Hunting down the news

9. Februar 2011 1 Kommentar

Als ich sechzehn, siebzehn war, war Titanic mehr für mich als nur leichte Unterhaltung. Das war die Zeit vor Internet und Smartphones; meine Informationen bekam ich aus der örtlichen Tageszeitung (wenn ich sie denn las) und aus der „Tagesschau“. Hin und wieder schmökerte ich in der Schulbibliothek in den wöchentlichen und monatlichen Zeitungen und Magazinen, aber das war im Grunde mehr Pflicht, die Erfüllung eines bildungsbürgerlichen Auftrags — tatsächlich fand ich das meiste, was ich da las, fürchterlich langweilig.

Als ich aber Titanic entdeckte, war das der Schlüssel zu einer Schatzkiste: In den „Briefen an die Leser“ erfuhr ich, wer was Dummes gesagt oder getan hatte, und vor allem, wer überhaupt so relevant war, daß er da auftauchte. Und in den Artikeln bekam ich nicht nur die satirische Einordnung und den komischen Kommentar zu Politik, Medien und Literatur, sondern vor allem erstmal die Nachrichten selbst: wenn ich das neue Heft gelesen hatte, fühlte ich mich besser informiert als nach der Lektüre von Zeit, SZ und Spiegel zusammen.

Hunting down the news and beating the truth out of it nennen sie das bei „10 O’Clock Live“ (Channel 4). Eine gute Dreiviertelstunde lang präsentieren Charlie Brooker, Jimmy Carr, Lauren Laverne und David Mitchell immer Mittwochs eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Mischung aus Information, Talk und Comedy, die deutlich von der Attitüde der drei Comedians getragen wird: Da darf zunächst Jimmy Carr, üblich schwarzhumorig, in einem Stand Up-Solo die Meldungen der Woche durchgehen (ja, die schnelle, kurze Form am Anfang bewährt sich halt immer wieder, egal ob in Print- oder TV-Magazinen). Danach variiert die Reihenfolge, aber immer gibt es ein Gespräch, in dem David Mitchell entweder schön konfrontativ mit Bänkern (und ihren Kritikern) über ihre Bonus-Zahlungen reden darf oder in Einzelgesprächen die britische Grünen-Vorsitzende Caroline Lucas oder Alastair Campbell in die Zange nimmt, den vormaligen Spin Doctor von Tony Blair (der auch die Vorlage für Malcolm Tucker abgeben durfte). Charlie Brooker wirft einen deutlich „Screenwipe“-geprägten Blick auf Ägypten oder Sarah Palin und welches Bild jeweils die Medien vermitteln, Jimmy Carr beleuchtet ein aktuelles Thema quasi kabarettistisch, Mitchell gibt in die Kamera hinein einen Kommentar ab, in dem er sein ganzes kolumnen-geschultes Talent für politische Leitartikel zeigen darf, und die Radio-DJane und Moderatorin Lauren Laverne hält alles zusammen.

https://www.youtube.com/watch?v=JoQ4Shg29zo?fs=1&hl=de_DE

Die ganze Show ist bunt und schnell; manchmal vielleicht ein bißchen zu schnell — viele Gespräche sind zuende, bevor alle Diskutanten Betriebstemperatur erreicht haben. Und vielleicht auch ein bißchen zu bunt, und damit meine ich nicht nur die regenbogenartig blinkende Neon-Kulisse, die macht, daß einem die Augen bluten, sondern auch die Atemlosigkeit, die womöglich dem Druck des „live“-Elements geschuldet ist und dem Anspruch, möglichst tagesaktuell zu sein. Und Jimmy Carr, so gut sein Stand Up ist, war im Gespräch mit dem Klimawandel-Scharlatan Bjørn Lomborg gegenüber dem rhetorisch geschulten Dänen schnell ein wenig überfordert.

Aber es sind ja nun erst drei Folgen gelaufen, und der Spaß an unverblümter Meinung, Direktheit und satirischer Feuerkraft ist deutlich größer als eventueller Ärger über Kinderkrankheiten der Show, die zum ersten Mal im Mai 2010 in ähnlicher Form lief als „Channel 4’s Alternative Election Night“. Klar, Jon Stewarts „Daily Show“ läßt grüßen und überstrahlt „10 O’Clock Live“ im Moment noch deutlich. Aber nicht nur haben die Amerikaner mehr Zulieferer im Rücken, sondern auch über zehn Jahre Erfahrung mehr, insofern ist der (unausweichliche) Vergleich vielleicht ein wenig ungerecht.

