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Wie man Backstory erzählt

28. Juni 2014 8 Kommentare

Gerade habe ich die erste Folge „Happy Valley“ (BBC1, 2014) gesehen und bin wieder einmal beeindruckt, wie viel höher die erzählerischen Standards des englischen Fernsehens im Vergleich zum deutschen sind. Da gibt es zum Beispiel die Ehefrau einer Hauptfigur, die im Rollstuhl sitzt, aber diese wichtige Information wird uns nicht aufs Brot geschmiert, sondern ganz beiläufig erzählt: nicht in der ersten Szene, in der die beiden beim Abendessen am Tisch sitzen und wir die Behinderung gar nicht sehen können, sondern in der zweiten, wo Kevin (Steve Pemberton) Jenny (Julia Ford) ins Bett hilft. Erwähnt wird die Behinderung der Frau mit keiner Silbe. Und prompt wissen wir: Kevin ist nicht mit einer Querschnittgelähmten verheiratet, sondern mit einer Frau, die querschnittsgelähmt ist*. Die Figur ist nicht durch ihre Behinderung definiert, ihre Behinderung ist einfach ein Aspekt dieser Figur, und vielleicht nicht einmal ihr wichtigster.

Aber viel entscheidender: Die andere Hauptfigur von „Happy Valley“ ist eine 47jährige Polizistin in Yorkshire. Sie ist geschieden, lebt mit ihrer Schwester zusammen, die ein cleaner Heroin-Junkie ist, sie hat zwei erwachsene Kinder, von denen eines tot ist und eines nicht mit ihr spricht, und einen Enkel. Es geht in dieser Serie von Anfang an um den seelischen Ballast, den Catherine (Sarah Lancashire) mit sich herumträgt, also die Backstory ihrer Figur, so dass das Drehbuch zumindest ein paar zentrale Informationen über diese Figur sehr schnell klar machen muss. Der Grundsatz „show, don’t tell“, der bei einer Körperbehinderung leicht umzusetzen ist, funktioniert hier nicht. Diese Informationen aber in Dialoge zu zwängen, die die Handlung nicht vorantreiben, verbietet sich andererseits auch – wie quälend schlecht solche Dialoge zwangsläufig sein müssen, sieht man bei mediokren deutschen Fernsehkomödien ja in schöner Regelmäßigkeit: „Übrigens erwarten wir heute Abend deine Tante zum Essen, du weißt schon, die bei unserer Hochzeit mit deinem Vater geschlafen hat!“ – „Wie, Tante Erna kommt den ganzen weiten Weg aus Buxtehude her zu uns nach Drömmelhausen?“ usw. usf.

Wie also löst Autorin Sally Wainwright („Bonkers“) dieses Dilemma? Sie lässt Catherine sagen: „Ich bin geschieden, lebe mit meiner Schwester zusammen, die ein cleaner Heroin-Junkie ist, habe zwei erwachsene Kinder, von denen eines tot ist und eines nicht mit mir spricht, und einen Enkel.“ Klingt nicht sehr clever? Ist es aber: denn sie sagt es einer Situation, in der sie in ihrer Eigenschaft als Polizistin mit einem zugedröhnten Twen spricht, der sich auf einem Spielplatz mit Benzin übergossen hat und sich anzuzünden droht. Sie sagt es, weil sie weiß, dass man in solchen Situationen am Besten viel persönliche Information von sich preisgibt, um zwischenmenschlichen Kontakt herzustellen. Was auch funktioniert. Und schwups ist das Problem gelöst: die Backstory im Dialog erzählt UND die Handlung vorangetrieben: wir wissen neben ihrer Geschichte nämlich auch, dass sie eine patente, erfahrene, umsichtige Polizistin ist, die sich einerseits einfühlsam zu verhalten, andererseits entschieden vorzugehen weiß — denn einen Feuerlöscher hat sie praktischerweise gleich mitgebracht.

Toll. Diese Lösung war so clever, dass ich den Trick überhaupt erst bemerkt habe, als in der zweiten Folge genau diese paar Sätze im „Was bisher geschah“-Vorsetzer auftauchten.

Dass die Serie offenbar gut bis sehr gut ist, ist übrigens im Verlauf der ersten Episode schnell deutlich geworden. Mehr vielleicht demnächst, wenn ich mehr gesehen habe.

* Sie ist nicht querschnittsgelähmt, sondern leidet an Multipler Sklerose, aber das macht hier ja keinen Unterschied.

„I’m a size ten… -ty. Yeah, tenty.“

10. November 2009 2 Kommentare

Miranda Hart ist sehr groß und nicht besonders feminin. Daraus hat sie nun eine eigene Sitcom gemacht: „Miranda“ (Montags 20.30 Uhr, BBC2). In der Adaption ihrer erfolgreichen Radioserie spielt sie die Mitbesitzerin eines Joke Shops, der für allerlei Späße rund um Schokoladenpenisse sorgt und in dem sie ca. ein halbes Dutzend Mal über Kisten fallen kann — kreischendes Lachen des Publikums ist ihr jedes Mal sicher. Mirandas größtes Problem: Sie wird permanent für einen Mann gehalten und mit  „Sir“ angesprochen. Ihr zweitgrößtes Problem: Sie kriegt keinen Mann ab, und der nette Koch im Restaurant gegenüber erlebt sie selbstverständlich nur in gequälten Posen, in Lügen verstrickt, in einem Kleid, das sie wie einen Transvestiten aussehen läßt, und schließlich in einem Hochzeitskleid, obwohl sie natürlich gar nicht verzweifelt auf der Suche nach einem Bräutigam ist, neinnein. (Diese Szene, in der sie mit ihren Freundinnen shoppen geht, liefert allerdings den Anlaß für den besten Witz der Folge: „Which size are you?“ — „Uh, ten. -ty. Yeah, tenty.“)

Kaum zu glauben, daß solcherart muffige „Ich sehe scheiße aus, will aber gerne einen Mann“-Klischees eine eigene Show erhalten. Alles in „Miranda“ riecht nach angeschimmelten 70er-Jahre-Sitcoms, bis hin zum schrecklichen Abspann, der mit der Einblendung „You have been watching…“ auf die Kaufhaus-Serie „Are You Being Served?“ anspielt, und dann alle Darsteller in die Kamera winken läßt, als ob es in der Show selbst nicht schon genügend wissende, verblüffte und indignierte Blicke in die Kamera gegeben hätte. Das Produktionsteam setzt sich zusammen aus Mitarbeitern an Shows wie „Bonkers“, „Jam & Jerusalem“ und „Life of Riley“, was man irgendwie auch sieht, und was Sally Phillips in dieser Show verloren hat, ist mir ein völliges Rätsel. Miranda Hart selbst aber fand ich auch schon in „Hyperdrive“ neben Nick Frost nicht besonders komisch.