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Archiv für die Kategorie ‘Komödie’

Die gute Nachricht des Tages

28. Januar 2011 2 Kommentare

Aardman Animations, Home of „Wallace And Gromit“, planen einen „Shaun The Sheep“-Film! Zwar wird er nicht von 2013 oder gar 2014 fertig sein, aber wenn das Warten sich lohnt, warte ich gerne.

Interessant: Daß Shauns Abenteuer von Anfang an ohne ein gesprochenes Wort auskamen, sollte ursprünglich die Produktion billiger und einfacher, sprich: schneller in der Herstellung machen. Ein Plan, der nicht aufgegangen ist: Geschichten nur durch Bilder zu erzählen bedeutet nämlich, daß man Handlung nicht durch Dialoge ersetzen kann — alle Beats müssen im Bild gezeigt werden. Das Ziel, so Aardman-Creative Director Richard Goleszowski, sei es, einen modernen Stummfilm im Stile Buster Keatons zu machen: also Slapstick pur und vom Feinsten. Word! Bzw. natürlich No Word!

Große Momente

8. Januar 2011 4 Kommentare

„Drei große Momente“ seien es, so Graham Linehan neulich, die für das Gelingen einer Sitcom-Folge wichtig seien — viel wichtiger als ausgefuchste, konsistente Plots (wir berichteten). Tatsächlich konnte man sich kürzlich während der langen „Father Ted“-Nacht in gleich zwei Dokumentationen abermals davon überzeugen, wie viele solcher unvergeßlicher Momente es in „Father Ted“ gab. (Und wo der Punkt war, an dem diese Momente ein bißchen zu groß wurden, um noch in die eher traditionelle Sitcom-Narration der Serie zu passen: nämlich da, wo Teds Flugangst so überwältigend wird, daß er sich an das Fahrwerk eines Flugzeugs klammert, und wir ihn dann im Wohnzimmer des Pfarrhauses sehen — noch immer an das Fahrwerk geklammert.)

In Filmen heißen solche großen Momente Setpieces. Jeder Actionfilm hat im dritten Akt ein Setpiece, viele auch schon eines am Anfang des ersten. Eines der schönsten Beispiele für Setpieces in Komödien habe ich gestern abend mal wieder bewundern dürfen: „The Party“ (1968, auf Deutsch: „Der Partyschreck“) vom immer noch unterschätzten Blake Edwards, der leider Mitte Dezember gestorben ist. Ganz abgesehen davon, daß der ganze Film ein reiner Werbeclip für Peter Sellers‘ Slapstick-Talente ist und eine Aneinanderreihung von kleinen und großen Setpieces, ist doch der Showdown im letzten Akt ein prima Beispiel dafür, wie richtig Graham Linehans Comedy-Konzept ist — und wie unwichtig nicht ganz logische Handlungselemente sind, wenn ihr Pay-Off nur schön inszeniert ist.

In „The Party“ spielt Sellers den äußerst ungeschickten, aber liebenswürdigen indischen Schauspieler Hrundi V. Bakshi, der zu Beginn der Handlung die Dreharbeiten zu einem Monumentalfilm ruiniert (erstes Setpiece): Erst ruiniert er eine Massen-Szene, dann löst er vorzeitig eine Explosion aus und zerstört so nicht nur die Kulissen, sondern den ganzen Film. Daraufhin wird er von den Studio-Bossen auf eine Schwarze Liste gesetzt — bzw. eben nicht, sondern versehentlich auf die Einladungsliste zu einer Party des Produzenten. Die findet in einer schicken, vollautomatischen Villa mit großer Pool-Landschaft statt und endet in vollkommener Zerstörung — durch Schaum. Wie ein riesiger Blob wächst dieses Schaum-Monster, droht die immer weiter dudelnde Jazz-Band zu verschlucken und Gemälde zu zerstören, läßt eine ganze Verfolgungsjagdgesellschaft einen nach dem anderen verschwinden, quillt und wabert immer mächtiger, bis alles, alles in einer weißen Wand aus Schaum verschwindet.