Die politische Situation in England aber, eine unfähige rechtsliberale Regierung, dramatische Budgetkürzungen, die Einführung von Studiengebühren, das ganze politische Klima in Großbritannien sind, so schrecklich sie für den Einzelnen sein mögen, natürlich Wind unter den Flügeln einer solchen Show. Schlechte Zeiten sind gute Zeiten für Satiriker. Schon deshalb erwarte ich noch einiges von „10 O’Clock Live“.

How TV ruined my life… NOT

2. Februar 2011 1 Kommentar

Zwei Fragen drängten sich mir nach der ersten Folge von Charlie Brookers neuer Show „How TV Ruined Your Life“ (BBC2) auf, die sich mit dem Thema „Fear“ befaßte: Warum eine neue Show, warum nicht einfach „Screenwipe“ weitermachen? Und: Übertreibt er jetzt nicht ein bißchen?

Über die Antwort auf  die erste Frage kann man nur spekulieren — vielleicht hat es etwas damit zu tun, daß er mit seinem mediensatirischen Programm von einem gut versteckten Sendeplatz auf BBC4 zu einem besseren auf BBC2 gewechselt hat. Ansonsten ist nämlich kein großer Unterschied festzustellen.

Die zweite Frage ist schon ein bißchen weniger trivial. Denn die These, daß das Fernsehen maßlos übertreibt, was die Darstellung von Gefahren angeht, und uns ängstigen und unmündig halten will, ist natürlich nicht aus der Luft gegriffen. Aber ausgerechnet mit ihr eine neue Show zu beginnen, die  „How TV Ruined Your Life“ heißt — hmmmm, nein, stimmt schon, das Fernsehen hat mein Leben ruiniert. Und Ihres doch auch, geben Sie’s halt mal zu! Das Fernsehen ist schrecklich, es wird uns allen das Gehirn fritieren und auf unsere toten Körper scheißen! Es macht uns zu willenlosen Zombies! Der Untergang des Abendlandes ist nahe! — Sie ahnen vielleicht, worauf ich hinaus will.

Zum Glück deutet die zweite Folge darauf hin, daß Brooker doch nicht in einen Überbietungswettbewerb mit sich selbst getreten ist („Charlie Brooker — jetzt noch finsterer!“). „The Lifecycle“ zeigt einmal mehr aufs Feinste, wie das Fernsehen Menschen von der Wiege bis zur Bahre darstellt, was es für jede Altersgruppe bereithält und wie sich das über die letzte Generation geändert hat. Er stellt fest, daß das Fernsehprogramm für Überdreißigjährige vorwiegend in geschlossenen Räumen spielt und alles, was draußen vor sich geht, extrem gefährlich erscheinen läßt. Daß man früher denken mußte, im Fernsehen seien nur middle aged men, egal wie alt sie waren, und daß heute vorwiegend Männer im mittleren Alter zu sehen sind, die sich wie Jugendliche benehmen und nicht erwachsen werden können. Daß das auch für Politiker gilt, die früher wie verstaubte Dozenten wirkten und heute wie juvenile Air-Freshener-Verkäufer oder gut gelaunte Nachbarn aus schlechten Soap Operas. Und daß Senioren nur noch ins Fernsehen dürfen, wenn man sie wie Haustiere behandeln kann und ihnen bei Talent-Shows herablassenderweise schon für ihr biblisches Alter applaudiert, egal, was sie sonst noch machen.

Oder, wie Brooker es zusammenfaßt:

TV never’s quite got you. When you’re a kiddie-winky, it’s just a meaningless light source, when you’re young it either demonizes or patronises you, when you’re in your middle years it makes you feel too old by ruthlessly highlighting your flaws, when you’re older than that it wipes you off the screen altogether and leaves you feeling socialy irrelevant.

Aber was red ich mir den Mund fusselig. Gucken Sie’s halt selber. Die halbe Stunde wird Ihr Leben schon nicht ruinieren…!
Teil 1:

leider nicht mehr online

Teil 2:

dito

Die gute Nachricht des Tages

28. Januar 2011 2 Kommentare

Aardman Animations, Home of „Wallace And Gromit“, planen einen „Shaun The Sheep“-Film! Zwar wird er nicht von 2013 oder gar 2014 fertig sein, aber wenn das Warten sich lohnt, warte ich gerne.

