Der schwere Rucksack der Bedeutung

17. Januar 2009 4 Kommentare

Manchmal, wenn ich Spielfilme gucke, insbesondere britische, die leider viel zu selten wirklich gut sind, bemerke ich erst, wie sehr ich Fernsehen liebe und Fernsehserien. Gestern: „Son of Rambow“ (gedreht von Hammer & Tongs alias Garth Jennings und Nick Goldsmith, „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“), gesehen wegen Jessica Hynes, geb. Stevenson („Spaced“).  „Son of Rambow“ ist die Geschichte zweier Zehnjähriger, die auf den ersten Blick kaum etwas gemein haben: Der eine ist ein schüchterner, schmächtiger Pennäler aus einer religiösen Spinnerfamilie, der andere ein Bully, wie er im Klassenbuch steht; die beiden freunden sich against all odds an und drehen gemeinsam einen an „Rambo“ angelehnten Akschnfuim; einer hinter der Kamera, einer als Stuntman/Hauptdarsteller davor. Der ganze Film spielt in einer durch und durch künstlichen Frühe-80er-Jahre-Setting, das deutlich von den Fantasy-Welten des überschätzten Terry Gilliam inspiriert ist und in dem Zehnjährige halsbrecherische Actionspektakel zwischen den Kühltürmen eines stillgelegten Kraftwerks drehen und Teenager zu diesem Zweck Kübelwagen kaputtfahren können, ohne daß sie hinterher alle vor dem Jugendgericht landen, sondern mit ihrem Film ins Kino kommen, als Vorfilm von „Yentl“. Die fabelhafte Welt der Präpubertären sozusagen.

Dabei benehmen sich die Blagen aber nie wie Kinder, sondern immer so, wie Erwachsene sich das zurechtphantasieren und in ihrer Erinnerung an eigene Kindheitstage verklären: Die Schule mit ihren drakonischen Strafen! Die geheimnisvolle Erwachsenenwelt, durch Kinderaugen gesehen! Und natürlich die bffs (best friends forever) inklusive Blutsbrüderschaft und einer für alle, alle für einen! Aber da muß natürlich jeder durch, Stichwort coming of age und so, Charakterbildung, selbständig werden, klar, klar. Richtig aufregen könnte ich mich, je länger ich darüber nachdenke.

Möglicherweise rege ich mich auch deshalb so über diese Phantasiekinder auf, die in „Son of Rambow“ mit der Autorenfilmschablone gezeichnet worden sind, weil ich bis vor Wochenfrist noch die zweite Staffel „Outnumbered“ gesehen habe, die eindrucksvoll beweist, wie es eben auch gehen kann: Mit Kindern, die sich wie Kinder benehmen, ohne dabei in Reality TV-Verdacht zu geraten. Nein, „Outnumbered“ zeigt das Leben einer Mittelschichtsfamilie am Rande Londons in einem realistischen Stil, den es so bis dahin noch nicht gegeben hat, denn die Kinder improvisieren einen Gutteil der Szenen. Dabei ist zwar, ähnlich wie bei „Curb Your Enthusiasm“, Ausgangs- und Endpunkt jeder Szene klar, dazwischen aber und vor allem nach dem Endpunkt sind die drei fünf, sieben und elf Jahre alten Nachwuchsschauspieler frei zu improvisieren, und sie sind ganz offenbar Naturtalente.

Das Angenehmste bei „Outnumbered“ ist jedoch, wie unbekümmert hier mit der Story umgegangen wird: Es gibt nämlich kaum eine. Zwar gibt es eine gewisse Rahmenhandlung: Der Elfjährige geht auf eine neue Schule, die Eltern müssen sich zunehmend um den vergeßlichen Großvater kümmern, Konflikte mit nahen Familienmitgliedern wollen gelöst werden usw. Doch die einzelnen Folgen sind annähernd about nothing, viel mehr sogar als „Seinfeld“, das als „Show about nothing“ gehandelt wurde, es in Wirklichkeit aber nie war, denn „Seinfeld“-Folgen lassen sich ja problemlos nacherzählen, was bei z.B. „The Royle Family“ oder eben „Outnumbered“ deutlich schwerer fällt.

Es scheint eine der Freiheiten des Fernsehens zu sein, solche plotlosen Geschichten erzählen zu können und ohne Subtext auszukommen, den Spielfilme wie „Son of Rambow“ Gott weiß warum immer wie einen Rucksack voller Bedeutung mit sich herumschleppen müssen, vielleicht damit die Zuschauer etwas zum Nachdenken und Diskutieren haben, wenn sie aus dem Kino herauskommen. Statt einfach mal gut und kurzweilig unterhalten worden zu sein. Schade eigentlich.

