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Goodbye Ladies

9. Oktober 2013 1 Kommentar

Natürlich hat niemand von den Rolling Stones erwartet, dass sie plötzlich zur Punk-Band würden, nur weil viele junge Menschen sich in den mittleren und späten Siebzigern plötzlich für den dreckigen, rohen, obszönen, wütenden Drei-Akkord-Blitzkrieg des Punk begeisterten. Nein, die Stones mussten bei dem bleiben, was sie zehn, fünfzehn Jahre früher groß gemacht hatte: saubere Rockmusik. Auch wenn sich ihre Platten neben denen von The Damned, den Sex Pistols und den Buzzcocks plötzlich sehr altbacken anhörten.

Vielleicht ist es also kein Wunder, dass auch Stephen Merchants neue und erste Solo-Sitcom „Hello Ladies“ (HBO, gerade ist die zweite Folge gelaufen) so angestaubt wirkt, so gar nicht frisch und hip, obwohl Merchant zusammen mit Ricky Gervais doch derjenige war, der der Sitcom vor mittlerweile gut zwölf Jahren zu einem neuen, seitdem kaum je wieder erreichten Höhepunkt verhalf, als „The Office“ (BBC2, 2001 – 03) zum ersten Mal auf den Bildschirmen der Welt zu sehen war.

Damals waren Gervais und Merchant quasi über Nacht zu den Rolling Stones der Comedy geworden, und seitdem sind sie, mit mehr oder weniger großen Aktualisierungen, bei dem geblieben, was am besten können: Mockumentaries und cringe comedy. Nur dass sie jetzt eben Solo-Platten machen.

Wann haben Soloprojekte alternder Rockstars je die Popularität früher Alben erreicht? Welcher Fan hält „She’s The Boss“, Mick Jaggers Album von 1985, oder Keith Richards‘ „Talk is Cheap“ (1988) in ähnlich großen Ehren wie „Beggars Banquet“ oder „Let it Bleed“?

Wenn Merchant der Richards zu Ricky Gervais‘ Jagger ist, dann ist „Hello Ladies“ Stephen Merchants „Talk is Cheap“.

In „Hello Ladies“, von Merchant und den beiden US-„The Office“-Autoren und -Regisseuren Lee Eisenberg und Gene Stupnitsky, spielt Merchant Stuart, einen britischen Webdesigner in Los Angeles, der vergeblich versucht, in die Film- und Fernsehgesellschaft vorzudringen, und dort insbesondere in die der heißen Chicks. Wenig hilfreich ist ihm dabei die Freundschaft zu Wade (Nate Torrence), seinem dicklichen und gerade von seiner Frau verlassenen Kumpel, sowie Kieves (Kevin Weisman), der auf Frauen die Wirkung hat, die Stuart gerne hätte. Kieves ist gutaussehend, charmant — ach ja, und er sitzt im Rollstuhl.

Und schon sind wir mittendrin in den cringe jokes. Stuart kann Kieves nicht ausstehen (warum er trotzdem mit ihm seine Freizeit verbringt, bleibt rätselhaft), muss ihn aber regelmäßig mit den besten Weibern abziehen lassen, während er sich selbst wieder und wieder (und immer schön öffentlich) blamiert. Im Gegenzug ist er ekelhaft nicht nur zu Kieves, sondern auch zu Wade (warum der trotzdem mit Stuart seine Freizeit verbringt, bleibt rätselhaft). Einzig mit seiner Untermieterin, der ambitionierten Nichtmehrganzsojungschauspielerin Jessica (Christine Woods), verbindet Stuart eine platonische Freundschaft, die auf Gegenseitigkeit beruht.

Aber auch sie nutzt Stuart hauptsächlich aus: denn sie ist der Mädels-Magnet, ihre „Web-Serie“ bringt Stuart in Kontakt zu jungen Schauspielaspirantinnen. Gleichzeitig scheitert sie sowohl selbst an Beziehungen mit Männern als auch an der Dümmlichkeit ihrer Freundinnen, was sie in manchen deprimierten Momenten mit Stuart verbindet und zu einer Kandidatin für das alte Will they, won’t they-Spiel, nicht ganz unähnlich mit der Beziehung von Andy (Gervais) und Maggie (Ashley Jensen) in „Extras“.

Alles an „Hello Ladies“ wirkt, formulieren wir es so neutral wie möglich: wie Mainstream. Wie eine Network-Comedy. Jedenfalls nicht wie HBO. (Und tatsächlich ist es auch von oder jedenfalls mit ABC produziert.) Nichts daran ist überraschend, schon gar nicht die Figur des Briten in den USA. Dieses Klischee haben wir, und gar nicht vor langer Zeit, schon schöner ausgespielt in „Family Tree“ (dito HBO, in Coproduktion mit der BBC, 2013) gesehen, und, auf längere Distanz, in „Episodes“ (Showtime/BBC2, seit 2011).

Stuart aber wirkt nicht wie ein Brite, dem etwa das Gefühlsgequatsche zwischen Wade und seiner baldigen Ex Marion wahnsinnig peinlich wäre und der seiner Tollpatschigkeit gewahr ist, mit der er eine solche Unterhaltung stört — Stuart ist einfach ein unsensibler Klotz, der mehrfach in die eheliche Aussprache reinplatzt und anschließend fragt, wie es gelaufen ist. Stuart fällt auch nicht die oberflächliche Freundlichkeit der Amerikaner auf (unter der seine Mitbewohnerin Jessica zu leiden scheint, ohne selbst mehr Tiefgang zu haben) — er ist noch viel oberflächlicher als alle Amerikaner. Nur nicht so freundlich.

Bleibt die Frage, warum wir ihm dann zusehen sollen: Stuart macht, unsympathisch wie er ist, jedes Mitgefühl unmöglich, und sei es nur das Mitleid, das David Brent durch seine Melancholie erzeugt hat. Stuart ist nicht melancholisch, oder nur nach den totalen Demütigungen, in den letzten Momenten jeder Folge, die noch wenigstens ein bisschen Identifikation ermöglichen — wenn auch längst nicht genug, um einen durch ganze Folgen zu tragen. Stuart ist einfach ein Arsch, und es wird zunehmend quälend, die halbstündigen Episoden auch nur bis zum Ende anzusehen: keine Identifikationsangebote, kein neuer Dreh, der der Tortur wenigstens Neuigkeitswert gäbe — nichts.

Übrig bleibt das komische Talent, das Merchant definitiv hat und mit dem er Situationen erzeugen kann, die durchaus lustig sind. Merchants Mimik, seine Körpersprache, sein Timing sind höchste Comedy-Kunst. Hätte er nicht diese Gaben, wäre er nicht neben Gervais auch in „Extras“ (BBC2, 2005 – 07) und „An Idiot Abroad“ (Sky1, 2010 – 12) ein so guter Counterpart zu Gervais gewesen. Es gibt einige Lacher in „Hello Ladies“, und Merchant schafft es, auf Gags, die man kommen sieht, hin und wieder noch einen draufzusetzen, den man nicht schon geahnt hat. Slapstick und Dialogwitze halten sich in der Waage, die Konstruktion der Folgen ist, aber das ist halt auch Teil des Problems, handwerklich sauber.

Stephen Merchant bleibt also der hochtalentierte Keith Richards, wie Gervais (obwohl sich immer mehr Fans von ihm abzuwenden scheinen) der Mick Jagger der Britcom. Aber „Hello Ladies“ wird als Neben- und Soloprojekt, und nicht als Meisterwerk in die Geschichte der Britcom eingehen.