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Dumm zu sein bedarf es wenig

Die frühen Zeiten waren die besten. Damals, in der wilhelminischen Schlußphase des Kaiserreichs, hatten sich die Wege von Nachrichten und Feuilleton noch nicht geschieden … Sagen wir es ungescheut: Richtig gut war das Feuilleton nie. Seine Verdienste konnte es trotzdem haben, und zwar nach Maßgabe der Beherztheit, die es benötigte, um überhaupt zu existieren … Besonders intelligent war das Feuilleton zwar nie, in seinen Blütezeiten aber machte es das durch Kampfesmut wett.

Absoluter Quatsch? Richtig, aber wenn man „Feuilleton“ durch „Kabarett“ ersetzt, „Burkhard Müller“ drunterschreibt und es im SZ-Feuilleton veröffentlicht, gehen heute die undifferenziertesten Pauschalurteile, der ahnungsloseste Schmock und die größte Borniertheit als Aufmacher durch. Wer so verallgemeinert („kein Wort drängt sich bei den heutigen Darbietungen des Kabaretts so sehr auf wie: Geschenkt!“), der offenbart wenig mehr, als daß er von der Kunstform, die er kritisiert, keinen rechten Begriff hat, nichts weiß von ihrer Funktionsweise und auch nicht von den Facetten, in die sich das Genre seit tausend Jahren diversifiziert hat. Das Kabarett als Zwillingsbruder des Karnevals: Starke Worte findet man natürlich jederzeit, wenn man, wie Müller es heute tut, den Henryk M. Broder der Kabarettkritik gibt, alles in einen Topf wirft, kräftig umrührt und dann zum Schluß kommt: Schmeckt ja gar nicht! Geistreich ist es allerdings nicht, genauso wenig wie das „selber doof!“, mit dem Müller auf die notwendigerweise zuspitzende Politik- und Gesellschaftskritik seitens des Kabaretts reagiert: „Wenn man gar zu genußvoll die Dummheit der anderen verhöhnt, wird man selber dumm“ — das steht wirklich so da: Selber doof!

Das soll nun keine pauschale Verteidigung des Kabaretts sein — eine solche wäre ja nun genauso undifferenziert wie Müllers Verdammung. Es gibt bestimmt unterkomplexes Kabarett. Es gibt aber auch anderes. Was allerdings jemand, der Eseleien als Apercus verkaufen möchte, vermutlich nicht wahrnimmt. Anders läßt sich die Schlußbemerkung Müllers nicht bezeichnen, die Seehofers Bemerkung von den wackelnden Alpen und dem schäumenden Chiemsee, dem Tsunami und der Westerwelle als „Lichtblick fürs Kabarett“ feiert, damit am Ende des Texts eine Pointe steht. Denn wenn die Bemerkung eines Politikers ein Lichtblick fürs Kabarett wäre, könnte Müller ja getrost auch das Feuilleton Seehofer überlassen — da findet sich bestimmt eine Bemerkung, die man als Lichtblick verstehen könnte. Geschenkt.

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  1. Karlheinz Damerow
    8. März 2010, 14:21 | #1

    Dummer Totredner des Kabaretts

    Die Sozialen Demokraten Deutschlands, als Feuermelder gegen ungebremst inhumane Machtausübung vor Brandt, sind letztlich durch Schmidt und ultimativ durch Schröder eliminiert, ihre politische Substanz nach Abspaltung der Grünen und nach der Vereinigung mit der SED auf drei Politvereine verteilt. Wenn Burkhard Schmidt verkündet, Kabarett sei Ausdruckform von Sozialdemokratie gewesen, dann nähert er sich der Wahrheit, wenn auch auf eher weniger gewollten Umwegen.

    Sozialdemokratie vor mehr als vierzig Jahren war Kabarett, hieß Schweinereien der Mächtigen und der „Nach-wie-vor-Nazis“ an den Pranger stellen. Das hatte häufig etwas von Rebellentum, David gegen Goliath und setzte nicht selten wohl auch das Eingehen eines persönlichen, sogar existenziellen Risikos voraus. Das ist aber kein unabdingbares Merkmal von Kabarett.

    Entscheidend war und ist das „An-den-Pranger-“, das „Zur-Schau-stellen“ eines Missetäters vor möglichst vielen Augen und Ohren, egal was man dabei riskiert. Das geschieht natürlich nicht besonders effektiv in den schummrigen Ecken irgend einer Kleinkunstbühne, wo Kabarett-Profis halt ihren mageren Lebensunterhalt bestreiten müssen, sondern da, wo möglichst auch jeder Blödzeitungs“leser“ und ohne Eintrittskarte vorbeikommt. Das war einmal der Marktplatz. Heute ist es das Internet (mit zunehmend unkalkulierbarer Zielgenauigkeit) und noch immer am effektivsten das Fernsehen.

