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Archiv für März, 2012

Gervais: Doch nicht der Mongo, der man dachte?

29. März 2012 3 Kommentare

Nach einem Screening von Ricky Gervais‘ Piloten „Derek“ (Channel 4, 12. April) sieht es nach einer überraschenden Wendung in der Meinung der Kritiker aus: Offenbar ist die Show rund um einen geistig Zurückgebliebenen/Behinderten, der in einem Altenheim arbeitet, doch nicht so offen beileidigend, wie man nach „Life’s Too Short“ (BBC2, 2011) annehmen konnte.

Tatsächlich sind sich die Online-Medien relativ einig: „Derek“ ist eine eher warme, freundliche Show, die keine Scherze auf Kosten ihrer Hauptfigur macht, bzw. jedenfalls nicht nur:

The cleverest part of the comedy is the thinly-veiled double entendre; on one hand, you might find cheap laughs in a mentally challenged man falling into a pond, but on the other hand you might find more rewarding comedy concealed in Derek’s interpretations of the world that surrounds him. Either way, it doesn’t take long before all threat is dispersed and you’ve established a tenable connection to Derek.

berichtet Heatworld, und der Digital Spy erwähnt „emotionale Momente, die unweigerlich kommen (es ist schließlich eine Ricky-Gervais-Show)“ und die Gervais‘ Potential als ernsthafter Schauspieler zum Vorschein brächten — Momente, in denen man mit der Hauptfigur aus tiefstem Herzen mitfühlt, was abermals ein großer Unterschied zu „Life’s Too Short“ oder Karl Pilkington in „An Idiot Abroad“ (Sky 1, seit 2010) wäre.

Apropos Pilkington: der spielt auch mit, allerdings quasi sich selbst. Überhaupt scheint von Anfang an in jedem Moment klar zu sein, dass wir es mit einer Show von Ricky Gervais zu tun haben: Es ist, logo, abermals ein Mockumentary-Format, allerdings ohne dass je erklärt würde, warum ein Kamerateam das Leben und Wirken Dereks in einem Seniorenheim dokumentieren sollte. So bleiben die Vergleiche mit „The Office“ und „Extras“ auch in der RadioTimes-Kritik nicht aus, aber: es sind Vergleiche mit den positiven Aspekten aus Gervais Vorgängerwerken. „Derek“ sei

a sensitive comedy drama that recalls the sudden cries from the heart we saw at the end of Extras and, particularly, The Office. Almost all those preconceptions are wrong. Almost all of them. Gervais is trying, if not to atone, then to progress — but he’s not been bold enough. Smears of old paint spoil the canvas.

Das alles klingt sehr nach einer der besseren Ideen von Gervais. Womöglich ist es sogar bedauerlich, dass Channel 4 keine ganze Staffel „Derek“ bestellt hat. Chortle jedenfalls schließt mit der Bemerkung, Gervais käme hier wesentlich „aufrichtiger“ rüber, viel weniger frivol als in anderen Shows, und das will ich mir gerne ansehen.

***

UPDATE: Ricky Gervais äußert sich nun selbst zu „Derek“:

He’s lovely and kind. Whatever he thinks and does is the nice way to go. He knows what he likes and does everything with passion and honesty.

I’ve never thought of him as disabled. He’s not that bright but neither are Kev [David Earl’s character] or Karl. He’s cleverer than Baldrick and Father Dougal and he certainly hasn’t got as big a problem as Mr Bean. When portraying someone with disabilities I usually get someone with that disability to play them.

People assume my work is cynical and outrageous and it’s never been. I’ve always liked realism. There’s nothing better than real life. I like getting close to real emotions. It’s just that people don’t quite expect it if they’ve been having a laugh.

Der vollständige Text findet sich bei Chortle, wo auch berichtet wird, über eine volle Staffel sei bei Channel 4 noch gar nicht entschieden worden.

Who owns the donkey, walks the donkey, and who is the donkey

18. März 2012 1 Kommentar

Henning Wehn, der deutsche Comedy-Botschafter in England, hat eine neue BBC-2-Radio-Serie „Henning Knows Best“, in der er mit dem unbestechlichen Blick eines Ausländers die liebenswerten Schrullen des Inselvölkchens seziert und diesem erklärt. In der ersten Folge: „Class“, oder: Wem der Esel gehört, wer den Esel führt und wer der Esel ist. Sehr lustig, mit vielen Anspielungen auf Deutschland und das deutsch-britische Verhältnis, und per Stream auch hier zu hören!

Keine BehindiCom von Ricky Gervais

Channel 4 wird „Derek“, Ricky Gervais‘ nächster Sitcom-Idee rund um einen geistig Behinderten, doch keine volle Serie geben; der schon abgedrehte Pilot wird als „One-off“ am 27. März gezeigt werden. Das berichtet Dan’s Media Digest.

