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Was Komödie schon wieder alles nicht darf

Mag ja sein, ich bin überempfindlich. Oder aber die Kritiker, die sich mit komischen Film- und Fernseherzeugnissen beschäftigen, verstehen wirklich ihr Handwerk nicht.

Heute schreibt Christian Buß bei Spiegel online eine Kritik zum Münsteraner „Tatort“ morgen abend. Der hat ihm offenbar nicht so gut gefallen. Statt aber nun zu schreiben: Der Münsteraner „Tatort“ morgen abend hat mir nicht so gut gefallen, weil… wird er grundsätzlich:

Sexuelle Gewalt lässt sich … nicht in einer Komödie verarbeiten.

Punktum, Schluss, aus. Das ist einfach so: Sexuelle Gewalt lässt sich nicht in einer Komödie verarbeiten. Da sind die Grenzen der Komödie! So ein Glück, endlich hat sie jemand gefunden.

Kein Gedanke daran, dass etliche Filme von Quentin Tarantino sich mal mehr, mal weniger auch mit sexueller Gewalt beschäftigen. „Death Proof“ ziemlich ausschließlich, aber auch  „Pulp Fiction“, das Buch zu „Natural Born Killers“ usw.; auch Wolf Haas‘ „Silentium“ thematisiert sexuelle Gewalt; gewiss ließen sich noch mehr Beispiele finden, wenn ich die Geduld zu längerer Suche hätte.

Der Punkt ist: die meisten (und in meinen Augen die besseren) Komödien könnten genauso gut Dramen sein. Gute Komödien sind die, deren Stoff sich auch ernsthaft verfilmen ließe. Und genau deshalb sind gerade ernste Themen in Komödien gut aufgehoben.

Der Unterschied zwischen Komödie und Tragödie ist nämlich nicht der, dass Komödien einen anderen Plot hätten. Sie haben den gleichen Plot, sie erzählen ihn nur anders. Das ist der Unterschied zwischen Plot und Story. Mir hat mal jemand einleuchtend erklärt: Der Plot ist: Erst stirbt der König, dann die Königin. Die Story ist: Erst stirbt der König an Krebs, dann die Königin an gebrochenem Herzen. Das ist die Story, wenn man sie als Tragödie schreibt. Als Komödie ginge sie vielleicht so: Erst stirbt der König, dann verschluckt sich die Königin vor lauter Freude, dass der alte Esel endlich tot ist, an einem Stück Schinken und erstickt. Vielleicht nicht der lustigste Dreh, aber für dieses Beispiel muss es reichen.

Allerdings: in beiden Variationen sterben zwei Menschen. Dass das nicht alle komisch finden, vor allem nicht die, die gerade selbst jemanden verloren haben, versteht sich von selbst. Beim Thema sexuelle Gewalt ist das vielleicht ein bisschen heikler, aber das grundliegende Problem ist das gleiche.

Daraus aber eine Regel abzuleiten („…ist nie lustig“), ist, um es vorsichtig zu formulieren, total schwachsinnig. Das heißt nämlich nur, dass man sich noch nie, nie, nie mit Komik beschäftigt hat.

Gerade Kriminalkomödien leben davon, dass bitterernste Momente und Komik zusammengebracht werden. Wie könnte man da ein Regelwerk aufstellen, welche ernsten Themen einfach zu ernst sind für Komik? Vielleicht bin in in diesem Punkt ein bisschen überempfindlich, aber ich meine: Auf diese Idee können wirklich nur deutsche Feuilletonisten kommen.

  1. Torsten
    24. November 2012, 15:00 | #1

    „Das heißt nämlich nur, dass man sich noch nie, nie, nie mit Komik beschäftigt hat“

    Ich denke mal, eben das ist das Problem. Ein Großteil der deutschen Fernsehmacher und auch -kritiker haben sich in ihrer Karriere so wenig mit Komik beschäftigt, dass sie sich mit gewissen Grundregeln der Komik, die für britische und amerikanische Kollegen zum kleinen Einmaleins gehören, einfach nicht auskennen (Auch deshalb bin ich dir übrigens immer wieder dankbar für dein Blog, da ich durch dich Grundbegriffe der Komik wie Deadpan, komische Fallhöhe, etc., erst kennen gelernt habe, da sie in Deutschlandweitgehend unbekannt sind).
    Hinzu kommt die typisch deutsche Trennung zwischen komisch und ernst und diese ebenfalls sehr typische „Darüber macht man aber keine Witze“-Moralisierung. In den USA und UK käme bestimmt keiner auf die Idee, irgendwelche Themen für Comedy grundsätzlich auszuschließen, dort stellt man dann eher die Frage, ob sie in einer angemessenen und vor allem witzigen Weise thematisiert werden.

  2. 26. November 2012, 10:54 | #2

    Sehr gut beschrieben. Ich erinnere mich dunkel an eine „Schmidteinander“-Sendung vor vielen Jahren (in der „guten alten Zeit“ TM), in der Schmidt mit einer Zuschauerin diskutierte, die ihm echauffiert vorschreiben wollte, über wen man keine Witze machen darf. Habe seine Antworten leider nicht mehr im Kopf, aber ich weiß noch, dass der Dame nach zwei, drei Sätzen schon der Wind aus den Segeln genommen wurde und sie schließlich doch einknicken musste.

    Dazu ergänzend fällt mir das alte Woody Allen Zitat ein: „Comedy is tragedy plus time.“

    Und schön wäre auch, wenn man alle „darüber darf man aber nicht lachen“-Enthusiasten zwingen würde, vor dem Niederschreiben ihrer Pamphlete das Wort „zynisch“ und seine genaue Bedeutung bitte erst noch einmal gründlich nachzuschlagen, danke.

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