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„Black Mirror“ zum Zweiten

Nach der ersten Folge von Charlie Brookers „Black Mirror“ (Channel 4) war ich nicht wirklich überzeugt und hatte schon die Vermutung, daß die zwei verbleibenden Teile, weil völlig unabhängig voneinander, ebenfalls nicht zu einem nachsichtigeren Urteil beitragen würden, weil man sonst eine bessere Folge ja einfach an den Anfang hätte stellen können. Die zweite Folge, „15 Million Merits“, schien mir dennoch zunächst die bessere, auch wenn sie den ganzen ersten und auch zweiten Akt über sehr minimalistisch, fast kammerspielhaft, jedenfalls aber klaustrophobisch war. Dann aber hat Brooker doch noch mit dem Arsch eingerissen, was er mit den Händen aufgebaut hatte. Denn zu meiner Überraschung hat sich Brooker hier selbst plagiiert — und dabei das Original nicht etwa übertroffen.

*** Achtung, schon wieder Spoiler! ***

Ohne allzu viel verraten zu wollen: „15 Million Merits“ führt uns in eine dystopische Welt ein, in der die Menschen umzingelt sind von Touchscreens (nun ja, interaktive Screens jedenfalls), die ihr ganzes Leben ausmachen — denn außer daß jeder den ganzen Tag via Tretmühle Strom erzeugt, passiert nichts mehr in der Welt. Dafür ist die Ablenkung durch Ballerspiele, zynische Fernsehshows und Pornos so perfekt, daß niemand rebelliert. Statt Geld sind (über die Tretmühle zu verdienende) Punkte die Währung; wer etwa Werbung ausblendet, zahlt dafür ein paar Punkte Strafe. Unser Held Bing (Daniel Kaluuya) aber verliebt sich in Abi („Downton Abbey“s Jessica Brown-Findlay), die er zufällig hat singen hören, und schenkt ihr all seine 15 Millionen Punkte, damit sie sich bei einer Variation der „X-Factor“-Show bewerben kann (in der Jury: Julia Davis und Rupert Everett). Dort aber wird nicht ihr Gesangstalent erkannt, sondern ihre Ausstrahlung, die sich prima für Pornos eignen würde — und so entscheidet sie sich unter Tränen dafür, lieber in Pornos mitzuspielen als weiter in der Tretmühle zu schuften. Daß er nun, ohne Punkte, auch noch seiner großen Liebe bei Pornos bzw. den Werbetrailern dafür zusehen muß (!), treibt Bing zur Verzweiflung, und so ackert er, bis er abermals 15 Millionen Merits hat und sich selbst bei der Show bewerben kann, wo er vor laufenden Kameras mit Selbstmord droht und ein (leider nicht wirklich) erschütterndes Plädoyer gegen die schöne, neue Welt hält, voller Verzweiflung und höchst emotional (na ja, ebenfalls nicht wirklich). Was passiert? Genau: Die Jury erkennt sein Talent — und bietet ihm eine zweimal die Woche laufende eigene Show an, Bing sagt zu und läßt sich als Prediger gegen das System vom System vereinnahmen.

Äh, Moment: als Prediger gegen das System vom System vereinnahmen? Jepp, das ist genau der „Nathan Barley“-Dreh, wo Dan Ashcroft (Julian Barratt) einen Artikel über den „Rise of the idiots“ schreibt und anschließend von allen Idioten dafür geliebt und verehrt wird, daß er sie hasst: „You are all idiots!“ — „Yes, we’re all idiots!“ Das ist, vermutlich, Brookers ureigenstes Trauma und Dilemma.

Bloß: Bei „Nathan Barley“ war dieser Dreh innerhalb einer Farce sehr komisch, weil man als Zuseher sich zusammen mit Ashcroft so gut für etwas Besseres halten konnte, für einen Intellektuellen unter Trotteln, der dann aber doch lieber von den Trotteln geliebt wird als als Outcast zu enden. Bing hier aber ist innerhalb dieses Dramas, das fast ohne Comedy auskommt, eine arme Wurst und von Anfang an Opfer. Es ist nicht sein Hochmut, der ihn zu Fall bringt — und darum ist es hier nicht komisch, sondern tief traurig. Und, leider, ein Selbstplagiat.

Was ich sehr schade finde. Vielleicht hat Brooker zu viel zu tun, um sich neue Geschichten auszudenken, vielleicht hat Konnie Huq, Brookers Ehefrau, „Xtra-Factor“-Moderatorin und Co-Autorin dieser Folge, auch „Nathan Barley“ einfach nicht gesehen. Wie auch immer: So schön abermals das Look & Feel dieser Episode war, sie hat das Schicksal von „Black Mirror“ leider besiegelt — die dritte Folge kann so gut sein, wie sie will, sie wird die Serie nicht retten.

  1. Torsten
    14. Dezember 2011, 17:43 | #1

    Lustig: Gestern tauchte dein Beitrag in meinem Google Reader direkt über dem (sehr wohlmeinenden) Nerdcore-Post über Black Mirror auf.

    Ich persönlich bin bis jetzt fasziniert von Black Mirror, und zwar von beiden Episoden gleichermaßen. Vielleicht gereichte es mir von Vorteil, dass ich mit dem Werk von Charlie Brooker nicht vertraut bin und dass ich (nach dem Lesen deines Beitrags über „The National Anthem“) überhaupt nichts Witziges erwartet habe. Als düstere Mediensatire funktioniert die Serie aber auch ohne Witze, oder vielleicht gerade deswegen. Zudem stimmt die Musik, die Performance der Schauspieler, das Production Design – ich bin jedenfalls begeistert.

    PS: Auf diesem Wege Happy Birthday!

  2. DerTim
    15. Dezember 2011, 23:46 | #2

    Ich fand die Folge auch nicht so gut wie die erste, dies lag bei mir aber primär am Erzähltempo: ich hatte das Gefühl, das man die ganze Geschichte auch gut in 25min hätte erzählen können; ins besondere der Anfang war sehr langatmig.

    Bei National Anthem hat meiner Meinung nach von Anfang an das Tempo gestimmt und der Spannungsbogen war vornherein durch die Pärmisse bestimmt: muß der PM es tun oder kann er sein Schicksal noch abwenden? Es tat beim Zusehen weh (Stichwort Kopfkino).

    15MM hat sich wie eine mittelmäßige Folge Twilight Zone angefühlt bei der man eine ganze Weile nicht mal wusste worum es geht.

    Ich mag Charlie Brooker sehr und hoffe das die dritte Folge mich noch etwas versöhnen kann.

  3. 16. Dezember 2011, 10:08 | #3

    Torsten :

    PS: Auf diesem Wege Happy Birthday!

    vielen dank!

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