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Artikel Tagged ‘The Wrong Mans’

Jahresendabstimmung: Die Auswertung

16. Dezember 2013 Keine Kommentare

Die Auswertung der Britcoms-Polls fällt dieses Jahr ein bisschen knapp aus: Schon weil nicht sehr viele Leser gevotet haben und die Ergebnisse damit nicht sehr aussagekräftig sind. („Some Girls“ z.B. taucht nur deshalb so weit oben auf, weil jemand aus Wien praktisch jeden Tag dafür abgestimmt hat — wer und warum, darüber kann ich nur spekulieren.)

Interessant finde ich, dass mehr Leser bei den ComedyDramas abgestimmt haben als bei den Sitcoms — vielleicht, weil da das Angebot in diesem Jahr nicht so groß war und die Wahl deshalb leichter fiel? Oder weil mit „The Wrong Mans“ und „Ambassadors“, von Charlie Brookers „Black Mirror“ mal ganz abgesehen, wirklich sehr starke Kandidaten nominiert waren?

Dass bei den Sitcoms „Family Tree“ ganz vorne gelandet ist, könnte gleich mehrere Gründe haben: vor allem den, dass Chris O’Dowd seit „The IT Crowd“ auch in Deutschland sehr zu recht einem vergleichsweise großen Publikum bekannt ist, und dass auch Christopher Guest seit „Spinal Tap“ zahlreiche Fans hierzulande hat. „Family Tree“ selbst aber ist bestimmt gut, m.M. aber nicht die beste Sitcom des Jahres. „Plebs“ kommt da schon näher dran — verdientermaßen in den Top drei. „Count Arthur Strong“ wiederum hat eventuell ebenfalls von „The IT Crowd“ und der Treue der Graham-Linehan-Fans profitiert, die Arthur möglicherweise gnädiger aufnehmen als Zuschauer, die die Serie ohne das Wissen um die Autorenschaft der Show gesehen haben. In Großbritannien jedenfalls ist „Count Arthur Strong“ weit weniger gut angekommen.

Wirklich schade finde ich nur, dass die zweite Staffel „The Café“ mit null Punkten nach Hause gegangen ist. Meine Begeisterung für die erste Staffel hat sich zugegeben auch nicht hundertprozentig auf die zweite übertragen, aber mehr als null Zähler hätte ich ihr schon zugestanden.

Tja, viel mehr kann man 2013 gar nicht über die Poll-Ergebnisse sagen. Außer dass „The Wrong Mans“ und „Ambassadors“, die jeweils fast doppelt so viele Stimmen bekommen haben wie die erfolgreichste Sitcom, offenbar beide einen Nerv getroffen haben. Wäre ich programmverantwortlich bei deutschen Fernsehsendern: ich würde beide Serien einkaufen! Und dann gleichzeitig auf ZDF.neo und Eins live laufen lassen, mwahahaHAHA! WEIL ICH BÖSE BIN!

Und damit Euch allen eine schöne Vorweihnachtszeit!

Die Britcom-DVDs des Jahres

3. Dezember 2013 Keine Kommentare

Hier kommt das alljährliche Humorkritik Spezial zu den DVD-Neuerscheinungen der Saison, so wie es in der aktuellen Titanic drin steht. Wer das Blog regelmäßig verfolgt, weiß eh schon alles — für alle anderen steht’s jetzt hier noch mal zum Nachlesen.

Die große Britcom-Koalition ist da!

Wir haben mal eben für Sie gewählt: Hier sind die besten Comedy-DVDs aus Großbritannien. Eines ist klar: they rule! In welchem Quatschministerium jeweils, das verrät Ihnen Britcom-Wahlexperte Oliver Nagel

Das ist eine Überraschung: absolute Mehrheit für die BBC! Nachdem im vorvergangenen Jahr Rupert Murdochs Bezahlsender Sky fast in allen Comedy-Wahlkreisen die Abstimmungen für sich gewinnen konnte, hat die alte Tante BBC 2013 wieder die Nase vorn. Nicht zuletzt, weil sie viele Themen besetzen konnte, die den Wähler interessierten: den Kriegseinsatz in Afghanistan (»Bluestone 42«) und Sterbehilfe (»Way to Go«), aber auch Integration islamischer Menschen in die westliche Gesellschaft (»Citizen Khan«) und Familie (»Family Tree«). Da blieb auch für ITV, das auf die Themen Arbeitsmarkt (»The Job Lot«) und Gleichstellung von Homosexuellen (»Vicious«) setzte, nur die Opposition – während Sky gleich ganz aus dem Fernsehparlament geflogen ist.

