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Die heitere Seite des Afghanistankriegs

26. März 2013 4 Kommentare

Offenbar hat die BBC eine neue Lust an provokativen Comedy-Settings entwickelt: Vor Monatsfrist war „Way To Go“ zu sehen, eine Serie, in der ein paar junge Männer auf unkonventionelle Weise bezahlte Sterbehilfe an alten und kranken Mitbürgern leisten, nun läuft seit drei Wochen „Bluestone 42“, in der ein paar junge Männer bezahlte Sterbehilfe an bewaffneten Afghanen leisten. In Afghanistan. Im Rahmen des britischen Auslandseinsatzes bei der Operation Herrick.

Bzw., um etwas weniger polemisch zu sein: Es geht bei „Bluestone 42“ (gesprochen „four-two“) um die gleichnamige Militäreinheit rund um Captain Nick Medhurst, die vorwiegend mit dem Entschärfen von Bomben und Minen auf afghanischen Feldwegen beschäftigt ist. Was, zumal im Rahmen einer Sitcom, gewiss ehrenhafter ist, als in die Landsitze irgendwelcher Warlords einzudringen und dort alles wegzuballern, was sich bewegt. Genau das tun die Jungs von „Bluestone 42“ allerdings ebenfalls. Was immer noch kein grundlegendes Problem wäre, wenn wir beispielsweise eine Satire von Charlie Brooker und/oder Chris Morris vor uns hätten, die so wie „Four Lions“ (2010) funktioniert. „Bluestone 42“ aber will gar nicht böse, schwarz und entlarvend sein — im Gegenteil. Und genau hier beginnen meine Probleme mit der Serie.

Vorderhand ist „Bluestone 42“ nämlich betont harmlos. Es gibt den gutaussehenden Lead Nick (Oliver Chris, „The Office“), zwei Kompanietrottel aus Schottland, einen farbigen und so begriffsstutzigen wie eifrigen Adjutanten für Nick, einen Möchtegern-Offiziersanwärter mit Aggressionsproblemen (Stephen Wight, „Whites“), einen gutwilligen, aber merkwürdigen Chef (Tony Gardner, „Lead Balloon“), eine toughe Frau im Team und eine attraktive, aber für Nick unerreichbare außerhalb des Teams; sprich: einen wohlüberlegt zusammengesetzten, fein austarierten Cast für eine klassische Sitcom.

Ebenso wohlüberlegt sind die Autoren James Cary (Betreiber des Blogs „Sitcom Geek“) und Richard Hurst an die Details von „Bluestone 42“ gegangen: sie haben sich ausführlich beraten lassen, um nur ja der Situation echter Soldaten in Afghanistan gerecht zu werden, realistisch zu bleiben und ein glaubwürdiges Bild vom Einsatz zeichnen zu können. Alles in der Serie schreit „angemessen“, wo nicht sogar „ausgewogen“. Alle sind nett zueinander. Streckenweise hat man das Gefühl, man schaut nur zu, um Teil dieser sympathischen Truppe sein zu können und mit dabei zu sein, wenn die Jungs sich beim allgegenwärtigen banter gegenseitig necken.

Was sie auf durchaus hohem Niveau tun: Cary und Hurst sind altgediente Sitcom-Recken, „Vollprofis“, wie wir Vollprofis sagen. Auf ihr Konto geht, und nun wird es interessant, unter anderem „Miranda“ (BBC2/1 seit 2009), also jene Sitcom um eine erwachsene Frau, die mit dem Gemüt einer Elfjährigen und dem Körper eines übergewichtigen Clowns gesegnet ist, ständig über ihre eigenen Füße fällt und permanent „Behave!“ ruft, wenn jemand etwas auch nur halbwegs anzügliches sagt. Diese Serie ist absoluter Mainstream und unglaublich erfolgreich in Großbritannien; wenn auch meiner Vermutung nach nicht bei einem jungen Publikum, das sonst nur tiefschwarze Fäkalhumorserien guckt. „Miranda“ ist nett, und genauso nett ist „Bluestone 42“ auch, wenn auch mit einem vollkommen anderen Charakter als „Miranda“, versteht sich.

