Home > Sitcom, US-Produktion > Gute Witze, schlechte Witze

Gute Witze, schlechte Witze

Seit ich (bewusst) fernsehe, gibt es amerikanische Sitcoms, bei denen ich immer mal wieder beim Durchzappen hängen geblieben bin; einige davon habe ich irgendwann regelmäßig geguckt; zwei davon habe ich irgendwann komplett auf DVD erworben und auch noch einmal von A bis Z geguckt: „Seinfeld“ (NBC, 1989 – ’98, deutsche Erstausstrahlung 1995 auf ProSieben) und „Frasier“ (NBC, 1993 – 2004, dt. Ea. 1995 auf Kabel eins). Jetzt, nachdem das Box Set in Großbritannien auf erschwingliches Niveau gefallen ist, ist „Cheers“ dran (NBC 1982 – ’93, dt. Ea. 1985 im ZDF).

Klar, nach „Cheers“ kamen US-Sitcoms, die mich mehr geprägt haben: „Married … with Children“ (Fox, 1987 – ’97, dt. Ea. 1992 auf RTL als „Eine schrecklich nette Familie“) und „Frasier“, weniger schon wieder „Friends“ (NBC, 1994 – 2004, dt. Ea. 1996 auf Sat.1). Heute bleibe ich hin und wieder bei „The Big Bang Theory“ (CBS, seit 2007, dt. Ea. 2009, ProSieben) und „How I Met Your Mother“ (CBS, 2004 – ’15, dt. Ea. 2008, ProSieben) hängen, aber erwerben und von Anfang an gucken würde ich sie nicht. Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.

Alle diese Sitcoms hatten drei Gemeinsamkeiten:

– Sie liefen sehr lange und hatten viele Folgen pro Staffel (i.d.R. über 20), so dass sie schon allein qua Menge praktisch täglich liefen und laufen, oft sogar mehrere Folgen am Tag. Man konnte ihnen gar nicht entkommen. Schon gar nicht früher, als es noch nicht so viele Sender gab.

– Sie waren praktisch statisch, d.h. es kamen zwar über die Staffeln hinweg Figuren dazu und andere Figuren verließen die Show, aber abgeschlossene Handlungsbögen (wie sie bei britischen Sitcoms mit ihren sechs Folgen pro Season die Regel sind) gab es praktisch nicht. Dass mal eine Figur eine andere heiratete (Niles etwa Daphne) war schon ein Höhepunkt und auf lange Sicht auch schon einigermaßen knifflig, weil es das Beziehungsgefüge der Figuren ja nicht unwesentlich veränderte. Die Frage will they, won’t they war damit nämlich beantwortet.

– Sie waren alle live vor Publikum aufgezeichnet.

Als ich gestern nun die ersten drei Folgen „Cheers“ zum ersten Mal in dieser Reihenfolge gesehen habe (womöglich auch tatsächlich zum ersten Mal, jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern, wie Diana überhaupt zum Bar-Team gestoßen ist), war ich überrascht: überrascht, wie gut „Cheers“ gealtert ist. Denn 1982 war ich zehn, die Fernsehstandards haben sich seitdem stark geändert, und ich wüsste auf Anhieb weder eine deutsche noch eine englische Sitcom aus dieser Zeit, die heute noch den Test der Zeit so gut bestünde.

Aber „Cheers“ funktioniert wie ein Uhrwerk: Diana (Shelley Long) kommt in der Pilotfolge als die neue Figur in ein schon bestehendes Setting (das der Bar), und zwar auf eine Weise, die ihre spannungsgeladene Beziehung zu Sam (Ted Danson) klärt: sie, Studentin der Boston University, ist mit ihrem Verlobten, dem Professor Sumner Sloan auf dem Weg zur Hochzeit und in die Flitterwochen. Er will nur noch den Ehering von seiner zukünftigen Exfrau holen, Diana wartet so lange im Cheers. Und wartet. Und wartet. Und lässt sich so lange von Sam aufziehen, der als ehemaliger Jock, als gutaussehender (und dem Vorurteil nach dümmlicher) Sportler das Gegenteil von dem ist, was Diana als männliches Ideal vorschwebt. Während umgekehrt natürlich auch sie als halbintellektuelle Oberschichtsangehörige überhaupt nicht in sein Beuteschema passt.

