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Die Top-10-Britcoms der 00er-Jahre: Platz 7

Britischer Humor, das meint in den meisten Fällen: englischer Humor. Und in fast allen von diesen meisten Fällen steht „englisch“ für „aus London“. Denn dem englischen Humor eignet etwas spezifisch Urbanes, Metropolitanes, das aus dem Zusammenleben vieler Menschen auf engstem Raum entsteht, wo Höflichkeit die eine Option ist, Distanz zu schaffen und zu wahren, und Humor eine andere. Der aristokratische, bildungsnahe (aber gleichzeitig antiintellektuelle), geschliffene Witz — das ist der, den man aus vielen Britcoms kennt, die wiederum zum größten Teil in London produziert werden.

Natürlich gibt es auch einen spezifisch irischen und schottischen Humor. Aber man muß England gar nicht verlassen, um brillante Sitcoms zu sehen, die weniger highbrow sind. Ein Blick nach Manchester genügt, dessen Milieus von Armut, Alkohol und Arbeitslosigkeit geprägt sind. Aus dessen nächster Umgebung kommt auch Platz sieben der Britcomcharts:

Platz 7: „Peter Kay’s Phoenix Nights“ (2001 — 2002, Channel 4)

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Der „Phoenix Club“ in Bolton ist ein social club alter Schule: Es gibt, vornehmlich für ältere Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten, Unterhaltungsangebote von Snooker- und Pool-Tischen über Lotterien und Bingo-Abende bis hin zu Auftritten von DJs, Bands, Comedians und Entertainern und natürlich eine Bar. Das „Phoenix“ ist reichlich heruntergewirtschaftet und seine Angestellten nicht die hellsten und schnellsten; die beiden Wachmänner Max und Paddy dabei die einfachsten Gemüter, der DJ Ray Von („as in rave on„) (Neil Fitzmaurice, „Peep Show“) versagt oft spektakulär in seinen Versuchen als Elektriker, und der Haus-Conférencier Jerry „St. Clair“ Dignan (Dave Spikey) hat schon bessere Tage gesehen, hält aber den Laden zusammen. Insbesondere weil Brian Potter (Peter Kay, zusammen mit Spikey und Fitzmaurice auch Autor der Serie), der an den Rollstuhl gefesselte Inhaber und Linzenzbesitzer, die unglückseligste Figur des Ladens ist: Meistens schlecht gelaunt, geizig, bösartig gegenüber seinen Angestellten — und nie um schneidend böse, aber komische Bemerkungen verlegen. Er ist vom Pech verfolgt: Das „Phoenix“ ist schon sein dritter Club, nachdem der erste in einem Hochwasser abgesoffen und der zweite abgebrannt ist; ein Schicksal, das auch das „Phoenix“ am Ende der ersten Staffel (von zwei) teilt.

Bis dahin passieren in „Phoenix Nights“ die buntesten Katastrophen: Schon in der ersten Folge wird die feierliche Eröffnung des Clubs durch einen Stromausfall ruiniert, eine Bingomaschine geklaut und ein deutschsprachiger Spielautomat mit „Das Boot“-Thema geliefert („Wunderbar! Das Jackpot! Wunderbar!“), und schließlich tritt eine Folkband auf, die von der anwesenden Journalistin schnell als rassistisch mißverstanden wird, obwohl sie nur von Kommunionschuhen singt, die das lyrische Ich nicht haben möchte („…send the black ones back“). Mißgeschicke und die teilweise grotesken Unzulänglichkeiten der Unterhaltungskünstler, gepaart mit der Zwielichtigkeit von Brian Potter (man weiß nicht einmal, ob er wirklich einen Rollstuhl braucht), führen zu komischen Momenten von unglaublicher Größe — „Phoenix Nights“ ist ein Comedy-Edelstein von 1000 Karat.

Dazu trägt die authentische Atmosphäre und die offene Zuneigung der Macher für ihr Sujet enorm bei: Das Senioren-Publikum in vielen Szenen ist echt, ebenso etliche der Show-Acts. Und auch die Liebenswürdigkeit, die hinter der schroffen Fassade Brian Potters dann doch hin und wieder aufscheint, dürfte das ihre dazu beigetragen haben, daß „Peter Kay’s Phoenix Nights“ schnell zum bafta-nominierten Kulthit wurde und Peter Kay, bei „Phoenix Nights“ noch keine dreißig, zum Publikumsliebling und Comedy-Superstar. Die beiden Wachmänner Max und Paddy (Kay und Patrick McGuinness) erhielten in der Folge ihre eigene Spin-off-Serie (die allerdings nicht mehr so brillant war wie „Phoenix Nights“), und bis heute ist eine dritte Staffel „Phoenix Nights“ im Gespräch, die angeblich schon fertig geschrieben, allerdings noch ohne Drehtermin geblieben ist. Peter Kay ist im britischen Fernsehen nicht sehr präsent; zwischen „Phoenix Nights“ und „Max and Paddy’s Road to Nowhere“ lagen drei Jahre, bis zum abermals fantastischen „Britain’s Got the Pop Factor…“ (2008) vergingen gar weitere vier.

