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Die Britcoms des Jahres 2015

29. November 2015 5 Kommentare

Dieses Jahr stehen, weil ich mein Blog übers Jahr ein wenig vernachlässigt habe, wohl doch ein, zwei Neuigkeiten in dem alljährlichen Humorkritik Spezial, das gerade in der Dezemberausgabe der Titanic erschienen ist.

FUCK POLITICS!

Zu welchen Waffen soll politische Comedy noch greifen, wenn sie von der Wirklichkeit so in den Schatten gestellt wird wie unlängst in Großbritannien geschehen? Kein Wunder, dass sich die Britcoms des Jahres vollends ins Private verabschiedet haben.

David Cameron und das #piggate: Wenn die Wirklichkeit erst einmal so weit ist, dass in den Köpfen von Millionen Menschen Bilder vom Penis des ersten Mannes im Staate in der Schnauze einer toten Sau entstehen, dann hat die Comedy ein Problem. Dann haben nämlich die Nachrichten zur Satire aufgeschlossen: 2011, in der ersten Folge „Black Mirror“ (Channel 4) malte Charlie Brooker aus, wie eine englische Prinzessin entführt wird und die Forderung der Erpresser eben die ist: dass der Premier (Rory Kinnear) live im Fernsehen ein Schwein, nun ja, beglückt. Worauf dieser, nachdem er die Sympathien der Öffentlichkeit verliert, schließlich eingehen muss. So verblüffend waren die Parallelen, dass Brooker sich genötigt sah zu erklären, er habe selbstverständlich von diesem Detail aus Camerons Biographie nichts gewusst. Woher auch.

Life imitates art: Wenn selbst derart drastische Scherze in den Bereich des Möglichen rutschen, was bleibt da der Britcom noch übrig? Die politischen Sitcoms 2015 jedenfalls suchten ihr Heil darin, zu einer harmloseren, einer realistischeren Realität zurückzukehren: die „Ballott Monkeys“ (Channel 4) von Andy Hamilton und Guy Jenkin („Outnumbered“) hielten sich vorwiegend in den Omnbiussen von vier Wahlkampf-Teams auf, die bis zur General Election im Mai unterwegs waren und produzierten so eine dialoglastige Serie, die zwar recht komische Momente hatte, der Aktualität geschuldet aber keine große Halbwertszeit.

„Asylum“ (BBC4) dagegen nahm sich der Kasernierung eines egomanen Whistleblowers (Ben Miller) in einer Londoner Botschaft an (Julian Assange lässt grüßen) und bediente mit stark überzeichneten Figuren einen recht burlesken Humor — das allerdings nur mit sehr durchwachsenen Resultaten.

Die zweite Staffel „W1A“ (BBC2) dagegen, der wiederum sehr satirische Blick auf das Innenleben der BBC, war abermals brillant, womöglich sogar besser als die erste Staffel, und sicher die beste Serie unter den vorgenannten.

Das aber war’s dann auch mit politischer Satire. Der Rest: bleibt in der Familie.

„Boy Meets Girl“ (BBC2) etwa: Da hört man direkt schon im Titel das Understatement, mit dem prompt in der ersten Szene schon gebrochen wird. Denn das girl (39) ist in diesem Falle nicht nur deutlich älter als der boy (26), sondern war bis vor Kurzem noch ein Mann, jedenfalls dem äußerlichen Anschein nach. Dass „Boy Meets Girl“ aber trotz des großen Themas Transexualität eine old school Britcom ist: das ist genau die Größe dieser Serie, die zu den besten neuen Comedys des Jahres zählt. Denn mit dieser Normalität, ohne billige Witze mit Männern in Frauenkleidern, ohne dass die Protagonistin Judy (Rebecca Root, tatsächlich trans) dabei sad, bad or mad wäre, wie das Fernsehklischee es bis dato gebot, gab es tatsächlich noch keine Show über Transexualität. Auch Amazon Videos hochgelobtes „Transparent“ etwa kommt ja ohne melancholisch-problematisierende Töne nicht aus. Hier aber wurden in englischen Kritiken sogar Vergleiche mit „Gavin & Stacey“ (BBC3, 2007 – 10) gezogen, einer der wärmsten Familien-RomComs des letzten Jahrzehnts. Und in der Tat: Hie wie da sind es kulturelle Unterschiede (bei „Gavin & Stacey“ war ihre Familie aus der walisischen working class und seine aus der gehobenen Mittelschicht des Londoner Umlands), die für Reibung sorgen — aber eben absolut lösbare, praktische Konflikte, die keiner moralischen oder ethischen Diskussion bedurften, sondern dessen, was Engländer am Besten können: Diplomatie und Kompromisse. Fair play FTW!

