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Kleine Glotz-Bilanz

Wenig passiert hier in den letzten Tagen, aber die Glotze war natürlich trotzdem oft an. Meine Fernsehauswahl der letzten Wochen:

„Homeland“ (Showtime, 2011) ist weder lustig noch britisch, dafür aber dekoriert mit einem Golden Globe (Best Television Series – Drama) und nach einer israelischen Vorlage, was mich aus persönlichen Gründen immer interessiert. Inhalt: Ein US-Marine, Sergeant Nick Brody (Damian Lewis), wird nach acht Jahren Gefangenschaft in den Händen von Al Qaida von einem US-Kommando befreit und als Kriegsheld nach Washington zurückgebracht. Allerdings hat die psychisch einigermaßen labile CIA-Agentin Carrie Mathison (Claire Danes, die Julia in Baz Luhrmanns „Romeo + Juliet“) zuvor in Bagdad aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass ein langjähriger P.O.W. von Terroristen während seiner Haftzeit „umgedreht“ worden ist und nun als islamischer Terrorist in den USA eingesetzt werden soll. Das kann nur Brody sein. In der Agentur glaubt ihr nur kaum jemand, so dass Claire mehr oder weniger auf eigene Faust beginnt, Brody zu verfolgen.

„Homeland“ ist eine Mischung aus den Thriller-Elementen von „24“ (von dessen Executive Producern die Serie auch stammt) und der Hauptfigur aus „Dr. House“, die medikemantenabhängig und gebrochen ist, vielleicht weniger genialisch als House, dafür verbissener. Außerdem spielen die zentralen seelischen Beschädigungen der Israelis eine tragende Rolle, wie ja auch schon (und logischerweise) bei „In Treatment“ (HBO, 2008 – 10): Schuldgefühle (u.a. geht es um nicht legitimierte US-Kriegshandlungen), Paranoia, bipolare Störungen, Schizophrenie. Vor allem, aber nur hintergründig, um Schizophrenie, denn dass Carrie mit ihrem Verdacht nicht falsch liegt, wird sehr schnell klar: Brody ist tatsächlich beides, US-Marine, Kriegsheld und treusorgender Vater — und muslimischer… aber ich will nicht zu viel verraten.

Natürlich ist „Homeland“ ultra-konservativ; hin und wieder habe ich vor mir Homer Simpson gesehen, der mit bloßem Oberkörper „U-S-A! U-S-A!“ ruft und sein Shirt um den Kopf wirbelt. War „24“ ja auch. Geht aber vermutlich auch nicht anders, wenn man eine solche Spionagegeschichte erzählen möchte, und die scheinen im Moment ja Konjunktur zu haben (mit der neuen le Carré-Verfilmung „Tinker Tailor Soldier Spy“, „Mission Impossible“ usw.). „Homeland“ ist jedenfalls prima Fernsehen, auf der Höhe der Zeit, und die erste Staffel (eine zweite ist in Planung) endet freundlicherweise nicht mit einem riesigen Cliffhanger, der alles offenlässt, sondern schließt in einer extra langen Episode viele Handlungsstränge ziemlich endgültig ab. Jedenfalls scheint es so.

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Zurück nach Großbritannien:

„Skins“ (E4, seit 2007) läuft derzeit in der sechsten Staffel und mit dem dritten Ensemble, und ist dafür immer noch ziemlich gut. Eigentlich besser als „Fresh Meat“ (Channel 4, seit 2011), das im Prinzip das gleiche versucht: Ein junges Comedy-Drama with an attitude. „Skins“ erzählt, pro Folge um eine der jugendlichen Hauptfiguren kreisend, die Geschichte einer Handvoll Teenager rund um Bristol und begleitet sie während der letzten zwei Jahre in der Schule (Sixth Form) (daher der komplette Cast-Austausch nach je zwei Staffeln). Die Jugendlichen sind, wie die in „Misfits“ (ebenfalls E4, seit 2009), weiß Gott keine Unschuldslämmer und haben darüberhinaus mit handfesten Coming-of-Age-Problemen zu kämpfen. In der aktuellen Staffel ist gerade eine der Hauptfiguren gestorben (was die Serie davor bewahrt hat, zur Soap zu werden — ans viele Kiffen und die Häuser verheerenden Partys hat man sich ja nun gewöhnt), und eine neue ist auf den Plan getreten, die per Würfel entscheidet, was als nächstes zu tun ist, und heimlich wilde homosexuelle Erfahrungen sammelt.