N.b.: Für die meisten mit Schulenglisch aufgewachsenen deutschen Britcomfans dürfte eine Version mit Untertiteln (sind auf den DVDs enthalten) empfehlenswert sein. Das Manchester-Englisch ist doch recht gewöhnungsbedürftig.

  1. Thomas
    27. Oktober 2009, 15:52 | #1

    Ich musste ja schon beim lesen dieser Besprechung laut auflachen (Das Jackpot! Wunderbar!), werde mir also bei nächster Gelegenheit mal ihren Gegenstand zu Gemüte führen und wollte mich, wenn ich schonmal hier kommentiere, an dieser Stelle für das /wunderbare/ Blog im Allgemeinen und die Top10 im Besonderen bedanken. Das ist ja gar nicht mehr zählbar, wie viele Stunden gute Unterhaltung und heftigstes Gelächter Ihre Beiträge hier und in der Titanic mir schon beschert haben.

  2. Emil S.
    27. Oktober 2009, 20:19 | #2

    Ich schließe mich meinem Vorredner an. Manchester-Englisch, ist es das, was sie in „Life on Mars“ sprechen? Das fand ich auch ziemlich schwer zu verstehen. Mit der Zeit gewöhnt man sich ja dran.

  3. René
    28. Oktober 2009, 01:07 | #3

    „Life on Mars“, „The Royle Family“, „Early Doors“, „Sunshine“, „Cold Feet“, „Massive“ und sicher noch ein paar andere spielen alle in (Greater) Manchester. Mit Untertiteln ist dem Dialekt aber ganz gut beizukommen.

  4. 28. Oktober 2009, 14:11 | #4

    Dito „Ideal“ und „Shameless“, von denen ich je zumindest die ersten Staffeln empfehlen kann.

  5. 29. Oktober 2009, 19:40 | #5

    Ideal ist selbst für einen Anglistikstudenten schwer zu verstehen.

  6. Ralf
    12. Januar 2010, 14:04 | #6

    Oliver :
    Dito “Ideal” und “Shameless”, von denen ich je zumindest die ersten Staffeln empfehlen kann.

    Da muss ich doch noch einmal nachfragen. Ich höre immer so viel von „Shameless“ und dachte mir, bevor ich mir da jetzt gleich blind eine Komplettbox bestelle, teste ich das mal mit der ersten Staffel an. Inwiefern unterscheidet sich die erste von den weiteren? Wiederholt sich das dann immer? Oder was ist das Problem? Ich bin da für jeden Hinweis dankbar.
    „Ideal“ hat mich – zumindest in den Ausschnitten, die ich gesehen habe – dagegen eher wenig angesprochen. Ist das nicht recht eindimensional? Ich konnte mich da nicht zu einem Kauf durchringen. Und jetzt lese ich, Du empfiehlst „zumindest“ die erste Staffel.
    Und haben beide Serien englische Untertitel (auf den DVDs)?

  7. Dashcroft
    12. Januar 2010, 16:18 | #7

    Du kannst dir für 10 Euro im Monat auch einen VPN-Server in Großbritannien mieten (z. B. bei vpngates.com), der deine deutsche (?) IP maskiert. Dann kannst du bei Channel 4 (4 on Demand, 4oD) alle Sitcoms des Senders komplett übers Internet schauen, viele davon sogar mit Untertiteln, darunter Peep Show, Shameless, The Inbetweeners, Father Ted, Garth Marenghi’s Darkplace, The IT Crowd, Nathan Barley, Spaced, Peter Kay’s Phoenix Nights ff., die alten Russell-Brand-Sachen und viele andere.

  8. 12. Januar 2010, 18:00 | #8

    „Shameless“ wiederholt sich für mein Empfinden tatsächlich ein bißchen über die Zeit; ich weiß gar nicht genau, wie weit ich es gesehen habe. Die ersten drei Staffeln aber bestimmt. Allerdings ist es die Frage, ob die einen als Wiederholung empfinden, was den anderen als Stil erscheint und als Alleinstellungsmerkmal, insofern bin ich mal vorsichtig mit einem Verdikt. Mit der ersten Staffel machen Sie nichts falsch.
    Bei „Ideal“ liegt der Fall anders: Das driftet nach und nach in surreale Welten ab, wohingegen die erste noch vergleichsweise realistisch ist.
    Untertitel haben praktisch alle DVDs, bis auf wenige Ausnahmen. „Ideal“ und „Shameless“ haben welche, zum Glück, denn in beiden Fällen wäre der Dialekt sonst teilweise nicht zu verstehen.

  9. Ralf
    12. Januar 2010, 18:42 | #9

    Danke für die Hinweise.

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