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Die Top-10-Britcoms der 00er-Jahre: Platz 3

cringe 1 ~ (at), move (the body) back or down in fear: The dog ~d at the sight of the whip. 2 behave (towards a superior) in a way that shows lack of self-respect; be too humble: a cringing beggar; to ~ to/before a policeman.

Oxford Dictionary of Current English, 1974

Komik durch Fremdschämen, größte Verlegenheiten und peinliche soziale Situationen herbeizuführen, ist keine Idee der Nullerjahre: Schon die Pythons haben im „Flying Circus“ mit dieser Spielart der black comedy gearbeitet. Sie ist nicht einmal etwas spezifisch englisches: Auch „Frasier“ (1993 – 2004) lebte zu einem guten Teil davon, daß sich Frasier (und Niles) regelmäßig selbst in mißliche Lagen manövrierten. Doch die Peinlichkeitslust (wenn man diesen Terminus parallel zur Angstlust einführen möchte) begann im britischen Fernsehen Mitte der Neunziger mit Steve Coogans „Knowing Me, Knowing You… With Alan Partridge“ (1994), blühte Ende der Neunziger mit „I’m Alan Partridge“ auf (1. Staffel 1997, 2. Staffel 2002) und hat seitdem ein Hoch: die „Ali G Show“ (2000) und Sacha Baron Cohens anschließende Filme „Borat“ und „Brüno“, „Peep Show“ (2003 – ), viele Serien aus Coogans Baby Cow-Produktionsgesellschaft: „Human Remains“ (2000), „Marion and Geoff“ (2000 – 03), „Nighty Night“ (2004 – 05); außerdem etwa Charlie Brookers und Chris Morris‘ „Nathan Barley“ (2005).

Wenn man genauer hinsieht, erkennt man, was viele dieser Produktionen eint: Sie haben auf die eine oder andere Weise postmoderne Elemente, beschäftigen sich selbstreflexiv mit den Medien, konkreter: mit dem Fernsehen, oder mit der Wirklichkeit und ihrer Konstruktion in den und durch die Medien. Cohen tut dies (zumindest semi-) dokumentarisch, wenn er mehr oder weniger unbedarfte members of the public vor die Kamera stellt und sie sich dort blamieren läßt (aber sein Material stark bearbeitet), Coogan fiktional, indem er einen Fernseh-/Radiomoderator erfindet, der sich vor uns, seinem Publikum, durch inakzeptables Sozialverhalten selbst erniedrigt, und die Serie, die es auf Platz drei der Top-10-Comedys der aktuellen Dekade gebracht hat, treibt die postmoderne Reflexion auf die Spitze, indem sie sich mit („Reality“-) TV zum einen und mit Comedy selbst zum anderen beschäftigt und so in ungeahnte Höhen (oder Tiefen?) der Peinlichkeit vorstößt:

Platz 3: „The Office“ (2001 — 2003, BBC2)topten03b

David Brent (Ricky Gervais) ist der Boß aus der Hölle: Einer ohne jegliches Einfühlungsvermögen, ohne Autorität, der nicht nur von allen gemocht und als Freund betrachtet werden möchte, sondern Anerkennung für ein Talent einfordert, dessen völliges Fehlen jedem im Großraumbüro schmerzhaft bewußt ist außer ihm selbst: das Talent, komisch zu sein. Er hält sich für einen „chilled-out entertainer“, ist Fan von Fernsehcomedy (nennt sein Pub-Quiz-Team dementsprechend „The Dead Parrots“) und möchte vor der Dokumentar-Filmcrew, die ihn und seine Angestellten begleitet, stets den besten Eindruck hinterlassen. Seine unsicheren Blicke in die Kamera, seine Angebereien betreffen uns, sie sind an uns, die Zuschauer (und Comedyfans) vor dem Fernseher gerichtet und machen „The Office“ so schmerzhaft wie kaum eine andere Sitcom davor oder danach. Die Hölle, das sind auch hier die anderen, nämlich die, von denen David Brent geliebt werden möchte, und die ihrerseits kaum herauskommen aus der Dilemma-Hölle zwischen der Verzweiflung Brents und seiner Verblendung, ein begabter Unterhalter zu sein.