Beginnt man nun genau hier, von hinten, kann man sich schon recht lebhaft vorstellen, wie Edwards‘ (der auch das mit 60 Seiten eher dünne Drehbuch mitschrieb) Gedankenprozeß ablief: „Ich will, daß die ganze Villa in weißem Schaum versinkt, in Schaum, der die hilflose Wut der einen verschluckt wie der Londoner Nebel die Untaten von Jack the Ripper, und der die Ausgelassenheit der anderen noch steigert, die sich wie kleine Kinder über Schaumberge in der Badewanne freuen. Aber wie kommt das ganze Waschpulver in den Pool? Schüttet es jemand einfach hinein? Welches Motiv hätte er dafür? Nein, wir brauchen etwas, das im Pool gewaschen werden muß. Es muß etwas großes sein, so groß, daß es viele Leute mit Bürsten und Besen schrubben und große Mengen Schaum erzeugen können. Es muß so groß sein wie ein Elefant. Das ist es! Ein Elefant! Bakshi ist Inder, das würde schon mal passen. Aber warum muß der Elefant gewaschen werden? Hat ihn jemand bemalt? Na klar, wir haben die späten Sechziger, junge Leute machen die verrücktesten Sachen, wenn sie gegen das Establishment revoltieren. Wir behaupten einfach, da kommt die Tochter des Produzenten mit ihrer Hippie-Clique von einer Demonstration, sagen wir: von einem Love-In, und die haben einen Elefanten dabei, auf den sie allerlei psychedelische Muster und Sponti-Sprüche gemalt haben. Und Bakshi, dem Elefanten heilig sind, überzeugt die junge Frau davon, daß der Elefant sauber gemacht werden muß. Bingo! Werden uns die Leute glauben, daß eine Handvoll junger Hippies nur für ein öffentliches Happening irgendwo einen Elefanten besorgt hat? Und dann bemalt? Ach, egal, wird schon gehen…“

Ging ja auch. Sehr gut sogar. Ich habe das ganze Jahr noch nicht so gelacht wie gestern abend bei „The Party“ — und bin kurz davor, mir die „Pink Panther“-Box zu bestellen. Auch wenn ich die schon tausendmal gesehen habe: So schön inszenierter Slapstick wird auch beim tausendersten Mal sehen nicht alt.

Filme für lange Zugfahrten

22. November 2010 14 Kommentare

Ich fahre gerne mit der Bahn. Gewiß, es nervt, wenn man mal wieder auf irgendeinem Provinzbahnhof gestrandet ist, weil man den einen Anschlußzug verpaßt hat und der nächste eine Dreiviertelstunde Verspätung hat — aber deshalb werde ich nicht zum Bahn-Hasser.

Allerdings werde ich zum Bahnfahrer-Hasser; jedenfalls bei Reisen, die länger als drei Stunden und/oder mehr als zwei Tage am Stück dauern. Ich fühle mich einfach belästigt: Durch junge Mütter über Vierzig, die (statt das Kleinkindabteil zu nehmen) den gesamten Großraumwagen durch stundenlanges Geschrei ihres Nachwuchses ruckzuck vom Segen der Kinderlosigkeit überzeugen. Durch Businessfrauen, die sich so zwanghaft an ihren Koffer klammern, daß sie selbst im überfüllten Zug lieber einen Sitzplatz mit ihrem Lieblingsgespäckstück blockieren, statt es ins Gepäckfach zu tun. Durch Dauertelefonierer. (Btw: Wer nicht nur rücksichtslos, sondern auch noch dumm genug ist, seine Geschäftstelefonate in höchster Lautstärke zu führen und dabei auch noch die eigene E-Mail-Adresse durchzutrompeten, muß sich über ein erhöhtes Aufkommen von Newslettern des Hörgeschädigtenverbandes nicht wundern.) Und dann gibt es noch diese massiv adipösen, nach Rauch und Schweiß stinkenden Assos, die sich neben einen an einen Tisch quetschen, sofort anfangen, Frikadellenbrötchen, Krautsalat und Dosenbier zu verzehren, sich über Kriegsfilme zu unterhalten und nach einem Toilettengang zurückkommen mit der Bemerkung, sie hätten nicht kapiert, wie „man das Waschbecken anschaltet“. Das Waschbecken schaltet man gar nicht an, Idiot! Man hält einfach seine Pfoten unter den Hahn, so wie bei praktisch allen Autobahnraststätten seit zehn Jahren auch! Iihhh!!

