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Die entscheidende letzte Folge, Teil 2: „Mad Men“

21. Mai 2015 5 Kommentare

Den gestrigen Text hatte ich schon vor ein paar Tagen geschrieben, jedenfalls bevor die letzte Folge „Mad Men“ (AMC, 2007 – 15) gelaufen ist. Interessanterweise aber wirft auch sie ähnliche Fragen auf, insbesondere das mehrdeutige Ende der Folge.

Spoilerwarnung: Wer das „Mad Men“-Finale noch nicht gesehen hat, sollte jetzt nicht weiterlesen.

Am Ende dieser Folge nämlich sehen wir Don Draper, wie er nach einer weiteren Flucht vor/Suche nach sich selbst quer durch das amerikanische Heartland in einer Hippie-Kommune, einem Ashram oder etwas vergleichbarem landet, wo Hippies alternative Lebensweisen erproben, sich in Gesprächszirkeln und mit Hilfe von Meditation öffnen, ihre Gefühle preisgeben und sich in Gruppen emotional ausziehen, um mit sich selbst in Einklang zu kommen — das genaue Gegenteil von dem Ort also, wo sich ein Don Draper normalerweise wohlfühlen sollte.

Wider Erwarten aber hat Don eine Art kleineren Zusammenbruch, eine emotionale Katharsis, als er der Lebensbeschreibung eines mittelalten Halbglatzenträgers, eines erkennbar auf Durchschnitt angelegten Heinis zuhört, der seine Außenseiterrolle reflektiert und seinerseits überwältigt von der Flut seiner Gefühle in Tränen ausbricht. Mit ihm spürt Don plötzlich eine gemeinsame Wellenlänge — und entdeckt offenbar all seine eigenen verdrängten Gefühle, ja: kann sie sogar zulassen. (O Gott, was für ein Therapeuten-Vokabular!)

Anschließend sehen wir Don, etliche andere Hippies und ihren Guru/Meditationsleiter, wie sie im Lotussitz sitzen, im Gras über einem Steilhang an einer kalifornischen Küste, und „Ommmm“ machen. Ein Lächeln huscht über Dons Gesicht, und es läuft, letzte Einstellung, die „I want to buy the world a coke“-Werbung von 1971, in der ein Hippie-Chor unter freiem Himmel genau dieses Gefühl von hippiesker Freiheit zu transportieren sucht (und das, dank des Songs, auch ziemlich gut hinbekommt).

Ende.

Nun bleibt, Vorhang zu und alle Fragen offen, die Ungewissheit, was Matthew Weiner sagen wollte: Hat sich Don nun verändert, ist er am Ende zu einem, ähm, Blumenkind geworden, das mit seinen Gefühlen in Übereinstimmung lebt? Oder hat er die Inspiration aus dieser Erfahrung dafür genutzt, die beste Werbekampagne aller Zeiten zu erfinden, für die manche diese Cola-Werbung halten? Und ist aus einer tiefen, echten Empfindung wieder einmal Kommerz geworden, fast hätte ich geschrieben: schnöder?

Weiner selbst erklärt sich nur so halb (kein Künstler, der etwas auf sich hält, sollte sich je erklären): Er lebe mit und in so vielen Ambiguitäten, dass er selbst nicht hundertprozentig wisse, was da los gewesen sei.

Auch ich als Zuschauer war nach dem Ende der Episode erstmal gar nicht auf die Idee gekommen, die Colawerbung könnte von Don gewesen sein. Natürlich liegt das nahe, war er doch vorher schon bei McCann Erickson auf dem Colaaccount gewesen. Aber es wird ja nicht explizit gesagt, es sei Dons kreatives Genie gewesesn, dem diese Kampagne entsprungen ist.

Die Antwort auf die Frage, die sich hier stellt, die „Mad Men“ von Anfang an gestellt hat: Kann sich Don, kann man sich generell verändern, oder bleibt man immer der, der man ist? müsste so beantwortet werden: Wer weiß? Wen interessierts?

Denn selbstverständlich haben wir es hier mit Kunst(-handwerk) zu tun, und selbstverständlich kommt alle Kunst (und auch das bessere Kunsthandwerk) aus seinem Schöpfer, wie die Colakampagne (womöglich) aus Don, wie „Mad Men“ aus Weiner. Man könnte also die letzte Szene mit dem Cola-Spot auch als Synthese aus beiden Positionen lesen (These: man bleibt immer der, der man ist; Antithese: Veränderung ist möglich), als dialektische Verbindung und Aufhebung beider Ansichten, die (ohne dass das in eine der beiden Richtungen ausdeutbar wäre) beides in sich trägt: die Möglichkeit und die Unmöglichkeit zur Veränderung.

Aber es gibt die Möglichkeit zur Kunst und zur Aufhebung der Wirklichkeit in der Kunst.

Und so erklärt sich „Mad Men“ aus genau der letzten Folge, der letzten Szene durchaus selbst: nämlich als Kunstprodukt, das strukturell selbst nichts anderes ist als die Colawerbung. Ein Kunstwerk, das uns vielleicht etwas über die Welt erzählt, und zwar so, dass wir entweder zynisch („alles Kommerz!“) oder mitfühlend darauf reagieren können („das ist er, der amerikanische Traum!“) — aber über eines kann uns keine Serie der Welt etwas erzählen: Über uns je selbst, über den Einzelnen, das Individuum.

Dass aber sich die Gesellschaft verändert, und wir uns in ihr, das ist natürlich die andere Quintessenz von „Mad Men“.

Ich persönlich fand diese letzte Folge „Mad Men“ toll und traurig, vor allem mit all den losen Fäden: Ja, Peggy und Stan kriegen sich (das fand ich den am ehesten forcierten und schwächsten Strang), Joan ist schon wieder an den falschen Kerl geraten und entscheidet sich (vermutlich) eher für den Job als für den Kerl, Betty zahlt den Preis für all die Raucherei in den ganzen sieben Staffeln, Pete entscheidet sich sowohl für Trudy als auch für seinen Job und hat mehr Glück, als man ihm am Beginn der Serie zugetraut oder auch nur gegönnt hätte.

Aber nichts davon wird wirklich zuende erzählt: Betty stirbt nicht (nach der vorletzten Folge dachte ich, in der letzten Folge treffen sich alle bei ihrer Beerdigung), wir wissen nicht, ob aus Joans Plänen zu einer Film- und Fernsehproduktion wirklich etwas wird, und was aus Don wird, bleibt ohnehin vollkommen offen. Genau diese, auch hier: Ambiguität (das Ende wird erzählt und bleibt doch offen) finde ich schon ziemlich gut — und finde, dass „Mad Men“ sich mit diesem Finale also absolut gerecht geworden ist.