Der fake documentary-Stil von „The Office“ war zunächst aus rein praktischen Erwägungen entstanden: Stephen Merchant durchlief 1998 das „Trainee Assistant Producer Scheme“ (TAPS) der BBC, in dessen Rahmen ein kurzer Feature-Film produziert werden sollte. Merchant entschied sich, mit Gervais etwas Fiktionales zu drehen anstelle der üblichen Mini-Reportagen, und da sie das Kamerateam für nur einen Tag hatten, war es das schnellste, dokumentarisch vorzugehen: Das bedeutete, daß man auf Beleuchtung, Geräusche und narrative Setups keine Rücksicht nehmen mußte. Damit hatten sie sich im wesentlichen aus den gleichen Gründen für einen Docusoap-Ansatz entschieden wie zur gleichen Zeit (und bis heute) viele Fernsehstationen: Es war billiger und ging schneller.

Bald war jedoch klar, daß genau dieser Docusoap-Stil auch das beste Transportmittel war für die desaströsen Comedyversuche Brents. Der hofft, daß seine Zitate und Verweise auf Comedy oder komisch gemeintes (wie den sprechenden Plastikfisch an der Wand) auf ihn abfärben und ihn als komischen Typen dastehen lassen; nicht selten schiebt er, um ganz sicher zu gehen, daß er richtig verstanden wird, auch noch einen Appendix an Erklärungen und Quellenangaben hinterher. Er selbst ist allerdings nie lustig, allenfalls hysterisch, wenn er etwa mit einem aufblasbaren Riesenpenis herumimprovisiert, den Tim zum Geburtstag geschenkt bekommen hat, und wird sofort bitter ernst, als es um eine seiner catchphrases geht:

Brent: Remember, you’re only as old as the woman you feel.

Gareth: I say that sometimes.

Brent: Yeah, I heard you say it the other day, and I thought, „He’s using one of my catchphrases“. I dont’t mind influencing a younger comedian — you’re not a comedian — but, you know, I usually credit someone if I use their comedy.

Die Verwechslung von Comedy-Referenzen mit Comedy erreicht ihren Höhepunkt, als Brent bei seiner Motivationsrede über einen Mann aus der Papierindustrie zu reden beginnt, Eric Hitchmough, und sich diesen sowohl als Basil Fawlty wie auch als Columbo vorstellt:

Brent: Imagine if Eric was a Los Angeles detective. Be a bit weird, wouldn’t it? „Um, yeah… One final thing, my wife loves you… and I don’t agree with that in a workplace!“ What’s that, Eric? You’ve given up being a Los Angeles detective and started running a hotel in Torquay? „Yes! Don’t mention the war! I mentioned it once, but I think I got away with it and I don’t agree with that in a workplace!“

Ricky Gervais spielt David Brent, der Eric Hitchmough imitiert, wie er John Cleese als Basil Fawlty nachäfft, der Adolf Hitler darstellt — postmoderner wird’s nicht.

„The Office“ trat auf den Plan, als die Unkenrufe zum Zustand der britischen Comedy kaum noch zu überhören waren: „Is this the end for TV Sitcoms?“ fragte die Daily Mail, „Something is rotten in the state of TV comedy“, witterte der Daily Telegraph), während der Guardian Fernsehcomedy mit  „Both feet in the grave“ sah (alle zitiert nach dem empfehlenswerten „The Office“ von Ben Walters) — daß aber wenige Wochen später mit „The Office“ eine Sitcom auf den Plan treten sollte, die die Maßstäbe für Jahre setzen sollte, war auch nach der Ausstrahlung der ersten Staffel nicht sofort klar: „The Office“ hatte marginale Quoten, fuhr für BBC2 die geringste Publikums-Zustimmungsrate des Jahres 2001 ein (abgesehen von der Übertragung vom Frauen-Bowling) und wurde von vielen Zuschauern nicht einmal als Comedy erkannt. Einige Jahre später war es die meistverkaufte Britcom-DVD aller Zeiten, verkauft an Sender in sechzig Länder und in einer US-Version adaptiert, die mittlerweile in der sechsten Staffel ist.

