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Artikel Tagged ‘Baby Cow’

Die Top-10-Britcoms der 00er-Jahre: Platz 6

2. November 2009 5 Kommentare

Exzentrik ist seit jeher einer der Grundzüge des englischen Charakters. Das ist auf den ersten Blick vielleicht erstaunlich, schließlich ist der britische Alltag bestimmt von Ritualen und Formeln, die britische Höflichkeit und Etikette sowie das auf Ausgleich bedachte Wesen der Briten, das sie seit jeher zur Diplomatie prädestiniert, sind weltbekannt. Aber vermutlich gerade deshalb braucht es auf individueller Ebene eine Entlastungsmöglichkeit, die von gesellschaftlichen Konventionen befreit und dem strengen Reglement etwas Anarchisches entgegensetzt: Beispielsweise exzentrisches Verhalten.

Das ist vielleicht der größte Unterschied des britischen Wesens zum deutschen: Spinnertes, abweichendes Verhalten wird nicht sofort durch Ausschluß oder Spott bestraft, sondern toleriert. In jeder Verwandtschaft gibt es ein schwarzes Schaf — aber die Briten verstecken ihres nicht wie die Deutschen, sondern sind auf den durchgeknallten Onkel, die seltsame Tante auch noch stolz. In Hinsicht auf den Humor, der in Großbritannien fester Bestandteil des Alltags ist und nicht auf bestimmte, festgelegte Situationen eingeschränkt, bedeutet das: Eine wesentlich größere Vielfalt von Tönen und Schattierungen, Stand Up-Comedians wie Eddie Izzard, Figuren wie Basil Fawlty, eigene Welten wie Royston Vasey in „The League of Gentlemen“. Eine der exzentrischsten Britcoms aller Zeiten, die man aus genau diesem Grund entweder liebt oder einfach nicht kapiert, findet sich heute auf

Platz 6: „The Mighty Boosh“ (2004 — , BBC3)topten06

(Wer die Kritik von Januar hier im Blog schon gelesen hat, kann sich die nächsten beiden Absätze weitgehend sparen.)

Vince Noir (Noel Fielding) und Howard Moon (Julian Barratt) sind Wärter in einem sehr dysfunktionalen, „Zoo-niverse“ genannten Tierpark. Dort arbeiten ihr Freund, der Schamane Naboo (Noels Bruder Michael Fielding), und der sinistre Zoodirektor Bob Fossil (Rich Fulcher), der keine einzige Tierart bestimmen kann, dort lebt auch der Gorilla Bollo (Dave Brown). Vince ist mal Mod, mal Punk, mal Waver, aber immer extrem modebewußt („What about this cape?” — „A bit last week”) und auf seine Frisur bedacht. Er nimmt das Leben leicht und hat permanent Glück, sehr im Gegensatz zum Schnauzbart tragenden Howard. Der legt auf Äußerlichkeiten überhaupt keinen Wert, ist eher ernst und nachdenklich, Jazz-Fan und konservativ bis spießig — der straight man zu Vinces funny man. Ihre gemeinsamen Abenteuer haben die immer freundliche Anmutung einer Kindersendung, die in einer leicht wahnsinnigen Version der Fünfzigerjahre spielt: sehr bunt, mit Zeichentrickelementen versetzt und bevölkert von eigenartigen Geschöpfen. In der ersten Folge läßt sich Howard auf einen Boxkampf gegen ein Killaroo genanntes Känguru ein; zwei Folgen später ist Bollo todkrank, so daß Howard in einem Affenkostüm seinen Platz einnehmen muß, damit der Zoo weiterhin gesponsort wird. Prompt verwechselt ihn Gevatter Tod mit dem echten Bollo und nimmt ihn mit in die Affenhölle, von wo Vince ihn befreien muß. In weiteren Folgen suchen die beiden Abenteurer mystische Eier in der arktischen Tundra, wo sie dem schwarzen Frost-Dämon begegnen, kämpfen sich auf der Suche nach Hilfe durch den Dschungel und setzen ihre Freundschaft beinah auf’s Spiel, als Vince sich einer Band anschließen will.

Zu den eindrücklichsten Momenten gehören die Musik-Vignetten, die oft aus Acapella-Einlagen entstehen und den liebenswürdig-bizarren Charme der Serie unterstreichen, die vielen sprechenden Tiere und Fantasy-Charaktere aus unterschiedlichsten Mythologien und die liebevolle Ausstattung: „Wenn David Bowie, Anthony Burgess und Maurice Sendak, der Autor von ‚Wo die wilden Kerle wohnen’, zusammengearbeitet hätten, wäre dabei vielleicht sowas Ähnliches herausgekommen”, schreibt The Observer.