„Bluestone 42“ ist, mit anderen Worten, an der Oberfläche keineswegs schlecht, sondern durchaus guckbar, und die Kritiken in England loben es (überwiegend) sehr: das Ensemble ist hochkarätig besetzt und wunderbar synchron, die Dialoge sind pfiffig, die Dramaturgie läuft wie ein Uhrwerk — aber in mir bleiben Zweifel, ob man einen bewaffneten Konflikt — ach, sagen wir doch: Krieg, einen Krieg wie den in Afghanistan mit den Mitteln einer Mainstream-Sitcom (die „Bluestone 42“ sein möchte, obwohl sie ein BBC3-Comedydrama ist) anpacken kann. In der es dann eine Pointe ist, dass ein Haus, aus dem ein afghanischer Scharfschütze auf die Briten schießt, einfach mit einer Panzerfaust in die Luft gesprengt wird.

*** Achtung, es folgt ein kleinerer Spoiler! ***

In der ersten Folge schon greifen die Autoren (Profis, wie gesagt) genau dieses Dilemma auf und führen ein amerikanisches Großmaul von der CIA ein, das mit Anekdoten vom zweiten Golfkrieg prahlt. Für diesen Supertrottel ist Falludscha sein „Nam“, und als der Depp prompt erschossen wird (eine gar nicht schlechte Wendung, direkt am Anfang der ersten Episode), wird „Falludscha“ prompt zu einer eigenen Pointe, einer kleineren Catchphrase; und das darf man dann schon mal ein bisschen problematisch finden. Selbstverständlich bremst Captain Medhurst seine Mannschaft sofort mit einem „Too soon!“, wenn der Tod des CIA-Heinis allzu schnell Gegenstand von Unernst wird, aber auch dieses „Too soon!“ ist klarerweise eine eigene Punchline, die auch als solche eingesetzt wird und die uns Publikum sagen soll: Jaja, wir wissen, wie heikel es ist, einen noch andauernden Krieg zur Grundlage einer Sitom zu machen. Ein Minenfeld, nicht wahr? Harr, harr.

*** Ende des Spoilers ***

Vielleicht, nein, ziemlich sicher hat die britische Öffentlichkeit ein grundsätzlich anderes Verhältnis zu Auslandseinsätzen ihrer Armee als die deutsche zu Auslandseinsätzen von deutschen Soldaten. (Die deutsche scheint mir im Grunde gar keines zu haben, ich kann mir nichts als leere Gesichter vorstellen, wenn man in Deutschland eine Comedyserie rund um deutsche Soldaten im Ausland vorschlüge.) Vielleicht bestimmt dieses andere Verhältnis auch meine Perspektive auf „Bluestone 42“. Vielleicht, und das ist natürlich ein unbefriedigendes Ende für einen Blogeintrag, ist also auch alles ganz anders und „Bluestone 42“ tatsächlich jetzt schon ein kleiner Klassiker, ein neues „M*A*S*H“ oder ähnliches. Dann müsste ich meine Meinung natürlich revidieren.

Andererseits halte ich Oliver Chris einfach nicht für Hauptrollenmaterial. Also: ätschibätschi!

Ladykillers

31. Januar 2012 Keine Kommentare

Ich war übers Wochenende in London und habe die Gelegenheit genutzt, seit gefühlten hundert Jahren mal wieder ins Theater zu gehen: „The Ladykillers“, mit Peter Capaldi, Ben Miller und Stephen Wight, in einer Neufassung von Graham Linehan. Ich bin weiß Gott kein Theaterfan (anachronistische Kunstform, meine Meinung), aber das war gut.

Im Gielgud Theatre im West End jedenfalls herrschte vom ersten Moment an aufgeräumte Stimmung unter den Besuchern der 19.45 Uhr-Vorstellung; offenbar waren die meisten direkt nach der Arbeit gekommen und dementsprechend auch nicht sonderlich herausgeputzt. Es war eine eher zwanglose Atmosphäre, in der verblüffend viel Veuve Clicquot gesüffelt wurde, die Ausgelassenheit war, kein Wunder, die einer Kindervorstellung, in der das Publikum auf die Ansprache des Polizisten in der ersten Szene („Good evening, folks!“) auch prompt unisono antwortete („Good evening, Constable!“). Toll.

Es war überhaupt alles toll: Graham Linehan, Autor von „Father Ted“, „Black Books“ und „The IT Crowd“, hat das Drehbuch zum Film von 1955 (damals mit Alec Guinness, Peter Sellers und Herbert „Inspector Dreyfus“ Lom in den Hauptrollen) fantastisch auf die Bühne übersetzt, sprich: auf seine charakteristische Art mit Wortwitz und Slapstick beschleunigt und mit surrealen Elementen ergänzt, wo die Handlung sonst nicht vorangekommen wäre. Capaldi („The Thick of It“), Miller („The Miller & Armstrong Show“) und Wight (der Skoose in „Whites“) sind auf der Bühne genauso gut wie vor der Kamera. Und Bühnenbild wie -Technik verdienen eigene Auszeichnungen: Wie sie das hinbekommen haben, das windschiefe Haus aus dem Film auf die Bühne zu stellen, war sensationell.