Keine große Überraschung, dass die Sender etwas vorsichtiger geworden sind: Nicht nur ist gerade die US-Ausstrahlung von „Life’s Too Short“ (BBC2, 2011) wie schon die in England von schlechten Kritiken gesäumt, sondern Gervais auch für die unreflektierte Verwendung des Wortes „Mong“, sprich: Mongo, in Großbritannien im Herbst letzten Jahres abgewatscht worden. Womöglich wird sogar die BBC die schon zugesagte zweite Staffel „Life’s Too Short“ gar nicht erst produzieren. Kein gutes Jahr für Gervais bislang.

In eigener Sache

12. März 2012 4 Kommentare

Die Frau hat ein Buch geschrieben, und weil es gut ist und viel Arbeit gemacht hat, empfehle ich es allen meinen Lesern: „Wir müssen leider draußen bleiben: Die neue Armut in der Konsumgesellschaft“ von Kathrin Hartmann! Heute erschienen! Zu wenige Witze drin für meinen Geschmack, aber hey, man kann nicht alles haben.

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Motivation, Motivation, Motivation

11. März 2012 4 Kommentare

Kurz war meine Freude an der neuen, jungen BBC3-Sitcom „Pramface“: Kaum zwei Folgen lang. Schon die dritte ließ mich deutlich weniger lachen. Warum nur?

Die Voraussetzungen waren jedenfalls gut: Ein eher schüchterner Sechzehnjähriger ohne große Erfahrung mit Frauen, der die Gelegenheit bei einer feuchtfröhlichen Party nutzt und mit einem (ziemlich betrunkenen) Mädchen ins Bett geht. Leider klappt das mit dem Kondom nicht so gut, und prompt ist sie schwanger. Kleine Komplikation: Sie ist schon achtzehn — und kein Altersunterschied könnte größer sein als der zwischen einem achtzehnjährigen Mädchen und einem sechzehnjährigen Jungen. Sehr schön demonstriert in einer Szene, als sie ihn zum ersten Mal nüchtern trifft und ihn anraunzt, er könne sich gleich wieder davonmachen auf seinem BMX-Rad. Er antwortet entrüstet: Er sei ja gar nicht mit einem BMX-Rad da! Seine Mama hätte ihn mit dem Auto gebracht!

Ein prima Konflikt also, von den diversen kleineren Konflikten ergänzt: Natürlich kommt Laura (Scarlett Alice Johnson) aus einer poshen Oberschichtsfamilie und Jamie (Sean Michael Verey) aus eher tiefer angesiedelten Verhältnissen; natürlich gibt es die üblichen Dramen à la „Wie sage ich es Mami und Papi“; und natürlich kommen da etliche Nebenfiguren ins Spiel, die der Story Würze geben: Er hat eine beste Freundin, die in ihn verliebt ist, von der er aber nicht mehr will als von einem guten Kumpel, und einen treudoofen besten Freund, der mehr doof ist als treu und in dieser Entourage die Figur, die am durchschaubarsten eingesetzt ist als Witzemagnet.

https://www.youtube.com/watch?v=6e9dPoBXnzE?version=3&hl=de_DE

Während die zweite Folge (per Einblendung) erklärte sechs Wochen nach der ersten spielt, findet die dritte (abermals per Einblendung ausgewiesene) zwölf Wochen später statt. Sie ist gerade nach Edinburgh zum Studieren gegangen, und er reist ihr nach, um sie davon zu überzeugen, dass… ja, was? Zwar will er ihr einen Heiratsantrag machen, aber mit dem Ziel, dass sie nein sagt, so dass er aus der Nummer guten Gewissens herauskommt. Diese Motivation könnte man mit etwas gutem Willen noch einsehen, und sie bietet abermals genügend Konfliktpotential, um hübsche Dialoge und Szenen zu bewerkstelligen: Was, wenn sie ja sagt? Und den teuren Ring behält, den er mit der elterlichen Kreditkarte online bestellt hat (in der Hoffnung, ihn dann einfach zurückschicken zu können)?

Vollkommen unklar wird aber in dieser Folge ihre Motivation, das Baby zu behalten. Bei einer Aussprache zwischen ihr und ihrer Mutter erklärt letztere sympathischer- und richtigerweise, dass an beruflichen Erfolg mit einem Baby nicht zu denken ist. Tochter: Aber es gibt Frauen mit einer Karriere und einem Baby! Mutter: Nein, es gibt Frauen mit einer Karriere und einer Nanny. Abtreibung steht also im Raum, als eine mehr als naheliegende Option.