Noch schlimmer sind höchstens die Deppen, die am Ende der Fahrt den eben beschriebenen Flegeln attestieren, ihre Rücksichts- und Manierenlosigkeit sei schon in Ordnung. Diese Unterwürfigkeit gegenüber Leuten, die weder geschriebene noch ungeschriebene Regeln kennen bzw. sie vielleicht sogar kennen, aber schlicht nicht akzeptieren, scheint mir neu. Vielleicht bewundern tatsächlich immer mehr Knallköpfe andere Knallköpfe, die einfach mehr Mut zum „Ich zuerst“ haben als sie selbst.

Nun denn. Auf solchen Bahnfahrten gibt es nur eine Möglichkeit: Notebook und Kopfhörer auspacken (ja, liebe kinderreiche Familien und Bundeswehrler: Filme guckt man im Großraumabteil IMMER mit Kopfhörern! IMMER!!) und all das nachholen, was über die letzten Monate liegengeblieben ist. Lieber selbst einen möglicherweise schlechten Film gucken als Trottel über „Killing Fields“ reden hören und wie gerne sie da mal hinfahren würden, um sich das selbst anzusehen („Ob da noch Totenköpfe rumliegen?“ Grundgütiger!).

Für eine solche Fahrt taugt etwa „Magicians“ (2007) ganz gut. Der lag schon sehr lange bei mir herum — weil er nicht nur bei Rotten Tomatoes eine sensationell schlechte Bewertung hat, sondern weil auch andere, die ihn gesehen hatten, ihn eher so mittel fanden. Meine nicht sehr hohen Erwartungen aber hat er mühelos übertroffen.

Das lag bestimmt zum Großteil am Charme von David Mitchell und Robert Webb, die hier eine Variation ihrer Charaktere aus „Peep Show“ spielen. Hier sind ein magischer Double Act, dessen Karriere zu Beginn des Films gescheitert ist: Harry (Mitchell) hat Karl (Webb) mit seiner Frau, der gemeinsamen Assistentin, in flagranti erwischt — und sie anschließend bei einem Zauberunfall mit einer Guillotine enthauptet. Jahrelang haben sich beide daraufhin mit Jobs über Wasser gehalten, doch nun möchte Harry wieder ins Geschäft einsteigen: Ein Magier-Wettbewerb winkt mit einem Preisgeld von 20 000 Pfund — Grund genug für Harry, über seinen Schatten zu springen und Karl um einen einzigen gemeinsamen Auftritt zu bitten, mit dem sie das Preisgeld abräumen, teilen und sich wieder voneinander verabschieden können.

Dieser Wettbewerb gibt das Grundgerüst von „Magicians“ ab, um das herum kleine Storys rund um eine neue Assistentin (Jessica Hynes, „Spaced“), Zauberkonkurrenten (etwa Steve Edge, „Star Stories“, „Phoenix‘ Nights“) und Karls Manager (Darren Boyd, „Whites“) gebaut sind; das Drehbuch haben die „Peep Show“-Autoren Sam Bain und Jesse Armstrong übernommen. (Wann kommen die eigentlich noch zum Essen und Schlafen? „The Thick of It“, „The Old Guys“, „Peep Show“, „The Mitchell and Webb Look“, „In The Loop“ — ein beachtlicher Output, den dieses Duo hat.) In weiteren Nebenrolle glänzen Peter Capaldi und Rasmus Hardiker („Lead Balloon“, „Saxondale“), und dieser ansehnliche Cast macht auch die etwas einfallslose Regie (Andrew O’Connor) wett. Ein im besten Sinne kleiner Film, der wahrscheinlich enttäuschen würde, wenn man ihn mit großen Erwartungen im Kino gesehen hätte — aber perfekte 90 Minuten Fernsehunterhaltung.