„The Mighty Boosh“ macht von der ersten Staffel (2004) über die zweite (2005) bis hin zur dritten (2007) etliche Veränderungen durch: Vince und Howard verlassen in der zweiten den Zoo und leben in Naboos Wohnung, in der dritten führen sie gemeinsam Naboos Geschäft, die sogenannte Nabootique. Deutlich zu sehen ist, daß Baby Cow von Staffel zu Staffel mehr Geld ausgegeben hat, dementsprechend üppiger sind auch Kulissen und Effekte. Für 2010 ist eine weitere Staffel geplant, eine weitere, zweite Live-DVD erscheint am 16. dieses Monats (die erste ist durchaus sehenswert). Vor allem in der Damenwelt scheinen Noel Fielding und auch Julian Barratt mächtig Eindruck zu machen, „The Mighty Boosh“ ist also sehr pärchenkompatibel, insgesamt eine der bezauberndsten Serien der letzten Jahre und allen zu empfehlen, für die es nicht immer böse, dunkel und gemein sein muß.

Wie ein Ei dem anderen

31. Oktober 2009 11 Kommentare

Gestern begannen auf Sat.1 die neuen Staffeln „Ladykracher“ und „Pastewka“, nach Pocher lief dann noch „Zack! Comedy nach Maß“, und so wenig ich auf die Inhalte im Einzelnen eingehen möchte, weil ich das alles auch nicht sehr aufmerksam und nicht ausschließlich geguckt habe, umso mehr fiel mir, vermutlich eben deshalb, die beeindruckende Gleichförmigkeit all dieser Shows auf: Wie verwechselbar das alles inszeniert ist! Wie immer alles gleich ausgeleuchtet, gleich ausgestattet, gleich geschnitten ist — als gäbe es genau einen Regisseur, einen Ausstatter, einen Produzenten, der Wert darauf legt, daß alle seine Shows identisch aussehen.

In „Star Stories“ fachsimpeln U2 darüber, daß das Alleinstellungsmerkmal von Bono seine Sonnenbrille und das von The Edge seine Mütze sei, während das Markenzeichen der anderen zwei sei, daß sie eben kein Markenzeichen hätten. Genau diese Idee scheinen auch die Sat.1-Comedyserien zu verfolgen: Ihr Unique Selling Proposition ist es, keine zu haben. Klappt prima.

Nicht so ganz verstehe ich, daß sich neben Brainpool (von denen zwei der erwähnten Shows stammen) nicht irgendwann einmal eine kleine Produktionsfirma etablieren kann (wie in England sagenwirmal Baby Cow), die ein anderes Look and Feel entwickelt für ihre Shows: Dunkler (gerne auch im Wortsinn), dreckiger, in einem halbwegs überzeugenden Mockumentary-Stil gedreht (warum hält sich nicht einmal „Pastewka“ an dieses Format, als das es doch angelegt ist?), oder psychedelisch, mit irgendwelchen Regie-Ideen, die man nicht schon millionenmal gesehen hat? Es gibt doch hunderte von Möglichkeiten, Serien etwas Unverwechselbares, Eigenes zu geben; nennen wir es der Einfachheit halber Charakter. Anschließend könnte man ja sogar wieder zurück zu klassischen Formen kommen, die dann genau so wirken könnten, nämlich klassisch. Heute wirken sie nur wie Einheitsbrei, möglichst leicht verdaulich heruntergekurbelte Dutzendware, die dadurch leider schon seicht aussieht, bevor noch irgendwelche Drehbuch-Inhalte Wirkung entfalten könnten. Wenn es denn welche gäbe.

Daheim ist es doch am schlimmsten

2. Oktober 2009 Keine Kommentare

Mit 18 ist sie Hals über Kopf aus ihrer Heimatstadt Coventry weg und wart nicht mehr gesehen. Nun, zwölf Jahre später, kommt Gaynor nach Hause zurück, kleinlaut und gescheitert, und zieht in ihr altes Kinderzimmer, wo immer noch die „Wonderwall“-CD in den CD-Spieler eingelegt ist: Das ist die Ausgangsposition von „Home Time“ (BBC2), der ersten eigenen Sitcom von und mit Emma Fryer („Ideal“).

