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Filme für lange Zugfahrten

Ich fahre gerne mit der Bahn. Gewiß, es nervt, wenn man mal wieder auf irgendeinem Provinzbahnhof gestrandet ist, weil man den einen Anschlußzug verpaßt hat und der nächste eine Dreiviertelstunde Verspätung hat — aber deshalb werde ich nicht zum Bahn-Hasser.

Allerdings werde ich zum Bahnfahrer-Hasser; jedenfalls bei Reisen, die länger als drei Stunden und/oder mehr als zwei Tage am Stück dauern. Ich fühle mich einfach belästigt: Durch junge Mütter über Vierzig, die (statt das Kleinkindabteil zu nehmen) den gesamten Großraumwagen durch stundenlanges Geschrei ihres Nachwuchses ruckzuck vom Segen der Kinderlosigkeit überzeugen. Durch Businessfrauen, die sich so zwanghaft an ihren Koffer klammern, daß sie selbst im überfüllten Zug lieber einen Sitzplatz mit ihrem Lieblingsgespäckstück blockieren, statt es ins Gepäckfach zu tun. Durch Dauertelefonierer. (Btw: Wer nicht nur rücksichtslos, sondern auch noch dumm genug ist, seine Geschäftstelefonate in höchster Lautstärke zu führen und dabei auch noch die eigene E-Mail-Adresse durchzutrompeten, muß sich über ein erhöhtes Aufkommen von Newslettern des Hörgeschädigtenverbandes nicht wundern.) Und dann gibt es noch diese massiv adipösen, nach Rauch und Schweiß stinkenden Assos, die sich neben einen an einen Tisch quetschen, sofort anfangen, Frikadellenbrötchen, Krautsalat und Dosenbier zu verzehren, sich über Kriegsfilme zu unterhalten und nach einem Toilettengang zurückkommen mit der Bemerkung, sie hätten nicht kapiert, wie „man das Waschbecken anschaltet“. Das Waschbecken schaltet man gar nicht an, Idiot! Man hält einfach seine Pfoten unter den Hahn, so wie bei praktisch allen Autobahnraststätten seit zehn Jahren auch! Iihhh!!

Noch schlimmer sind höchstens die Deppen, die am Ende der Fahrt den eben beschriebenen Flegeln attestieren, ihre Rücksichts- und Manierenlosigkeit sei schon in Ordnung. Diese Unterwürfigkeit gegenüber Leuten, die weder geschriebene noch ungeschriebene Regeln kennen bzw. sie vielleicht sogar kennen, aber schlicht nicht akzeptieren, scheint mir neu. Vielleicht bewundern tatsächlich immer mehr Knallköpfe andere Knallköpfe, die einfach mehr Mut zum „Ich zuerst“ haben als sie selbst.

Nun denn. Auf solchen Bahnfahrten gibt es nur eine Möglichkeit: Notebook und Kopfhörer auspacken (ja, liebe kinderreiche Familien und Bundeswehrler: Filme guckt man im Großraumabteil IMMER mit Kopfhörern! IMMER!!) und all das nachholen, was über die letzten Monate liegengeblieben ist. Lieber selbst einen möglicherweise schlechten Film gucken als Trottel über „Killing Fields“ reden hören und wie gerne sie da mal hinfahren würden, um sich das selbst anzusehen („Ob da noch Totenköpfe rumliegen?“ Grundgütiger!).

Für eine solche Fahrt taugt etwa „Magicians“ (2007) ganz gut. Der lag schon sehr lange bei mir herum — weil er nicht nur bei Rotten Tomatoes eine sensationell schlechte Bewertung hat, sondern weil auch andere, die ihn gesehen hatten, ihn eher so mittel fanden. Meine nicht sehr hohen Erwartungen aber hat er mühelos übertroffen.

Das lag bestimmt zum Großteil am Charme von David Mitchell und Robert Webb, die hier eine Variation ihrer Charaktere aus „Peep Show“ spielen. Hier sind ein magischer Double Act, dessen Karriere zu Beginn des Films gescheitert ist: Harry (Mitchell) hat Karl (Webb) mit seiner Frau, der gemeinsamen Assistentin, in flagranti erwischt — und sie anschließend bei einem Zauberunfall mit einer Guillotine enthauptet. Jahrelang haben sich beide daraufhin mit Jobs über Wasser gehalten, doch nun möchte Harry wieder ins Geschäft einsteigen: Ein Magier-Wettbewerb winkt mit einem Preisgeld von 20 000 Pfund — Grund genug für Harry, über seinen Schatten zu springen und Karl um einen einzigen gemeinsamen Auftritt zu bitten, mit dem sie das Preisgeld abräumen, teilen und sich wieder voneinander verabschieden können.

