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Das „Breaking Bad“, das vor „Breaking Bad“ war

Über den vergangenen Sommer bis vor ein paar Tagen habe ich zwei klassische Serien nachgeholt, die schon lange auf meinem Zettel standen: „The Wire“ (HBO, 2002 – ’08) und „The Shield“ (FX, 2002 – ’08).

„The Wire“ entpuppte sich dabei, genau wie die eingeschworene Fangemeinde das behauptet, als Kunstwerk, das ich gerne gesehen habe, das mir aber (schon wegen der 4:3-SD-Qualität, in der ich es noch gesehen habe, weil die neue Fassung in 16:9 und HD erst jetzt läuft), nun, ein wenig museal vorkam. Auch weil es ohne Untertitel partout gar nicht ging. Aber selbst mit Untertiteln versteht man schnell nur noch Bahnhof, wenn sich Figuren etwa in polizeiinternen Abkürzungen unterhalten, die man sich oft nicht aus dem Zusammenhang erschließen kann, oder wenn es um Strukturen von Justiz und Politik geht, die hierzulande so anders sind, dass auch sie sich nicht selbst erklären. Oder wenn man den Überblick über die allzu zahlreichen Figuren diverser Gangs und ihre Beziehungen untereinander verliert. Ein Dostojewskiroman ist nichts dagegen.

„The Shield“ aber hat mich von der ersten Folge an an den Eiern gepackt.

Eine so harte, dreckige, laute Serie um einen Antihelden, der nach einer fatalen Fehlentscheidung unweigerlich auf ein kriminelles Gleis gerät, in immer tieferen, auswegloseren Strudeln von Schuld und Verbrechen versinkt, dabei Familie, Freunde, Kollegen mitreißt und am Schluss alles zerstört, was er liebt, hatte ich noch nie gesehen … oder hatte ich doch?

Ja, genau, hatte ich doch: in „Breaking Bad“ nämlich.

Nur dass „The Shield“ (2002 – ’08) schon vor „Breaking Bad“ (AMC, 2008 – ’13) da war.

Natürlich unterscheiden sich die beiden Serien fundamental: „The Shield“ ist eine Cop-Serie, in der es allen voran um den korrupten Polizisten Vic Mackey (Michael Chiklis) geht, der als Chef einer Sondereinheit in L.A. die schmutzige Straßenarbeit verrichtet, Drogendealer hochnimmt und Gangmitglieder dingfest macht — aber eben nicht alle. Sondern nur die, die nicht mit ihm zusammenarbeiten.

Dabei aber schießt er, so erfolgreich er auch vorderhand in der Bekämpfung der Straßenkriminalität ist, gewaltig übers Ziel hinaus: Wie bei „Breaking Bad“ gibt es in der Pilotfolge bereits einen Schlüsselmoment, der die Figur definiert und den Geist aus der Flasche lässt, so dass er nie wieder zurückgerufen werden kann. Von da an geht es bergab, bzw. natürlich (wie bei „BB“) erstmal bergauf, aber die lange, zerstörerische Talfahrt lässt sich hier wie da bereits absehen.

„The Shield“ verwendet dabei stilistisch völlig andere Mittel als „BB“, hat pro Folge oft fünf oder mehr parallele Erzählstränge, und Vic Mackey verwandelt sich auch äußerlich längst nicht so stark wie Walter White (und ist außerdem ohnehin von Anfang an kahlköpfig).

Aber meine Entzugserscheinungen seit dem Ende von „BB“ hat „The Shield“ hervorragend bekämpft. Und wer Lust auf eine Achterbahnfahrt hat, die der von „BB“ ähnelt, ohne dass die Ähnlichkeiten so dominant wären, dass einem alles bekannt vorkommt, der möge sich auf mein Wort verlassen und einfach die ersten Folgen „The Shield“ sehen. Am Besten funktioniert das natürlich ohne Spoiler.

Worin also sind sich „The Shield“ und „BB“ so ähnlich? Ohne zu spoilern kann man so viel sagen:

Beide Serien erzählen die Geschichte eines Antihelden, der im Laufe der Serie immer skrupelloser und unmoralischer handelt. Sie diskutieren anhand dieser Figur das Dilemma, das Gute zu wollen und dafür Böses zu tun, und nehmen in Kauf, dass sich der Zuschauer mit einer Figur identifiziert, die auf der dunklen Seite der Macht steht. Tatsächlich gibt es Fans sowohl von „Breaking Bad“ als auch von „The Shield“, die selbst nach dem Finale noch Partei für Walter White und Vic Mackey ergreifen und die beiden für alles verteidigen, was sie getan haben.