Aber der Reihe nach. Die wichtigste Rolle in der künftigen Britcom-Regierung wird wohl »The Wrong Mans« (BBC Two) spielen. Denn James Corden und Mathew Baynton (beide »Gavin & Stacey«-elder statesmen) schaffen es in diesem Agenten-Pastiche, mit den Versatzstücken des Genres zu spielen, ohne es dabei zu zerstören. Und so sieht man ihnen, zwei schnell überforderten städtischen Angestellten, atemlos dabei zu, wie sie sich in einen Entführungsfall verwickeln lassen, der Mi5-Agenten, russische Spione und überbesorgte Mütter auftischt und wieder abräumt, bevor ein einzelner Handlungsstrang zu lang wird. Die Fallhöhe zwischen Dingen, die Agenten eben so tun (etwa von Brücken auf fahrende Züge springen), und dem, wie durchschnittliche städtische Angestellte dieselbe Situation durchstehen (nämlich indem sie sich anschließend unter lautem »Au, au, au«-Heulen den Hintern massieren), hat das BBC2-Publikum mit den höchsten Einschaltquoten einer Comedy seit »Extras« belohnt, und das war immerhin schon 2005. Zu Recht, »The Wrong Mans« ist nämlich trotz seines wenig gelungenen Titels die beste Serie des Jahres und das Jack-Bauer-Ministerium damit besetzt.

Tom Basden, »Wrong Mans«-Co-Autor und -Nebendarsteller, hatte wohl ein gutes Jahr, denn er war in gleicher Funktion bei »Plebs« (ITV2) eingespannt, unserem Kandidaten für das Ministerium für Brot und Spiele. Wer immer schon mal wissen wollte, welche Probleme Jugendliche im alten Rom mit dem Heranwachsen hatten, dem sei die Serie empfohlen. Kleiner Tip: Sie sind heutigen Problemen verblüffend ähnlich. Wer hätte nicht schon mal überlegt, seinen Sklaven einfach vor dem Club stehen zu lassen, wenn man den Eintritt schon kaum für sich selbst bezahlen kann? »Plebs« ist für alle, die bislang ihr Kreuzchen bei »The Inbetweeners« gemacht haben: etwas für die männlichen Jungwähler.

Schöngeistiger geht es da im Dandy-Ministerium bei »Vicious« (ITV) zu: Die beiden Veteranen Sir Ian McKellen (ja, der aus »Herr der Ringe«) und der in England annähernd ebenso berühmte Sir Derek Jacobi geben in dieser ironisch-theatralischen Sitcom ein über die Maßen schwules Paar alternder Schauspieler, die ihre Verarmung mit allerhand Pathos überspielen und eine keineswegs nachlassende Vorliebe für junge Männer haben, namentlich den neuen Nachbarn (Iwan Rheon, »Misfits«, »Game of Thrones«). Altmodisch, live vor Publikum und grell, aber es ist halt immer wieder komisch, wenn sich flamboyante alte Diven gegenseitig beleidigen – zumindest wenn es mit so gewählten Worten wie hier geschieht und von altehrwürdigen Charakterdarstellern wie diesen gespielt wird.

Ebenfalls ein alternder Bühnenkünstler, aber mit viel gröberen Strichen gezeichnet, ist »Count Arthur Strong« (BBC Two). Er nervt, und zwar sehr – erst mal seine Umwelt, insbesondere Michael (Rory Kinnear), der ein Buch über Arthur (Steve Delaney) schreiben möchte, dann aber auch so manchen Zuschauer. Eine echte Marmite-Comedy: Man liebt sie oder haßt sie so wie den bitteren Brotaufstrich. Wahrscheinlicher, daß man sie liebt, wenn man »Father Ted« und/oder »Black Books« und/oder »The IT Crowd« mochte, denn »Count Arthur Strong« stammt nicht nur aus der Feder seines Darstellers, sondern auch von Graham Linehan. Der ist für einen eher albernen Humor bekannt, und doch schafft es Arthur in der zweiten Hälfte der Staffel auch in die Herzen seiner Zuschauer – obwohl er natürlich Quälgeist bleibt.

Sehr viel leiser dagegen geht es im Melancholie-Ministerium zu: »The Mimic« (Channel 4) ist die Studie eines höchst begabten Stimmenimitators (Terry Mynott), der seinem unterwältigenden Alltag mehr Pep verleiht, indem er ihn in den Rollen zahlloser Promis erlebt – bis ihn das überraschende Zusammentreffen mit seinem erwachsenen Sohn dazu zwingt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Nicht ganz so ernst, wie es hier klingen könnte, sondern bisweilen sehr komisch, wenn Martin etwa mit der Stimme von Sir David Attenborough sein Privatleben als Wildlife-Dokumentation kommentiert.

Das Familienministerium geht an »Family Tree« (BBC Two) von Christopher Guest (siehe Humorkritik in Titanic 10/13).