Auch Frank Oz„Death at a Funeral“ (2007) fällt in diese Kategorie, wenngleich er die deutlich bessere Dramaturgie hat. Das Begräbnis des Vaters führt die erwachsenen Kinder und viele Trauergäste auf einem prächtigen Landsitz in England zusammen und sorgt für die Fallhöhe, die eine Farce braucht; ein Bruderzwist, die Verwechslung einer stark halluzinogenen Droge mit Valium sowie ein Kleinwüchsiger, der mit Enthüllungen ihn und den Verstorbenen betreffend droht, machen „Death at a Funeral“ zu einer klassischen Screwball-Komödie. Daß ihr die großen Stars ein wenig fehlen, gleicht sie durch ein prima Ensemble aus (u.a. Kris Marshall und Andy Nyman, der cholerische Producer in „Dead Set“). Dafür, daß ein Amerikaner ihn gemacht hat, ein sehr englischer Film: Selbstverständlich fällt der Sarg um und der Verstorbene purzelt ins Wohnzimmer, trotzdem bleibt (ich weiß nicht genau, wie) die Würde des Toten unangetastet — ich hatte jedenfalls nie den Eindruck, daß da mit billigen Mitteln Witze auf Kosten von Toten gerissen würden.

Soviel zu alten Filmen. Den Rest der Zugfahrten habe ich mit alten Serien zugebracht, über die ich hier nicht en detail berichten möchte, aber auch mit einer neuen, die ich jetzt schon mal sehr empfehle: „Terriers“, eine der neuen US-Serien des Herbstes. Kritik folgt, sobald ich genau sagen kann, was genau so toll ist an der Serie. Der Plot ist an sich nämlich nicht besonders originell: Ein Ex-Bulle und trockener Alkoholiker löst zusammen mit seinem halbkriminellen Kumpel als Privatdetektiv ohne Lizenz Fälle in Kalifornien. Klingt irgendwie nach „Trio mit vier Fäusten“, ist aber dank immer neuer Wendungen und Ideen, bei denen ich oft mit offenem Mund dasitze und „Das habt ihr jetzt nicht gemacht, oder?!“ denke, eine der besseren Serien dieses Jahres und ein echter Geheimtip.

Depperte Dschihadis

24. September 2010 4 Kommentare

Eine Podiumsdiskussion zum Thema militanter Islamismus. Barry, ein weißer englischer Konvertit und fanatischer Muslim, hat gerade einige verwirrende, widersprüchliche (und natürlich lustige) Sachen gesagt, als ein dunkelhäutiger junger Mann im Publikum aufsteht und sich darüber beklagt, daß alle Welt junge dunkelhäutige Männer für Bombenleger hält. »Wenn mich alle für einen Bombenleger halten, warum soll ich mich dann nicht wie einer verhalten?« ruft er und öffnet die Jacke, damit alle sehen können: Er trägt einen Sprengstoffgürtel. Und beginnt, vor dem zunächst entsetzten, dann eher verwirrten Publikum zu rappen: »I’m the Mujahideen/and I’m making a scene/Now you’s gonna feel/what the boom-boom means!« Er zündet — »Allahu akbar!« — die Ladung, doch unter dem Geschrei der Menschen stellt sie sich als Attrappe mit Krachern und Luftschlangen heraus: »Oh man, come on. Just ’cos I’m muslim you thought it was real?!«

