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Artikel Tagged ‘Stefan Golaszewski’

Die Rückkehr des Nichts

16. September 2010 1 Kommentar

„Shows about nothing“ sind sooo Neunziger! Gut, „Seinfeld“ behauptete nur, „about nothing“ zu sein. In Wahrheit hatte aber natürlich jede Episode eine nacherzählbare Story, und oft sogar ein Thema, das Jerry in den ersten Staffeln meist im Anfangsmonolog umriß. Zeitgleich mit dem Ende von „Seinfeld“ aber lief in England eine Show an, die der Idee des „about nothing“ viel eher entsprach: „The Royle Family“ (1998 – 2000, BBC2/BBC1). Da sah man Woche für Woche einer Manchester Arbeiterklassen-Familie dabei zu, wie sie im Wohnzimmer vor dem Fernseher saß und sich unterhielt — und allenfalls ab und zu Besuch empfing. Das ganze in Realtime, mit nur einer Kamera und auf 16-mm-Material gefilmt statt wie die meisten Sitcoms mit mindestens drei Kameras auf Video. Und mit „Storys“, die man kaum als solche bezeichnen konnte: Es ging zwar schon immer um irgendwas — aber es passierte doch so gut wie nichts.

Ein minimalistisches Konzept also, mit dem Caroline Aherne und ihre Mitautoren Craig Cash und Henry Normal anfänglich auf wenig Gegenliebe stießen. Und zwar zuallererst beim legendären Comedy-Produzenten Geoffrey Perkins, der in seiner damaligen Funktion als Head of Comedy der BBC schon in der Entwicklungsphase vehement Einwände hatte. Zum Glück konnte sich Aherne durchsetzen — und so eine der erfolgreichsten und landesweit beliebtesten Sitcoms der späten Neunziger kreieren.

Offenbar ist die „Royle Family“ nun so lange her, daß man keine Bauchschmerzen mehr haben muß, sich das Konzept einfach anzueignen. Gleich zwei Sitcoms versuchen sich derzeit in dieser Art Kammerspiel: „Roger And Val Have Just Got In“ (BBC2) in der Rentner-Version mit Dawn French und Alfred Molina. Und nun „Him & Her“ (BBC3, bislang zwei Folgen) mit Sarah Solemani und Russell Tovey („Being Human“) in der Mittzwanziger-Version der storyfreien Realtime-Sitcom.

„Him & Her“ sind Steve und Becky: arbeitslos und sexbesessen, dabei aber auch faul, schlampig und eklig. Sieht man in der ersten Folge Becky bei offener Scheißhaustür defäkieren (und anschließend nicht runterspülen), puhlt sie ihm in der zweiten Folge einen schönen dicken Popel aus der Nase und schmiert ihn ans Bettlaken. Im Bett liegen die beiden eigentlich die ganze Zeit, dort essen sie (auch wenn Kontrollfreak Steve, in dessen Wohnung wir uns befinden, das wegen der Krümel nicht so gerne hat), dort sehen sie fern (und zwar mit einer Vorliebe den spießig-langweiligen „Inspector Morse“ auf DVD), und dort empfangen sie auch Besuch: den unvermeidlichen Weirdo-Nachbarn Dan (Joe Wilkinson, der tatsächlich einige Lacher verbuchen kann), die Schwester von Becky und ihren Freund, der gleichzeitig ein Kumpel von Steve ist, und Steves Mutter, die ihm zum Geburtstag einen Dachs-Kalender schenkt und eine Flasche Ouzo („Den gab’s günstig in der Zwei-für-eins-Packung!“ — „Und wo ist deine Flasche?“). Das erinnert, wenn man nach der „Royle Family“ noch einen zweiten Vergleich braucht, sehr an „Ideal“, wo Moz in einer ebenfalls, sagen wir: leicht unhygienischen Kifferhöhle haust und Besuch kriegt. Nur daß die beiden Spießer nicht mal kiffen.