Gaynor muß sich jede Menge Standpauken anhören: Von ihrer Mutter, insbesondere aber von ihren Freundinnen, die es nie aus den Midlands hinaus geschafft haben. Sie haßt es, wieder zuhause zu sein — nichts ist schlimmer, als die Straße hinunterzugehen und von allen, allen gegrüßt zu werden, hey, du bist ja wieder da! Wo warst du denn?, sogar von einem Einbrecher, der gerade aus einem Fenster steigt, und vom Polizisten, der ihn gleich darauf verhaftet. Alles ist wieder wie früher, oder, wie eine ihrer Kumpelinen es formuliert: „Alles wieder an seinem Platz — wie ein schweres Tor, das ins Schloß gefallen ist.“ Nur daß Gaynor mittlerweile für ihre kniehohen Lackstiefel ein bißchen zu alt ist, und für das enge Union-Jack-Kleid auch.

https://www.youtube.com/watch?v=7WQwhIuNe3I&hl=de&fs=1&

Das Setting ist prima: ein bißchen traurig, ein bißchen gemein (und insofern eine typische Baby Cow-Produktion — eine Kritik spricht sogar von Sadcom); die Hauptdarstellerin glaubwürdig (und stand up-gestählt), und der Soundtrack (Blur! Pulp!) hervorragend. Auch daß die Gagfrequenz eher langsam ist, könnte ich der Serie verzeihen, schließlich ist sie ja von vornherein eher leise angelegt. Was die Identifikation mit Gaynor allerdings extrem erschwert ist, daß man (zumindest zur Halbzeit der Serie) nicht erfährt, was in den zwölf Jahren geschehen ist: Wie und warum Gaynor gescheitert ist. Das soll zwar, so verrät Fryer im Interview, noch zumindest angedeutet werden, das könnte aber schon ein bißchen zu spät sein.

Was mir allerdings schwer im Magen liegt, ist die reaktionäre Seite des Ganzen: Daß da die Wiederherstellung alter Zustände im Grunde ja doch gefeiert wird. Denn der Subtext ist deutlich zu lesen: Daheim ist es doch am besten, da sind die Leute, die dich schon dein ganzes Leben kennen und mögen. Das mag in Krisenzeiten, in denen junge Erwachsene immer länger bei ihren Eltern wohnen oder gar in ihr Elternhaus zurückkehren, ein populäres Thema sein — mein Fall ist es nicht.

Piloten-Check 6+7: Videoblogs aus der Zukunft

Aus der Werkstatt von BabyCow, deren Produktionen häufig etwas gewagter sind als die anderer Fernsehschmieden, kommt „Brave Young Men“ (BBC3, 22.3.): Die Geschichte zweier paarundzwanzigjähriger Simpletons Owen und Jamie. Owen wird von einem mysteriösen Fremden und angeblichen Zeitreisenden eines Tages zum „Caretaker of the world“ ernannt, einfach weil er zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sei: Denn auch die größten Katastrophen begännen irgendwann einmal mit Kleinigkeiten — und Owen sei in der Lage, diese Kleinigkeiten zu ändern. Zwar sträubt sich Owens Kumpel Jamie zunächst gegen die ihm zugedachte Rolle als Sidekick, ist dann aber doch mit von der Partie, als es darum geht, die Ladung selbst angesetzten Biers eines Nachbarn sicherzustellen: ansonsten werde das Selbstgebraute als Biermarke von einer Großbrauerei übernommen und im Jahr 2013 eine katastrophale Kontamination auslösen! Behauptet jedenfalls der mysteriöse Fremde und weist Owen und Jamie an, ihm „zu Testzwecken“ mehrere Kästen zu bringen. Nun sieht dieser ominöse Zeitreisende allerdings einem durchschnittlichen Obdachlosen verdächtig ähnlich, und so ist bis zum Schluß nicht ganz klar, ob Owen und Jamie wirklich die Welt retten — oder nur die nützlichen Idioten für einen cleveren Stadtstreicher sind.

https://www.youtube.com/watch?v=NgU5dhWmeNQ&hl=de&fs=1

„Brave Young Men“ von Sam Leifer und Tom Basden (Jamie) kommt völlig ohne CGI- und sonstige SciFi-Effekte aus; leider auch weitgehend ohne Witze. Trotzdem hätte eine Staffel davon lustig werden können — zwei Loser als vermeintliche Weltretter wären eine durchaus belastbare Grundlage für eine Sitcom. Offenbar haben sich aber die BBC3-Verantwortlichen bereits gegen eine Aufnahme von „Brave Young Men“ ins Programm entschieden.