Beide Hauptfiguren haben einen jüngeren Partner, für den sie eine Art Vaterfigur abgeben, den sie aber am Ende mehr oder weniger zerstören: Jesse Pinkman bei „BB“, Shane Vandrell (Walton Goggins) bei „The Shield“. Jesse wie Shane haben, obwohl auch sie beide hoch kriminell sind, unsere Sympathien oft noch vor den Hauptfiguren, insbesondere in Momenten, wo diese vorderhand zu brutal, amoralisch und skrupellos sind, als dass wir noch auf ihrer Seite wären. Shane wie Jesse dagegen sind emotionaler, menschlicher, verletzlicher und in der Folge leichter zu mögen.

Beide Serien sind sehr explizit in der Darstellung von Brutalität, aber auch von schmerzhaft ehrlichen Momenten. Ästhetisch unterscheiden sie sich allerdings beträchtlich, ist doch „The Shield“ mit seiner wackeligen Handkamera und dem Guerilla-Stil, in dem viele Außenaufnahmen gedreht sind, viel roher, ungestümer als das geschliffene und polierte „Breaking Bad“. Beiden gemein ist aber wieder die visuelle Wucht.

Nun kommen aber doch ein paar Spoiler, weiter geht es also nach dem Klick:

Beide Serien beginnen damit, dass ihre Hauptfigur einen Mord begeht, der den Zuschauer schockiert und der die Figuren definiert. Allerdings haben auch beide Figuren einen Code, den sie nicht verletzen, und der sie in einem gewissen Sinne wieder „ehrbar“ macht, auch wenn es nur eine Art Gangsterehre ist. Aber beide werden Opfer ihrer eigenen bösen Tat, Walter die seiner Ambitionen als Meth-Koch, Vic die des Mordes an einem internen Ermittler, der ihn auffliegen zu lassen droht.

Beide Serien enden damit, dass die Hautfiguren alles verlieren: Walter White steht ebenso wie Vic Mackey am Ende vor toten und verlorenen Freunden, einer zerstörten Familien, Ehefrauen im Zeugenschutzprogramm, Kindern, die sich von ihnen abwenden.

Beide Serien haben exzellente letzte Staffeln — bei „The Shield“ sprechen viele davon, die letzte Staffel sei sogar die beste, und sicher sind die letzten Episoden genauso spannend und dramatisch wie die letzten Folgen „Breaking Bad“. Anders als bei „BB“ bleibt bei „The Shield“ nicht einmal der leicht fade Nachgeschmack, den Walter Whites Ende für einige Fans (mich eingeschlossen) hatte.

Beide Serien sind fantastisch geschrieben („The Shield“ von/unter Showrunner und Creator Shawn Ryan). So wie Walter White in immer größere Bedrängnis gerät, so bringt auch Vic Mackey sich und sein Team in Situationen, aus denen es kein Entrinnen mehr zu geben scheint. Insbesondere in der fünften und sechsten Staffel „The Shield“, wenn Forest Whitaker als interner Ermittler Vic in Schwierigkeiten bringt (und Vic zum ersten Mal einen ernstzunehmenden Gegner hat), sehen wir ihn schon verlieren — und trotzdem schafft er es, ebenfalls wie Walter White, stets, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Was in beiden Serien oft so spannend ist, dass man schon mitten in der Staffel denkt, man nähere sich dem großen Showdown der letzten Folgen. Zwar hat „Breaking Bad“ oft die nervenzerfetzenderen Cliffhanger, dafür bietet „The Shield“ mehr Erzählebenen, die jede für sich genommen fesseln.

Leider unterscheiden sich beide Serien in einem fundementalen Aspekt: „The Shield“ hat lange nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die „BB“ zuteil geworden ist. Das ist sehr schade, denn ohne „The Shield“ hätte es „Breaking Bad“ vermutlich nicht gegeben.

Und so jung, wie „BB“ bis heute geblieben ist, so frisch wirkt auch „The Shield“ immer noch — niemals würde man vermuten, dass die Serie bald 13 Jahre alt ist.

Wem also (tl;dr) „Breaking Bad“ gefallen hat, der wird „The Shield“ mögen.

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