In „The Ladykillers“ vermietet die schrullige alte Mrs. Wilberforce ein paar Zimmer ihres vom Bombenkrieg in Mitleidenschaft gezogenen Häuschens an einen gewissen Professor Marcus (Guinness/Capaldi) und seine Spießgesellen (u.a. Sellers und Lom/Wight und Miller). Diese sind aber keineswegs, wie sie vorgeben, Musiker, die im Quintett Streichmusik machen, sondern Gauner, die es auf einen Geldtransport abgesehen haben. Mrs. Wilberforce‘ Häuschen liegt idealerweise nahe Kings Cross und direkt an der Bahnlinie, und Marcus‘ genialer Plan ist es, Mrs. Wilberforce ohne ihr Wissen als Fahrerin einzusetzen, die die Beute unter den Augen der Polizei in einem Koffer aus dem Bahnhof holt. Das gelingt ihr; es sind sogar Polizisten, die ihr dabei helfen, den schweren Koffer zu transportieren.

Allerdings stiftet die Alte nicht nur unabsichtlich immer wieder Chaos, sie ist, nachdem sie die Bande durchschaut hat, auch resolut genug, von den Gangstern zu verlangen, ihre Beute zurückzugeben. Was für die Räuber bedeutet, dass ihnen nichts übrig bleibt, als die zierliche, schwache, alte Lady aus dem Weg zu räumen. Nur: Wer macht’s? Am Ende, nach mehreren Verfolgungsjagden durch das Haus und über das Dach, sind alle Gangster tot, und die Polizei, die Mrs. Wilberforce von Anfang an kein Wort geglaubt hat, bittet sie, kein Wort mehr über ihre hanebüchenen Erlebnisse zu verlieren und das viele Geld doch bitte zu behalten.

Im Bühnenbild der Theaterfassung sind die minimal gekippten Senkrechten des Films zu schiefen Ebenen geworden; da gibt es keine einzige Waage- oder Senkrechte mehr, und das auf gleich drei Etagen. Mit Effekten wird nicht gespart: Wenn ein Zug vorbeifährt, flackert nicht nur das Licht und Rauch kommt zum Fenster herein, nein: da tanzen auch Stühle und Tische, und zwar auf die erkennbar unnatürlichste (und deshalb sehr komische) Weise. Der Raubüberfall, schlecht auf der Bühne zu zeigen, wird mit ferngesteuerten Autos nachgespielt, und zwar an der äußeren Hauswand der Drehbühne, die dank geschickter Beleuchtung im Handumdrehen zum Aufriss eines ganzen Stadtviertels wird. Und ganz am Ende, als der allein übrig gebliebene Professor Marcus fliehen möchte, wird die dritte Bühnenwand zum Tunnel, aus dem ein Zug herauszufahren scheint — wie sie das genau hinbekommen haben, ist mir bis jetzt nicht ganz klar. Verblüffend jedenfalls.

Linehan war klug genug, sich von dem Film weit zu lösen und, statt sklavisch das Original zu reproduzieren, lieber mit den Charakteren zu spielen, ihnen Raum zu geben, der im extrem ökonomisch arbeitenden Film nicht möglich gewesen wäre. (Der Film ist übrigens nach heutigen Maßstäben sehr langsam, geradezu verschnarcht, aber das ist wohl auch kaum anders zu erwarten — nach mehr als einem halben Jahrhundert.) „Reservoir Dogs“ habe einen großen Einfluss bei der Entstehung gehabt, erklärt Linehan in einem Interview, und in der Tat hat das Stück fast mehr mit den psychologischen Verwicklungen der Gangsterbande in Tarantinos Film gemein als mit der Ealing-Studio-Comedy der Original-„Ladykillers“.

„I don’t really do subtlety“, erklärt Linehan, große Set Pieces, Farce und überraschende Verschränkungen von Storylines seien eher sein Ding. Militärs mit großen Schnurrbärten, Bösewichter, die herumschleichen wie Nosferatu, und kleine alte Ladys, die wie die Omis in „Sylvester und Tweety“-Cartoons sprechen und sich bewegen, würden ihn mehr reizen. Ideale Voraussetzungen also für Theaterkomödien. Jetzt würde ich noch gerne die neue Filmfassung von Linehan sehen. Na ja, unwahrscheinlich, nachdem die Coen-Brüder erst 2004 ihre Version in die Kinos gebracht haben.