Fuck you? Hm.
John Oliver hat die Freiheit, die ihm HBO gibt, bei seiner jüngsten „Last Week Tonight“-Ausgabe dazu genutzt, um in Richtung der Attentäter von Paris zu sagen: „Fuck you“, und weil einige meiner Freunde das offenbar auch fanden, haben sie den entsprechenden Clip geteilt, so dass er in meiner Facebook-Timeline nicht zu übersehen war:
Doch so sehr ich dem aus vollem Herzen zustimmen möchte: Ich kann es nicht. Es widerstrebt mir sogar geradezu, dieses „fuck you“.
Nicht, weil ich etwas gegen das Herunterbrechen, das Zuspitzen, die right in your face-Haltung hätte. Die braucht Comedy, und wenn man — wie Oliver — in dieser Hinsicht mehr Freiheiten hat als andere: nur zu, dann soll man sie auch nutzen.
Aber mir kommt es so vor, als sei dieses „Fuck you!“ nicht das erste, das den Attentätern und ihren Brüdern (und Schwestern) im Geiste (und sei der noch so klein) um die Ohren geschlagen worden wäre. Im Gegenteil: Ich habe das Gefühl, denen ist schon sehr, sehr oft „fuck you“ gesagt worden. Vielen von Geburt an, immer wieder. Ja, womöglich hatte ein ubiquitäres „Fuck you!“ von sozial höher stehenden weißen Männern sogar einen recht entscheidenden Anteil daran, dass die so geworden sind, wie sie sind, und dass das Attentat in Paris deren Art war zu sagen: Nein, fuck jetzt mal YOU! Und fuck them they did.
Ja, mir ist klar: John Olivers „Fuck you!“ hat sich gar nicht in erster Linie an die Attentäter gerichtet, sondern an seine Zuschauer, es war seine Art, Solidarität zu üben und zu sagen: Wir stehen zusammen. Also die etwas drastischere Variante aller Trikolore-gefärbten Facebook-Profilfotos, aller gut gemeinten Bekundungen in den sozialen Netzwerken, die nichts anderes sind als gesellschaftliche Rückversicherungen, auf wessen Seite man ist, dass man gleiche Werte teilt und dass man an der Definition von „wir“ gerade möglichst schnell mitarbeiten will, um sich eben auch schön abzugrenzen von all denen, die nicht zu diesem „wir“ dazugehören sollen. Den anderen halt.
Und in meinen Ohren klingt das John Oliversche „fuck you“ dann auch nicht sehr viel anders als das von Söder, Seehofer und allen rechten und noch rechteren Zeitgenossen, die ihrerseits nämlich auch sagen: Fuck you, alle miteinander — einfache Antworten, das ist genau unser Ding! Und den anderen, denen zeigen wir’s jetzt mal. Stinkefinger! Fuck you! Grenzen zu und alle heimschicken! Und ohne Abendessen ins Bett!
Als ob nicht von diesen einfachen Antworten eine enorm große Kraft ausgeht (siehe abermals John Oliver und wie oft sein „fuck you“ geteilt worden ist). Eine Kraft, die, in die falschen Hände gelegt und falsch eingesetzt, ziemlich schnell auch ziemlich dumme Folgen haben kann. Einfache Antworten wirken auf Menschenmengen immer verführerisch, und auch die IS-Deppen haben einfache Antworten geradezu als Geschäftsmodell entwickelt: westliche Kultur böse, Religion gut, wer nicht mitmacht: Rübe ab. Noch einfacher geht’s kaum.
Am Ende war mir, auch weil Oliver sehr schnell nach dem Attentat auf Sendung war mit seinem „Fuck you!“, vielleicht sogar der frenetische Stimmungs-Jubel des Publikums mindestens genauso unangenehm wie das „fuck you“ selbst, diese helle Begeisterung, die auf dieses „fuck you“ folgte, das nur ganz knapp keine Handlungsanleitung war, keine Aufforderung, kein Aufruf, jetzt mal jemanden ordentlich zu ficken.
Als ob nicht gerade schon genug Leute gefickt worden wären.
Ich höre bei John Oliver noch eher die Solidarität als die Mobilmachung heraus. Auch ein „Fuck you“ ist gegenüber Leuten mit Maschinengewehren halt eine hilflose Geste. Aber der allgemeine Jubel hat eventuell schon etwas von den „USA!“-Sprechchören nach Obamas Bin-Laden-Ansprache.
Ja, interessanterweise geht es mir heute auch schon so, dass ich da mehr Solidarität als Mobilmachung höre.
Ich glaube, mein Unbehagen kam wirklich daher, dass so schnell nach den Anschlägen Leute in aller Welt sagten: Wir (!) lassen uns das Feiern nicht verbieten! Gauloises! Rotwein! Baguette! während sie mit ihrem Arsch schön in Sicherheit saßen, in Paris aber noch Panik auf den Straßen entstand, weil jemand einen Silvesterböller gezündet hat. Das hat mir schon ein bisschen sauer aufgestoßen.
Das „Fuck You“ stößt mir in den Zusammenhang noch weniger auf als der inflationäre Gebrauch des Wortes „Arseholes“. Nicht, dass dies den Attentätern nicht zu gönnen wäre, aber auch hier könnte man von einem Satiriker etwas geschicktere und subtilere Wortwahl erwarten. Aber ich mag John Oliver ohnehin nicht so besonders. Klar, er ist schon lustig und liegt meist auch richtig, aber im Vergleich zum offensichtlichen Vorbild Jon Stewart strahlte er mir schon oft etwas zu viel Selbstverliebtheit und Selbstgerechtigkeit aus. Wie man auf so ein Ereignis wirklich angemessen und trotzdem lustig reagiert, zeigt Jon Stewarts legendärer Monolog in der ersten Daily Show nach dem 11. September.
Die Subtilitäten und Abwägungen, die hier in der Diskussion rauskommen, waren mir nicht bewusst, als ich John Olivers Clip auf Facebook geteilt habe. Das „Fuck You“ hat in dem Moment mein Gefühl von Irritation, Überforderung und Hilflosigkeit am besten ausgedrückt. In der Tradition von Beckett, „God, the bastard“.
@Torsten: Das klingt jetzt ein wenig so, als sei die Hauptaufgabe des Satirikers, sich lustige Synonyme auszudenken. So wie das deutsche Kabarett das Programm ca. einer Dekade damit bestritten hat, „suboptimal“ statt „schlecht“ zu sagen. Aber hier besteht die Komik/Solidaritätsbekundung doch gerade darin, dass der Gewaltakt mit Kneipenbeschimpfungen konfrontiert wird. Satirisch entlarvt werden muss er ja nicht mehr. Und wohin andererseits die patriotische Erbauungsgeste führt, sieht man an den politischen Reaktionen und am Heldengetue der Unbeteiligten, das Oliver Nagel oben erwähnt (und das man übrigens auch schön daran beobachten kann, wie sich z.B. die SZ in Opferausstellung und „Die Nationalmannschaft trotzt dem Terror“ suhlt).
Aber gut, ich fand meinerseits Jon Stewart immer zu staatstragend und zu nah an solcher Erbauung, da waren Colbert und Oliver schon konsequenter satirisch.