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Die letzten Scherze der Menschheit

11. November 2015 Keine Kommentare

Es gibt so Serien, die will ich einfach mögen. Weil sie eine originelle Idee haben, weil sie sich weit aus dem Fenster lehnen, weil an ihnen viele guten Leute beteiligt sind. Weil sie „groß“ sind im Sinne von: zurecht mit viel Geld ausgestattet, mit guten Special Effects, einem großartigen Cast usw.

Nur stellt sich dann irgendwann die Frage: Sind sie mir nur sympathisch, oder sind sie wirklich gut?

„You, Me And The Apocalypse“ (Sky1, seit September) ist so eine Serie. Sie hat, als Comedy-Thriller angelegt, eine hübsche Grundidee: Sie erzählt die letzten 34 Tage der Menschheit, bevor ein Komet die Erde trifft, der voraussichtlich alles Leben auslöschen wird, und zwar in mehreren parallelen Erzählsträngen: u.a. dem eines Bankangestellten in Slough, eines Meisterhackers, einer zu Unrecht im Knast sitzenden Frau in den USA und dem einer Nonne und eines Priesters im Vatikan. Und wie letzteres schon andeutet, gibt es dabei neben der (cyber-) technischen auch noch eine religiöse Seite in der Erzählung, denn im Vatikan ist man davon überzeugt, dass das Ende der Welt auch das Jüngste Gericht und damit die Wiederkehr des Gottessohns bedeutet — der erstmal gefunden werden muss zwischen all den falschen Propheten, die in den finalen Stunden der Welt rapide vermehrt auftreten.

„You, Me And The Apocalypse“ (sollte eigentlich „Apocalypse Slough“ heißen, was womöglich auch der bessere Titel gewesen wäre) hat ein beachtliches Star-Aufgebot: neben den Briten Mathew Baynton („The Wrong Mans“), Joel Fry („Game of Thrones“, „Plebs“), Paterson Joseph (aktuell auch in der finalen Staffel „Peep Show“ zu sehen) sind, infolge der Kooperation von Sky mit NBC, auch etliche gute US-Comedians dabei: etwa Jenna Fischer („The Office“), Megan Mullaly („Will & Grace“) und Rob Lowe („Parks and Recreation“). Und dann die Gaststars! Nick „Ron Swanson“ Offerman! Diana „Emma Peel“ Rigg! Ja, da ist schon einiges geboten.

Doch leider kommt die Serie (Creator: Iain Hollands) dann nicht so recht aus dem Quark. Zum einen ist Bayntons Jamie wieder ziemlich genau der Typ, der in „The Wrong Mans“ die Hauptrolle hatte: ein biederer, fast spießiger junger Mann, der gegen seinen Willen in allerlei Action verwickelt wird und  einen energiegeladenen, chaotischen Sidekick als besten Kumpel braucht (James Corden in „The Wrong Mens“, hier Joel Fry). Zum anderen bestehen Vorspann und Einstieg in jede Folge in einer Vorblende (oder der Rest der Folge in einer Rückblende) zu Tag null, wo wir Jamie und etliche andere Charaktere in der Sicherheit eines sub-sloughschen Bunkers sehen, wo sie „den Fortbestand der Menschheit sichern“ sollen — so dass ein beträchtlicher Teil der Spannung (wer kommt durch? Wer nicht?) schon einmal weg ist.

Und zuschlechterletzt waren bis zur Hälfte der Staffel (heute läuft die siebte der zehn Folgen) viele Handlungsfäden ziemlich lose miteinander verknüpft. Dass die Figuren, wenn sie dann schließlich doch aufeinandertreffen, dies unter verblüffenden Umständen tun und zum Teil in bizarren Verhältnissen zueinander stehen, ist durchaus komisch, so dass ich „You, Me And The Apocalypse“ sogar die ganzen absurden Zufälle, die es zum Vorantreiben der Handlung brauchte, verzeihen konnte. (Wenn Charaktere in Serien schon selbst sagen: „Was für ein Zufall, dass wir ausgerechnet den Neffen von soundso gekidnappt haben“, dann ist das das Eingeständnis der Autoren, dass sie wissen: so plump schummeln, wie wir an dieser Stelle müssen, können wir nicht, das merkt der Zuschauer — also machen wir ihn lieber gleich selbst darauf aufmerksam und hoffen, dass ihn diese Ehrlichkeit für uns einnimmt.)

Leider aber sind viele der Figuren in „YMATA“ für sich genommen eher flach, ja klischeehaft. Echtes Interesse, gar Identifikation entsteht so erst, wenn man weiß, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen — und das steht der ersten Hälfte der Serie doch ziemlich im Weg.

