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Stewart Lee vs. Top Gear

Die Zeiten, in denen Stewart Lee von seinen Tourneen ärmer nach Hause kam, als er losgefahren war, sind noch gar nicht so lange her. Ein Vorwurf, den Kritiker ihm in dieser Phase seiner Karriere immer wieder machten, war: Er beherrscht sein Publikum nicht; er schafft es nicht, seine Zuschauer zu fesseln; es gibt immer wieder lange Phasen ohne erkennbare Gags, in denen sich Unwohlsein im Auditorium breit macht, bis Lee es zurückgewinnen kann. Mittlerweile spielt Lee vor großen, gut gefüllten Rängen, und Fans wie (die meisten) Kritiker haben begriffen: Er macht das absichtlich. Die Dekonstruktion der comedy routine ist zentraler Bestandteil seiner Show, nicht etwa ein Fehler oder Unvermögen. Ganz im Gegenteil: Stewart Lee beherrscht (nach immerhin 20 Jahren im Business) diesen Kniff meisterlich.

Keine Frage also: die ersten zehn Minuten „If You Prefer a Milder Comedian, Please Ask For One“*, in denen weder der große Auftritt mit Kunstnebel und Light Show zu funktionieren scheint, in denen das Publikum auf seine Fragen Antworten gibt, mit denen er scheinbar nichts anfangen kann, in denen er wieder und wieder von vorne anfängt und schließlich damit beginnt, wie merkwürdig und unnatürlich es doch ist, daß Comedians auf die Bühne gehen und aus dem Nichts auf irgend ein Thema zu sprechen kommen — diese Selbst-Sabotage ist Inszenierung, und Lees Publikum weiß das auch. (Kein Zufall übrigens auch, daß die Show nicht in London gefilmt wurde, sondern in Glasgow, vor einem Publikum, das Lee für chronisch unzugänglich und widerborstig hält.)

Weil das Publikum nun aber so genau weiß, was Lee vorhat, kann, ja: muß er schwerere Geschütze auffahren, um die Leute aus der Reserve zu locken. Das schwerste Geschütz in seiner jüngsten (und m.M. besten) Show ist eine Suada, die geschlagene 40 Minuten dauert, sich also genügend Zeit nimmt, immer furioser auf einen sagenhaft lustigen Höhepunkt von Beschimpfungen und wüsten Todeswünschen hinzuarbeiten, und mit der Lee eine der beliebtesten Fernsehshows Englands aufs Korn nimmt: „Top Gear“. Hier die ersten Minuten (die retrospektiv gesehen von äußerster Harmlosigkeit sind):

Video leider nicht mehr online

Wie Stewart Lee sich im Verlauf der restlichen Show in eine Art Nervenzusammenbruch hineinsteigert, sollte man gesehen haben. Schon damit man anschließend das Bonus-Material-Interview umso mehr genießen kann, in dem Lee dem Schauspieler Kevin Eldon haarklein erzählt, wie kalten Herzens er sich auf „Top Gear“ kapriziert habe: weil er genau wisse, daß jedes Publikum mindestens zur Hälfte „Top Gear“ verehrt. Wie Lee die vorsätzliche, gut bezahlte political incorrectness von Jeremy Clarkson übernimmt und gegen ihn richtet („It’s only a joke! Like on Top Gear!“), und wie er vor allem Richard Hammonds feige Wieselhaftigkeit zerlegt, mit der sich dieser mit seinen eigenen Bullys identifiziert: Das ist vom Feinsten.

Tut aber meiner eigenen Begeisterung für „Top Gear“ selbstverständlich keinen Abbruch. Wenn das diese berühmten Widersprüche sind, mit denen man in der Postmoderne leben muß, dann soll sie mal ruhig weitermachen, die Postmoderne.

*DVD hat Untertitel

  1. plicktzah
    23. November 2010, 21:31 | #1

    Ich kann Ihnen da nur zustimmen, diese Show zeigt Stewart Lee in Hochform!

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