  1. Ralf
    23. November 2009, 17:04 | #1

    Für mich persönlich nicht nur die beste Britcom der 00er-Jahre, sondern eine der allerbesten Sitcoms überhaupt.

  2. 23. November 2009, 17:14 | #2

    Gleichzeitig haben es die Herren Merchant/Gervais geschafft, mit der Beziehung von „Tim“ und „Dawn“ eine wunderbare und zu keiner Zeit kitschige oder peinliche Liebesgeschichte unterzubringen. Hut ab.

  3. Ralf
    23. November 2009, 17:22 | #3

    Das stimmt. Ein Element, dessen Bedeutung für die Serie der Husmann bei seiner mäßigen Adaption glatt übersehen hat (na ja, nicht nur dieses).
    Gervais hat mal sinngemäß gesagt, die Leute hätten eingeschaltet wegen David Brent und wären drangeblieben wegen Tim und Dawn.

  4. 23. November 2009, 22:48 | #4

    Ob es wirklich eine der besten Sitcoms aller Zeiten ist, weiß ich nicht, aber nach jahrelangem, sporadischen Überlegen, welche Office-Version von den drei mir bekannten – US/UK/Stromberg – die beste ist, würde inzwischen sagen, dass es die hier besprochene UK Variante ist. Die US-Version war zuletzt nicht besonders lustig, Stromberg schlägt sich wieder ganz wacker, aber den nimmt ja sein Sender nicht wirklich so Ernst hat man den Eindruck.

    Schade ist, dass Ricky Gervais jetzt im Gegenteil des seiner Zeit sehr innovativen, mutigen und schlauem Office zu sehen ist: in albernen Hollywoodfilmchen.

  5. Jeun
    24. November 2009, 09:44 | #5

    Die Spannung steigt… ich hätte gewettet, The Office wäre noch weiter vorne

  6. Ralf
    24. November 2009, 11:09 | #6

    Obwohl mir im Zweifelsfalle die UK-Version auch lieber ist, finde ich die US-Variante trotzdem toll. Die hat sich m.E. schön zu einer eigenständigen Serie entwickelt. Da wurde wirklich prima adaptiert und entsprechend den Anforderungen für viel mehr Folgen auch glaubhaft ausgebaut. Michael Scott (die Brent-Figur) wurde insoweit als fähiger Verkäufer etabliert, dass glaubwürdig ist, dass er in seinem Job verbleibt, zahlreiche Nebenfiguren mit eigenen Geschichten wurden eingeführt und sogar die Tim/Dawn (Jim/Pam) Geschichte funktioniert recht gut über den langen Zeitraum hinweg. Natürlich gibt es auch immer mal wieder Folgen, die etwas durchhängen, insgesamt aber finde ich die Serie sehr lustig und habe großen Spaß daran (auch wenn der Humor deutlich weniger „cringe“ ist). Ein Vergleich mit dem britischen Original findet – bei mir zumindest – auch gar nicht mehr statt.

    Bei „Stromberg“ dagegen merkt man, dass die zündenden Ideen fehlen und sowieso ist das schon immer eher eine manirierte One-Man-Show gewesen. Wenn man’s mag, gibt’s wahrscheinlich nichts besseres. Mich dagegen nervt das nur noch.

  7. René nicht R.
    26. November 2009, 13:10 | #7

    Mal eine andere Frage:

    Wird „Curb“ in eine achte Staffel gehen oder ist Sense? Weiß Wer mehr?

