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Die Banalität des Guten

25. Januar 2015 Keine Kommentare

„The Eichmann Show“ — was für ein Titel allein! Klingt doch der Begriff Show in unseren Ohren immer noch nach Showbühne und Showtreppe, Scheinwerferbatterien, Männern im Frack, nun gut, aber zumindest würden wir doch „Show“ eher in „große Samstagabend-“ als in „Architekten des Holocaust-„-Formulierungen verwenden. „Show“ in Verbindung mit „Eichmann“, das klingt obszön. Ist doch auch Eichmann ein Begriff, der seinerseits so starke Konnotationen hat — allein dass er auch noch Adolf heißt! — dass man fast glaubt, mit einem Namen wie Eichmann kann man gar nicht anders, als zum Nazi werden: stark wie eine Eiche, eine deutsche natürlich, und Mann, na klar, ein deutscher Mann, was sonst.

„The Eichmann Show“ klingt also obszön, aber hier ist ein anderes „Show“ gemeint, eines im Sinne von Vorzeigen, Herzeigen, eine Schau: Schaut her, das ist Adolf Eichmann — soll man schreiben: der Kerl? Der Mensch? Wir, das jüdische Volk Israels, haben einen geschnappt, der mit verantwortlich ist für das bislang namenlose Gräuel, das die Shoah war, über die Anfang der 60er Jahre noch kaum jemand wirklich sprechen konnte, weil auch 15 Jahre nach ihrem Ende keine Worte dafür zu finden waren und keine Bilder. Wir haben Eichmann, und wir erschießen ihn nicht an Ort und Stelle in Argentinien (wie es ein Wachmann im Film für richtig hält), sondern wir machen ihm einen Prozess. Nicht, damit ihm Gerechtigkeit widerfährt, sondern uns. Damit das namenlose Grauen einen Namen bekommt, damit es Bilder und Worte gibt dafür.

Bilder finden, Worte verbreiten: Das war der Auftrag für den Fernsehproduzenten Milton Fruchtman und den Regisseur Leo Hurwitz, die 1961 den Auftrag bekamen, die Gerichtsverhandlung gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, NSDAP-Mitglied Nr. 889.895, SS-Nummer 45.326, in Jerusalem zu filmen und in 37 Länder zu übertragen: vier Monate lang, Tag für Tag, das größte globale Fernsehereignis in der Geschichte bis dahin.

„The Eichmann Show“ (BBC2) versucht nun, die Geschichte dieser Show zu erzählen: wie Fruchtman (Martin Freeman) sich schon mit der Wahl seines Regisseurs in erste Schwierigkeiten bringt, weil Hurwitz (Anthony LaPaglia) auf McCarthys schwarzer Liste gegen kommunistische Umtriebe in den USA steht. Wie sie die drei Richter davon überzeugen müssen, Kameras im Gerichtssaal zuzulassen. Wie sie unerfahrene Kameramänner in kürzester Zeit fit machen müssen, Hurwitz‘ Multi-Camera-Stil zu durchdringen. Und wie Fruchtman sich gegen Morddrohungen und sogar -anschläge ehemaliger Nazis wehren muss.

Der größte Konflikt wird schließlich der zwischen Fruchtman und Hurwitz: Der Regisseur möchte nämlich am Liebsten praktisch ausschließlich auf Eichmann bleiben, dessen Gesicht zeigen, erstarrt in einer Art spöttischer Aufmerksamkeit, in der Hoffnung, dass Eichmann doch noch eine Regung zeigt, dass die Kameras einfangen, wie etwas von dem unfassbaren Horror, den die Zeugen der Anklage täglich stundenlang berichten, zu Eichmann durchdringt. Das passiert aber nicht. Wochenlang nicht. Fruchtman dagegen interessiert sich weniger dafür, „die Natur des Bösen“ zu zeigen. Er möchte den Prozess dokumentieren, Richter, Staatsanwalt und insbesondere Zeugen zeigen.

