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Letzte Worte zu wandelnden Leichen

Was hat „The Walking Dead“ (AMC) zu der Enttäuschung gemacht, die die Serie nun doch war?

Ich habe die Comics nicht gelesen, also lag es bestimmt nicht an meinen Ansprüchen an Werkstreue; falls die Serie sehr werksgetreu gewesen sein sollte, ist das aber auch kein Pluspunkt für mich. Eine Fernsehserie unterliegt anderen Gesetzen als ein Roman oder ein Comic; sie muß sich nach diesen Gesetzen richten, sonst funktioniert sie nicht. Im Einzelnen hat „The Walking Dead“, meine ich, aus diesen Gründen nicht funktioniert:

(Achtung, Spoiler!)

– Das Motiv des Deputy-Sheriffs Rick Grimes (Andrew Lincoln), den Kampf gegen eine Übermacht von Zombies aufzunehmen, ist es, seine Familie wiederzufinden: Seine Frau Lori, seinen Sohn Carl. Zwar werden Rick, Lori und Carl nicht als glückliche Familie eingeführt, aber die Suche nach geliebten Menschen scheint auch ohne dies ein starkes Motiv. Sehr zu meiner Überraschung war dieser Spannungsbogen schon in der zweiten Folge abrupt zuende und Rick mit Frau und Sohn wiedervereint — noch dazu mit einer Frau, die scheinbar nach kürzester Zeit über seinen Verlust hinweg war und sich mit seinem besten Freund Shane getröstet hat. Keine sehr sympathische Frau also. Schade eigentlich.

– Auch die meisten anderen Figuren in der Gruppe der Überlebenden bleiben völlig farblos. Es hat mich weder berührt, daß einer von ihnen nach seiner Infektion auf eigenen Wunsch hin ausgesetzt zurückblieb, noch daß eine Frau ihren gewalttätigen Mann verliert, noch daß eine junge Frau ihre Schwester verliert. Keine der Figuren hat eine nennenswerte Backstory, allenfalls wird in Dialogen referiert, woher sie kommen und was sie antreibt — und nichts davon ist irgendwie neu, überraschend, verblüffend. Diese Figuren scheinen alle aus irgend einer 80er-Jahre-Fernsehserie zu stammen, in der die Klischees egal waren, solange die Action stimmte. Talking of which:

– Wo sind denn die Zombies geblieben? Klar, es geht um die Überlebenden. Aber das tut es in Zombiefilmen seit „Night Of The Living Dead“ eigentlich immer. Dessen schockierende Botschaft war es, daß es die Menschen sind, die böse sind und in bedrohlichen Situationen ihre sozialen Werte nur allzu schnell über Bord werfen. Zombies sind nicht böse, sie sind hirntot und instinktgesteuert.

Aber als Bedrohung sollten sie schon präsent bleiben. Die beste „Walking Dead“-Szene in dieser Hinsicht war in der ersten Folge, wo Rick von einem Schwarzen und dessen Sohn gesundgepflegt wird und die infizierte Mutter sich zusammen mit einem unüberschaubaren Heer von Untoten noch draußen herumtreibt, wie traumwandlerisch zu ihrem früheren Heim zurückkehrt und den Türknauf dreht. Dieser Türknauf, der deshalb auch in jedem Vorspann wieder auftaucht, symbolisiert die Situation perfekt: die Überlebenden eingeschlossen, die Zombies vor der Tür, noch zu dumm und schwach, um hereinzukommen — aber wie viel Zeit bleibt noch, bis sie es doch schaffen? Dieses Gefühl von dauernder Gefahr ist in „Walking Dead“ sehr schnell verloren gegangen, die Figuren begannen, nur noch um sich selbst zu kreisen, und auch das sehr erratisch (wo ist denn der handlose Redneck geblieben?).

– Dafür wurde das Gefühl immer stärker, daß sich die Autoren bei vielen berühmten Vorlagen bedient haben, ohne ihnen einen neuen Dreh zu geben: Die initiale Krankenhausszene aus „28 Days Later“, der Ritt durch die zombieverseuchte Großstadt aus „I Am Legend“, die Kaufhaussituation aus „Dawn Of The Dead“, die Camouflage von Überlebenden als Zombies aus „Shaun Of The Dead“, die ganzen Parallelen zu „Lost“ (inklusive dem Base Camp, der Forschungsstation mit einem verrückten Wissenschaftler, dem Countdown und der Explosion) usw. usw. Klarerweise kann, ja muß man sich bei Genre-Filmen und -Serien bei Motiven und Ideen früherer Werke bedienen — aber man muß ihnen auch einen eigenen Dreh geben.