Mehr zu „Outnumbered“ (erste Staffel auf DVD erhältlich) in der nächsten Humorkritik in TITANIC 2/2009!

Pegg & Frost & Spielberg & Jackson

16. Januar 2009 2 Kommentare

Noch weiter rauf kann’s nun kaum mehr gehen: Simon Pegg („Spaced“, „Shaun of the Dead“) wird zusammen mit seinem Buddy Nick Frost („Spaced“, „Shaun of the Dead“) in einer Coproduktion von, bitte festhalten: Steven Spielberg und Peter Jackson zu sehen sein. In der Verfilmung der Hergé-Comics „Tim und Struppi“ spielen die beiden Tim und Struppi Schulz und Schultz. Das behauptet jedenfalls seit letzter Woche Pegg auf seiner Seite, und die IMDB glaubt’s auch schon. Im Kino ab 2010. Was bitte hat das noch mit Britcom zu tun?!

Ich bin ein Star – holt mich hier raus!

15. Januar 2009 31 Kommentare

Nur mal so am Rande: Ich bin süchtig nach „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“. Und zwar aus den Gründen, aus denen ich dieses Blog schreibe: Es ist britisch, und es ist komisch.

Komisch ist die Realitätsverleugnung von Peter „ein schöner Mann“ Bond, der allen Ernstes glaubt, die Zuschauer hätten ihn zum zweiten Mal in eine Dschungelprüfung geschickt, weil sie ihn beim ersten Mal so spitze gefunden und gesehen hätten, wie viel Spaß ihm das gemacht hat, auf einem Seil über dem Abgrund zu hängen wie ein Hefeteig über dem Schüsselrand. Komisch ist Lorielle London, die indigniert fragt „Wie kommst du denn jetzt auf den?“, wenn sie mit Daniel Küblböck verglichen wird. Und sehr, sehr komisch sind all die Moderationstexte, die kleinen und großen Gemeinheiten, mit denen Dirk Bach und Sonja Zietlow ohne jede Beißhemmung über die Stars im Camp herziehen. Ganz großes Fernsehen, mit Liebe gemacht.

Das Britische daran ist vielleicht das, was von deutschen Medien am häufigsten mißverstanden und von den Deutschen nicht goutiert wird. Denn diese Prüfung jedes Einzelnen auf seine Gesellschaftsfähigkeit und seine Bereitschaft, etwas für alle zu tun — und es ohne Klagen und Pipi in den Augen zu tun — ist extrem britisch. Was auf dem Schulhof zum Bullying werden kann, wenn sich eine Horde Kinder gegen einige wenige zusammenschließt, die sekiert und getrietzt werden, ist für die Sekierten auch eine Gelegenheit zu lernen, wie man Paroli bietet: Sei es mit physischer Gewalt oder mit verbaler. Schlagfertigkeit und Witz sind in solchen Situationen nützlich, und ein bißchen mehr Gewitztheit täte etlichen der aktuellen Dschungel-Contestants gut.

Der britischste Campinsasse ist bislang ohne Zweifel Günther Kaufmann: Wie er seine, die erste Dschungelprüfung absolviert hat, war extrem englisch, nämlich mit einer stiff upper lipp, als ob es ein Abendspaziergang wäre, das Leichteste von der Welt, ja: ein Vergnügen, sich mit dem Kopf durch Matsch, Getier und Schleim ziehen zu lassen. Diese beachtliche Contenance ist auch honoriert worden — er wurde kein einziges Mal von den Zuschauern zu einer Prüfung bestimmt. Verlogene, verheulte, unechte und autoritäre Großmäuler dagegen werden sofort wiedergewählt. Und zu recht.

Selbstverständlich ist da eine gute Portion Grausamkeit dabei. Aber auch das ist englisch und ein fester Bestandteil des britischen Humors, ja eine seiner tragenden Säulen. Selbst in so familientauglichen Komödien wie „A Fish Called Wanda“ zählen Grausamkeiten wie lebende Fische, die gegessen werden, kleine Hunde, die überfahren oder von Betonblöcken erschlagen werden, und nette Omas, die im wörtlichen Sinne zu Tode erschreckt werden, zu den komischsten Szenen. Von den Grausamkeiten der Pythons ganz zu schweigen, wo John Cleese am Spieß geröstet wird und dabei noch moderiert.