Dieser Konflikt wird umso stärker, als schnell klar wird, dass auch die „Eichmann-Show“ eine Fernsehsendung ist, die sich gegen andere Fernsehsendungen durchsetzen muss. Und die Invasion der Schweinebucht auf Kuba, also der Versuch von CIA und Exilkubanern im April 1961, Fidel Castros Revolutionsregierung zu stürzen, ist eine ebenso starke Konkurrenz wie Juri Gagarin, der zur gleichen Zeit als erster Mensch im Weltraum Geschichte schreibt. Wer will da noch eine tagelange Rechtfertigungsrede sehen und hören, in der ein Staatsanwalt darlegt, warum Israel überhaupt das Recht hat, über in Deutschland begangene Verbrechen zu Gericht zu sitzen? Die Einschaltquoten der Eichmann-Gerichtsreportagen sinken weltweit.

Und da sind wir beim Problem der „Eichmann-Show“: Einschaltquoten? Wirklich? Und wenn ich sage: der Konflikt zwischen Regisseur und Fernsehproduzent wird stärker, dann heißt das leider nicht: er wird stark.

Denn natürlich geht es nicht um Einschaltquoten. Nicht um Fernsehkonkurrenz um Aufmerksamkeit. Leider auch nicht um inhaltliche Auseinandersetzungen zwischen Regisseur und Produzent. All die Hindernisse, Konflikte, Schwierigkeiten, die die beiden Hauptfiguren Fruchtman und Hurwitz über die 90 Minuten dieses Films überwinden und lösen müssen, haben nicht den Hauch einer Chance gegen die Schrecken, um die es in „The Eichmann Show“ wirklich geht, die dem ganzen Stoff zugrunde liegen: die der Shoah.

Gegen die historischen Dokumente, die „The Eichmann Show“ dazwischenschneidet, kommt keine Spielhandlung an. Nicht gegen den echten Eichmann und seine mokante Maske, die echten Zeugen und Menschen im Gerichtssaal, auch wenn die Grenzen zwischen neu gedrehtem und Originalmaterial dank Nachbearbeitung für den Zuschauer kaum noch zu erkennen sind. Vor allem aber nicht gegen die Aufnahmen aus KZs, die während des Prozesses vorgeführt werden (und auf die Eichmann ebenfalls nicht reagiert — klarerweise nicht, wie Fruchtman feststellt, schließlich war Eichmann vor Ort, als es passierte, und zeigte schon da keine emotionale Beteiligung).

Die Abgründe des Entsetzens im Hintergrund (des Films!) lassen die Konflikte im Vordergrund klein und unbedeutend aussehen: Wen interessiert schon ein Streit Close-up oder nicht Close-Up angesichts des Holocausts? Zwar versucht insbesondere Hurwitz, seinen Regie-Ansatz philosophisch zu erläutern: dass es ihm darum ginge, eben kein Monster zu zeigen, sondern dass er den Menschen hinter der Maske sucht. Da klingt Hannah Arendts Diktum von der Banalität des Bösen kurz einmal an.

Zu sehen bekommen wir aber über weite Strecken die Banalität der Guten: wie zwei Männer, Fruchtman und Hurwitz, versuchen, „the Jewish Nuremberg“, die jüdische Variante der Nürnberger Prozesse, in Fernsehbilder zu gießen, damit die Welt das Ausmaß der Monstrosität erkennen kann, zu der Menschen fähig sind.

Das ist gewiss verdienstvoll und historisch interessant, und Paul Andrew Williams (Regie), Autor Simon Block und Laurence Bowen als Produzent haben aus dem Stoff herausgeholt, was herauszuholen war: „The Eichmann Show“ nähert sich dem Schrecken des Eichmann-Prozesses durchaus an. Aber sie nähert sich ihm so an wie in einem Science-Fiction-Film ein Raumschiff einem Schwarzen Loch: gegen die Dimensionen, die Gravitation und die dunkle Macht des Schwarzen Loches Eichmann und der Shoah hat auch das beste Raumschiff keine Chance.