Daß man nicht genau weiß, was man davon halten soll: das ist die große Stärke von Chris Morris’ eben auf DVD erschienener Islamisten-Satire »Four Lions«. Eines weiß ich allerdings sicher: Sie ist unglaublich lustig. Denn »Four Lions« setzt ganz auf Fallhöhe. Er erzählt die Geschichte einer Gruppe englischer Muslime in Sheffield, die, vom Trainingscamp in Pakistan übers Bombenbauen bis hin zur Ausführung, einen Selbstmordanschlag in London verüben wollen. Ihre Motive und die Charakterzeichnung sind dabei vollkommen glaubwürdig. Um so mehr zünden die Elemente der Farce, wenn sich mehrere Möchtegern-Dschihadisten als reichlich deppert entpuppen: Das Bekennervideo besteht nur aus Bloopers, der Einsatz von Krähen als Bombenträger funktioniert nicht so recht, und aus Geheimhaltungsgründen müssen die angehenden Attentäter ihre Kommunikation in einem Kinder-Chatforum abwickeln.

So scheitert der heilige Krieg zuvörderst an irdischen Mißgeschicken. Doch leistet der Film weder dem Antiislamismus Vorschub, noch spielt er die Versöhnlichkeitskarte aus, die »The Infidel« im letzten Akt so ungeschickt aus dem Ärmel zieht. Statt dessen unterläuft »Four Lions« immer wieder auf das Komischste die Erwartungen des Zuschauers. In einer Szene versucht Omars tief religiöser Bruder den angehenden und im Glauben weniger gefestigten Omar für dessen Attentatspläne zur Rede zu stellen: Der Koran verbiete solche Aggression, einem echten Moslem sei in jedem Falle verboten zu töten. Doch noch bevor man die Hand vor dem Mund hat, um angesichts dieser Political Übercorrectness herzhaft zu gähnen, wird das Gut/Böse-Schema schon wieder durchbrochen: Denn der feine Herr Moslem weigert sich, das Zimmer zu betreten, in dem sich Omars Frau aufhält; und zu Hause sperrt er während des Gebets die Frauen sogar in einen sehr kleinen Verschlag (»Bevor du die Kloschüssel hast rausnehmen lassen, war es eine Toilette!«).

Drehbuchautor Chris Morris, heißt es, habe nicht nur mit Terrorismusexperten, Imamen und Muslimen gesprochen, bevor er sich ans Schreiben machte, sondern den fertigen Film auch einem Ex-Guantánamo-Häftling vorgelegt — der dann zu dem Schluß kam, es sei nichts zu sehen, was britische Muslime beleidigen könnte. Das überrascht, schließlich werden etliche der heiligen Krieger als veritable Vollpfosten dargestellt. Aber eben nicht alle, und mit Omar (sehr gut: Riz Ahmed), dem vernünftigsten und mitfühlendsten der Bande, haben die Islamisten sogar eine Identifikationsfigur, die den Zuseher in das denkbar größte Dilemma versetzt: Er ist nicht weniger als ein sympathischer islamischer Selbstmordattentäter – etwas, das es im Bewußtsein der westlichen Welt eigentlich gar nicht geben dürfte.

»Four Lions« ist Chris Morris’ Debüt auf der großen Leinwand und sein erstes Lebenszeichen, seit er vor fünf Jahren mit Charlie Brooker die ebenfalls großartige mediensatirische Sitcom »Nathan Barley« abgeliefert hat; zum Glück gibt es zumindest von seinen Co-Autoren Sam Bain und Jesse Armstrong mehr und regelmäßiger Komisches zu sehen: zum Beispiel „The Thick of It“, an dem sie zusammen mit Armando Iannucci ebenfalls mitschreiben.