Und Mitleid? Habe ich bei mir noch keines feststellen können. Vielleicht ist mein Blick zu kalt auf diese Spezies Mensch, denn es sind selbstverständlich alle freiwillig da — und nur Medienprofis, die unter Scheinwerferlicht und Kamerabeobachtung groß geworden sind, sich auskennen in dem Geschäft und genau wußten, was auf sie zukommen würde. Günther for Dschungelkönig!

Update: Der unvergleichliche Charlie Brooker schlug im Guardian zum Beginn der letzten britischen Staffel übrigens einige neue, simplere Aufgaben für die Dschungelbewohner vor, die ich kurz zitieren möchte, um meinen Punkt „Grausamkeit“ zu illustrieren:

What’s required is a fresh blast of brutal simplicity. Here are some cheap and effective Bushtucker Trials they could do tomorrow, offered free of charge in the hope that Robert Kilroy-Silk has to tackle them on live television:

1) OK Robert, you have four minutes to jerk off five of our unit drivers. As you can see, they’re wearing blindfolds and earplugs; they think you’re Esther Rantzen. Try to imagine the sort of technique she’d apply, and mimic that.

2) OK Robert, you have 30 seconds to blind this kangaroo with a tent peg.

3) OK Robert, here’s a tab of breakdown-strength LSD. Put it on your tongue, and step into this cave full of glow-in-the-dark dolls‘ heads. You’ve got six hours to find the one that looks like it’s crying.

4) OK Robert, here’s a loaf of bread. You’ve got 10 minutes to stick the whole thing up your backside. Tear it, moisten it, roll it – whatever helps. But the entire loaf has to go or it’s no stars for the camp.

Spaced

14. Januar 2009 4 Kommentare

Wer mit Ende zwanzig noch von einer Karriere als Comiczeichner träumt, aber stattdessen nur im Monsterkostüm Handwerbung für einen Comicladen verteilt, wer mit fast dreißig liebend gerne Journalist wäre, aber immer, wenn es ans Schreiben geht, statt dessen lieber putzt, aufräumt oder eine Party gibt, wer in einem Alter, wo andere längst Kinder und Eigenheim haben, immer noch mit dem Skateboard herumfährt, der: sollte eigentlich mal erwachsen werden.

So wie Tim (Simon Pegg) und Daisy (Jessica Stevenson, heute Hynes) in „Spaced“. Er ein bißchen zu alt, um sich noch die Haare zu blondieren, sie ein bißchen zu pummelig, um bei Vorstellungsgesprächen mit äußeren Reizen zu punkten. Aber voller juveniler Begeisterung und vollwertige Bürger der freien Republik Popkultur, in der der Alltag zweier Nordlondoner Spätjugendlicher unversehens zu einer Montage aus Medien-Versatzstücken wird: das gräßliche moderne Tanztheaterstück wird zum Zombiefilm, ein kurzes Sinnieren über London zur Parodie auf Woody Allens „Manhattan“.

So clever und so dicht sind die Anspielungen in „Spaced“ (deren Macher später „Shaun of the Dead“ und „Hot Fuzz“ drehten), daß es auf den DVDs „Homage-O-Meter“-Untertitel gibt, die alle Referenzen auflisten, so sympathisch und echt die Figuren, daß man sich sofort mit ihnen identifiziert und feststellt: Ja scheiße, mein Leben ist ja auch eine Mischung aus „Evil Dead 2″ und den „Simpsons“! Jeder Slapstick-Unfall, jeder tragische Abschied: Es war alles schon mal da, es geschieht nichts mehr Neues in der postmodernen Welt zu Beginn des dritten Jahrtausends. Aber das ist okay.

(zuerst erschienen in Neon 12/2007)

Nachtrag: „Spaced“ ist einer meiner all time favourites unter den Britcoms der jüngeren Geschichte — schon weil es meine erste große Liebe war, ca. 2003.  Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, es sind nur ziemlich viele kleinere Lieben dazugekommen. Ich versuche noch immer, alles zu sehen, wo die „Spaced“-Leute mitwirken, insbesondere Pegg und Mark Heap („Green Wing“, „Jam“, „Brass Eye“), und hoffe, daß Regisseur Edgar Wright nach „Hot Fuzz“ mal wieder ein richtiger Knaller wie „Shaun of the Dead“ gelingen möge.

Nice? To customers?!

