Archiv

Artikel Tagged ‘Jerry Springer – The Opera’

Jesus auf dem Fahrrad

18. November 2012 Keine Kommentare

Es ist wieder die Zeit kurz vor Advent, wenn all die neuen Comedy-DVDs erscheinen! Höchste Zeit also, dass ich hier einmal eine uralte Comedy-DVD bespreche: Richard Herrings „Christ on a Bike“ (2011).

Richard Herring geht also nun (also, äh, vor zwei Jahren, als das Programm herauskam) auch den Weg der religiösen Provokation und nimmt sich nach Adolf Hitler (in seinem Programm „Hitler Moustache“, 2010) nun Jesus Christus vor („Ich folge also gewissermaßen der Karriere von Papst Benedikt. Vielleicht geht ja das nächste Programm über Pädophilie“).

Das ist einerseits komisch, denn der Ansatz, naiv-kindliche Fragen zu stellen, funktioniert da ganz gut: Was zum Beispiel ist eigentlich aus dem Gold, dem Weihrauch und der Myrrhe geworden, die die heiligen drei Könige Jesus‘ Eltern mitgebracht hatten? Bei so vielen Reichtümern hätte Josef doch bestimmt eine ganze Weile nicht mehr arbeiten müssen. Wie oft muss man zur Kommunion gehen, bevor man einen ganzen Jesus gegessen hat? Wieso nimmt sich die Bibel so viel Zeit, die Genealogie über -zig Generationen hinweg vorstellig zu machen, die mit Joseph endet — wo doch Joseph gar nicht mit Jesus verwandt ist? Und wie lange war wohl Jesus‘ kleiner Christus — wenn Gott jedes Detail bedacht und alles selbst gemacht hat, muss er sich auch darüber Gedanken gemacht haben. Hat er ihm also ein paar Zentimeter extra geschenkt, oder hat er ihm lieber einen vollkommen glatten, geschlechtslosen Unterleib gegeben, wie ihn Plastikfiguren haben?

Eine ganze Weile ist das unterhaltsam. Dann aber schlich sich zumindest bei mir als nichtreligiösem Zuschauer, der selbst dem Atheismus ziemlich wurschtig gegenübersteht, eine gewisse Langeweile ein. Ganz schön totes Pferd, auf dem Herring da herumreitet, dachte ich — und habe bis jetzt nicht die zweite, die Bonus-DVD gesehen, die angeblich mindestens genauso gut ist wie der eigentliche Gig: da nämlich diskutiert Herring mit dem wütenden Mob vor dem Theater, der zwar die Show nicht gesehen hat, aber gerne über Blasphemie und Religionskritik reden möchte.

Nun mögen solche Diskussionen in England eventuell anders verlaufen als hierzulande, aber so viel anders dann auch nicht, als dass ich mir nicht ziemlich gut vorstellen könnte, wie das ausgeht: wie das Hornberger Schießen nämlich. Nicht nur kenne ich solche fruchtlosen Diskussionen aus dem Titanic-Zusammenhang, auch Herrings langjähriger Bühnenkollege Stewart Lee hat sich mit seiner „Jerry Springer-Oper“ (2005) schon ähnliche Schwierigkeiten eingehandelt. Dort war es allerdings tatsächlich prekär, denn da haben christliche Fundamentalisten es geschafft, die Tournee der Oper zu verhindern, was für Lee existenzbedrohliche finanzielle Schwierigkeiten bedeutete.

Hinzu kommt, dass Herring nicht annähernd so radikal und tatsächlich tabuverletzend ist wie Lee. Der geht in „90s Comedian“ (2005) viel weiter und steigert sich in eine Beschimpfungsphantasie hinein, in der er Jesus‘ Mund als Urinal benutzt. Das ist tatsächlich so über jede Grenze hinaus geschmacklos, dass selbst mir sich die Nackenhaare gesträubt haben, — und genau deshalb aus Comedy-Gesichtspunkten viel interessanter: Das ist nämlich tatsächlich komisch und gleichzeitig ungemütlich, selbst für Menschen, die keine religiösen Überzeugungen haben, aber zur Toleranz neigen. Was sowohl bei Lee wie auch bei Herring der größere Teil des Publikums sein dürfte. Herring fragt sogar zu Beginn seiner Show, wer im Publikum religiöser Christ sei, und das sind zwei oder drei. Was das Unternehmen, vor diesem Publikum die Figur Jesus Christus‘ mal so richtig auseinanderzunehmen, ein bisschen obsolet macht. Zumal er es dann ja gar nicht tut.