Zuerst erschienen in Titanic 10/2010

Chris Morris, Satire-Gott

6. September 2010 8 Kommentare

Reichlich verspätet habe ich nun gerade eben „Four Lions“ gesehen, die böse Komödie von Chris „Satire-Gott“ Morris rund um eine Handvoll muslimischer Selbstmordattentäter in spe. Eine ausführliche Kritik folgt in der Humorkritik der nächsten Titanic, aber ich kann ja schon mal soviel verraten: Ich habe schon lange keine Sternchen mehr gesehen vor Lachen — eben aber doch. Chris Morris,  Jesse Armstrong und Sam Bain haben alles, alles richtig gemacht. Die Fallhöhe stimmt: Es geht tatsächlich um ein Bombenattentat, um dem Dschihad gegen „Kuffars“, also Ungläubige; es werden richtige Bomben gebaut, und Menschen (und Tiere) sterben im Verlauf der Story. Die Charaktere und ihre Motive sind hoch glaubwürdig, ebenso ihr kathartisches Scheitern. Und die Haltung des Films zu seinem Gegenstand ist, wie immer bei Chris Morris, unangreifbar: Es gibt weder billige Ausfälle gegen den Islam selbst, noch könnte man jedoch, was viel wichtiger ist, „Four Lions“ die Versöhnlichkeit von etwa „The Infidel“ oder gar Verharmlosung vorwerfen. Morris beherrscht die Kunst, mit der Erwartung des Zuschauers, mit seinem Bedürfnis nach eindeutigen Hinweisen zur Position des Films, zu einer Position zum Islam und zum „Islamismus“ so zu spielen, daß man sich immer mal wieder ertappt fühlt. Aber nur, und genau dafür liebe ich diesen Film, wenn man gerade zwischen zwei Pointen dazu kommt, Luft zu schnappen. Ein großer Film also, der seine Zuschauer mehr über suicide bombers lehrt und wie sie ticken, als tausend Stunden Interview mit Peter Scholl-Latour — und dabei so komisch ist, daß man selbst explodiert. Vor Lachen.

Edit: Die DVD (es gibt Untertitel!) ist so schön gestaltet wie schon die „Nathan Barley“-DVD (die allerdings zusätzlich ein dickes Booklet mitbrachte): aus schwerem Karton mit DVD-Tasche und also ohne Plastik und entsprechende Plastiknippel, die abbrechen können bzw. Klarsichtplastik, das einreißen kann. Morris scheint auf solche Details sehr zu achten: schon die DVD-Ausgaben von „Jam“ und „The Day Today“ hatten Karton-Umverpackungen und waren clever und minimalistisch designt. Sieht schöner aus, faßt sich besser an, geht nicht kaputt. Ich weiß nicht, warum nicht viel mehr Leute auf höherwertige DVD-Ausgaben achten, wo doch längst klar ist, daß die Standardverpackung oft nicht sehr ansehnlich altert.

https://www.youtube.com/watch?v=yszKc4m-W9U?fs=1&hl=de_DE

Hier noch mal der Trailer.

Muselmann mit Judenwitz

27. August 2010 1 Kommentar

Eine Szene zu Beginn des Films etabliert die Tonlage von »The Infidel« (gerade auf DVD erschienen). Lange bevor der muslimische Londoner Minicab-Fahrer Mahmud Nasir herausfindet, wer er in Wirklichkeit ist, tritt er aus seinem Haus auf die Straße. Starren Blicks sehen wir ihn plötzlich innehalten, die Kamera fährt auf ihn zu, Wind kommt auf und wirbelt Schmutz hoch, das Rauschen eines Sturmes schwillt an, erstickt alle Alltagsgeräusche – und ein Straßenreiniger mit Laubbläser marschiert durch das dramatische Bild und ruiniert es im Handumdrehen. Nein, tiefgründig, bedeutungsschwer, bedrohlich will »The Infidel« nicht sein, nicht Satire, sondern Komödie.