Keine andere Serie schafft es so sehr, in mir den Wunsch nach unverbindlichen Drogen, lautem Sex und harter Musik zu wecken, wie „Skins“ — mit „Misfits“ und „Skins“ hat E4 derzeit das deutlich bessere Gespür für „neue“, junge Bild- und Musik-Ästhetik als die BBC, wo allenfalls „Being Human“ mithalten kann (das gerade auch in eine neue, die vierte Staffel gegangen ist). E4 ist der digitale Ableger von Channel 4, der sich vorwiegend an ein junges Publikum richtet, Experimente wagt und sogar richtig Geld dafür ausgibt. Lobenswert.

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Apropos junge Menschen:

„The Inbetweeners Movie“, zu deutsch: „Sex on the Beach“ (also eher: „deutsch“), gerade in den Kinos (bzw. womöglich schon wieder raus?) KANN in Deutschland nur total floppen, alles andere würde mich jedenfalls sehr wundern. Nicht weil dem durchschnittlichen deutschen Kinogänger die Vorgeschichte aus drei Staffeln „Inbetweeners“ fehlt (abermals E4, 2008 – 10) — ein Kinofilm muss es schon schaffen, eigenständig zu funktionieren. Sondern weil das spezielle englische Element dieser (abermals sehr jugendlichen) Komödie hier überhaupt nicht verstanden werden dürfte.

Für das unbewaffnete Auge sieht der „Inbetweeners“-Film wie eine britische Variante von „American Pie“ oder „Eis am Stiel“ aus, die hierzulande ja ebenfalls schon eher als geschmacklos und vulgär empfunden werden denn als komisch — und der „Inbetweeners“-Film legt da noch zwei Schippen oben drauf: Da werden (während eines gemeinsamen Urlaubs der vier Teenager auf Kreta, in einer absoluten Touri-Hölle der unfeinen englischen Art) Omas gebumst, Selbst-Fellatio betrieben und Leute vollgekotzt; es gibt Schwänze ins Gesicht, eine Kackwurst im Bidet, ja, es wird sogar menschliches Exkrement geschnupft— nichts, was Deutsche per se als komisch empfänden.

Für Engländer aber, deren Schamschranken (man mag es angesichts solcher Filme nicht glauben) in der Realität aber viel höher liegen, ist es lustig, wenn genau diese Schranken in einem Film, mithin erkennbar künstlich und kunstvoll, gebrochen werden. Und auch ich musste mehrfach herzlich lachen, etwa wenn der sexbesessene Jay (James Buckley) (zu Beginn des Films und noch zuhause) sich herzhaft einen von der Palme wedelt — auf dem Bett sitzend vor einem Laptop samt Live-Sex-Chat, Taucherbrille auf, Sporthandschuh an, Schinkenscheiben im… nun, und wenn dann seine Mutter reinplatzt, hinter ihr die kleine Schwester, und sagt: Jay, kommst du bitte nach unten, dein Großvater ist gerade gestorben. — dann muss ich, nach einer atemlosen Schrecksekunde, wahnsinnig lachen. Weil die Geschmacklosigkeit nicht nur geschmacklos ist, sondern eine groteske Übersteigerung von Geschmacklosigkeit, eine Geschmacklosigkeit, die praktisch in alle Ewigkeit fortgesetzt ist, mithin endlos, schließlich wird Jay sich nicht nur während der Beerdigung, sondern jedesmal, wenn vom toten Opa die Rede sein wird, an diesen Moment erinnern… Was für eine Strafe, für das bisschen Sex!

