Home > Sitcom > Flying AIDS

Flying AIDS

Es ist aus mindestens zwei Gründen schön, Steve Coogan abermals als Alan Partridge in „Alan Partridge: Welcome to the Places of My Life“ (Sky Atlantic) zu sehen. Zum einen, weil sich Sky durch immer mehr Comedy profiliert und so die Missgeschicke der BBC wenigstens ein wenig aufwiegt. Zum anderen, weil man über die letzten zehn Jahre befürchten musste, Steve Coogan sei seine Paraderolle als gleichermaßen narzisstischer wie unsicherer Fernseh- und Radiomoderator leid — die letzte ganze TV-Serie mit Alan in der Hauptrolle lief immerhin schon 2002 (die zweite Staffel „I’m Alan Partridge“, BBC2). In den Jahren danach sah es so aus, als würde Coogan vor seinem immensen Erfolg in Großbritannien, der hauptsächlich auf Alan Partridge beruhte, geradezu weglaufen. Der Durchbruch in den USA blieb ihm, der schon als Nachfolger Peter Sellers‘ gehandelt wurde, allerdings verwehrt; über ein paar Nebenrollen in großen Filmen (etwa in „Around the World in 80 Days“, 2004, neben Jackie Chan, und den beiden „Night at the Museum“-Filmen 2006 und 2009) und Hauptrollen in kleineren Filmen („Hamlet 2“, 2008) ging seine US-Karriere nicht hinaus.

Doch nun scheinen Coogan und Alan zurück zu sein: seine jüngste Miniserie „Mid Morning Matters With Alan Partridge“ (2010), ursprünglich von einem Hersteller entfernt bierähnlicher Flüssigkeit fürs Internet gedreht und schließlich vom Fernsehsender Sky übernommen, war vielversprechend, allerdings in erkennbar kleinem Rahmen produziert. Das einstündige One-Off „Welcome to the Places of My Life“ aber zeigt: Alan ist zurück. Und wie!

Netto gute vierzig Minuten lang begleiten wir Alan hier durch die Stadt, wo er, der frühere BBC-Fernsehmoderator, nun bei einem InternetDigitalradiosender ganz unten angekommen ist: in Norwich, tief in der ostenglischen Provinz („the Wales of the east“). Klar, die Wege sind viel kürzer dort als in London, und so kann Alan nach seiner Arbeit (also am frühen Nachmittag) schnell mal ins Leisure Center, um ein paar Bahnen zu schwimmen — ein herrliches Leben will Alan uns da vorgaukeln; in Wirklichkeit aber ist alles erbärmlich und mitleiderregend. Wo nicht peinlich, etwa wenn Alan uns die City Hall zeigt mit den zwei „Nazi-Hunden“ davor und davon berichtet, wie Hitler angeblich Norwich schon ausgesucht hatte als Ort für seine erste Ansprache an die Briten nach dem Sieg der Deutschen über England. Wenn Alan uns auf dem Markt erklärt, was diese Pest war, unter der die Stadt zu leiden hatte: eine tödliche Seuche, aber nicht wie HIV durch Küssen übertragbar, sondern durch die Luft: „Flying Aids!“ Oder wenn Alan ausführlich einen Landrover „probefährt“, um ihn möglichst prominent in die Dokumentation einzubauen — schließlich spekuliert er ganz offen, dass Prominenten ja hin und wieder Fahrzeuge geschenkt würden, nachdem sie sie probegefahren haben. Dumm nur, dass der Boss des Autohändlers keine Ahnung hat, wer Alan Partridge überhaupt ist.

Dabei produziert Alan, so die Fiktion, sogar seine Dokumentation selbst, die von Anfang an als „Pear Tree Production“, „written by Alan Partridge“, „starring Alan Partridge“ firmiert. Und in der, ganz der ungeschickten Eitelkeit ihres Protagonisten entsprechend, sich etliche komische Produktionsfehler finden. Etwa wenn ein alter Priester, der den örtlichen Friedhof vorstellt, so langsam spricht, dass Alan ihn erst anfährt, schneller zu sprechen, und dann im Schnitt erkennbar alle Pausen herausschneidet, oder wenn Alan bei einem Interview im Schwimmbecken beim Wassertreten die Luft ausgeht und man schnell bemerkt, dass er seine Fragen offenbar nachgedreht hat, diesmal sicher stehend und souverän, und nicht gurgelnd und plantschend, wie man ihn bei den Antworten seiner Interviewpartnerin im Hintergrund hört.