Das Publikum schien sich schon nach der ersten Episode in zwei Lager geteilt zu haben: in begeisterte Fans, die von den brillanten Skripts von Stefan Golaszewski („Cowards“) sprechen, und in eine Fraktion, die „Him & Her“ nicht begreift. Oder höchstens als Zeitverschwendung. So wie, leider mal wieder, ich. Denn auch wenn ein paar gute Gags dabei sind pro Episode: Lange Strecken der ersten beiden Folgen kamen ohne jeden Witzversuch aus. Dafür mag ich weder sie noch ihn. Sie hat, so gut sie aussieht, leider zu viele abstoßende Angewohnheiten, und er neigt zu sehr zu Hysterie und Selbstverliebtheit („You are very good at blow jobs, and I am very good at receiving them“). Und daß er ihr aus reiner Gehässigkeit das Brot unterjubelt, das eben noch mit der Butterseite nach unten auf dem gewöll-übersäten Schlafzimmerteppichboden lag: igitt. Benehmen sich Mittzwanzigjährige wirklich so? Und wenn ja: Was hält sie zusammen? Denn Hinweise auf Affekte zwischen ihm und ihr fehlen einfach, da ist kein Moment von Zuneigung oder gar Liebe — nur dauerndes Gerede über Sex, Sex und noch mal Sex.

„Ehrlich und akurat beobachtet“ nennt der Comedy-Guide das. Ich will mal hoffen, daß das nicht stimmt. Und daß BBC3 („Two Pints Of Lager And a Packet Of Crisps“, „Horne & Corden“) bald auch für etwas anspruchsvollere Mittzwanziger gute Comedy produziert.

Piloten-Check 4+5: Giggelnde Gläser mit sarkastischen Untertiteln

20. März 2009 1 Kommentar

Eine Garderobe mit Herrenmantel. Ein Damenmantel wird dazugehängt. Sagt der Herrenmantel: „Du bist aber feucht!“

Wenn Tiere sprechen können, warum nicht auch Gegenstände? „Things Talk“ heißt der Sitcom-Pilot (18.3., BBC3) von Stefan Golaszewski, und genau darum geht’s: Sprechende Haushaltsgegenstände. Fernseher zu Fernbedienung: „Ich war bis drei Uhr auf, um ’24‘ zu gucken!“ Fernbedienung zu Fernseher: „Ich beginne mich zu fragen, was ich je in dir gesehen habe.“ Ein großmäuliger Plattenspieler, ein witzeerzählender Gasherd, kichernde Trinkgläser, eingebildete Salz- und Pfefferstreuer, die eine oder andere prominente Synchronstimme (etwa Dom „Trigger Happy TV“ Joly) — das sind die Zutaten für eine Sitcom, die ziemlich schnell anstrengend wird. Weil erstens kaum etwas passiert, das man als Handlung bezeichnen können, schließlich werden die meisten Dinge eher bewegt als daß sie sich selbst bewegen. Und weil zweitens sprechende Tiere immer noch ein Gesicht haben und damit menschliche Züge. Sprechende Gasherde können aber noch so lange mit ihren Kochstellen züngeln, anthropomorph werden sie dadurch nicht. Eine schöne Idee also, die vermutlich aber in der Theorie besser war als in der praktischen Umsetzung.

„Vidiotic“ (ebenfalls 18.3., BBC3 — da war wohl Frühjahrsputz) ist eine Mischung aus Sitcom und Clip Show, die in einem heruntergekommenen Videoverleih spielt. Die kleinen Sketche zwischen den beiden Angestellten und ihren Kunden sind aber nur der Rahmen für Parodien auf Fernsehtrailer, Sitcoms, Popkultur in toto, für Splatter-Animationen mit Action-Figuren und Ausschnitte aus den schlechtesten Filmen aller Zeiten (u.a. gibt es einen Schnipsel aus Uwe Bolls wirklich unfaßbarem „Postal“) und ein Interview mit Daniel „Harry Potter“ Radcliff mit sarkastischen Untertiteln. Dazwischen tritt Thomas F. Wilson auf, der Biff aus „Zurück in die Zukunft“, und singt im Park, sich selbst auf der Gitarre begleitend, einen Song darüber, was die Leute auf der Straße ihn permanent fragen: „What’s Michael J. Fox like? He’s nice. What’s Christopher Lloyd like? Kind of quiet. Stop asking me the question! What does a key grip do? Set up lights! What does the best boy do? Help the key grip! What does a producer do? …I don’t know! Stop asking me the question!“ Wäre das also auch geklärt. That was fun! Please, BBC, give them a series!

Hier der Trailer: