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Artikel Tagged ‘Skins’

„Skins“, die Vierte

27. März 2010 3 Kommentare

So schmerzlich der Abschied des Haupt-Casts von „Skins“ (E4) nach der zweiten Staffel war, so gut tut der Serie genau dieses Prinzip: Nach je zwei Staffeln das Gros des Ensembles auszutauschen. Das ergibt nicht nur deswegen Sinn, weil mit dem Ende der Schulzeit für die Figuren eine unabwendbare Zäsur erreicht ist, sondern weil es den Autoren die Möglichkeit gibt, mit ihren Figuren anders umzugehen: Sie sind nicht auf Kontinuität angewiesen, die vorhersehbar machte, daß keine allzu einschneidenden Veränderungen eintreten dürfen.

Nach den ersten vier Folgen der (gerade erschienenen) vierten Staffel läßt sich schon sagen: Die Autoren nutzen diese Möglichkeiten abermals geschickt. Am Beginn der Season steht ein erschütternder Tod, dessen juristische und moralischen Folgen für mehrere Figuren dramatische Subplots bedeuten; der Drama-Anteil des ComedyDramas wird in der Folge (gegenüber der dritten Staffel) wieder höher, was der Serie sehr gut tut. Auch die Backstorys mancher Figuren überraschen, ohne unglaubhaft zu wirken, und lassen Charaktere ganz plötzlich in neuem Licht erscheinen — etwa wenn sich herausstellt, daß der größte Rüpel, dem working class praktisch auf die Stirn geschrieben steht, Sohn einer Künschtlerin mit aristokratisch anmutendem Landsitz und Rolls Royce vor der Tür ist. Ein Umstand, der auch gleich noch für nette Seitenhiebe gegen den britischen Kunstbetrieb im Allgemeinen und Damien Hirst im Besonderen genutzt wird (inklusive einer Parodie auf ein ganz konkretes Werk von Tracey Emin).

Wertung bis hierhin: Die beste vierte Staffel eines ComedyDramas ever; anderes hätte ich von dieser sensationellen Serie aber auch nicht erwartet.

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Für Kinder ab 18

15. März 2010 10 Kommentare

Ich hasse Jugendliche. Jugendliche stinken. Sie sind vorlaut, präpotent und halten sich für den Nabel der Welt, haben aber in Wirklichkeit von nichts Ahnung. Jugendliche denken nur an sich, wollen immerzu „Party machen“ und bauen Scheiße. Warum sollte ich ihnen dabei auch noch stundenlang zusehen wollen?

Nun: Weil es verdammt unterhaltsam ist — jedenfalls wenn wir von „Skins“ (E4, 2007 -) sprechen. „Skins“ bestätigt alle gängigen Vorurteile über Jugendliche (vorlaut, präpotent, keine Ahnung, Party) — und transzendiert sie. Natürlich bauen Tony, Michelle, Sid, Cassie, Chris, Jal, Maxxie und  Anwar unfaßbar viel Scheiß. Aber jeder baut ihn auf seine Weise. Und wenn man eine Weile zusieht, wird die Binnenlogik aus Scheiße bauen und Party machen so stark, daß man sich fragt: Warum habe ich eigentlich nicht so viel Scheiße gebaut und Party gemacht, als ich Teenager war? Sieht doch aus, als wäre mir mächtig etwas entgangen.

Gut, fränkische Mittelstädte in den Achtzigern und Bristol der späten Nullerjahre, das sind schon zwei unterschiedliche Planeten. Ich hätte mit 16 eher nicht auf Pump einem Grasdealer Marihuana für 1000 Mark abgekauft, um den Beutel sofort zu verlieren und keine Ahnung zu haben, wie ich das zurückzahlen soll. Ich hätte mich auch nicht mit ein paar schweren Metallteilen in der Tasche durch die Untersuchung einer Anorexie-Behandlung geschummelt oder von meinen Brüdern, die für HipHop-Battles proben, beim Klarinettespielen stören lassen, und meine alleinerziehenden Mutter hätte sich auch nicht mirnichts, dirnichts aus dem Staub gemacht, um mich mir selbst zu überlassen. Insofern hatte es vermutlich auch seine Vorteile, in der bayerischen Provinz aufzuwachsen, und nicht im Südwestengland eines britischen ComedyDramas.

Kurzweiliger ist aber auf jeden Fall die Jugend in der Fernsehversion von E4, dem Bezahlfernseh-Ableger von Channel4. Sie hat definitiv den besseren Soundtrack als meine Jugend, ist schneller geschnitten und sowohl lustiger als auch trauriger. Das ist überhaupt die ganz große Leistung von „Skins“: Wie hier Tragik und Komik Tür an Tür wohnen, wie man mit jeder Folge, die sich jeweils um einen aus der Clique dreht und auch nach ihm benannt ist, also Episode „Tony“, Folge „Cassie“ usw., wie man also mit jeder Folge mehr von der Backstory und den inneren Welten einer Figur erfährt und dabei ganz großes Drama, schlimmste seelische Verletzungen und schwerste Schicksale direkt neben schnellen und hellen Gags liegen, neben Witzen über doofe Eltern, Drogen und Sex, Sex, Sex — das ist nichts weniger als brillant. Und sehr englisch, mal wieder: dreckig, böse, sehr, sehr lustig. Die DVDs sind tatsächlich „ab 18“.

