5. 21. Juni 2009, 09:16 | #5

    wembley, wimbledon – eine dieser städte, die man vom baseball kennt halt 😉

  6. Edgar
    23. Juni 2009, 23:08 | #6

    „Work Is a Four-Letter Word“ ist ein Film von Peter Hall aus den späten 60ern, mit der Sängerin Cilla Black, die den gleichnamigen Titelsong sang, der sich wiederum 1987 von den Smiths gecovert wurde.

    Nutzloses Wissen nach Mitternacht. 😐

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