13. Januar 2009 1 Kommentar

In einer Welt, in der es noch kleine, inhabergeführte Metallwarenläden ohne elektrische Registrierkasse oder gar Barcodes und Scanner gibt, wo stattdessen neben dem großväterlichen Ladenbesitzer zwei mittzwanzigjährige Angestellte und ein Teilzeitverkäufer arbeiten, die den ganzen Tag gemein zueinander sind, aber auf eine total nette Weise, wie Kinder in einer Familie ohne Mama halt so miteinander umgehen und mit dem leicht vertrottelten Vater, in einer solchen Sitcom-Phantasiewelt spielt „Hardware“ (ITV, 2003 – 04). Kunden, insbesondere welche, die keine Ahnung haben oder einen Kaninchenstall bauen möchten, haben es nicht leicht, und Mike (Martin Freeman), einer der Angestellten, ist besonders unfreundlich:

Kunde: „Do you have a, um… it’s very hard to describe. It’s got a clip. And another bit that’s… clipped onto.

Mike: „A clipp-a-di-clippmatic?“

Kunde: „Is that what I mean?“

Mike: „No, but you were talking crap so I just thougt I join in.“

Das findet Steve, die Aushilfe, nicht sehr charmant, aber Mike beharrt: „There are some jobs where you’re supposed to be rude: Cabbies…“ Kenny (Peter Serafinowicz): „…school secretaries, doctor’s receptionists…“ Rex, der Besitzer: „…prostitutes…“. Mikes Weltbild wird erschüttert, als er erfährt, daß sich ein mehrfach grob abgefertigter Kunde in suizidaler Absicht vor einen Bus bzw. genaugenommen nur in die Nähe eines Busses geworfen (und überlebt) hat; Mikes in der Folge gefaßter Vorsatz, nett (!) zu den Kunden (!!) zu sein, ist allerdings nicht von Dauer.

Die Plots dieser ITV-Produktion von Simon Nye („How Do You Want Me?“) sind klassisches Fourth-Wall-Sitcom-Material, „Hardware“ bietet pointierte Dialoge, dem Setting in der Eisenwarenhandlung angemessen viele Sight Gags und sympathische Charaktere — allen voran den damals noch von „The Office“ heißen Martin Freeman. Den altmodischen Stil der Serie kann man mögen oder nicht, die immer mal wieder recht moralische Attitüde Nyes allerdings wirkt 2009 nicht weniger verstaubt als vor sechs Jahren. Sechs Jahre können ein halbes Leben sein (wenn man 12 ist), und umso schwerer verständlich ist heute, daß diese Sitcom einmal als  größter Wurf einiger Jahre in ihrem Genre und Sender gegolten hat. Die zweite Staffel enttäuschte die Fans der ersten, von denen es einige gab; in einer dritten wollte Freeman nicht mehr mitspielen. Ganz schlecht ist „Hardware“ freilich nicht: Als Steve den Beinaheselbstmörder im benachbarten Café wiedertrifft, spricht er ihm sein Mitgefühl aus: „Tut mir leid, von ihrem Mißgeschick mit dem Bus zu hören… Ist wahrscheinlich schwierig, das Timing richtig hinzukriegen: Entweder er bremst oder man prallt von der Seite einfach ab.“

Simon Nye feierte in den Neunzigern mit „Men Behaving Badly“ große Erfolge: Die Sitcom um zwei junge Männer, die sich ganz entgegen dem damaligen britischen Trend zum New Man überhaupt nicht verständnisvoll und wie Softies, sondern entschieden danebenbenahmen, erlebte sechs Staffeln und wurde 1996 sogar für zwei Sekunden zur besten Sitcom in der Geschichte der BBC gewählt.

„Hardware“ erscheint am 23. Februar auf DVD.

30 Rock! Rock!! Rock!!!

12. Januar 2009 1 Kommentar

Die drei Golden Globes für „30 Rock“ gehen natürlich völlig i.O., auch wenn bei der Preisverleihung die letzte Folge noch gar nicht berücksichtigt worden sein kann, in der die Rapper-Parodie Tracy ein phantastisches Jackett aus Dollarnoten und Schuhe aus reinem Gold trug. Doch weil US-Sitcoms hier nur am Rande vorkommen sollten, und Golden Globe-Verleihungen gar nicht, verweise ich einfach auf DWDL, was die Verleihung, und auf das Fernsehlexikon, was die lustigen Worte von Ricky Gervais angeht, der nicht nominiert war und das so kommentierte:

Welch eine Verschwendung. Das war das letzte Mal, daß ich Sex mit 200 Journalisten mittleren Alters hatte.

KategorienSitcom Tags: ,