Interessant: Daß Shauns Abenteuer von Anfang an ohne ein gesprochenes Wort auskamen, sollte ursprünglich die Produktion billiger und einfacher, sprich: schneller in der Herstellung machen. Ein Plan, der nicht aufgegangen ist: Geschichten nur durch Bilder zu erzählen bedeutet nämlich, daß man Handlung nicht durch Dialoge ersetzen kann — alle Beats müssen im Bild gezeigt werden. Das Ziel, so Aardman-Creative Director Richard Goleszowski, sei es, einen modernen Stummfilm im Stile Buster Keatons zu machen: also Slapstick pur und vom Feinsten. Word! Bzw. natürlich No Word!

Comedy-Rezession in England

28. Januar 2011 Keine Kommentare

Schlechte Zeiten für Britcoms: Die BBC hat angekündigt, sie sei gezwungen, einige (erfolgreich laufende) Sitcom-Formate absetzen zu müssen — aus finanziellen Gründen. Nun müsse diskutiert werden, welche Shows es treffen werde. Wahrscheinlich ist aber, daß die Budgetkürzungen genau die Formate treffen werden, die in diesem Blog diskutiert werden: Nämlich Sitcoms, die viel teurer zu machen sind als Comedy-Panel-Shows oder Docutainment á la Charlie Brooker. Bereits nächste Woche werden in der BBC weniger als vier Stunden neue Comedy laufen, nämlich nur sieben Shows von je einer halben Stunde, darunter vier Sitcoms („Not Going Out“, „Episodes“, „Coming Of Age“ und „Lunch Monkeys“).

Das klingt nach Jammern auf hohem Niveau, vor allem, wenn man weiß, daß die BBC alleine 33 Slots für Comedy-Serien pro Jahr hat. Tatsächlich aber kann ich sogar aus der Ferne feststellen, daß immer weniger neue Comedy produziert wird, die mich interessiert. Heißt: Immer weniger Sitcoms (auf Panel-Shows kann ich gut verzichten), und darunter immer weniger Sitcoms, zu deren Zielgruppe ich mich zählen würde. Außer „Episodes“ läuft zur Zeit eigentlich gar nichts, was mich was angeht: „Not Going Out“ ist mir zu sehr Mainstream, „Coming Of Age“ und „Lunch Monkeys“ ähnlich wie die „Inbetweeners“ auf ein jüngeres Publikum gezielt, als ich es bin.

Oder, wie es James Cary formuliert:

BBC1 tonight showed no comedy at all. None. Or last night. On Sunday night, there was a repeat of Gavin and Stacey at 10.30 (how many repeats, now?). And repeat of My Family at 4.25pm. On Saturday night, Come Fly With Me – a repeat from Thursday. On Friday night, a panel game and a chat show. On Thursday, Not Going Out. That’s not a lot of comedy – and I wouldn’t be able to tell you when I could regularly tune in to a sitcom. It used to be Friday night at 8.30. Not now. So when?

Dabei zeigt der Erfolg von „Miranda“ und die endlosen Wiederholungen alter Sitcom-Hits: Sitcoms sind genau das, was das Publikum will, was das Publikum liebt, woran man sich Jahre später noch erinnern wird, wenn alle Panel-Shows und alles Docutainment längst vergessen sind. Sitcoms sind das, was man sich auf DVD kauft und wieder und wieder ansehen kann. Wer guckt denn Reality-Shows auf DVD?

Besonders BBC2 steht vor einem sehr traurigen Problem: Der Sender hatte im vergangenen Jahr mit Sitcoms wie „Grandma’s House“, „Miranda“, „Rev“, „The Trip“ und „Whites“ und Sketch-Shows wie „Harry & Paul“ viel erfolgreiche Comedy im Programm (und mit „Bellamy’s People“, „Roger And Val Have Just Got In“, „Popatron“, „Shelfstackers“, „The Persuasionists“ und „Vexed“ noch ein paar halbgute, aber z.T. wenigstens ambitionierte Formate). Nun aber werden vermutlich auch einige Shows ins Gras beißen müssen, die sonst mit einer zweiten (oder dritten) Staffel wieder auf dem Bildschirm erschienen wären. „Harry & Paul“ steht, so zumindest ein (allerdings rasch dementiertes) Gerücht, ganz oben auf der Liste.

Trübe Aussichten also für britische Sitcoms. Wie schade.