Warum aber entscheidet sie sich dagegen? Welche Motivation gibt es, dieses Baby zu bekommen? Sie ist angewidert von dem Gedanken, sich mit einem zwei Jahre jüngeren Burschen einzulassen, sie will zur Uni gehen, sie hat eine beste Freundin, die ihr ebenfalls zu diesem Schritt rät — nichts, aber auch gar nichts spricht für dieses Kind. Außer dass es ohne keine Serie gäbe.

Das aber hinterlässt mich als Zuschauer ratlos. Und nichts ist tödlicher für Comedy, als wenn man die Motivation der Hauptfigur nicht erkennt. Das Ziel der Hauptfigur, das nur erreicht werden kann, wenn Hindernisse dafür überwunden werden, ist entscheidend dafür, wie eine Figur handelt und warum sie sich zum Deppen macht: Ist es das Ziel, berühmt zu werden und gesellschaftlicher Mittelpunkt zu sein wie bei Frasier, oder sein Gewissen zu erleichtern und mit sich ins Reine zu kommen wie bei „My Name is Earl“, ist es das Ziel, im eigenen Buchladen von Kunden unbehelligt zu bleiben, wie im Falle Bernard Blacks in „Black Books“, oder auch nur Zucht und Ordnung durchzusetzen wie bei „Hausmeister Krause“ — die Motivation ist grundlegend, und sie muss klar erkennbar sein, am Besten in jeder Folge wieder. Etwa wie bei „White Van Man“, wo im Vorspann das Foto eines neuen, weißen Transporters gezeigt wird und dann Ollies alter, rostiger Van, so dass die Motivation gar nicht offensichtlicher sein könnte: Er will einen neuen, weißen Transporter, so einen wie auf dem Foto.

Warum aber will Laura dieses Baby? Wenn ihr Antrieb klar dargelegt würde, wenn man einsehen könnte, was sie bewegt: Dann wäre „Pramface“ eine ganz gute Sitcom.

Die Kulturflatrate der BBC

7. März 2012 2 Kommentare

Um es gleich im Vorhinein offenzulegen: Wenn nicht jemand auf mich zugekommen wäre und mir die BBC-iPlayer-App für mein Smartphone einen Monat lang zum kostenlosen Test angeboten hätte, hätte ich sie mir vermutlich nicht geholt. Ich gucke eher nicht gewohnheitsmäßig Fernsehkrempel auf meinem Handy, das ist mir einfach zu klein, und Tablet habe ich keines.

Andererseits hätte ich doch etwas verpasst, das muss ich einräumen: Denn für knappe sieben Euro im Monat kommt dieser Zugang zu (ich weiß nicht wie) weiten Teilen des BBC-Fernseharchivs schon ziemlich nahe an eine Kulturflatrate ran, jedenfalls für mich. Zwar hab ich im Laufe der Jahre schon viel davon gesehen, was da speziell in der Kategorie Modern Comedy angeboten wird, „Rev“ und „Saxondale“, „I Am Not an Animal“, „Nighty Night“, „Stewart Lee’s Comedy Vehicle“, „How Not To Live Your Life“, „The Office“, „Extras“, „Little Britain“, „IDEAL“, „Lead Balloon“, „The Mighty Boosh“, „Black Books“, „Peep Show“, „The Thick of It“ usw. usw. usw. — aber vieles eben auch noch nicht. Zum Beispiel „Keeping Up Appearances“ oder die Kinderserie „Rentaghost“. Beides sehr gute Serien, wie ich mich überzeugen konnte. Und es gibt ja noch viele Kategorien neben Comedy, so dass ich mir auf diesem Wege immerhin eine Vorstellung davon verschaffen konnte, was Michael Palin, dessen Tagebücher ich gerade lese, so über die Jahre an Reisedokumentationen gemacht hat. Viele nämlich. Sehr, sehr viele.

Und die iPlayer-App hat mir zu einem lustigen Wiedersehen mit einem ehemaligen Titanic-Kollegen verholfen: Denn Jeremy „Shoot them in front of their families“ Clarkson hat in seiner Serie „Jeremy Clarkson Meets the Neighbours“ (BBC2, 2002) in der Folge „The Germans“ den ehemaligen Titanic-Chefredakteur Oliver (damals noch ohne Maria) Schmitt getroffen und interviewt. Rätselhafterweise in Köln. Und musste anschließend (und nachdem die Kameras abgeschaltet waren) zugeben, dass der fast lustiger war als er selbst, was für einen Mann wie Clarkson, der über ausgeprägte Vorurteile gegenüber Aus-, sprich: Nichtengländern im Allgemeinen und Deutsche im Besonderen verfügt, doch recht überraschend zu sein schien.

Hier also der Tipp von jemandem, der mit 6,99 Euro dazu verführt worden ist, das zu sagen: Holt euch die BBC-iPlayer-App! Sie ist gut!!