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Ein paar Gedanken zu „Modern Family“

Es gibt, abgesehen vielleicht von den „Simpsons“, im Moment keinen fester gebuchten Fernsehtermin in der Woche als den von „Modern Family“ (ABC, 2009 -). Aber nicht nur das: Außerdem haben die Frau und ich um Weihnachten herum noch einmal die ganze erste Staffel auf DVD geguckt. Und vor ein paar Tagen noch einmal die ersten vier, fünf Folgen mit einem gemeinsamen Freund. Und ich hätte nicht das kleinste Problem, mir alle Folgen direkt nochmal anzusehen. Ich muß gestehen: Ich habe mich in so ziemlich jedes Familienmitglied der „Modern Family“ verliebt.

Aber warum eigentlich? „Modern Family“ ist all das, was ich an amerikanischen Sitcoms nicht mag: Warm, freundlich, moralisch, versöhnlich, von tieferen Einsichten getragen — durch und durch positiv. Es gibt keinen einzigen Unsympathen. Permanent wird alles gut, keiner bleibt allein, wir sind eine Familie, friends will be there for you, where everybody knows your name. Genau das Gegenteil von britischen Sitcoms, in denen die Welt schlecht ist und das Leben scheiße und böse Menschen grausame Sachen tun und deswegen alleine bleiben und allenfalls trotzdem geliebt werden. Und auch das vielleicht nur vom Zuschauer, aber nicht von anderen Charakteren.

Andererseits muß ich einräumen: so süßlich „Modern Family“ ist, so klug ist es auch. Auf mehreren Ebenen.

Erstmal bin ich schon fast der Überzeugung, daß „Modern Family“ die Erzähltechnik der Mockumentary auf die nächste (dialektische? Was weiß ich) Ebene hebt: Zwar ist es formal an eine Dokumentation angelehnt, inklusive vieler talkings heads-Szenen, in denen Charaktere alleine oder zu zweit in die Kamera hineinphilosophieren. Abgesehen von seltenen Blicken in die Kamera aber scheint den Rest der Zeit das Kamerateam überhaupt nicht anwesend zu sein: Weder sind die Familienmitglieder verkabelt, noch scheint die Anwesenheit des öffentlichen Auges ihre Handlungsweise in irgendeiner Form zu beeinflussen (was etwas bei „The Office“ eine zentrale Idee war). Ja, häufig ist die Kamera sogar in Situationen anwesend, wo sie es nicht sein könnte, hätten wir es mit einer echten Dokumentation zu tun: Etwa wenn Haleys Freund Dylan im Haus der Dunphys versehentlich eingeschlossen wird und wegen der Alarmanlage nicht hinaus kann, die Kamera aber bei ihm bleibt. Was aus mehr als einem Grund nicht plausibel ist: Die Dunphys hätten das Haus nicht Hals über Kopf verlassen und das Kamerateam dabei einfach übersehen und eingeschlossen (schon weil sie ja alle eigentlich verkabelt sein müßten), Dylan selbst hätte in so einer Situation die Kamera ebenfalls nicht einfach ignoriert, und die Kamera (ein zweites Team?) bleibt außerdem weiterhin bei den Dunphys.

Nicht nur gibt es aber offenbar kein Kamerateam. Auch die Anmutung der Show legt keinen Wert darauf, authentisch zu sein: Ganz offensichtlich haben wir es mit einem Single Camera-Setup zu tun, und ebenso offensichtlich ist hier nichts improvisiert. Like cinéma vérité never happened. Die Selbstreflexion, die der Dokumentationsgestus in die Fernsehcomedy gebracht hatte, fehlt bei „Modern Family“ vollkommen; die Form der Mockumentary soll uns nichts über das Fernsehen und seinen Einfluß auf die abgebildete Wirklichkeit vermitteln. Das aber ist kein Rückschritt, sondern eine Weiterentwicklung, die es erlaubt, die Figuren noch facettenreicher zu schildern: Weil wir hören, was sie über sich selbst denken und sagen — und sehen, wie viel oder wenig das damit zu tun hat, wie sie agieren. Die Figuren werden also tiefer, vielschichtiger, und es gibt mehr Möglichkeiten für Gags, die auf ihren Charaktereigenschaften beruhen. Was eher englisch ist. Daß dabei die Frequenz an Onelinern trotzdem hoch bleibt, ist allerdings wiederum sehr amerikanisch.