Das nun ist die eine Möglichkeit, die viele DomComs des vergangenen Jahres nutzen: Das Familienleben mit einer ungewöhnlichen Idee aufzubohren. So tut es beispielsweise auch die zweite Staffel des ebenfalls sehr schönen „Catastrophe“ (Channel 4, siehe das Britcom-Humorkritik Spezial vom letzten Jahr), in dem Sharon (Sharon Horgan) und Rob (Rob Delaney) sich kaum kennen, aber zusammen ein Kind erwarten. Dieses Jahr ist schon das zweite da. Oder, und darauf sind verblüffend viele Britcom-Autoren 2015 gekommen, man bedient sich bei seiner Vergangenheit und verlegt gleich die ganze Serie in die Siebziger — oder adaptiert seine Kindheit in die Gegenwart.

So machen es die Schwestern Caitlin und Caroline Moran, erstere Times-Kolumnistin, in ihrer Sitcom „Raised By Wolves“ (Channel 4). Die beschreibt die Adoleszenz ihrer Autorinnen als fröhlich hippiesker Bodensatz der Gesellschaft ohne Schulbildung und Vater, dafür mit drei Geschwistern und einer Mutter mit ordentlich Durchsetzungskraft. Vor allem der 16jährigen Hauptdarstellerin Helen Monks als pummelige Germaine (Caitlin) ist es zu verdanken, dass „Raised By Wolves“ einer der Geheimtipps des letzten Jahres geworden ist: Monks’ Mimik und ihre Präsenz geben ihrer übersexualisierten Figur eine Energie, die ihre Dampfplauderei über ihre Vagina, ihre Periode und ihre notorische Geilheit auf einen gleichaltrigen bully zu einem komischen Trommelfeuer werden lässt, das nicht nur ihre Schwester (und vermutlich manchen Zuschauer), sondern auch ihre Mutter Della in den Wahnsinn treibt: „Living with you’s been like having a horny gorilla in the house.“ Immerhin können geile Gorillas ja auch sehr komisch sein. Wenn man nicht mit ihnen zusammenwohnen muss.

„The Kennedys“ (BBC1) und „Cradle To Grave“ (BBC2) dagegen verlegen ihren Schauplatz direkt in die Siebziger, aber während sich die „Kennedys“ (von Emma Kennedy autobiographisch angelegt) fast ein bisschen zu sehr auf alte Klischees (und das Talent von Katherine Parkinson) verlassen, lebt Danny Bakers ebenfalls autobiographische Serie, eine Art „Only Fools And Horses“ (BBC1, 1981 – 91) in den Siebzigern, von etwas authentischeren Tönen. Und von Hauptdarsteller Peter Kay („Phoenix Nights“).

Den ich allerdings für seine andere Sitcoms dieses Jahres mehr loben möchte: „Car Share“ (BBC1), eine Art Sitcom-Kammerspiel, das fast ausschließlich die Autofahrten zur Arbeit und nach Hause erzählt, bei denen John (Kay) seine Kollegin Kayleigh (Sian Gibson) zum Supermarkt mitnimmt, in dem sie beide arbeiten. Minimalistisch (heißt: kostengünstig), aber sehr komisch, weil ideenreich: Schon in der zweiten Folge etwa wird das Prinzip aufgebrochen, und wir finden die beiden nicht auf dem Arbeitsweg, sondern in einer Trauer-Kolonne für den verstorbenen trolley collector, der, wie es seinem Job entsprach, in einem Sarg auf einer Schlange Einkaufswagen seiner Beerdigung entgegengeschoben wird. Schön, dass Peter Kay nach Jahren der Bildschirmabstinenz wieder zu sehen ist.

Eine der bösesten Sitcoms des Jahres aber hat zwar einen Briten in der Hauptrolle: Steve Coogan, der im United Kingdom allmählich vermisst werden dürfte. Sie stammt aber aus den USA: „Happyish“ (Showtime) von Shalom Auslander. Sarkastischer wurden die Abgründe von Werbeagenturen nie beschrieben als hier, in diesem „Mad Men“-Antidot, das sich nicht zu schade ist, Coca Cola mit Faschismus gleichzusetzen. Aber dafür, dass es die ganze Zeit um Depressionen, Judentum und jugendliche, soziopathische Vorgesetzte geht, die Thom Payne (Coogan) das Leben zur Hölle machen, ist es doch ziemlich komisch geworden.