Etwas gar zu langweilig für solche Überlegungen dagegen ist „Mark’s Brilliant Blog“ von Mark Padley (24.3., BBC3), die Geschichte eines jungen Mannes, der mit seiner Videokamera seine Nachbarschaft filmt (und die Filme dann ins Internet stellt), Noten für das Auspacken der Wochenendeinkäufe aus dem Autokofferaum verteilt, eine Nachbarin in Schwierigkeiten bringt, die er für eine Prostituierte hält, und… puh, selbst beim Nacherzählen schlafen mir die Finger auf der Tastatur ein. Ende der Durchsage.

Piloten-Check 2: (ohne Worte)

9. Februar 2009 Keine Kommentare

Die Irokesen-Haarschnitte, einer rot, einer gelb gefärbt, kontrastieren prima mit den schwarzen Anzügen, die die beiden japanischen Straßenkünstler Ketch! und HIRO-PON in ihrem Piloten Ketch! & HIRO-PON Get It On an allerlei öffentlichen Orten spazierentragen: Am Strand, im Café, auf dem Parkplatz — überall versuchen sie, eine Frau für Ketch! (oder HIRO-PON?) zu finden und sie mit magischen Fähigkeiten zu beeindrucken. Das klappt mal besser, mal schlechter, aber stets ohne Worte, und wirkt dank allerlei Regie-Sperenzchen recht surreal. Hin und wieder allerdings auch ein bißchen gewollt edgy — ganz so, wie man es von der Produktionsfirma BabyCow halt gewohnt ist, die mit dem kleinkriminellen Dealer Moz und „Ideal“ eine ebenfalls recht bunte Figur in einer leicht unwirklichen Welt geschaffen hat. „Ideal“-Creator Graham Duff ist prompt auch bei „Ketch! & HIRO-PON Get It On“ mit von der Partie, in diesem hübschen Ausschnitt aber nicht zu sehen (hohe Auflösung empfohlen):

Bis jetzt gibt es nur die Pilotfolge (BBC3, 6.2.), die eine halbe Stunde lang und sehr unterhaltsam ist, weil die physical comedy des Duos Gamarjobat in Kombination mit cleveren Einstellungen und rückwärts aufgenommenen Szenen einen ganz eigenen Look irgendwo zwischen Straßenkunst und Sketchshow ergibt.

Julia, who is from Summerset

6. Februar 2009 Keine Kommentare
Aus München schreibt mir Murmel Clausen:
Massenmorde sind nicht unbedingt der naheliegendste Sitcom-Stoff; nimmt sich jedoch Julia Davis des Genres an, hält man bald nichts mehr für unmöglich. In ihrer SitcomNighty Night(produziert von Steve Coogans Firma BabyCow) spielt Davis die monströs egomane Friseuse Jill, deren Ehemann Terry (Kevin Eldon) mit Krebs im Krankenhaus liegt. Überzeugt davon, daß Kevin sterben wird, unternimmt sie alles, um ihr Leben abzusichern: Sie gibt sich als trauernde Witwe aus und versucht, ihrer an MS erkrankten und viel zu gutherzigen Nachbarnin Cathy (Rebecca Front, „I’m Alan Partridge“) den Ehemann (Angus Deayton) auszuspannen. Zusätzlich lernt sie über eine Kontaktbörse den psychisch kranken Glen (Mark Gattis) kennen, den sie zu lieben vorgibt, als er ihr erzählt, daß er sehr reich ist.
Neben den großartigen schauspielerischen Leistungen besticht „Nighty Night“ vor allem durch Jills tabulose Perfidität. Julia Davis, das erkennt man schon in der ebenfalls glänzenden Britcom Human Remains, scheint eine Schwäche für durchtriebene weibliche Charaktere zu haben. In sechs Episoden werden dort sechs englische Paare pseudo-dokumentarisch durch ihren Alltag begleitet. Neben Davis (verheiratet übrigens mit dem „Mighty Boosh“-Star Julian Barratt) glänzt dabei Rob Brydon („Gavin And Stacey“) als Co-Star wie -Autor. Ob als spießige Betreiber eines Bed & Breakfasts, die in ihrem Haus einerseits ein sterbendes Familienmitglied, andererseits einen kleinen, privaten  Swingerclub beherbergen — genaugenommen sogar Wand an Wand –, oder als suburban white trash couple, das ein Kind erwartet und die Hochzeit plant: In keiner Folge sind dem menschlichen Elend Grenzen gesetzt. Die Essenz der Serie ist recht einfach: Frau belügt Mann, Mann belügt sich, Frau belügt sich und Mann belügt Frau. Wer in naher Zukunft heiraten möchte, sollte die Finger von „Human Remains“ lassen. Und sich für die gleichen schlappen fünf Pfund was anderes bei Amazon bestellen. Das Marriage Book zum Beispiel.