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Artikel Tagged ‘Da Ali G Show’

Arsch vs. Eimer

22. Juli 2013 2 Kommentare

Wie schön, dass Sommerloch ist. Da kann man sich endlich mal wieder auf Nebenkriegsschauplätzen tummeln wie dem der Causa Matthias Matussek vs. Kurt Krömer.

Was bisher geschah: der Krawalljournalist Matthias Matussek hat beschlossen, eine Einladung in Kurt Krömers Krawalltalkshow „Krömer — Late Night Show“ anzunehmen, ist dort von Krömer als „hinterfotziges Arschloch“ und, mehrfach, als „Puffgänger“ bezeichnet worden und hat sich dann entschieden, nun furchtbar beleidigt zu sein und auf Herausschneiden von Teilen seines Auftritts oder des ganzen Auftritts zu klagen. Mit eher geringer Aussicht auf Erfolg, was man so hört.

In der Folge aber ist ein großes Zetern und Klagen losgegangen: der eine darf seine Gewaltphantasien im „European“ ausleben und von Huren und Asiatenärschen träumen, der andere schäumt seinen Hass einfach ohne Umwege über Argumente ins Internet und schimpft auf den „TV-Kretin“ („und man spricht da noch von ‚Kunstfreiheit'“). Matussek selbst sieht im Nachhinein für sich zwei Optionen, „Krömer eine reinzuhauen oder rauszugehen“, obwohl er natürlich beides hätte machen können. Hat er aber nicht, sondern die ganze Sendung über mitgespielt und hinterher sogar noch für ein Foto posiert.

Ich bin reichlich ratlos, und zwar nicht nur über die Stellvertreterreaktionen von Leuten, die die Sendung m.W. gar nicht gesehen haben und insofern (mal wieder) über etwas urteilen, das sie nur vom Hörensagen kennen. Das alleine sollte ja nun schon stutzig machen; aber Schwamm drüber, ist halt Sommerloch, und die Medien tun ja offenbar alles dafür, noch Öl ins Feuer zu gießen.

Nein, ratlos bin ich in erster Linie über Matussek. Der Mann ist doch Medienprofi. Wer, wenn nicht er, wüsste denn, dass Menschen, die in den Medien vorkommen, und noch dazu bei Comedyshows, immer Rollen spielen? Alexander Bojcan die des Kurt Krömer und Matthias Matussek die des Gastes?

Denn da geht doch das Missverständnis schon los: dass Kurt Krömer überhaupt satisfaktionsfähig wäre. Ist er nicht, er ist nur eine Rolle, eine Kunstfigur, wie Ali G die Rolle ist, in der Sacha Baron Cohen die Gäste seiner „Ali G Show“ noch viel mehr beleidigt und gedemütigt hat. Ohne dass die hinterher geklagt hätten, denn dort wussten sie, dass sie Gäste sind, die gekommen sind, um ihre Rollen als Gäste zu spielen. Die gekommen sind, um sich zur Unterhaltung des Publikums von Ali G zum Horst machen lassen. Und nicht, um die Welt über das Erscheinen ihrer neue Bücher, Filme oder Platten zu informieren. Wie um Himmels willen konnte Matussek das glauben?

Kurt Krömer kann niemanden beleidigen, so wenig wie Ekel Alfred oder der Kater Garfield jemanden beleidigen können: Weil sie Figuren sind, Erfindungen, Fiktionen, die per definitionem mit Platzpatronen schießen, selbst wenn sie „Amok laufen“, wie Matussek jetzt behauptet. Selbst wenn die Trennung von Kunstfigur und Darsteller nicht so klar wäre wie hier, weil sie unterschiedlich heißen: der Rahmen der Sendung muss doch klar machen, dass man sich in einer künstlichen Situation befindet. Das hat es ja nun sogar schon im deutschen Fernsehen gegeben, zum Beispiel von Karl Dall, wenn sich noch jemand an „Dall-As“ (1985 – 1991, RTLplus) erinnern kann.

Die Untergriffigkeit der Krömer-Show ist also ihr Konzept. Nun zu verlangen, für Matthias Matussek eine Ausnahme zu machen und ihn in Ruhe sein Buch bewerben zu lassen, ist geradezu grotesk. Gerade Matussek, dem Spiegel-Leser sogar im Spiegel ins Stammbuch schreiben dürfen, er, der „Chefkonservative des Spiegel„, sei der „blindgläubigste Ratzinger-Bewunderer und gockelhafteste Papsttum-Propagandist“, „der Hannes Jaenicke des Feuilletons“ (Leserbriefe in der Ausgabe 29/2013, S. 14), muss sich dessen bewusst sein, welche Angriffsfläche er für Krömer bietet. Zumal er ja mit Krömer durchaus auf Augenhöhe ist, schlagfertig, wortgewandt, ein Alphamännchen des Alphamännchenjournalismus, und nicht etwa eine radebrechende Dolly Buster, die von Karl Dall auf ihre großen Titten angesprochen wird.