Oder wenn der widerwärtige Hotelheini auf Kreta zu seinen neuen Gästen sagt: „Have fun, but not too much. You shit on floor, you pay 50 Euro fine. Each time.“ Oder wenn Will (Simon Bird) feststellt: „Dads are like arseholes: everyone’s got one. Plus they’re arseholes.“

Will sagen: Wie da fette englische Bratzen in zu kurzen Röcken gezeigt werden, die äußere Anmut allenfalls durch ein strahlendes Selbstbewusstsein ersetzen, vier hoch peinliche Teenager zwischen Extrem-Nerd und Vollpfosten, das ist von einer Selbstironie getragen, freilich auch von darunterliegender englischer Selbstsicherheit, die es in amerikanischen Teenagerfilmen dieser Art so (glaube ich) nicht gibt, und in Deutschland schon gar nicht. Da schämt man sich allenfalls, wenn andere Leute sich dermaßen daneben benehmen, und zwar für sie, aber man lacht nicht darüber. Und schon gar nicht mit ihnen. Engländer aber schon. Das belegt nicht zuletzt der Umstand, dass „The Inbetweeners Movie“ in England den Einspielrekord aller Komödien am Premierenwochenende gebrochen hat und nun vor „Bridget Jones — The Edge of Reason“ und „The Hangover II“ liegt.

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„Noel Fielding’s Luxury Comedy“ (schon wieder E4, 2012) zuguterletzt ist „gloriously weird“ oder aber völlig witzfrei, ich bin mir noch nicht ganz sicher. Sicher ist: Es ist eine Art Sketchshow, in der Noel Fielding (die jüngere Hälfte des „Mighty Boosh“-Duos) seinen surrealen Albernheiten freien Lauf lassen darf, ohne Julian Barratt, dafür aber mit Sergio Pizzorno von der britischen Rockgruppe Kasabian, der hier die Musik beisteuert, und einigen der üblichen Verdächtigen (Bruder Michael Fielding, Rich Fulcher, Richard Ayoade). Es ist viel Animiertes dabei, an dem man auch deutlich die Fieldingsche Handschrift erkennen kann, und es ist bestimmt auch ganz lustig, für Hardcore-„Mighty Boosh“-Gucker. Ich persönlich bin nach zwei Folgen gespalten: Richtig oft lachen musste ich nicht, aber für ein endgültiges Urteil ist es wohl noch zu früh. Wer die erste Episode gucken möchte: Hier ist sie.

https://www.youtube.com/watch?v=8F7Pn8Owi-8?version=3&hl=de_DE

  1. Diderot
    9. Februar 2012, 14:56 | #1

    Bei der Einschätzung von Homeland als „ultra-konservativ“ muss ich aber doch widersprechen, vor allem im Vergleich zu 24. Natürlich geht es thematisch um den Schutz des „homelands“ und gewissen pathetische, nationalistische, patriotische Anklänge liegen in der Natur der Sache. Nichtdestotrotz ist es vielschichtiger als 24, das sich auf den einen Guten konzentriert, der sich zwar manchmal außerhalb der Verfassung bewegt, aber alles richtig macht im Sinne des Landes. Vor allem in Hinblick auf die elendige Waterboarding-Debatte gab 24 eine klare Antwort: aber klar foltern wir! Und das ist auch gut so…
    Bei Homeland ist das nicht so. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen durch hochrangige Amerikaner ist doch das zentrale Thema, um das die Geschichte kreist. Plötzlich wird die nationale Sicherheit durch Personen gefährdet, die (scheinbar und vielleicht in gewisser Weise nachvollziehbar) auf die andere Seite gewechselt sind. Ich kann das nicht „ultra-konservativ“ nennen, dafür sind die Charaktere zu vielschichtig und mehrdeutig.

    Das Ende der Staffel war wirklich großartig gemacht, man kann sich schon freuen!

  2. 10. Februar 2012, 08:46 | #2

    homeland fand ich auch super, obwohl mir der brody-darsteller aus irgendeinem grund komplett auf die nerven ging. steht grad kurz davor, mir mal „justified“ zu holen. wer’s schon gesehen hat: empfehlenswert, oder eher nicht?