Genau das richtige für allzu besinnliche Weihnachtstage also.

Mangels Platz auf einer Doppelseite fehlen auch dieses Jahr natürlich wieder etliche Serien, unter anderen „Pompidou“ (BBC1) und „Sun Trap“ (dito BBC1), die diesjährigen Star-Vehikel für Matt Lucas („Little Britain“) respektive Kayvan Novak („Fonejacker“, „Four Lions“). Weil aber beide Serien derart medioker waren — erstere in ihrem Versuch, „Mr. Bean“ als verarmten Adeligen zu kopieren, letztere in ihrem Versuch, Novaks Wandlungsfähigkeit in einen hanebüchenen Schmarrn um einen Undercover-Journalisten in Spanien zur Schau zu stellen –, ist es (glaube ich) kein Verlust, dass sie hier nicht vorkommen.

Wer glaubt, es fehlt eine relevante Britcom des Jahres (etwa die neunte und letzte Staffel „Peep Show“, die derzeit läuft), schreibe das bitte in die Kommentare. Dann hole ich das ggf. nach und kann wengistens in der kommenden Jahresendabstimmung nochmal was dazu sagen.

Dem Mainstream eine Lanze

11. Oktober 2015 Keine Kommentare

Wenn eine TV-Serie „Boy Meets Girl“ heißt, wie bereits 2009 eine ITV-Minserie und nun eine BBC2-Sitcom, dann kann man sich über eines sicher sein: dass der allzu banal-harmlose Titel eine Untertreibung ist, der man sofort anmerken soll: Hier geht es sicher um mehr, aber jedenfalls um etwas anderes, als dass ein Boy ein Girl trifft. Bei ITV war es damals eine body swap-Geschichte, in der ein simpel gestrickter Typ (Martin Freeman) und eine erfolgreiche Journalistin (Rachael Stirling) mit dem Körper und Leben des je anderen zurecht kommen müssen.

Die aktuelle „Boy Meets Girl“-Version ist da auf den ersten Blick eine viel klassischere Britcom: Der sechsundzwanzigjährige Leo (Harry Hepple), gerade arbeitslos geworden und noch bei seinen Eltern wohnend, verliebt sich in Judy (Rebecca Root), was vor allem bei Leos Mittelschichts-Mutter Pam (Denise Welch) auf wenig Begeisterung stößt. Schließlich sind Judys Mutter und Schwester sozial deutlich tieferstehend, ja, ein bisschen verrückt. Judy Mutter Peggy (Janine Duvitski, die sexuell deutlich zu aktive Seniorin aus „Benidorm“) ist sehr distanzlos und trägt ihr Herz ein wenig zu weit vorne auf der Zunge; Judys Schwester Jackie trägt für ihre Figur etwas zu köperbetonte Leopardenmusterklamotten.

Und Judy ist fast vierzig.

Da entstehend Spannungen, die an den frisch Verliebten zerren, ohne sie aber trennen zu können — mehr als ein bisschen fühlt man sich an „Gavin & Stacey“ (BBC3, 2007 – 10) erinnert, die enorm warmherzige Sitcom, die James Corden und Ruth Jones berühmt gemacht hat: realistisch erzählt, mit glaubhaften Konflikten, die durch soziale und kulturelle Unterschiede entstehen, mit vielen sympathisch beschädigten (Neben-)Figuren, aber immer getragen von dem britischen „Wir schaffen das“-Geist, der in den Mainstream-Serien von der Insel immer viel deutlicher weht als in den kleinen, bösen, schwarzen Minderheiten-Sitcoms (die aber, wie „Gavin & Stacey“, oft aus Steve Coogans Produktionsfirma Baby Cow stammen).

„Boy Meets Girl“ ist eine Mainstream-Sitcom im besten Sinne. Und das ist bemerkenswert, denn ihr Alleinstellungsmerkmal ist nicht, dass Judy ein gutes Dutzend Jahre älter ist als Leo. Sondern dass sie transexuell ist, Post-OP. In relativ späten Jahren, nämlich mit dreißig. Und dass ihre Transexualität realistisch erzählt wird: nicht zu hoch gehängt, nicht überdramatisiert, aber auch nicht als Bagatelle und obenhin.