Ali G hat in einem legendären Doppelinterview mit David und Victoria Beckham „Posh Spice“ gefragt, ob sie sich von David anal hernehmen lassen würde:

Ali G: Me heard that there is an insulting song that they sing about you has you heard it, what is the words?

Victoria Beckham: They say Posh Spice.

Ali G: That you take it up the arse.

Victoria Beckham: That’s right.

Ali G: But that’s not insulting, that’s the biggest compliment you can pay someone. No but seriously, does you take it up the botty?

Victoria Beckham: No of course I don’t.

Ali G: Beckham, you telling me you ain’t never been caught offside?

David Beckham: No.

Eine Situation, in der andere Männer, und zwar zur Verteidigung ihrer Frau, wohlgemerkt, nicht um sich selbst zu wehren, durchaus handgreiflich hätten werden können. Was war die Reaktion von Victoria und David? Sie haben gelacht. Offenkundig war die Situation ihnen peinlich, aber sie haben sie weggelacht. Und die Reaktion des Publikums? Sie haben die beiden dafür geliebt.

Matthias Matusseks großes Ego aber lässt so eine Reaktion nicht zu. Dafür liebt er sich selbst viel zu sehr. Meine Reaktion aber als Publikum: Ich halte ihn für eine arme Wurst. So unterschiedlich kann’s gehen.

Die Top-10-Britcoms der 00er-Jahre: Platz 3

23. November 2009 19 Kommentare

cringe 1 ~ (at), move (the body) back or down in fear: The dog ~d at the sight of the whip. 2 behave (towards a superior) in a way that shows lack of self-respect; be too humble: a cringing beggar; to ~ to/before a policeman.

Oxford Dictionary of Current English, 1974

Komik durch Fremdschämen, größte Verlegenheiten und peinliche soziale Situationen herbeizuführen, ist keine Idee der Nullerjahre: Schon die Pythons haben im „Flying Circus“ mit dieser Spielart der black comedy gearbeitet. Sie ist nicht einmal etwas spezifisch englisches: Auch „Frasier“ (1993 – 2004) lebte zu einem guten Teil davon, daß sich Frasier (und Niles) regelmäßig selbst in mißliche Lagen manövrierten. Doch die Peinlichkeitslust (wenn man diesen Terminus parallel zur Angstlust einführen möchte) begann im britischen Fernsehen Mitte der Neunziger mit Steve Coogans „Knowing Me, Knowing You… With Alan Partridge“ (1994), blühte Ende der Neunziger mit „I’m Alan Partridge“ auf (1. Staffel 1997, 2. Staffel 2002) und hat seitdem ein Hoch: die „Ali G Show“ (2000) und Sacha Baron Cohens anschließende Filme „Borat“ und „Brüno“, „Peep Show“ (2003 – ), viele Serien aus Coogans Baby Cow-Produktionsgesellschaft: „Human Remains“ (2000), „Marion and Geoff“ (2000 – 03), „Nighty Night“ (2004 – 05); außerdem etwa Charlie Brookers und Chris Morris‘ „Nathan Barley“ (2005).

Wenn man genauer hinsieht, erkennt man, was viele dieser Produktionen eint: Sie haben auf die eine oder andere Weise postmoderne Elemente, beschäftigen sich selbstreflexiv mit den Medien, konkreter: mit dem Fernsehen, oder mit der Wirklichkeit und ihrer Konstruktion in den und durch die Medien. Cohen tut dies (zumindest semi-) dokumentarisch, wenn er mehr oder weniger unbedarfte members of the public vor die Kamera stellt und sie sich dort blamieren läßt (aber sein Material stark bearbeitet), Coogan fiktional, indem er einen Fernseh-/Radiomoderator erfindet, der sich vor uns, seinem Publikum, durch inakzeptables Sozialverhalten selbst erniedrigt, und die Serie, die es auf Platz drei der Top-10-Comedys der aktuellen Dekade gebracht hat, treibt die postmoderne Reflexion auf die Spitze, indem sie sich mit („Reality“-) TV zum einen und mit Comedy selbst zum anderen beschäftigt und so in ungeahnte Höhen (oder Tiefen?) der Peinlichkeit vorstößt:

Platz 3: „The Office“ (2001 — 2003, BBC2)topten03b

David Brent (Ricky Gervais) ist der Boß aus der Hölle: Einer ohne jegliches Einfühlungsvermögen, ohne Autorität, der nicht nur von allen gemocht und als Freund betrachtet werden möchte, sondern Anerkennung für ein Talent einfordert, dessen völliges Fehlen jedem im Großraumbüro schmerzhaft bewußt ist außer ihm selbst: das Talent, komisch zu sein. Er hält sich für einen „chilled-out entertainer“, ist Fan von Fernsehcomedy (nennt sein Pub-Quiz-Team dementsprechend „The Dead Parrots“) und möchte vor der Dokumentar-Filmcrew, die ihn und seine Angestellten begleitet, stets den besten Eindruck hinterlassen. Seine unsicheren Blicke in die Kamera, seine Angebereien betreffen uns, sie sind an uns, die Zuschauer (und Comedyfans) vor dem Fernseher gerichtet und machen „The Office“ so schmerzhaft wie kaum eine andere Sitcom davor oder danach. Die Hölle, das sind auch hier die anderen, nämlich die, von denen David Brent geliebt werden möchte, und die ihrerseits kaum herauskommen aus der Dilemma-Hölle zwischen der Verzweiflung Brents und seiner Verblendung, ein begabter Unterhalter zu sein.

Der fake documentary-Stil von „The Office“ war zunächst aus rein praktischen Erwägungen entstanden: Stephen Merchant durchlief 1998 das „Trainee Assistant Producer Scheme“ (TAPS) der BBC, in dessen Rahmen ein kurzer Feature-Film produziert werden sollte. Merchant entschied sich, mit Gervais etwas Fiktionales zu drehen anstelle der üblichen Mini-Reportagen, und da sie das Kamerateam für nur einen Tag hatten, war es das schnellste, dokumentarisch vorzugehen: Das bedeutete, daß man auf Beleuchtung, Geräusche und narrative Setups keine Rücksicht nehmen mußte. Damit hatten sie sich im wesentlichen aus den gleichen Gründen für einen Docusoap-Ansatz entschieden wie zur gleichen Zeit (und bis heute) viele Fernsehstationen: Es war billiger und ging schneller.

Bald war jedoch klar, daß genau dieser Docusoap-Stil auch das beste Transportmittel war für die desaströsen Comedyversuche Brents. Der hofft, daß seine Zitate und Verweise auf Comedy oder komisch gemeintes (wie den sprechenden Plastikfisch an der Wand) auf ihn abfärben und ihn als komischen Typen dastehen lassen; nicht selten schiebt er, um ganz sicher zu gehen, daß er richtig verstanden wird, auch noch einen Appendix an Erklärungen und Quellenangaben hinterher. Er selbst ist allerdings nie lustig, allenfalls hysterisch, wenn er etwa mit einem aufblasbaren Riesenpenis herumimprovisiert, den Tim zum Geburtstag geschenkt bekommen hat, und wird sofort bitter ernst, als es um eine seiner catchphrases geht:

Brent: Remember, you’re only as old as the woman you feel.

Gareth: I say that sometimes.

Brent: Yeah, I heard you say it the other day, and I thought, „He’s using one of my catchphrases“. I dont’t mind influencing a younger comedian — you’re not a comedian — but, you know, I usually credit someone if I use their comedy.

Die Verwechslung von Comedy-Referenzen mit Comedy erreicht ihren Höhepunkt, als Brent bei seiner Motivationsrede über einen Mann aus der Papierindustrie zu reden beginnt, Eric Hitchmough, und sich diesen sowohl als Basil Fawlty wie auch als Columbo vorstellt:

Brent: Imagine if Eric was a Los Angeles detective. Be a bit weird, wouldn’t it? „Um, yeah… One final thing, my wife loves you… and I don’t agree with that in a workplace!“ What’s that, Eric? You’ve given up being a Los Angeles detective and started running a hotel in Torquay? „Yes! Don’t mention the war! I mentioned it once, but I think I got away with it and I don’t agree with that in a workplace!“

Ricky Gervais spielt David Brent, der Eric Hitchmough imitiert, wie er John Cleese als Basil Fawlty nachäfft, der Adolf Hitler darstellt — postmoderner wird’s nicht.

„The Office“ trat auf den Plan, als die Unkenrufe zum Zustand der britischen Comedy kaum noch zu überhören waren: „Is this the end for TV Sitcoms?“ fragte die Daily Mail, „Something is rotten in the state of TV comedy“, witterte der Daily Telegraph), während der Guardian Fernsehcomedy mit  „Both feet in the grave“ sah (alle zitiert nach dem empfehlenswerten „The Office“ von Ben Walters) — daß aber wenige Wochen später mit „The Office“ eine Sitcom auf den Plan treten sollte, die die Maßstäbe für Jahre setzen sollte, war auch nach der Ausstrahlung der ersten Staffel nicht sofort klar: „The Office“ hatte marginale Quoten, fuhr für BBC2 die geringste Publikums-Zustimmungsrate des Jahres 2001 ein (abgesehen von der Übertragung vom Frauen-Bowling) und wurde von vielen Zuschauern nicht einmal als Comedy erkannt. Einige Jahre später war es die meistverkaufte Britcom-DVD aller Zeiten, verkauft an Sender in sechzig Länder und in einer US-Version adaptiert, die mittlerweile in der sechsten Staffel ist.