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Erlesene Britcom

The Book GroupKomisch, wie sehr man doch unwillkürlich vom Cover auf das Buch schließt: Ich habe Annie Griffins „The Book Group“ (Channel 4, 2002) lange links liegen lassen, weil mir das DVD-Cover so billig erschien (wie die DVD selbst es bei Amazon auch war) — und weil ich ihren Film „Festival“ so schwach fand. Eine schwere Fehleinschätzung! Channel 4 hat „The Book Group“ nach dem Ende der zweiten Staffel „Black Books“ auf deren Sendeplatz programmiert — und auf diesem Level befindet sie sich auch.

Denn „The Book Group“ ist sophisticated. Es beginnt als Kammerspiel: Die Amerikanerin Clare (Anne Dudek, das „eiskalte Biest“ aus „House“) ist neu in Glasgow. Um Freunde zu finden, gründet sie eine Lesegruppe, zu der sich in der ersten Folge eine bunte Truppe zusammenfindet: Ein extrem gutaussehender, stets ernster Querschnittgelähmter, drei vom Alltag unterforderte Gattinnen von Profifußballern (eine davon Holländerin, eine Schwedin sowie, in der Rolle der Janice, Michelle Gomez („Green Wing“)), ein blasierter Literaturstudent sowie ein offenbar berufsloser Trainingsanzugträger, von dem man bis zum Schluß nicht sicher sein kann, daß er überhaupt alphabetisiert ist. Dieser Haufen liest nun pro Folge ein Buch, zunächst Kerouacs „On The Road“, und in der ersten Folge geht es sogar noch erstaunlich viel um Literatur: „I think he was saying something about the superficialness of American culture. The American Dream, that anyone can go on a trip“, brilliert die Holländerin in ihrer Analyse.

In der zweiten Episode nehmen sie sich Paul Coelhos „Alchemist“ vor; nun gibt es schon viel mehr Schauplätze als nur ein Wohnzimmer, und es geht auch viel weniger um den Roman. Stattdessen bäckt Janice lieber eine Torte mit einem schönen Marzipan-Buch obendrauf und übt vor dem Spiegel Autoren-Interviews („Do you prefer a typewriter or the human hand?“). In der dritten Folge dann arbeitet „The Book Group“ mit dem Stilmittel des magischen Realismus, schließlich geht es um Márquez‘ „Liebe in Zeiten der Cholera“: „As the weeks go by, watching The Book Group is like watching something gently unfold. A flower maybe. Or a book“, lobpreist der Guardian.

Tatsache: In jeder weiteren Folge gewinnen die Figuren an Tiefe, werden immer vielschichtiger, überraschen mit Wendungen, die ihre Charaktere aber nicht brechen, sondern spannender machen; insbesondere für den Studenten Barney, dargestellt von James Lance („Moving Wallpaper“, „Boy Meets Girl“) hält das Drehbuch einige Überraschungen bereit. Das Drehbuch nimmt seine Figuren und ihre Twists sogar so ernst, daß sich die Serie unter der Hand beinah in ein Comedy-Drama verwandelt. Da bedauert man es einmal mehr, daß britische Serien immer nur sechs Folgen haben, und auch hier nur eine weitere, zweite Staffel das Licht der Mattscheibe erblickt hat. Wer sich diesen Monat aber nur eine DVD zulegen möchte: Der greife bitte zu „The Book Group“. Es wird sein Schaden nicht sein.

  1. Philip
    24. Juli 2009, 15:40 | #1

    Das klingt doch endlich mal wieder sehr gut. Und das VHS-Tape gibts bei Amazon UK für 1 p! Wenn ich nur wüsste, unter welcher Staubschicht sich der Videorecorder befindet. Danke für den Tipp!

  2. Dashcroft
    24. Juli 2009, 19:10 | #2

    Ach ja, James Lance, der ewige Nebendarsteller (von „Absolute Power“ abgesehen). Wird Zeit, daß er mal eine richtige Hauptrolle bekommt.

  3. Philip
    24. Juli 2009, 21:04 | #3

    Ach ja, Black books. Dylan Moran gibt auch einen ziemlich guten Stand-Up. Alter Hut? Zumindest sein Exkurs über Germany ist immer wieder sehenswert: http://www.youtube.com/watch?v=IoLIU2NI66w

  4. Tim
    30. August 2009, 11:19 | #4

    So, habe mir beide Staffeln angesehen und fand die Serie auch sehr schön. Gerade, daß die Charaktere so klar gezeichnet sind und trotzdem voller Überraschungen hat mich beeindruckt. Da wurde offensichtlich sehr viel Zeit in die Charakterentwicklung investiert, so daß die Komik nicht aus beliebigen witzigen Einfällen, sondern aus der Interaktion der figuren entsteht. Schön fand ich auch, wie es immer wieder gelang, die Bücher in die Entwicklungen einzubauen, v.a. weil sie das Geschehen meist erst anstoßen und nicht nur als lose Assoziation oder Querbezug funktionieren. Da hat sich’s Annie Griffin nicht leicht gemacht.

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