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British Comedy Awards: Die Gewinner

23. Januar 2011 Keine Kommentare

Ganz wie erwartet, hat vor allem Miranda Hart für ihre Tollpatschcom „Miranda“ (BBC2) abgeräumt bei den diesjährigen British Comedy Awards: Nämlich in den Kategorien „Best New British TV Comedy“ und „Best Comedy Actress“, und den „People’s Choice Award“ gab’s gleich obendrauf. Nur in der Abteilung „Best Sitcom“ hatten „The Inbetweeners“ die Nase vorn. Was an „Miranda“ new sein soll, entzieht sich meinem Verständnis: die erste Staffel lief schon 2009 (ok, sie lief 2009 an), und altmodischer als „Miranda“ kann Sitcom kaum sein. Was soll’s, dem breiten Publikum gefällt’s halt, und so seien ihr die drei Awards gegönnt, auch wenn sie nun wirklich kein bißchen frischen Wind in das Genre gebracht hat.

Erfreulicher ist da schon, daß tatsächlich „Newswipe“ in der Kategorie „Best Comedy Entertainment Programme“ gewonnen hat, auch wenn sich Charlie Brooker nicht gegen Harry Hill als „Best Comedy Entertainment Personality“ durchsetzen konnte.

Daß „The Armstrong & Miller Show“ den „Best Sketch Show Award“ an die Kindersendung „Horrible Histories“ verloren hat: Meh. So gut „Horrible Histories“ sein mag, ich bevorzuge Comedy für Erwachsene.

Peter Capaldi kann sich über den Award für den „Best Comedy Actor“ für seine Rolle in „The Thick Of It“ freuen, das allerdings in der Kategorie „Best Sitcom“ nichts gerissen hat, und Kayvan Novak über seine Auszeichnung für die „Best British Comedy Performance In Film“, die ihm „Four Lions“ eingebracht hat.

Zuguterletzt: Sam Bain und Jesse Armstrong („Peep Show“ sowie ungezählte Co-Autorenschaften von „The Thick Of It“ bis „That Mitchell And Web Look“) haben den „Writer’s Guild Of Great Britain Award“ abgeräumt — verdientermaßen.

Bedauerlich ist und bleibt allerdings, daß weder „Rev.“ noch „Whites“ etwas abgekriegt haben vom schönen Awards-Segen — beide hätten es verdient gehabt. Tom Hollander war immerhin nominiert („Best Comedy Actor“); daß aber „Whites“ nicht einmal eine Chance hatte: Shame! Shame!

Ein paar Gedanken zu „Modern Family“

23. Januar 2011 4 Kommentare

Es gibt, abgesehen vielleicht von den „Simpsons“, im Moment keinen fester gebuchten Fernsehtermin in der Woche als den von „Modern Family“ (ABC, 2009 -). Aber nicht nur das: Außerdem haben die Frau und ich um Weihnachten herum noch einmal die ganze erste Staffel auf DVD geguckt. Und vor ein paar Tagen noch einmal die ersten vier, fünf Folgen mit einem gemeinsamen Freund. Und ich hätte nicht das kleinste Problem, mir alle Folgen direkt nochmal anzusehen. Ich muß gestehen: Ich habe mich in so ziemlich jedes Familienmitglied der „Modern Family“ verliebt.

Aber warum eigentlich? „Modern Family“ ist all das, was ich an amerikanischen Sitcoms nicht mag: Warm, freundlich, moralisch, versöhnlich, von tieferen Einsichten getragen — durch und durch positiv. Es gibt keinen einzigen Unsympathen. Permanent wird alles gut, keiner bleibt allein, wir sind eine Familie, friends will be there for you, where everybody knows your name. Genau das Gegenteil von britischen Sitcoms, in denen die Welt schlecht ist und das Leben scheiße und böse Menschen grausame Sachen tun und deswegen alleine bleiben und allenfalls trotzdem geliebt werden. Und auch das vielleicht nur vom Zuschauer, aber nicht von anderen Charakteren.

Andererseits muß ich einräumen: so süßlich „Modern Family“ ist, so klug ist es auch. Auf mehreren Ebenen.