Dieser Wettbewerb gibt das Grundgerüst von „Magicians“ ab, um das herum kleine Storys rund um eine neue Assistentin (Jessica Hynes, „Spaced“), Zauberkonkurrenten (etwa Steve Edge, „Star Stories“, „Phoenix‘ Nights“) und Karls Manager (Darren Boyd, „Whites“) gebaut sind; das Drehbuch haben die „Peep Show“-Autoren Sam Bain und Jesse Armstrong übernommen. (Wann kommen die eigentlich noch zum Essen und Schlafen? „The Thick of It“, „The Old Guys“, „Peep Show“, „The Mitchell and Webb Look“, „In The Loop“ — ein beachtlicher Output, den dieses Duo hat.) In weiteren Nebenrolle glänzen Peter Capaldi und Rasmus Hardiker („Lead Balloon“, „Saxondale“), und dieser ansehnliche Cast macht auch die etwas einfallslose Regie (Andrew O’Connor) wett. Ein im besten Sinne kleiner Film, der wahrscheinlich enttäuschen würde, wenn man ihn mit großen Erwartungen im Kino gesehen hätte — aber perfekte 90 Minuten Fernsehunterhaltung.

Auch Frank Oz„Death at a Funeral“ (2007) fällt in diese Kategorie, wenngleich er die deutlich bessere Dramaturgie hat. Das Begräbnis des Vaters führt die erwachsenen Kinder und viele Trauergäste auf einem prächtigen Landsitz in England zusammen und sorgt für die Fallhöhe, die eine Farce braucht; ein Bruderzwist, die Verwechslung einer stark halluzinogenen Droge mit Valium sowie ein Kleinwüchsiger, der mit Enthüllungen ihn und den Verstorbenen betreffend droht, machen „Death at a Funeral“ zu einer klassischen Screwball-Komödie. Daß ihr die großen Stars ein wenig fehlen, gleicht sie durch ein prima Ensemble aus (u.a. Kris Marshall und Andy Nyman, der cholerische Producer in „Dead Set“). Dafür, daß ein Amerikaner ihn gemacht hat, ein sehr englischer Film: Selbstverständlich fällt der Sarg um und der Verstorbene purzelt ins Wohnzimmer, trotzdem bleibt (ich weiß nicht genau, wie) die Würde des Toten unangetastet — ich hatte jedenfalls nie den Eindruck, daß da mit billigen Mitteln Witze auf Kosten von Toten gerissen würden.

Soviel zu alten Filmen. Den Rest der Zugfahrten habe ich mit alten Serien zugebracht, über die ich hier nicht en detail berichten möchte, aber auch mit einer neuen, die ich jetzt schon mal sehr empfehle: „Terriers“, eine der neuen US-Serien des Herbstes. Kritik folgt, sobald ich genau sagen kann, was genau so toll ist an der Serie. Der Plot ist an sich nämlich nicht besonders originell: Ein Ex-Bulle und trockener Alkoholiker löst zusammen mit seinem halbkriminellen Kumpel als Privatdetektiv ohne Lizenz Fälle in Kalifornien. Klingt irgendwie nach „Trio mit vier Fäusten“, ist aber dank immer neuer Wendungen und Ideen, bei denen ich oft mit offenem Mund dasitze und „Das habt ihr jetzt nicht gemacht, oder?!“ denke, eine der besseren Serien dieses Jahres und ein echter Geheimtip.

  1. René
    22. November 2010, 22:18 | #1

    Letztens traf ich Tex Rubinowitz, der unvermittelt aus seiner Jackentasche einen Phoneblocker, oder wie das heisst, herauszog. Mit diesem aus China bestellten Gerät kann man Handys im Umkreis unschädlich machen, die Quälgeister mähen nunmehr sinnlos in ihr netzgestörtes Handy hinein. Er sagte, dieses Ding koste 98 Dollar und ich bin seitdem in höchstem Maße erregt von dem Gedanken, mir so ein Ding zu Weihnachten (oder davor oder danach) zu gönnen. So muss sich Macht anfühlen.

  2. 23. November 2010, 11:27 | #2

    @rené. eigentlich ja eine prima idee, aber ich hätte da immer angst, dass da irgendwo ein typ neben mir hockt der nervös auf den anruf wartet, dass seine frau jetzt das baby gesund zur welt gebracht hat oder ähnliches…

  3. Jeun
    23. November 2010, 11:47 | #3

    @jürgen. dann soll er halt daheim bleiben!

  4. 23. November 2010, 12:22 | #4

    habe eben tex gefragt: http://www.phonejammer.com – da könnte die stille zeit ja mal wirklich einigermaßen still werden dieses jahr!