Nein, Herring erkundet in „Christ on a Bike“ keine unkartierten Gebiete in der Psyche seiner Zuschauer. In „Hitler Moustache“ war das immerhin an manchen Stellen noch so, weil er dort sein Publikum beschimpft und zumindest ansatzweise aus der Fassung bringt, nämlich mit der Argumentation, Rassisten seien weniger rassistisch als Liberale, weil es für Rassisten im Grunde genommen nur zwei Rassen gäbe (weiße und nichtweiße), für Liberale aber viel, viel mehr — und Rassisten so also an der Gleichheit aller Menschen wesentlich näher dran seien als Liberale. Genaugenommen nur einen Schritt entfernt davon.

Auch harmlose Albernheit hat natürlich ihre Berechtigung, und davon gibt es immer noch genügend, um „Christ on a Bike“ nicht zu einem Reinfall werden zu lassen. Herring ist sympathisch und klug genug, um den intellektuell etwas anspruchsvolleren Zuschauer durchgehend bei der Stange zu halten. Er ist aber kein comedian’s comedian wie Stewart Lee.

Bei der DVD sind (für Stand Up-DVDs nicht immer üblich) Untertitel dabei, die das Verständnis deutlich erleichtern.

Blasphemy! He’s said it again! „Jerry Springer – The Opera“

20. April 2009 5 Kommentare

Eine der schönsten Traditionen Großbritanniens sind Skandale rund um Comedians und komische Produkte. Vor allem die religiöse Rechte setzte und setzt sich sehr für den Erhalt des Brauchtums ein, schon zu trommeln und zu wehklagen, noch bevor irgend jemand etwas genaues weiß. Die Monty Pythons hatten seit der ersten Ausstrahlung des „Flying Circus“ am 5. Oktober 1969 Ärger mit Christen bzw. eben schon vorher: Denn der „Flying Circus“ erhielt, ausgerechnet, einen Sendeplatz, den zuvor eine religiöse Sendung gehabt hatte. Keine glückliche Wahl der BBC, die sich seit Mitte der sechziger Jahre mit einer gewissen Mary Whitehouse und ihrer „National Viewers‘ and Listeners‘ Association“ herumschlagen mußte.

<Abschweifung>Whitehouse, Lehrerin aus Shropshire, organisierte regelmäßig Kampagnen für „sauberes Fernsehen“ und gegen das, was sie für Pornographie und die Verletzung religiöser Gefühle hielt, und wurde, nicht zuletzt weil die Medien sie und ihre spinnerten Anliegen bereitwillig ventilierten, schnell zu einer Figur des öffentlichen Lebens. Comedians revanchierten sich auf ihre Weise, nicht zuletzt durch die Stand Up/Sketch-Show „The Mary Whitehouse Experience“ (und auch die Pornographen benannten die vormalige Schmuddelseite whitehouse.com nicht nach dem Weißen Haus, sondern nach Mary Whitehouse). Etliche recht komische Bezugnahmen auf Mary Whitehouse in der Popkultur finden sich hier; Bernard Manning kommentierte ihr Ableben im Jahre 2001 so: „She’ll be sadly missed, I imagine, but not by me.“</Abschweifung>