Dabei hätte der Plot das Zeug dazu: Ein Moslem erfährt, daß er in Wirklichkeit Jude ist, und stürzt in eine Identitätskrise. Sein leiblicher Vater lebt noch, mit ihm will Mahmud Kontakt aufnehmen. Zuvor muß er jedoch ein waschechter Jude werden, denn der fromme Alte ist schwer krank und äußerst labil. Obwohl Mahmud nicht besonders religiös ist, hat er damit seine liebe Not; und daß sein Sohn eine Freundin hat, deren Stiefvater ein radikaler Imam ist, macht die Sache nicht einfacher. Um dessen Zustimmung zur Hochzeit zu erhalten, muß Mahmud seine Durchschnittsfamilie nämlich als strenggläubigen Bilderbuch-Clan präsentieren.

Auf das Drehbuch hätte man auch gleich mit dicken Buchstaben das Wort »Fatwa« schreiben können. Die BBC zog sich aus der Produktion vorsichtshalber zurück. Doch dem Autor David Baddiel und seinem Hauptdarsteller Omid Djalili gelingt es, den Fokus nicht auf die Religionskritik, sondern völlig auf den Clash der Kulturen zu richten, mit Stereotypen und Vorurteilen zu spielen, und so eine bodyswap-Komödie zu inszenieren, die eher leicht ist und vor allem eines: komisch.

Als er im Nachlaß seiner Mutter die Adoptionsurkunde entdeckt, will Mahmud auf dem zuständigen Amt seine wahre Identität herausfinden. Die darf ihm die Sachbearbeiterin freilich nicht offenlegen, also entwindet Mahmud ihr die Akte mit Gewalt und erfährt, während sie die Wachleute ruft, seinen Geburtsnamen: Solomon Shimshillewitz. Die Wache führt ihn ab, und Mahmud alias Solomon ruft: »Gimme a break – you find out you’re jewish, and suddenly some bloke in a uniform is leading you away?«

Ja, er ist jüdisch, und die Unterrichtsstunden im Jüdischsein, die er von seinem amerikanischen Taxler-Konkurrenten Lenny Goldberg (Richard Schiff) erhält, gehören zu den besten Momenten des Films. Dabei können sich die beiden eigentlich nicht ausstehen: Goldberg parkt gerne vor Mahmuds Haus. Der beschimpft ihn dafür hingebungsvoll, und dabei rutscht es ihm raus: Ich bin ja selbst Jude! Prompt fährt Goldberg sein Taxi weg. Was, weil er Jude sei? fragt Mahmud verblüfft, und erhält die Antwort: »Welcome to the world wide conspiracy!«

Nein, die islamische Welt kann sich über zu böse Kritik in »The Infidel« wahrlich nicht beschweren: Mahmud und seine Familie sind weltliche Muselmanen von nebenan, Extremisten werden auf beiden Seiten zur Räson gebracht, und die meisten Scherze sind ziemlich gutmütig: Nicht nur das Fernsehen, so sinnieren einmal Mahmuds muslimische Kollegen, sei von Juden beherrscht, ganze Länder würden ja von Juden geführt! Die USA zum Beispiel! Und Israel!

Baddiel ist in seinem Bemühen, eine Fatwa zu vermeiden, sogar ein wenig über das Ziel hinausgeschossen: Allzu versöhnlich und reichlich konstruiert ist nämlich der Schluß des Films, den man sogar als Plädoyer für eine gewisse Religiosität lesen könnte (was ja doch Wunder nimmt, wenn es von einem erklärten Atheisten wie Baddiel kommt). Das riecht dann allzusehr nach abrahamitischer Ökumene. Doch genau so habe er das gewollt, erklärt Baddiel. Und wer es lieber böse mag, kann ja statt zu »The Infidel« lieber zu Chris Morris’ ebenfalls bald auf DVD erscheinenden Islamisten-Satire »Four Lions« greifen, in der eine Handvoll unterbelichteter Möchtegern-Selbstmordattentäter… Doch dazu ein anderes Mal mehr.

Zuerst erschienen in der Humorkritik in TITANIC 9/2010