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Bildgewalttätige Show

13. März 2015 3 Kommentare

Es sind die Farben und die Perspektiven der Bilder, die im Kopf bleiben. Kräftige Grundfarben, gelb, grün, blau, rot, mit starken Kontrasten, und immer wieder Zentralperspektiven: waagerechte Horizonte, tief ins Bild gerückt, Fluchten von Korridoren in Industriegebäuden, klare Linien, wie von einem Bauhaus-Aficionado in Szene gesetzt.

Ein überbordender Wille zur Ästhetik bestimmt also „Utopia“ (Channel 4, 2013 – 14), comichaft vergrößert ist hier alles: übersättigt gelb die Kornfelder, neongrün die Wiesen, chemisch blau der Himmel, nichts ist natürlich an der Natur. Die Charaktere sind mit Messern geschnitzt, die japanischen Schwertschmieden schlaflose Nächte bereiten könnten: das phallische Riot-Grrrl mit der großen Knarre, der gefühlstumpfe Killer-Creep, skrupellose Pharmaverbrecher, Elfjährige, die sich online als Banker mit Porsche und Supermodelfreundin ausgeben. Auch die Geschichte um das Manuskript eines Comics (was sonst), in dem sich Hinweise auf die wahren Wurzeln von Verschwörungstheorien finden lassen: die eines Comics, Verzeihung: einer graphic novel — freigegeben ab 18.

Denn dann ist da die Gewalt. Keine stumpfe Ballereien, höchstens mal zwischendurch, sondern Brutalität für Connaisseure, Folter, vorgetäuschte Suizide, Ausdemwegräumen im ganz großen Stil. Die Übermacht einer Geheimorganisation, die sich Mitwisser ohne Zögern entledigt, Beweise für ihre Machenschaften vernichtet, erfordert auf der anderen Seite ebensogroße Rücksichtslosigkeit, wenn man trotz elektronischer Totalüberwachung von Handys und Internet bis zur allgegenwärtigen Videoüberwachung am Leben bleiben möchte.

„Where is Jessicy Hyde?“ steht in „Catastrophe“ (Channel 4, 2015) einmal auf einem T-Shirt von Sharon (Horgan), und dass das komisch ist (und wie komisch), erschließt sich erst, wenn man weiß, wie oft der kurzatmige, dickliche Killer mit der Deppenfrisur diese Frage in „Utopia“ stellt und welch drastische Maßnahmen er ergreift, wenn jemand die Antwort auf diese Frage nicht weiß.

Jessica Hyde (Fiona O’Shaughnessy) nämlich ist die kleine Schwester von Tank Girl, die sich gegen die Geheimorganisation The Network zu wehren weiß und dabei denen hilft, die in den heimlichen Krieg gegen alle Mitwisser nur hineingestolpert sind, weil sie sich für das Comic-Manuskript des zweiten Teils von „The Utopia Experiments“ interessieren, in dem Namen genannt und geheime Operationen aufgedeckt werden: Studentin Becky (Alexandra Roach), ITler Ian („Misfits“ Nathan Stewart-Jarrett), Verschwörungstheoretiker Wilson Wilson („Four Lions“-woman with a beard Adeel Akhtar) und Grant (Oliver Woollford), Schüler.

Sie sind fortan auf der Flucht, in erster Linie vor dem widerlichen Arby (Neil Maskell, der als Kioskbesitzer in „The Mimic“ zwar ein bisschen unheimlich, aber nicht ansatzweise so dämonisch war wie hier), und es ist eine Frage der Zeit, ob sie zuerst die Identität des geheimnisvollen „Mr. Rabbit“ lüften oder vom langen Arm der Geheimorganisation gefasst werden, die, so viel sei verraten, ebenso hinter BSE steckt wie hinter der Vogelgrippe. Und die, das wird in einem zweiten Handlungsstrang erzählt, Einfluss bis ganz oben im Gesundheitsministerium hat.

Dabei geht es um die sogenannte Bevölkerungsexplosion, Lebensmittelknappheit, den Kampf mit biologischen Waffen und die Pharmaindustrie, die aus alldem ihren Profit zieht, oder eben vielleicht doch nicht, wer weiß das schon. Es geht um den (typisch britischen) Kampf des „kleinen Mannes“ gegen „die da oben“, apokalyptische Angstphantasien von Totalüberwachung, staatlicher bzw. industrieller Allmacht, eine Art Orwell 2.0 also, um korrupte Politiker und, nun ja, eine Ästhetik des Widerstands, schließlich ist der Kampf gegen die faschistische Macht einer mit künstlerischen Mitteln, nämlich in Form eines Comics.

Es ist aber nicht die comic-typisch eher oberflächliche Geschichte, die die sechs einstündigen (brutto) Folgen der ersten Staffel ausmacht — es ist eben die Oberfläche. Dennis Kelly (der gemeinsam mit Sharon Horgan auch „Pulling“ geschrieben hat) hat „Utopia“ als Fest für Augenmenschen inszeniert. Die Ästhetik dieser Serie schließt an andere Channel-4-Serien wie „Skins“ (genau genommen E4, 2007 – 13), „Misfits“ (2009 – 13) und  „Black Mirror“ (seit 2011) an, die auch einen ähnlichen Ton haben: alle sind in erster Linie dunkle Dramen, haben aber komische Untertöne, und zusammen prägen sie eine recht distinktive Bildsprache des Senders.

Es ist mehr die Schönheit der Sprache, die „Utopia“ faszinierend macht, nicht das, was in dieser Sprache gesagt werden soll. Hier ist es dann wieder umgekehrt wie im Bauhaus: function follows form, aber was macht das schon, wenn die Form so ansprechend ist. Die Bilder, und nicht zu vergessen auch die Musik, denn die ist ebenfalls ziemlich gut, entwickeln eine fast schon hypnotische Macht, da will man nicht mit kleinkarierten Einwänden kommen, dass die „Aussage“ der Serie, die „Botschaft“ natürlich Käse ist. Aber wer braucht schon eine Botschaft — höchstens Staaten brauchen Botschaften.

Mächtige Bilder, viel Gewalt: passt also, dass „Utopia“ nun von David Fincher für HBO neu aufgelegt werden soll — von Gillian Flynn, die zuletzt das Buch für den ebenfalls ziemlich guten Thriller „Gone Girl“ geschrieben hat.