Während Diana also auf ihre Verlobten wartet (der selbstverständlich nicht zurückkehrt), wird uns das restliche Personal vorgestellt: Coach (Nicholas Colasanto) als seniler Alter, der für irrlichternd-abseitige Witze zuständig ist, Carla (Rhea Perlman) als verbitterte Kellnerin, dere Gebiet die schneidend-treffende Punchline ist, sowie die Stammgäste Norm (George Wendt) und Cliff (John Ratzenberger), die das tun, was Bargäste tun: saufen und Quatsch reden („Bier? Ja, davon habe ich gehört“).

Die Dialoge aber sind so schnell und mit guten, nacherzählbaren Pointen gestrickt, dass ich kaum mit dem Mitschreiben nachgekommen bin: visuelle Scherze, Dialogscherze, schnell reingestreute Gags (das Telefon klingelt. Carla: „Who’s not here?“ alle Gäste: „Me!“) — alle Witze zeitlos (also ohne Anspielungen ewta auf zeitgenössische Promis oder Themen), immer in charakter (also nicht nur komisch, sondern auch die Figur beschreibend, die den Gag liefert) und selten der erwartbarste Witz, sondern meistens ein besserer. Wenn es aber der Witz war, den ich habe kommen sehen, dann war er immerhin viel schöner ausgeführt, als ich es erwartet hätte.

Aber das sind halt die Vorteile, wenn man erfahrene Produzenten (in diesem Falle James Burrows, Glen Charles und Les Charles) und Autoren hat (u.a. Ken Levine und Earl Pomerantz), die in der Lage sind, so gute Witze gut in Szene zu setzen, dass ein Live-Publikum sich wegschmeißt vor Lachen.

Und dann habe ich „Welcome to Sweden“ gesehen (NBC, 2014).

Gut, das hätte ich nicht, wenn nicht Amy Poehler („Parks and Recreations“) als Produzentin hinter dieser Show steckte, in der ihr Bruder Greg Poehler die Haupt- und sie selbst eine Nebenrolle spielt. Wie auch Aubrey Plaza (dito „Parks and Rec“), Will Ferrell, Gene Simmons von Kiss, Patrick Duffy und andere Prominente.

„Welcome to Sweden“ ist eine mit nur einer Kamera gefilmte Sitcom (das immerhin im schönen Schweden), also ohne Publikum. Und das ist auch besser so, denn viel zu lachen hätte da auch niemand. Was jetzt nicht bedeuten soll, dass das die Anforderung an jede Comedy ist; Louis CK etwa schafft ja auch (oft) gute Sitcomfolgen, die ohne große Lacher auskommen.

Aber „Welcome to Sweden“ behauptet, komisch zu sein. Stattdessen liefert die Show über US-Expat Bruce (Poehler), der mit seiner schwedischen Frau Emma (Josephine Bornebusch) in ihre Heimat zieht, dann allerdings nur konventionelle Peinlichkeitsscherze, die ohne große Pointen auskommen — wenn sich etwa Emma mit einer Freundin auf Schwedisch über eine sterbende gemeinsame Bekannte unterhält und Bruce dazwischenkaspert, indem er sich über die schwedische Sprache lustig macht. Oder komisch gemeinte Figuren wie Emmas Slacker-Bruder Gustaf, der aber über diese eine Eigenschaft großer Faulheit hinaus völlig flach bleibt.

Ich habe so eine Ahnung, dass „Welcome to Sweden“ in dreißig Jahren nicht mehr so gut funktioniert wie „Cheers“ heute. Aber das ist nur so eine Ahnung. Als Kontrastmittel zu einer klassischen Sitcom hätte es aber kaum ein besseres geben können.

Und „Welcome to Sweden“ hat so (unfreiwillig und eher zufällig) meine These untermauert, dass es kein Zufall ist, dass die großen Sitcoms, die, mit denen wir auf- und die uns ans Herz wachsen, alle live vor Publikum gedreht sind. Schon weil ein Livepublikum der beste Test dafür ist, wie komisch eine Sitcom tatsächlich ist.

„Cheers“ ist komisch, nach dreißig Jahren immer noch. „Welcome to Sweden“ nicht.

Ich werde über die nächsten Wochen nach und nach die 42 DVDs durcharbeiten, die der Ziegel von einer Komplettbox „Cheers“ hat, oder es jedenfalls versuchen, und darüber bloggen. Wenn es etwas Bloggenswertes gibt jedenfalls.