Wenige Figuren altern so gut wie Alan (Edina und Patsy aus „Ab Fab“ wären ein Beispiel für zwei andere Figuren, denen ihr Älterwerden gut steht), und so ausgelutscht das Genre der Mockumentary insgesamt ist, so brillant funktioniert es immer noch für Coogan und Armando Iannucci, der auch hier wieder mit im Team war. Und kaum eine Figur zeigt so fantastisch wie Alan Partridge, was britische von us-amerikanischer Comedy unterscheidet: nämlich die Charakterzeichnung, aus der hier Komik entsteht; viel mehr als aus einzelnen nacherzählbaren Gags. Das ist es, was englischen Sitcoms ihre Tiefe verleiht: dass man Figuren wie Alan Partridge so gut kennt, dass ihr unangemessenes Verhalten im Umgang mit ihren Mitmenschen einen tatsächlich berührt. Sei es, dass Alan aus dem Auto heraus einen anderen Verkehrsteilnehmer anschreit, von dem sich erst später herausstellt, dass er eine Oma auf dem Fahrrad war, sei es, dass Alan einen Gemüsehändler beleidigt ob seines schlichten Jobs, um dann in eben diesem Job vor der Kamera sofort zu scheitern. Charakter-Comedy und der kalte, ja böse Umgang mit ihren Protagonisten, das ist das britische Rezept für Komik, das süchtig machen kann.

„Welcome to the Places of My Life“ macht vor allem eines: Lust auf den Spielfilm mit Alan, um den es schon seit Ewigkeiten Gerüchte gibt und der jetzt endlich auch offiziell angekündigt worden ist. Für August 2013.

  1. Dashcroft
    28. Juni 2012, 13:58 | #1

    nächsten montag wird dann übrigens gleich die zweite doku von und mit und über alan gezeigt: „alan partridge on open books with martin bryce“.

    http://www.radiotimes.com/news/2012-05-31/alan-partridge-on-open-books-with-martin-bryce—video

  2. terf
    28. Juni 2012, 15:49 | #2

    Schön, wenn ich auch mal klugscheißen kann. Ich glaube, North Norfolk Digital soll Digitalradio sein, kein reines Internetradio. Also schon noch eine Stufe über ganz unten.

  3. s0ja
    5. Juli 2012, 15:18 | #3

    In ‚Our Idiot Brother‘ hat er auch mitgespielt! Eine amerikanische Komödie die natürlich durchschaubar aber kurzweilig ist, damit anfängt wie der Hauptdarsteller einem Polizisten in Uniform Cannabis verkauft und eben Stephen Mangan als Schwager auftritt. Ich fand von den amerikanischen sachen mit ihm jenen Film am besten.

    http://www.imdb.com/title/tt1637706/

  4. jeun
    5. Juli 2012, 22:23 | #4

    Wurde hier eigentlich schon erwähnt, dass Alans Autobiografie „I, Partridge. We need to talk about Alan“ ein überaus amüsanter Schmöker ist? Falls nicht: Alans Autobiografie „I, Partridge. We need to talk about Alan“ ist ein überaus amüsanter Schmöker. Echt wahr.

  5. Dashcroft
    6. Juli 2012, 11:52 | #5

    ^ kann ich bestätigen.

  6. 6. Juli 2012, 12:27 | #6

    Ja. Ahnt man auch schon, wenn man die zweite One-Off-Show „Alan Partridge on Open Books“ gesehen hat – mit dem genialen Robert Popper an seiner Seite („Look Around You“, „Friday Night Dinner“)

  7. Dashcroft
    6. Juli 2012, 12:44 | #7

    braucht vielleicht noch wer ein ungelesenes exemplar? ich hätte da nämlich eins rumliegen, weil ich es mir kurz nach erscheinen gekauft, dann aber doch das ebook gelesen habe.

  8. 6. Juli 2012, 12:50 | #8

    Äh… ich nehms gerne, ich hab nur das (von Coogan selbst gelesene) Hörbuch.

  9. 6. Juli 2012, 12:53 | #9

    Könnte im Gegenzug die erste Staffel von Rob Brydons „Annually Retentive“ auf DVD anbieten, die hab ich doppelt.

  10. Dashcroft
    6. Juli 2012, 13:11 | #10

    hmnjanee, danke, aber wie wär’s denn mit dem loha-buch von frau hartmann? fliegt davon vielleicht noch irgendwo ein rezensionsexemplar rum?

  11. 6. Juli 2012, 13:15 | #11

    Fürchte nein, das ist ja schon über ein Jahr alt. Aber ich hätte noch Guido-Bücher! Und im Dezember kommt „schon“ das nächste!

  1. Bisher keine Trackbacks