  5. Tex
    23. November 2010, 13:26 | #5

    Es geht aber auch anders, ich möchte mal eine kleine Geschichte einer Zugfahrt erzählen, die ich neulich absolvieren musste.
    Ein Mann im Zug, etwa 70, vier Reihen vor mir, telefoniert unerträglich laut und rücksichtslos, ich hasse ihn, bin aber zu erledigt, um aus meinem Koffer mein segensreiches Maschinchen, das zur Stille erziehen kann, den Phonejammer zu holen, und ihn zu zerhacken, oder zum Opa zu gehen, um Ruhe und Rücksicht einzufordern, da bekommt man (habs schon probiert) eine patzige Antwort, ob man hier Lageraufseher oder sowas sei, also matt wie eine Fliege im Herbst ertrage ich sein Gequake, beim dritten Telefonat gibt er seine Nummer durch, der andere Teilnehmer möge diese weitergeben, damit der ihn anrufe.
    Ich schreibe sie an den Rand des erregenden Spiegelartikels, durch den ich mich gerade quäle, und schicke ihm eine SMS.
    „Wo ist Lefty?“
    Er schreibt zurück:
    „Ha?“
    Ich :
    „Lefty ist nicht zum vereinbarten Termin gekommen, jetzt sitz ich hier mit der ganzen Kohle“
    Er:
    „He Hawara huach zua I was ned amoi wer du bist ok?“
    Ich:
    „Vollkoffer, jetzt ist Deine Wohnung voller Kiebara (Polizisten), irgendwer hat gesungen, wenn du zhaus kummscht, wirst Du nichts mehr wiederfinden“
    Er:
    „Wer bist du?
    Ich:
    „Lefty“

  6. Kenny
    23. November 2010, 13:33 | #6

    Der moderne Kindsvater von heute ist ja angeblich bei der Entbindung dabei – hab ich irgendwo mal gehört.
    Störend nur, wenn man im Zug sitzt und müsste z.B. kurz mal den ärztlichen Notdienst anrufen (im Zug! Haha!) und da sitzt plötzlich so ein Mensch mit einem Störgerät neben einem….

  7. Tex
    23. November 2010, 13:59 | #7

    Es gibt eigentlich nur positive Meldungen wenn ich vom Gerät berichte, außer von einer Freundin, die meinte, ich würde mich in nichts vom Hausmeister unterscheiden, der aus dem Fenster mit dem Luftdruckgewehr auf Spatzen und Kinder schießt.
    Und ich hab keine Erfahrung, wie Herzschrittmacher auf das Maschinchen reagieren.

  8. René
    23. November 2010, 23:01 | #8

    Lieber Tex,

    der Vergleich ist aber falsch. Der Kinder Privileg ist es, Krach zu machen. Eines Erwachsenen Privileg ist es keineswegs, an den unpassendsten Stellen und in der unpassendsten Lautstärke in diese Plaste-Schale zu seiern. Es geht ja nicht um Erziehung, denn der Gephonejammte weiss ja nichts von seinem Schicksal, es geht doch einfach um Ruhe, oder etwa nicht?

  9. Seb.
    25. November 2010, 17:31 | #9

    .. und überhaupt, vor zwanzig Jahren gab es noch gar keine Handys, ging trotzdem alles irgendwie. Wie überhaupt früher alles besser war.

    Aber mal was ganz Anderes: Hiermit möchte ich dem obskuren chinesisch-hongkongesischen „Personal Media Player“ (PMP) eine Lanze brechen, der, weil handlicher als ein Laptop, auch ganz hervorragend für den Filmgenuss in Tram, S-Bahn und Konsorten geeignet ist. Natürlich nur mit Kopfhörern!

    Ich selbst benutze noch dieses hübsche – wenn auch leicht veraltete – Gerät: http://nationiteplayers.com/onePresentation.htm, um aktuell wahlweise „The Book Group“ oder „Breaking Bad“ auf dem Weg zu und von Arbeit zu gucken. Vorteil zum Ipod Touch: Man muss nichts mühsam konvertieren, braucht kein Itunes und billiger ist es auch noch.

    Demnächst muss ich mal auf ein aktuelles Gerät mit 6- oder 7-Zoll-Bildschirm updaten, dass dann auch mkv abspielen kann.

  10. Jeun
    26. November 2010, 09:47 | #10

    ahh, the book group. noch so eine sträflich unterbewertete Serie. Komisch, dass man von james lance und seiner samtstimme irgendwie nix mehr hört/sieht.

  11. 26. November 2010, 12:10 | #11

    ja, book group ist sehr gut. und den junge james lance hab ich gerade in einer frühen folge ab fab entdeckt – er ist wirklich der ewige nebendarsteller, wie dashcroft richtig schreibt.

  12. Buzz
    22. Dezember 2010, 08:27 | #12

    Danke nochmal für den Tip mit „Terriers“.
    Ist eine echt gute Serie.
    Die wird mein Nachfolger von Arrested Development, dass leider nach 3 Staffeln nicht weiter produziert wurde

  13. terf
    24. Mai 2011, 17:23 | #13

    Da Terriers ja nun abgesetzt wurde, aber fast alle US-Serien gerade pausieren: Kann man sich das noch ansehen, oder bricht das mittendrin einfach ab? Dann würd ich’s nämlich lieber gar nicht gucken.

  14. 24. Mai 2011, 17:25 | #14

    kann man gucken, es gibt einen abgeschlossenen handlungsbogen über die ganze serie, mit einem eher schwachen cliffhanger am schluß.

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