Schade, denn, wie gesagt: eigentlich ist diese Serie sympathisch. Gutes Konzept, gute Leute, viele Schauplätze, hochwertiges look & feel. Ich will die Serie mögen, immer noch, und hoffe sehr, dass die letzten vier Folgen das Ruder noch einmal so herumreißen, dass sie insgesamt als eine der besseren des Jahres durchgehen kann. Britisch genug ist sie, so sehr sogar, dass ich mich frage, wie sie in den USA überhaupt ankommen kann — hätte man sie vielleicht doch besser gleich „Apocalypse Slough“ nennen können. Obwohl auch da ja ein falscher Ton drin ist, denn für jeden Fan britischer Comedy wird „Slough“ wohl für immer mit „The Office“ verknüpft bleiben, und diese Assoziation führt hier in die Irre.

Immerhin: Mittlerweile deutet einiges darauf hin, dass „YMATA“ noch einmal Fahrt aufnimmt, insbesondere die sechste Folge hat mich da optimistisch gestimmt. Vielleicht wird sie also zumindest ein Geheimtipp dieser Saison — der ganz große Knall ist, anders als in der Serie selbst, ja nun offenbar erst einmal ausgeblieben.

Boys who are girls and girls who are boys

Nacht. Außen. Ein Blitz schlägt in ein Umspannwerk. Wenig später stellen Danny (Martin Freeman, „The Office“) und Veronica (Rachael Stirling, die Tochter von Diana „Emma Peel“ Rigg) fest: Sie stecken im Körper des jeweils anderen. Das Problem: Sie kennen sich gar nicht, verlieren sich im Moment aus den Augen — und könnten unterschiedlicher nicht sein: Er Regalbefüller in einem großen Baumarkt mit Tendenz zum Pennerhaften, sie erfolgreiche Modejournalistin mit superreichem Verlobten.

Das ist der Ausgangspunkt für „Boy Meets Girl“ (ITV1, Mai 2009, schon jetzt auf DVD zu haben). Männer in Frauen, ob -körpern oder nur -kleidung — klingt nach einer Menge „lustiger“ „Charleys Tante“-Momente, wahnsinnig komischen Versuchen, in Stöckelschuhen zu gehen und sich zu schminken, nach der Sorte schenkelklopfender Farce also, die in Variationen jederzeit zu sehen ist, wenn man einen türkischen Fernsehsender einschaltet.

So ist „Boy Meets Girls“ allerdings zum Glück nicht gestrickt. Es gibt zwar auch solche Momente, sie sind aber die Ausnahme. Denn die Geschichte von David Allison, der bis jetzt nur durch seine Arbeit für einen Soap-Ableger in Erscheinung getreten, lotet die dunklen Seite des body swaps aus: Niemand glaubt den beiden ihre Geschichte, Danny (in Veronicas Körper) findet zwar dank ihres Handys immerhin heraus, wer er ist, und versucht mit wechselndem Geschick, ihr Leben weiterzuleben, während Veronica (in Dannys Körper) nicht einmal seinen Namen weiß und deshalb zwischen Obdachlosigkeit und Polizeigewahrsam pendelt. Zwischendurch landen beide in der Psychiatrie, Danny macht Veronicas Verlobtem Jay (Paterson Joseph, „Peep Show“) mal mehr, mal weniger absichtlich das Leben zur Hölle und beginnt eine Affäre mit seiner (lesbischen) Baumarkt-Arbeitskollegin, in die er lange von ferne verliebt war. Zum Schluß würde er auf seinen Männerkörper am liebsten ganz verzichten.

Rachael Stirling spielt Martin Freeman hier locker an die Wand: Sie ist beeindruckend gut als „Kerl“ (und hat auch viel mehr screen time als Freeman), was die ganze Serie enorm aufwertet. Und auch die kindskopfgroßen plot holes ein bißchen vergessen macht. Denn es ist doch ein bißchen weit hergeholt, daß es den beiden Protagonisten über Tage und Wochen nicht gelinge sollte, sich zu finden und miteinander Kontakt aufzunehmen (Veronica im Danny-Körper versucht es mehrmals an ihrem alten Arbeitsplatz, scheitert aber an der Security — statt einfach anzurufen). Folgerichtig hat die Serie es auch nur auf vier Episoden gebracht (die allerdings wie bei Comedy-Drama üblich 44 Minuten lang sind). Und das Ende ist tatsächlich recht vorhersehbar. Nur so viel: Eine zweite Staffel ist eher unwahrscheinlich.