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Artikel Tagged ‘Comic Relief’

Komische Erleichterung

7. Februar 2009 Keine Kommentare

Man stelle sich vor: Gerhard Schröder hätte mit Anke Engelke einen Sketch im Kanzleramt gespielt, Harald Schmidt wäre nackt über den Alexanderplatz gerannt, und Erkan & Stefan hätten die Effenbergs interviewt, ihnen dabei anzüglichste Fragen über Oral- wie Analsex und Onanierverhalten gestellt, ohne daß die Interviewten aber empört auf und davon gerannt wären, sondern, ebenso wie Schröder und Schmidt, den Unfug bereitwilligst mitgespielt hätten — und alles im Namen einer Spendenaktion für Afrika und für einen Fernsehabend der Superlative. Schwer vorzustellen, wie? In Großbritannien hat Tony Blair in 10 Downing Street Catherine Tate für einen Sketch empfangen, Billy Connolly ist splitterfasernackt über den Picadilly Circus gesprintet, und über das Interview, das Ali G. (alias Sacha Baroh Cohen) mit Posh und Becks geführt hat, wird noch heute in jeder Sekunde irgendwo auf der Welt gelacht (Quelle: selbst ausgedacht). Kein britischer Star ist sich zu schade, einmal im Jahr für die Comic Relief-Fernsehgala die Hosen runterzulassen – und sei es im wörtlichen Sinne, wenn es sein muß.

Comic Relief heißt die Wohltätigkeitsorganisation, die den Red Nose Day initiiert hat; benannt aber hat sie sich nach einem Effekt, der im Fernsehen und auf der Bühne nach einer besonders spannenden, tragischen oder erschreckenden Szene durch einen komischen Effekt zum Abbau der psychischen Anspannung beim Zuschauer sorgt. Die Comic Relief-Fernsehshow bietet denn auch beides: Neben den komischen Einlagen von Comedians, Bands, Schauspielern und Politikern berichten eben diese Stars in kurzen Reportagen aus den Elendsgebieten Afrikas. Für deutsche Sehgewohnheiten ist es irritierend, wie sorglos die Briten in einer Fernsehshow Comedy und dramatischste Berichte über Hungerkatastrophen, Völkermord und Seuchen nebeneinanderstellen, denn wir sind eine scharfe Trennung zwischen leichter Unterhaltung gewohnt, die in erster Linie gemütlich sein soll, und ernsten Reportagen, deren Urheber niemals in den Verdacht kommen möchten, Fernsehunterhaltung zu produzieren. Das Wechselbad aus Beklemmung und Befreiung scheint in Großbritannien aber hervorragend zu funktionieren: Jährlich werden, per Telefon erhoben, recht beachtliche Spendensummen eingenommen, nicht selten über 30 Millionen Pfund allein während der Live-Sendung.

Zwei Höhepunkte der letzten Jahre waren der Beitrag von Ricky Gervais und Stephen Merchant (2007) und das Interview von Ali G. mit den Beckhams (2006). Wer’s noch nicht gesehen hat: Hier ist der vollständige Beitrag inklusive der brillanten Frage an Victoria Beckham, ob ihr Sohn mal Fußballer werden sollen wie sein Papa oder singen — wie Mariah Carrey:

Und hier der nicht minder lustige Beitrag von Gervais und Merchant:

Der nächste Red Nose Day wird am 13. März sein und wieder mal nichts mit der eher traurigen deutschen Adaption zu tun haben, die Pro7 seit sechs Jahren halbherzig betreibt. Den Unterschied zwischen der englischen und der deutschen Mentalität hat mir mein britischer Gewährsmann Tom Harris gestern übrigens so zusammengefaßt: Briten gingen mit Begeisterung zum Karaoke, sprängen unvorbereitet auf die Bühne, um sich völlig zum Affen zu machen, wobei sie zwar keinen Ton träfen, sich und ihr Publikum aber prächtig amüsierten. Deutsche gingen erst mal grundsätzlich nicht zu Karaokeveranstaltungen, wenn aber doch, dann nur nach tagelanger Vorbereitung, damit sie möglichst richtig sängen, was wiederum alle honorierten, wobei sich aber niemand besonders gut unterhält. Schade eigentlich.

Eine informative „Comic Relief“-Doku der BBC, „Comic Relief – The Fool’s Guide“, gibt es online bei der BBC — aber leider nur für Bewohner des Königreichs. Buuuuh, BBC! Buuuuuuuh!