Bestes Beispiel dafür hinsichtlich Zombie-Serien: „Dead Set“, in dem der neue Dreh war, daß die Überlebenden ausgerechnet die Insassen des „Big Brother“-Containers sind, die sich hassen, aber zusammenarbeiten müssen, was dem ganzen einen spezifisch mediensatirischen Charakter gibt. Apropos: Haben die „Walking Dead“-Charaktere eigentlich keinen einzigen Zombiefilm gesehen? Zombies „Walkers“ zu nennen, finde ich wirklich schlimm, und das nicht nur, weil ich bei „Walkers“ an Chips denken muß. Zombiefilme/-serien, die sich ihrer selbst nicht bewußt sind, gehen seit „Shaun Of The Dead“/“Dead Set“ wirklich gar nicht mehr. Das ist so altbacken, wie es die schlurfenden, langsamen Zombies sind, die seit „28 Days Later“ sehr retro aussehen.

– Und zuletzt finde ich die handwerklichen Schwächen von „Walking Dead“ bemerkenswert. Allein der Vor-Vorspann der letzten, sechsten Folge: Wir sehen Shane bei seinem bewußtlosen angeblich besten Freund Rick am Krankenhausbett und erfahren, daß er ihn dort zurückläßt, weil er ihn für tot hält. Aber warum das dann so prominent zeigen, wenn es so komplett überraschungsfrei und erwartbar ist und der Story überhaupt nichts neues hinzufügt? Sondern eher noch verwirrt, weil wir einerseits sehen: Shane hält Rick für tot — und schiebt dann aber ein Krankenhausbett vor die Zimmertür? Hält er Rick doch nicht für tot? Dafür gibt es aber sonst keine Hinweise, das bleibt genauso unerklärt wie die Affäre zwischen Shane und Lori, von der wir nie erfahren, ob sie erst nach Ricks vermeintlichem Tod begann oder schon vorher.

Frank Darabont hat, so liest man, zwischenzeitlich alle Staff-Writer von „The Walking Dead“ gefeuert (oder auch nicht, wie ich gerade bei Nerdcore lese) und will die zweite, nun schon auf dreizehn Folgen projektierte Staffel evtl. allein schreiben. Gut so, einerseits, andererseits ist es möglicherweise auf Darabont zurückzuführen, daß die Serie unter diesen Problemen überhaupt so stark zu leiden hatte.

Disclaimer: Ein Großteil meiner Gedanken hat sich aus den sehr fundierten Überlegungen von Dan Owen in seinem Blog gespeist.

  1. Andy
    12. Dezember 2010, 16:42 | #1

    Also ich habe die Comics gelesen, besser gesagt: lese sie immer noch, die Serie ist noch nicht beendet. Die TV-Serie hat mit den Comics außer der Zombie-Krankenhaus-Koma-Prämisse nicht gemein. Die erste Folge stimmt noch in etwa mit den Comics überein: er wacht im Krankenhaus auf, findet seine Familie. Die Charaktere stimmen auch größtenteils und die Zombies sind auch im Comic langsam.
    Dann aber trennen sich Comicserie und Fernsehproduktion, und zwar sehr drastisch. Nichts, was ich nach der ersten Folge gesehen habe, kam irgendwo in den mittlerweile 80 Ausgaben des Comics vor.
    Ich schau die TV-Serie nicht als „Walking Dead“-Verfilmung an, sondern als ganz ordentlich gemachte Zombie-Serie.

  2. Ralf
    12. Dezember 2010, 18:11 | #2

    Eigentlich ist das Zombiethema als Serienprämisse ideal. Denn in der Regel markiert das Filmende bei Zombiefilmen ja nur das Ende einer Episode, d.h. sie hören irgendwo mittendrin auf, ohne dass das eigentliche Problem, nämlich die Zombieplage, gelöst wäre.
    Was passiert z.B. mit den Protagonisten aus „Dawn Of the Dead“ nachdem sie das Kaufhaus endgültig verlassen haben? Wo stranden sie als nächstes? „The Walking Dead“ formuliert das aus: Unterkünfte werden gewechselt, Hauptfiguren sterben, neue Gruppenkonstellationen werden gebildet und es geht immer weiter, ohne dass ein Ende der Plage in Sicht wäre.
    Als Comic funktioniert das jedenfalls prima. Um die Serie endgültig zu beurteilen würde ich deshalb noch einige Folgen abwarten. Denn es ist ja nicht selten, dass eine amerikanische Serie in den ersten Folgen erst noch den eigenen Ton finden muss. Zumal ja eine TV-Serie eben anders funktioniert als ein Comic. Die zunehmende Entfernung von der Vorlage kann da für die Zukunft ein Pluspunkt sein. „The Office“ (US) hat auch bis zur zweiten Staffel gebraucht, um sich vom britischen Original zu emanzipieren.