Zum ersten Mal, nach all den Männern in Frauenkleidern der Fernsehgeschichte, nach all den oben schon erwähnten body swap-Geschichten, wird Transexualität als Teil des Alltags beschrieben, in dem nun einmal Konflikte zu bewältigen sind: Altersunterschiede, kulturelle, soziale — und eben auch Gender-Unterschiede. Und „Boy Meets Girl“ erzählt, dass das eben nicht (nur) die großen Konflikte sind, mit engstirnigen Stiernacken auf der Bowlingbahn (klar, mit denen schon auch). Sondern dass da Konflikte, innere und äußere, auch von kleineren Dingen entzündet werden können — wenn Leo etwa, so aufgeklärt und verliebt er ist, plötzlich doch einen Stich kriegt, wenn er ein Foto des gutaussehenden jungen Mannes sieht, der Judy vor ihrer OP einmal war.

Dabei vermeidet „Boy Meets Girl“ alle Witze auf Kosten von Transexuellen so schlafwandlerisch sicher, dass ich überhaupt erst jetzt, als ich es aufschreibe, bemerke, wie leicht dieses Unterfangen auch hätte schiefgehen können. Denn zum Beispiel sofort die erste Szene, in der Judy und Leo bei ihrem ersten Date in einem Restaurant sitzen und Judy nicht damit hinterm Berg hält, im falschen Körper geboren worden zu sein (ein Klischee, klar, aber ganz ohne geht es eben doch nicht), führt natürlich prompt zu einer social awkardness, die schnelle Lacher bringt: Natürlich erklärt sie genau in dem Momen: „I was born with a penis“ (der dritte Satz, der in der Serie fällt!), als der Ober neben dem Tisch zu stehen kommt (und sein britisch-stoischer dead pan-Gesichtsausdruck ist prompt viel lustiger, als wenn ihm vor Schreck das Tablett aus der Hand gerutscht wäre).

Es ist aber Leos Rekurrieren auf diesen Moment eine Viertelstunde später, der das rechte Licht auf alles wirft: „Ok, my turn“, flüstert er Judy zu, als er den Ober abermals nahen sieht, um ihr dann so laut zu erklären, dass es der Ober hören muss: „Just so you know, I am impotent.“ — „I’ll come back“, quittiert der. Ausgleich zum 1:1.

Denn das ist das Gute an „Boy Meets Girl“: Es kann sich nicht nur auf die Fahnen schreiben, als erste Sitcom Transexualität als Mainstream-Thema in die Normalität der Fernsehcomedy geholt zu haben, ohne dass seine Trans-Hauptfigur als „sad, bad or mad“ beschrieben würde, sondern es ist auch noch sehr solide komisch. Die Chemie zwischen Leo und seinem Bruder James (Jonny Dixon) erinnert an die der Brüder aus „Friday Night Dinner“ (Channel 4, seit 2011), der auch von der britischen Presse gezogene Vergleich zu „Gavin & Stacey“ kommt ohnehin einem Ritterschlag gleich, und auch sonst fehlt der Serie nichts zu einer typisch britischen Oldschool-Sitcom: Ihre Comedy kommt aus den Charakteren, mehr als aus Knaller-Onelinern, ja, ihr Humor ist nicht einmal allzu laut und grell, sondern eher hintergründig; die ganze Show ist angesiedelt in einer Zeit vor „The Office“ und all den abgründigen Bösartigkeiten, die auf „The Office“ gefolgt sind.

Drei Jahre war „Boy Meets Girl“ in Entwicklung, die Serie ist das Ergebnis des Trans Comedy Award, den die BBC 2012 zusammen mit AllAboutTrans veranstaltet hat. Rebecca Root ist selbst transexuell und hat langjährige Erfahrung als StandUp-Comedienne. Elliott Kerrigan, Autor der Show, hatte selbst keine Berührungspunkte mit dem Thema, anders als Jill Soloway, die mit „Transparent“ (Amazon Video, 2015) eine ähnliche Serie erzählt, bei der es allerdings mehr darum geht, wie die erwachsenen Kinder damit zurecht kommen, dass ihr Vater Mort (Jeffrey Tambor, „Arrested Development“) auf seine alten Tage damit herausrückt, dass er transgender ist. Der seinerseits zwar womöglich nicht mad oder bad ist, aber doch ein bisschen sad.

„Boy Meets Girl“ spart sich das Drama, das „Transparent“ (so verdienstvoll diese Serie ansonsten auch ist) der Comedy noch anhängen muss — und ist tatsächlich auf eine altmodische Art warm, komisch und britisch. Und deshalb ziemlich weit vorne.