springer-1Auch der noch vor dem Gezeter um „The Life of Brian“ zweitgrößte Comedy-Skandal Großbritanniens funktionierte so (der größte war, nach Zählung der Sendung „50 Most Shocking Comedy Moments“ von 2006, Chris Morris‘ „Brass Eye“-Spezial über Pädophilie). Eine mächtige Welle der Empörung brach über Richard Thomas‘ und Stewart Lees Musical „Jerry Springer — The Opera“ herein: 55 000 Beschwerden erreichten BBC2 bereits vor der Sendung im Januar 2005; 8000 danach — die Fernsehversion der Jerry-Springer-Oper wurde mit 2,4 Millionen Zuschauern die erfolgreichste TV-Oper bis dahin. Die Verantwortlichen der BBC erhielten Morddrohungen, einige mußten sogar kurzfristig umziehen, um den Protesten aufgebrachter Christen zu entgehen. Vor der geplanten Tournee durch das Vereinigte Königreich übte die christliche Lobbyistengruppe Christian Voice Druck auf die Spielstätten aus, die „Jerry Springer — The Opera“ in ihr Programm aufnehmen wollten. Ein Drittel davon sprang daraufhin ab und machte die Tour beinahe finanziell unrentabel, zumal das Arts Council ihr Fördermittel verweigerte. Und das, obwohl das Stück im Londoner West End extrem erfolgreich gelaufen war, etliche Preise gewonnen hatte — und nebst allerlei anderer Prominenz Jerry Springer selbst unter den Zuschauern gewesen war, ohne hinterher vor Wut explodiert oder vor Gericht gezogen zu sein. Im Gegenteil.springer-2

Grund genug hätte er dabei gehabt, guckt man nur auf die Oberfläche: In Thomas‘ und Lees Musical wird Springer, der englischstämmige Vater aller Krawall-Talkshows, auf offener Bühne erschossen und fährt zur Hölle. Die Ausdrucksweise, der sich bereits im ersten Akt Springers Talkshowgäste befleißigt haben, ist, um es vorsichtig zu formulieren, rüde:

„My mom used to be my dad. I was jilted by a lesbian dwarf, but she gave good head. I used to be a lapdancing preoperative transsexual, a chick with a dick“

singt der Chor der Talkshowgäste, und der Kontrast zwischen ernsthafter Operninszenierung und niedrigster Gossensprache könnte komischer kaum sein. Seinen Gästen, den Windelfetischisten, Ehebrechern und Frauenhassern, ist nach ihrem Auftritt in der „Jerry Springer Show“ nichts Gutes widerfahren; Jerry begegnet ihnen im zweiten Akt in der Vorhölle wieder, wo über ihn zu Gericht gesessen wird. Nach seinem Schuldspruch landet er schließlich in der Hölle. Dort stellt Satan ihn vor eine unlösbare Aufgabe und droht Jerry damit, ihm neben dem regulären höllischen Zwicken und Zwacken auch noch einen mit Stacheldraht umwickelten Pfosten in den Arsch zu rammen, sollte er scheitern.

springer-3Die eigentliche Blasphemie ist das noch nicht, klarerweise, ich will aber nicht unfair sein: Jeder, der zwei Stunden unmotivierte Singerei auf offener Bühne aushalten kann und will (ich selbst lehne Musicals aus ästhetischen Gründen entschieden ab und habe nicht vor, nach dieser noch eine weitere Ausnahme zu machen), soll dafür wenigstens mit der gleichen komischen Wucht getroffen werden, die mich im dritten Akt minutenlang hat lachen lassen wie nicht ganz dicht — ja, ich glaube, ich habe sogar ein bißchen geweint vor Lachen. Darum werde ich die überraschende Wendung hier nicht verraten (sondern erst auf der nächsten Seite) und beschränke mich auf den Hinweis, daß (bei Amazon.uk für ganze £2,98) die DVD erhältlich und, neben einigen schönen Extras, auch mit sehr hilfreichen Untertiteln versehen ist. Die Inszenierung ist, soweit ich als Musical-Laie das beurteilen kann, tatsächlich sehr gelungen, allerdings ist der erste Akt mit 55 Minuten so lang wie der zweite und dritte zusammen und damit vielleicht ein weniges zu lang. Über Stewart Lee werde ich demnächst wohl noch ausführlicher berichten, ich gucke mich gerade durch seine beiden Stand Up-DVDs und bin jetzt schon ganz eingenommen für ihn und seine klare politische Haltung, die ihn von den meisten eher unpolitischen Stand Ups unterscheidet. Mehr…