»Ambassadors« (ebenfalls BBC Two) besetzt das Außenministerium in diesem Comedykabinett. David Mitchell und Robert Webb (»Peep Show«) ist ein dreiteiliges Comedy-Drama gelungen, das sophisticated und komisch zugleich ist. Niemand kann treuherziger gucken als David Mitchell, hier in der Rolle eines frisch ins Amt gehobenen Botschafters im fiktiven Tazbekistan, und niemand genervter als Webb, der hier den langgedienten stellvertretenden Chefdiplomat gibt und als solcher der Botschafter-Ehefrau Fragen nach dem Vorgänger ihres Mannes beantworten muß: »Does anyone know what actually happened to Keith’s predecessor?« — »Someone from the Cabinet Office thought they saw him recently in Phuket in a transvestite hammam. But technically he’s just missing.« — (Pause) »What was someone from the Cabinet Office doing in…?« Leider erscheint »Ambassadors« nicht mehr in diesem Jahr auf DVD.

Das Kultusministerium geht zu guter Letzt an David Walliams (»Little Britain«), der mit seiner ersten Sitcom »Big School« (BBC One) keinen ganz großen Wurf geschafft hat, aber eine solide, altmodische Sitcom, die wohl eine zweite Legislaturperiode erleben dürfte.

Acht gute bis sehr gute neue Comedys, das ist ein solides Wahlergebnis (von den zweiten und dritten Staffeln anderer Serien mal ganz zu schweigen) – da vergißt man schwache Kandidaten (wie Stephen Merchants fade Männer-Frauen-Sitcom »Hello Ladies«) schnell. Die Wahlparty kann beginnen! Und damit zurück ins Studio.

Die falschen Männer im richtigen Film

3. November 2013 5 Kommentare

Jack Bauer hatte wohl keine Zeit, als James Corden und Mathew Baynton (beide „Gavin & Stacey“-Alumni) sich ihre Agentenserie „The Wrong Mans“ (BBC2) ausdachten — zum Glück. So mussten sie nämlich selbst als Aushilfsagenten einspringen, und das ist sehr, sehr viel komischer geworden, als wenn ein Profi die Sache übernommen hätte. Denn Sam Pinkett (Baynton) und Phil Bourne (Corden) sind keine Agenten, sondern harmlose Verwaltungsangestellte in Bracknell, denen der Hochgeschwindigkeits-Thriller sofort über den Kopf wächst, in den sie verwickelt werden: ein schlimmer Autounfall, ein anschließend herumliegendes Handy, das klingelt, und Sam, der auch noch drangeht und in einen Entführungsfall verwickelt wird: das ist die Ausgangsposition für das ComedyDrama, das gerade die BBC2-Einschaltquote von „Extras“ (und das war schon 2005) erstmals übertroffen hat.

Sehr zu recht, denn „The Wrong Mans“ ist zu gleichen Maßen ein wasserdichter Thriller mit sehr solider Action und einer Geschichte, die auch ohne allzu viel Späßchen tragen würde, und schöner Comedy. James Corden darf wieder die gleiche Figur wie in „Gavin & Stacey“ spielen, nämlich den dicklichen, leicht überforderten komischen Underdog, zu dem Baynton den völlig überforderten, aber über sich hinauswachsenden straight man gibt, der sich nicht nur aus all dem Agenten-Schlamassel befreien, sondern auch noch seine Exfreundin und Chefin Lizzie (Sarah Solemani, „Him & Her“) zurückgewinnen will.

Was sich daraus entwickelt, ist eine Tour de Force mit rasant ausgewechseltem Personal, das oft nur für eine Folge tragende Rollen spielt, eine Geschichte, die tolle Haken schlägt und immer wieder für Cliffhanger sorgt, die einen überrascht auf die Uhr gucken lassen (schon wieder eine halbe Stunde vorbei?!), und die Befriedigung, dass es da jemand geschafft hat, die genau richtige Balance zwischen einem Plot, der absolut überzogen, aber im Moment glaubwürdig ist, und Komik herzustellen, die aus comic relief-Elementen, Slapstick und Charakter Comedy entsteht. Das erscheint mir die größte Leistung: dass „The Wrong Mans“ nicht nur auch ohne Comedy funktioniert hätte, sondern dass man es sich vermutlich sogar dann noch gerne angesehen hätte, wenn nichts davon komisch gemeint gewesen wäre. Mit all der Komik aber, die aus dieser Fallhöhe von echtem Thriller und sympathischen everyday people entsteht, ist „The Wrong Mans“ vermutlich das beste ComedyDrama des Jahres. (Allenfalls „Ambassadors“, die neue Mini-Serie mit David Mitchell und Robert Webb, könnte ihr diesen Rang streitig machen — mehr dazu demnächst.)

„The Wrong Mans“ erscheint morgen auf DVD.