  8. 26. November 2009, 13:13 | #8

    ich glaube nicht, daß das vor dem ende der aktuellen siebten staffel entschieden wird.

  9. René nicht R.
    26. November 2009, 13:26 | #9

    Die Staffel ist seit Sonntag beendet, wenn ich mich nicht irre.

  10. René R.
    26. November 2009, 13:33 | #10

    Larry David denkt anscheinend noch darüber nach, aber mal ehrlich: Was könnte nach dem Finale der siebten Staffel noch kommen?

  11. René nicht R.
    26. November 2009, 13:38 | #11

    Ich würde auch sagen, daß es ein gutes, unsentimentales (durchaus) happy ending war….

  12. Tim
    27. November 2009, 00:26 | #12

    Aber es war auch ambivalent genug, um noch eine weitere Staffel folgen lassen zu können. Wie üblich wird Larry David warten, wie viele Ideen sich so ansammeln und ob es ihm noch Spaß bereitet. Warten wir es ab!

  13. 27. November 2009, 00:40 | #13

    oha, tatsächlich, hab ich ganz aus den augen verloren. – tatsächlich, ein schönes ende. sehr lustig die szene mit michael richards, der einen schwarzen beschimpft und dabei gefilmt wird! und noch lustiger, daß larry david als george tatsächlich ungefähr genauso gut war wie in „whatever works“.

  14. Tim
    27. November 2009, 01:50 | #14

    Meine Lieblingsfolge war die mit dem Bauchfett. Die Schlußszene ließ mich minutenlang lachen.

  15. Ralf
    27. November 2009, 09:59 | #15

    Ich finde auch, dass das ein schönes Ende für die Serie wäre. Da schließt sich ein Kreis. Aber es ist ja tatsächlich so, dass er jedesmal sagt, „schaun mer mal“ und dann geht’s doch weiter.

    Ich find ja immer die Szenen mit Marty Funkhouser sehr lustig („I’m an orphan.“). Auch diesesmal, wenn er zur Probe kommt und Jerry dann diesen Witz erzählt.

  16. 27. November 2009, 18:18 | #16

    @Oliver
    Ich bin schon vorher beinahe vor Lachen zusammengebrochen, als der Schwarze bei Michael Richards klingelte und er mit einem „Oh my god. Look, I made a mistake… It’s been 3 years – don’t hurt me…. PLEASE!!!“ die Tür öffnet.

  17. René nicht R.
    27. November 2009, 19:27 | #17

    Marty Funkhouser ist unfassbar. Erinnert mich manchmal an Max Headroom nach Stimmbandverätzung

  18. René nicht R.
    29. November 2009, 23:41 | #18

    Verzeihung. War ein Scheisskommentar

  19. Torsten
    8. November 2011, 23:31 | #19

    Habe lange Zeit nur Stromberg gekannt und fand es eigentlich nicht schlecht. Habe jetzt allerdings das UK-Office kennen gelernt, und muss sagen, dass diese Version eindeutig besser ist. Stromberg ist doch eher auf schnelle, vordergründige Kalauer und One-Liner ausgerichtet, wärend The Office deutlich feiner und nuancierter ist und die Figuren mehr Charme haben.
    Habe gerade die erste Folge der 5. Staffel Stromberg gesehen und war schon nach wenigen Minuten bedient: Die Figuren kennt man nun wirklich in- und auswendig, die Gags sind sowas von austausch- und vorhersehbar, und der Oneliner- und Metapher-Overkill der dauerplappernden Hauptfigur nervt nur noch. Gerade The Office/Stromberg ist ein perfektes Beispiel dafür, wie in der deutschen Comedy Plattheit, Vordergründigkeit und Brachialität vorherrschen, wo in UK und USA Komik durch Subtilität und Hintergründigkeit entsteht.

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