Genau wie die thematische Narration. Viele Folgen haben ein Thema, das in drei Subplots (einer pro Familie) variiert wird: Was es ausmacht, ein guter Vater zu sein, oder, in „Run For Your Wife“, wie sehr man seine Kinder behüten soll. In dieser Folge, es ist der erste Schultag nach den Ferien, will Manny in seinem columbianischen Poncho zur Schule gehen, was sein Stiefvater Jay verhindern möchte, um ihn nicht dem Spott seiner Mitschüler auszusetzen. Mitchell und Cameron geraten in Panik, weil sich Baby Lily den Kopf angeschlagen hat, und Phil fühlt sich herausgefordert, in einem Dauerlauf gegen Claire anzutreten — die ihn gewinnen läßt, um sein Ego nicht allzu sehr zu beschädigen.

Nun ist das Thema des (Über-) Behütens hier so subtil angelegt, daß man es gar nicht bewußt wahrnehmen muß. Wenn aber doch, wird einem der hübsche Dreh auffallen, daß in der dritten Variation der Familienvater Phil die Rolle des Kindes einnimmt und von seiner eigenen Ehefrau geschont wird. Das ist clever — und ziemlich lustig. Noch lustiger wird es allenfalls, wenn die drei parallelen Plots in bester „Seinfeld“-Manier auch noch miteinander verwoben werden und in einer einzigen großen Slapstick- oder jedenfalls Ensemble-Nummer enden.

All das: die formalen wie die inhaltlichen Drehs, sind nicht neu. Allenfalls erneuert. Aber sie haben es geschafft, das Genre der Familien-Sitcom (in beiden Bedeutungen: über eine und für die ganze Familie) im Alleingang wiederzubeleben. Und es sogar für einen einsamen, verbitterten, zynischen, abgebrühten alten Arsch wie mich konsumierbar gemacht.

  1. Seb.
    24. Januar 2011, 12:55 | #1

    Danke für das philosophisch-soziologische Fundament, auf dem ich mein „Guilty Pleasure“ vor mir selbst rechtfertigen kann.

  2. Anna
    27. Januar 2011, 19:43 | #2

    Interessant, ein eigentlich ganz geselliger, lebensfroher, freundlicher, warmherziger junger Arsch wie ich saß erschrocken vor der Glotze: so ein bis ins Mark rechtskonservativer amerikanischer Kitsch. Die Schwulen sind zwar nette Kerle, o.k., küssen (oder gar Schlimmeres!) dürfen sie sich aber nicht. Die Frauen dürfen zwar schlau und schnell sein, aber nur wenn darunter nicht ihre mütterlichen und ehelichen Pflichten leiden (also eigentlich doch nicht). Dagegen ist ja Marienhof progressiv. (Ich gebe zu, es hatte einige lustige Momente, aber die konnten den Rest dann irgendwie doch nicht aufwiegen.)

  3. 27. Januar 2011, 20:23 | #3

    oh, eine harsche kritik! so ungewöhnlich rechtskonservativ hab ich’s jetzt nicht empfunden, allerdings auch nicht ungewöhnlich linksliberal — amerikanische familienunterhaltung halt, die mehrheitsfähig sein soll. die beobachtung, daß sich cam und mitchell nicht küssen (dürfen), ist allerdings korrekt. der kritik daran begegneten die autoren dahingehend, es sei halt ein problem von mitchell, solcherlei intimitäten in der öffentlichkeit zu zeigen, und tatsächlich wurde in der zweiten folge der zweiten staffel genau das thematisiert. ob man das als entschuldigung durchgehen läßt oder als ausrede auffaßt, kann sich natürlich jeder selbst aussuchen.

  4. Chris
    26. August 2011, 17:16 | #4

    Also rechtskonservativ ist die Serie nicht. Zumindest nicht für den amerikanischen Markt. Vieles alles was in der Serie vorkommt ist den amerikanischen Rechstkonservativen ein Dorn im Auge. Man hat das ganze nur recht gut verpackt. Es ist vielmehr so, dass Modern Family oft als Beispiel linksliberaler Propaganda genannt wird. Man regt sich darüber auf, dass ein schwules Paar mit Kind oder die Ehe mit einer deutlich jüngeren Latina als normal dargestellt werden und man so beispielsweise den Kindern (ja, ja! Denkt denn niemand an die Kinder) falsche Werte vermittelt würden. Sogar Elmo von der Sesame Street gilt hier als linksliberale Bedrohung (kein Scherz).

    http://www.youtube.com/watch?v=3Ypsojc5vFg

    Im Grunde ist es doch gerade die konservative Verpackung die den Unterschied macht. Ein schwules Päärchen in einer Serie über Singles in NY wäre da weit weniger progressiv. Zudem läuft das ganze nicht auf HBO, Showtime oder so. Hier werden aus Filmen sogar angedeutete Sexszenen rausgeschnitten, wenn sie nicht im Pay TV laufen.

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