    Wie gut die Kabarettisten Lerchenberg und Springer waren, zeigt doch allein schon das Nichterscheinen des Spaßpolitikers und Rächers der Besserverdienenden auf dem Nockherberg. Wenn „Derbleckte“ versteinert grinsen oder gar dem ganzen Saal die Spucke weg bleibt, dann zeigt sich doch, wie wichtig und unverzichtbar heute noch, ja mehr denn je, Kabarett ist.

    Es geht nicht darum, dass das Verhöhnen von immer intimeren Belanglosigkeiten und Dummheiten Commedie-Fääns noch dummer macht. Es geht darum, Schweinereien, also grobe Verstöße gegen Grundlagen des Verhaltens in einem Gemeinwesen, eines ethisch moralischen Prekariats, nicht unter den Teppich zu kehren und den immer kürzer werdenden Halbwertszeiten der erinnerten Öffentlichkeit unseres (Des)“Informations“-Zeitalters zum Opfer fallen zu lassen, nach dem Motte: Schwamm drüber und weiter so!

    Der gut beratene mittelalterliche Herrscher leistete sich einen Hofnarren als Korrektiv allzu einäugiger Machtausübung. Es ist in unser aller bestem Interesse, uns Hofnarren 2011 von der Sorte „Neues aus der Anstalt“ und eines Pater Barnabas zu gönnen und sie nach Lust und Laune so unintelligent und gedankenarm, wie es Herren Müllers auch immer erscheinen mag, personalisieren zu lassen.

    Burkhard Müller, nur ein weiterer Totredner des Kabaretts, kann uns allerdings getrost gestohlen bleiben. Er betreibt damit das Geschäft der Absahner in unserer Gesellschaft. Er mag zum Geister-Schreiber-Kabinett des spaßigen Ichlings G.W. gehen, wenn ihm das dumm genug ist.

  2. Kenny von Spenny
    11. März 2010, 22:05 | #2

    Von einem schlichten Feuilletonisten für tot erklärt zu werden, nützt dem Kabarett doch eher als daß es ihm schadet. Weil die beste Anerkennung, die man kriegen kann – nach der durch einen geistvollen Menschen vielleicht – ist doch sicher die, daß einen die Tölpel überhaupt nicht mögen. Finde ich zumindest.
    Ich glaube, Kabarett wird heutzutage auch darum gerne kritisiert und belächelt, weil es eine der letzten Kunstbetriebsformen ist, die noch nicht komplett durchsexualisiert und von zwanzigjährigen Berufsblödlern bevölkert ist. Aber das ist auch nur eine Hypothese.

  3. Ralf
    12. März 2010, 15:24 | #3

    Schaut von euch jemand ab und zu den Nachfolger vom „Scheibenwischer“, „Hallervordens Spottlight“, „Neues aus der Anstalt“ oder ähnliches?
    Das ist unerträglicher Quatsch für die bereits Bekehrten. Und wenn „Derbleckte“ auf dem Nockherberg versteinert gute Miene machen, dann zeigen sie doch bloß aller Öffentlichkeit, wie toll sie Spaß verstehen. Und dann holen sie sich bei nächster Gelegenheit noch den „Orden wider den tierischen Ernst“ ab.

  4. Tim
    13. März 2010, 03:31 | #4

    Das Kabarett durchsexualisieren? Das würde ich mir evtl. sogar anschauen.

  5. Kenny von Spenny
    14. März 2010, 06:51 | #5

    @Ralf: zwischen Kabarett und Kabarett gibt es auch ziemliche Unterschiede. Urban Priol etwa, der eigentlich nie etwas anderes macht, außer hilflos-uninspirierte Endlosschleifen voller Gemeinplätze abzuspulen, ist nicht dasselbe wie beispielsweise Georg Schramm (dessen völlig eigenständiger Stil allerdings auch schon weit über das gewöhnliche und gewohnte politische Kabarett hinausgeht, sollte man hier vielleicht hinzufügen) Bei Schramm täte mich übrigens interessieren, ob er auch schon mal auf diesem Nockerlnberg vortragen durfte *lol* Keine Ahnung.

  6. 14. März 2010, 15:41 | #6

    Vielen Dank für diesen Beitrag. Artikel dieser Qualität stehen zu selten im Feuilleton, die meisten Beiträge dort verpassen es sich auch nur annähernd sinnvoll mit Inhalten auseinander zu setzen und wirken meist nur darauf bedacht sich möglichst umständlich aus zu drücken. Nach spezifischen Kritikpunkten sucht man oft vergeblich, stattdessen stürzt man sich lieber in Pauschalurteile oder Uneindeutigkeiten. Nach der Lektüre bleiben nur selten interessante Erkenntnisse oder gar neue Sichtweisen, meist nur die Erinnerung an grenzwertige Vergleiche und waghalsige Formulierungen. Oft aber auch einfach nur das Gefühl einige Minuten des eigenen Lebens an die profilneurotischen Ergüsse eines Menschen verloren zu haben, der Kunst nicht fühlen kann oder will, sondern sie als Wichsvorlage für das eigene Ego missbraucht.

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