    Was die schlurfenden vs. die rennenden Zombies angeht, so ist das weniger eine Frage des „Altbackenen“ als vielmehr eine der persönlichen Vorlieben. Der Comic (und nun auch die Serie) beruft sich da eben auf die klassischen Romero-Zombies. Ich persönlich bevorzuge auch deutlich die langsamen. Und auch Simon Pegg hat sich anhand von „Dead Set“ schon daran abgearbeitet:
    http://www.guardian.co.uk/media/2008/nov/04/television-simon-pegg-dead-set

  3. Gustl Schutzbier
    12. Dezember 2010, 19:14 | #3

    Besonders enttäuscht hat mich, wie nachlässig die Serie geschrieben war. Handlungsstränge verschwinden ins Nichts (wie der im Beitrag erwähnte Michael Rooker) oder werden als Bausteine irgendwo reingestopft, wenn man sie später in derselben Episode braucht (wie die Szene der beiden Schwestern im Boot).

    Am schlimmsten waren die ganzen bescheuerten plot devices: „Willkommen im Hochsicherheits-Seuchenzentrum! Morgen fliegt hier alles in die Luft, aber ich will das retardierende Moment nicht kaputt machen und nehme mir deshalb keine 3 Sekunden Zeit, das zu erwähnen.“ Warum nochmal tun die altruistischen Altenpfleger so, als seien sie eine Bande massenmordender Verrückter? Und wann wurde eigentlich die Panne behoben, die den Anlass abgegeben hat, den Infizierten beim Baum auszusetzen?

  4. 13. Dezember 2010, 01:04 | #4

    ach fuck. ist die serie wirklich schlecht an sich? oder bloß eine enttäuschung verglichen mit den hochgesteckten erwartungen? hab noch nix gesehen aber mir für morgen im bekanntenkreise das schauen aller episoden ausgemacht…. jetzt bin ich grad am zweifeln…

  5. 13. Dezember 2010, 12:44 | #5

    die hohen erwartungen machen alles noch schlimmer, aber man kann leider mit fug sagen: twd wird – schon rein handwerklich – über die folgen eigentlich immer schlechter. die erste folge ist gut, die zweite (wegen der unewarteten wiedervereinigung von rick und lori) schon schlechter, und von da an geht es wirklich bergab.
    aber mal was anderes: warum liest Du denn so ausführliche kritiken, wenn Du’s noch gar nicht gesehen hast? spoilerwarnung stand doch dran…

  6. 13. Dezember 2010, 15:16 | #6

    hab die kritiken nach dem spoiler-alarm eh noch nicht gelesen, sondern nur den ersten satz.
    aber jetzt bin ich wenigstens gespannt, ob’s wirklich so schlecht ist.

  7. 14. Dezember 2010, 16:18 | #7

    dann sag mal hinterher bescheid, was Du davon hältst!

  8. Annerie
    19. Oktober 2015, 18:16 | #8

    Jetzt mal ganz ehrlich,ich weiß nicht was hier einige haben,für eine Serie ist sie echt gut,wenn ich mir dagegen viele zombie-Filme ansehe die dermaßen schlecht sind,bin ich von der Serie echt überrascht!
    Dazu muss ich sagen das ich die erste Staffel auch nicht gerade prall finde aber die restlichen doch sehr gelungen sind!!!
    Also von daher kann man schon einiges echt klein reden,aber im großen und ganzen finde ich die Serie echt klasse!
    Also mich hat sie als Fan echt bekommen und man sollte sich echt mal nicht so an Kleinigkeiten hoch ziehen,habe noch keinen Film gesehen wo nicht ein paar Fehler drin waren,also was soll die ganze Fehler suche!
    Seht sie euch an und macht euch ein Bild wenn ihr nicht nur die erste Staffel gesehen habt!
    Denn man sollte schon ein bissel mehr sehen als nur zwei Folgen,dann kann man sich noch keine Meinung bilden!!!
    Ich find sie super ?

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