  3. Chris
    11. Februar 2012, 00:41 | #3

    Ich muss da Diderot zustimmen. Auf deutsche Maßstäbe angewendet, ist es sicherlich konservativ. Aber bei diesem Thema ist es für die USA fast schon mutig gewesen. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass man einen Marine zum Terroristen werden lässt. Die Soldaten haben hier einen unglaublichen Stellenwert. Bei jedem Baseballspiel muss man aufstehen um den Truppen in Übersee zu Gedenken. Selbst unter Liberalen darf man kein Wort gegen Soldaten sagen. Und dann wird auch noch thematisiert, wie Falschmeldungen verbreitet werden oder die Entstehung von Hass erklärt. Nach den ersten paar Folgen fand ich es auch sehr konservativ. Genial fand ich aber allein schon, dass (ACHTUNG SPOILER) er unbeobachtet beten geht. Zu diesem Zeitpunkt weiß man noch nicht, ob er denn wirklich Terrorist ist, denkt aber „Ha, wenn sie das sehen würden, würde die Sache ganz anders aussehen“ und man hält ihn für schuldig. D.h. allein das Wissen über seine Religion macht ihn verdächtig. Das fand ich schon sehr clever in der Ausführung. Um in den USA gesendet zu werden, muss man wohl einige Kompromisse eingehen. Ich glaube mehr wäre nicht drin gewesen. Ich fand die Serie nicht nur wahnsinnig spannend, gut gemacht und gut erzählt, sondern für die hiesigen Verhältnisse auch sehr mutig. Man muss die Serie immer vor dem Hintergrund sehen, dass es eine amerikanische Serie ist. Was man so von der neuen Staffel mitbekommt erscheint auch sehr passend.

    BTW an alle die 50/50 noch nicht gesehen haben, super Film (ich muss Seth Rogen in diesem Blog mal ein wenig pushen).

    Oh und Roseanne Barr und John Goodman machen wieder zusammen ne Sitcom (Multicam) für NBC.

  4. Chris
    11. Februar 2012, 00:48 | #4

    @Jürgen: Justified ist super. Falls aber ncoh nicht geschehen auf jeden Fall die letzte Staffel „Boardwalk Empire“ holen. Wahnsinnsfinale!! Überraschenderweise war auch „Game of Thrones“ ziemlich gut.

  5. johannes
    11. Februar 2012, 22:19 | #5

    „unverbindliche Drogen“ finde ich auch toll

  6. Andreas Rother
    12. Februar 2012, 10:45 | #6

    „“Homeland” (Showtime, 2011) ist weder lustig noch britisch (…) „: Man weiß manchmal ja gar nicht, was schwerer wiegt, nicht wahr?

  7. gasthier
    12. Februar 2012, 13:15 | #7

    Ich kann der Einschätzung von Homeland nicht zustimmen.
    IMHO zeigt Homeland eben sehr genau, zu welchen gesellschaftlichen „Missbildungen“ die Paranoia nach 9/11 geführt hat.
    Eine destruktive Stimmung, in der jeder jeden verdächtigt und niemand als „Der Gute“ dasteht.
    Man muss sich ja nur einmal das Ereignis anschauen, durch das Brody zum Terroristen wurde!
    So eine „selber Schuld“-Aussage ist keine Werbung für die USA und passt nicht in das übliche Bild des verwirrten Terroristen, der ja keinerlei Grund hat die guten USA zu hassen.

    Beeindruckend fand ich z.b. auch die Szene, in der mal real dargestellt wurde, wie „Schlafentzug“ hergestellt wird. Diese kurzen Ruhephasen, unterbrochen von Lärm und Licht: Die Darstellung hat mich mehr berührt als Waterboarding in anderen Filmen.

  8. Jörg
    14. Februar 2012, 17:08 | #8

    So ein Mist…schon wieder so viele gute Tipps. In Treatment liegt schon im Spieler, Homeland und Fresh Meat kommen erst später im Jahr auf DVD raus, Inbetweener Movie wird am WE geguckt und Misfits ist bestellt. Vielen tausend Dank für dieses Blog!

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