Erstmal bin ich schon fast der Überzeugung, daß „Modern Family“ die Erzähltechnik der Mockumentary auf die nächste (dialektische? Was weiß ich) Ebene hebt: Zwar ist es formal an eine Dokumentation angelehnt, inklusive vieler talkings heads-Szenen, in denen Charaktere alleine oder zu zweit in die Kamera hineinphilosophieren. Abgesehen von seltenen Blicken in die Kamera aber scheint den Rest der Zeit das Kamerateam überhaupt nicht anwesend zu sein: Weder sind die Familienmitglieder verkabelt, noch scheint die Anwesenheit des öffentlichen Auges ihre Handlungsweise in irgendeiner Form zu beeinflussen (was etwas bei „The Office“ eine zentrale Idee war). Ja, häufig ist die Kamera sogar in Situationen anwesend, wo sie es nicht sein könnte, hätten wir es mit einer echten Dokumentation zu tun: Etwa wenn Haleys Freund Dylan im Haus der Dunphys versehentlich eingeschlossen wird und wegen der Alarmanlage nicht hinaus kann, die Kamera aber bei ihm bleibt. Was aus mehr als einem Grund nicht plausibel ist: Die Dunphys hätten das Haus nicht Hals über Kopf verlassen und das Kamerateam dabei einfach übersehen und eingeschlossen (schon weil sie ja alle eigentlich verkabelt sein müßten), Dylan selbst hätte in so einer Situation die Kamera ebenfalls nicht einfach ignoriert, und die Kamera (ein zweites Team?) bleibt außerdem weiterhin bei den Dunphys.

Nicht nur gibt es aber offenbar kein Kamerateam. Auch die Anmutung der Show legt keinen Wert darauf, authentisch zu sein: Ganz offensichtlich haben wir es mit einem Single Camera-Setup zu tun, und ebenso offensichtlich ist hier nichts improvisiert. Like cinéma vérité never happened. Die Selbstreflexion, die der Dokumentationsgestus in die Fernsehcomedy gebracht hatte, fehlt bei „Modern Family“ vollkommen; die Form der Mockumentary soll uns nichts über das Fernsehen und seinen Einfluß auf die abgebildete Wirklichkeit vermitteln. Das aber ist kein Rückschritt, sondern eine Weiterentwicklung, die es erlaubt, die Figuren noch facettenreicher zu schildern: Weil wir hören, was sie über sich selbst denken und sagen — und sehen, wie viel oder wenig das damit zu tun hat, wie sie agieren. Die Figuren werden also tiefer, vielschichtiger, und es gibt mehr Möglichkeiten für Gags, die auf ihren Charaktereigenschaften beruhen. Was eher englisch ist. Daß dabei die Frequenz an Onelinern trotzdem hoch bleibt, ist allerdings wiederum sehr amerikanisch.

Genau wie die thematische Narration. Viele Folgen haben ein Thema, das in drei Subplots (einer pro Familie) variiert wird: Was es ausmacht, ein guter Vater zu sein, oder, in „Run For Your Wife“, wie sehr man seine Kinder behüten soll. In dieser Folge, es ist der erste Schultag nach den Ferien, will Manny in seinem columbianischen Poncho zur Schule gehen, was sein Stiefvater Jay verhindern möchte, um ihn nicht dem Spott seiner Mitschüler auszusetzen. Mitchell und Cameron geraten in Panik, weil sich Baby Lily den Kopf angeschlagen hat, und Phil fühlt sich herausgefordert, in einem Dauerlauf gegen Claire anzutreten — die ihn gewinnen läßt, um sein Ego nicht allzu sehr zu beschädigen.

Nun ist das Thema des (Über-) Behütens hier so subtil angelegt, daß man es gar nicht bewußt wahrnehmen muß. Wenn aber doch, wird einem der hübsche Dreh auffallen, daß in der dritten Variation der Familienvater Phil die Rolle des Kindes einnimmt und von seiner eigenen Ehefrau geschont wird. Das ist clever — und ziemlich lustig. Noch lustiger wird es allenfalls, wenn die drei parallelen Plots in bester „Seinfeld“-Manier auch noch miteinander verwoben werden und in einer einzigen großen Slapstick- oder jedenfalls Ensemble-Nummer enden.

All das: die formalen wie die inhaltlichen Drehs, sind nicht neu. Allenfalls erneuert. Aber sie haben es geschafft, das Genre der Familien-Sitcom (in beiden Bedeutungen: über eine und für die ganze Familie) im Alleingang wiederzubeleben. Und es sogar für einen einsamen, verbitterten, zynischen, abgebrühten alten Arsch wie mich konsumierbar gemacht.