  1. Jean Baptiste
    2. September 2014, 17:13 | #1

    Mit keiner der „großen“ Sitcoms bin ich warm geworden, außer den Simpsons. Und die fällt ja schon qua Herstellung aus dieser Reihe. Dass die neuen kleineren Sitcoms, die es nicht allen rechtmachen wollten und dadurch (finde ich) viel komischer waren – Arrested Development, 30 Rock, Community – alle nicht mit Studiopublikum gedreht wurden, ist dann wohl auch kein Zufall. 2040 werden die wohl kaum noch gut wegguckbar sein, aber hoffentlich bei einigen im Schrank stehen, die Sitcoms machen.

  2. 2. September 2014, 18:11 | #2

    Klar, ich denke, es ist klar, dass die für kleinere Zielgruppen gemachten Sitcoms die umso größeren Fans haben – wenn man erst einmal einen eigenen Geschmack entwickelt hat, sucht man sich ja gezielt, was einem gefällt. Aber bis dahin gibt es eben, so war es bei mir, Serien, die man nicht selbst findet, sondern die einen finden. Einfach dadurch, dass man demokratisch fernsieht (ich glaube, bis ich zuhause ausgezogen bin, gab es da nicht mal einen Videorekorder). Und so war dieser Text gemeint: als Verbeugung vor den Mainstream-Sitcoms, die alle mitnehmen wollen – und das auch schaffen.

    Freilich würde ich auch jederzeit „Parks and Rec“ über „HIMYM“ stellen, und englische über amerikanische Sitcoms.

  3. debruehe
    2. September 2014, 20:02 | #3

    Wobei das mit dem Live-Publikum aber kaum als Qualitätsmerkmal dienen kann. Es gibt so viele Sitcoms vor Publikum, die absolut unterirdisch sind und auch keine ganze Staffel überleben. Und die Leute lachen trotzdem (bzw. es werden dann nachträglich noch Lacher vom Band dazugegeben).

    Ich kann mir neue Sitcoms, die diesen traditionellen Stil nutzen, mittlerweile nicht mehr anschauen. Vor allem weil die zu größten Teilen direkt in diese Kategorie „wenig originell, wenig lustig, aber günstig zu produzieren“ fallen.

    Ich bin allerdings großer Fan von Seinfeld, hab die Serie bestimmt schon viermal komplett von Anfang bis Ende geschaut!

    Apropos: Ganz interessant, was z.B. bei Big Bang Theory passiert, wenn man den Laugh-Track weglässt:

    https://www.youtube.com/watch?v=ASZ8Hks4gko

  4. 4. September 2014, 13:03 | #4

    „Noooooorm“.

    Meine absolute Lieblingsserie ever. Wird einmal im Jahr geschaut. Von daher würden mich deine Ergüsse zu jeder Staffel schon interessieren.

    Übrigens youtube Anspieltipp: im ZDF hieß Cheers noch „Prost Helmut“ mit elendig schlechter Synchro. Selbst das tolle Intro haben sie synchronisiert. Kann man bei youtube finden. Echt schräg.

  5. 4. September 2014, 13:27 | #5

    Stimmt, hier ist es: https://www.youtube.com/watch?v=iliro6dwZdI – mein lieber Mann, das tut ja ganz schön weh. Und diese Hintergrundmusik dazu! Irre.

  6. 5. September 2014, 04:11 | #6

    hmm, zum ersten Mal bin ich nicht Deiner Meinung.

    Als grosser Frasier Fan war ich sehr von Cheers enttaeuscht.
    Die Witze waren alle vorhersehbar und recht.. flach.
    Gerade das Lachen des Publikums/vom Band schreckt mich heute doch sehr ab.
    Es wirkt aufgezwungen, ich lach eben nicht gerne mit anderen oder auf Befehl;)

    Welcome to Sweden als schlechtes Beispiel zu nehmen, naja, ist eben eine Nischencomedy, mit der der einfache Normalbuerger nichts anfangen kann.
    Sicher, die Komik ist wesentlich im Stile von Parks&Recreation.
    Aber hier gibts eben noch en persoenlichen Bezug, wer schonmal in ein anderes Land gezogen ist, dessen Sprache er nicht spricht, rein der Liebe wegen, kann sich hier sehr gut wiederfinden;)

  1. Bisher keine Trackbacks