Die Schöpfer der Serie, Bryan Elsley und Jamie Brittain, sind Vater und Sohn (ersterer Jhg. ’61, letzterer ’84) und mit Preisen für „Skins“ überhäuft worden; vor allem ab der dritten Staffel häufen sich vermutlich wegen des phänomenalen Erfolgs denn auch die Gast-Auftritte, in denen über zwei bis vier Episoden Stars die Eltern respektive Lehrer verschiedener Teenager spielen dürfen: etwa Sally Phillips, Ardal O’Hanlon, Mark Heap, Rich Fulcher, Simon Day, Kevin Eldon, Bill Bailey, Peter Capaldi und Olivia Colman; Harry Enfield spielt nicht nur regelmäßig mit, sondern führt zwischendurch sogar Regie. Tony Stonem wird gespielt von Nicholas Hoult, den man als Kind noch aus „About a Boy“ kennen könnte.

„Skins“, der Name, bezieht sich übrigens nicht etwa auf Skinheads, sondern auf Zigarettenpapierchen, mit denen hier selbstredend ausschließlich Joints gebaut werden. Der Begriff „skins party“ ist infolge der Serie in den englischen Sprachgebrauch eingegangen als Synonym für extrem destruktive Großfeiern mit unfaßbar viel Akohol- und Drogenkonsum — es wird von einer Party berichtet, die auf MySpace als „Skins Unofficial Party“ angekündigt war und zu der prompt 200 Gäste erschienen, die einen Schaden von 20 000 Pfund anrichteten. Wer bei YouTube nach „Skins“-Trailern sucht (leider alle nicht einzubetten), wird praktisch nur das finden, wofür die Serie berühmt geworden ist: Exzessive Partyszenen.

In England ist gerade die vierte Staffel zuende gegangen (sie erscheint nächste Woche auf DVD); die fünfte und sechste sind schon beschlossen, vermutlich deshalb im Doppelpack, weil (fast) der komplette Cast zwischen der zweiten und dritten Staffel ausgetauscht worden ist und ein weiterer kompletter Austausch der Hauptfiguren geplant ist, deren Geschichte immer nur bis zum Abschluß der Secondary School erzählt werden. Auch von einem Film ist die Rede. Ich werde, soviel steht schon fest, alles gucken, was da noch kommt — „Skins“ ist phänomenal.

Neue Helden

14. Januar 2010 10 Kommentare

Der Serienansatz ist nicht neu: Gewöhnliche Menschen, die plötzlich die Fähigkeiten von Superhelden haben, das gab es schon in „Heroes“ und „The 4400“. Aber „Misfits“ (E4 2009), die britische Variante des Themas, ist besser, weil es typisch englisch ist: einen Ticken dreckiger — und zwei lustiger.
https://www.youtube.com/watch?v=dkL6AOFgmls&hl=de_DE&fs=1&

Sie sind die letzten, von denen man sich retten lassen würde, und sie haben auch nichts dergleichen vor: fünf straffällig gewordene Jugendliche reißen ihre Sozialstunden in einem pittoresk desolaten Industriestadtviertel herunter. Großmaul Nathan wird von seiner Mutter vor die Tür gesetzt und ist damit obdachlos, Supernerd und Brandstifter Simon hat den flackernden Blick eines jungen Klaus Kinski, Vorstadtschlampe Kelly gibt sich als die Billigversion von Katie Price (falls das überhaupt vorstellbar ist), Partygirl Alisha ist beim Autofahren unter Alkoholeinfluß erwischt worden, und der Schwarze Curtis hat sich eine hoffnungsvolle Sportlerkarriere durch Drogenhandel versaut. Nun müssen sie Parkbänke streichen und Senioren die Langeweile bei Kaffee und Kuchen vertreiben — und nach einem mysteriösen Gewitter, bei dem sie beinah von koffergroßen Hagelkörnern erschlagen werden, auch noch mit merkwürdigen Begabungen umzugehen lernen, die einer nach dem anderen an sich feststellt: Kelly kann Gedanken lesen (die meistens nicht sehr schmeichelhaft für sie sind — sogar ihr Hund schlabbert ihr erst das Gesicht ab und denkt dann: Wenn die wüßte, daß ich mir gerade die Eier geleckt habe…), Simon wird hin und wieder unsichtbar, ohne diese Gabe aber steuern zu können, und Curtis hat in besonderen Momenten Flashforwards (bzw. kann tatsächlich in der Zeit zurückreisen und die Gegenwart verändern). Ihr Problem: Nicht nur sie haben durch das Gewitter merkwürdige Befähigungen erhalten…

Spoilers ahead, darum hier mein Tip: Wer dieses düster-komische Jugenddrama im Stile von „Skins“ mit allen überraschenden Wendungen sehen möchte, sollte lieber bestellen statt weiterzulesen.

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