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Artikel Tagged ‘Russell Tovey’

An den zweiten Folgen sollt ihr sie erkennen

Zwei neue Sitcoms hat ITV1 vor Wochenfrist ins Rennen geschickt: „Vicious“, die Geschichte eines alternden schwulen Glamour-Paares (Sir Ian McKellen und Sir Derek Jacobi, man möchte es kaum glauben), und „The Job Lot“, rund um die mehr oder weniger verzweifelten Angestellten einer Arbeitsagentur. Beide Shows laufen nun seit zwei Wochen, und zwar die eine direkt nach der anderen, so dass sich Vergleiche geradezu aufdrängen. Beide lagen in meiner Gunst nach der ersten Folge ziemlich gleichauf; „Vicious“ vielleicht etwas vor „The Job Lot“, aber nicht viel.

Nach der zweiten Folge hat sich das geändert. Und weil beide Shows, so verschieden sie auch sind, doch gewisse Parallelen haben, und ich außerdem neulich etwas über Pilotfolgen geschrieben habe, fand ich bemerkenswert, wie sehr es eben nicht die Pilotfolge war, die den Unterschied macht, sondern die zweite Folge.

„The Job Lot“ ist, wie der Name schon andeutet, eine Ensemble-Comedy, innerhalb derer Trish, die Managerin der Agentur, (Sarah Hadland, zweite Geige in „Miranda“) und vor allem Karl (Russell Tovey, „Being Human“, „Him and Her“) Schlüsselpositionen haben. Klassischer Pilot-Kniff bei beiden Serien: „Eine neue Figur kommt ins Spiel“. Karl, eigentlich studierter Kunsthistoriker, hat in der ersten Folge die Schnauze voll davon, arbeitslose Versager mit Scheißjobs versorgen zu müssen, und schmeißt hin — da kommt eine gutaussehende Aushilfe des Wegs, so dass er seine Entscheidung umgehend revidiert. (Umgekehrt so bei seiner Chefin: bei der ist es das [Wieder-]Auftauchen ihrer Nemesis, einer sturen, kleinkarierten Mitarbeiterin aus der Hölle, die sich ihren Arbeitsplatz zurückgeklagt hat und nun Trish das Leben schwermacht.)

Nicht ganz unähnlich bei „Vicious“: Obwohl wir hier eine klassisch-altmodische Mehrkamera-Comedy haben, vor Publikum und deshalb mit Gelächter und allem, und schon deshalb ein ganz anderes Look-and-Feel als bei „The Job Lot“ (das mit einer Kamera und ohne Gelächter produziert ist), ist doch der Dreh der Pilotfolge sehr ähnlich. Hier sind es Stuart (Jacobi) und Freddie (McKellen), die das Ensemble anführen. Die beiden sind sympathisch effeminierte alte Streithähne (Arbeitstitel der Show war „Vicious Old Queens“, das hätte auch besser gepasst). Besonders Freddie als alternder Schauspieler, dessen größter Erfolg (zehnt-beliebtester Superschurke bei „Doctor Who“) nun auch schon einige Jahrhunderte zurückliegt, teilt kräftig Beleidigungen gegen Stuart aus, der seinerseits aber stets mit passender Münze herausgibt. Tatsächlich lebt die Show sehr von den kunstvollen Invektiven, die die beiden Theater-Giganten mit ihrer sagenhaften Präsenz einander an die Köpfe werfen, und natürlich von den beleidigten Reaktionen.

Die neue Figur in der ersten Folge „Vicious“ ist Ash (Iwan Rheon, „Misfits“, „Game of Thrones“), der jugendliche neue Mieter, der zum Love Interest v.a. von Freddie, aber auch von Freddies und Stuarts gemeinsamer Freundin Violet (Frances de la Tour, „Rising Damp“) wird.

Nach der ersten Folge haben beide Serien das Zeug dazu, solide Sitcoms zu werden: gute Settings, die man noch nicht allzu oft gesehen hat (die Arbeitsagentur erlaubt schräge Gast-Figuren für einzelne Folgen, das Milieu verarmter homosexueller Snobs hat eine eingebaute Fallhöhe von beachtlicher Größe), sehr gute Schauspieler, und eine interessante „Chemie“ zwischen den Figuren — wobei ich vermutet hätte, dass die Chemie des Ensembles bei „Job Lot“ stärker ist, weil die Charaktere unterschiedlicher sind und von Sicherheitsleuten über Arbeitslosenhilfeempfänger bis zur Agenturchefin reichen. Bei „Vicious“ ist es der Freundeskreis von Stuart und Freddie (zu dem noch Penelope und Mason gehören, eine äußerst vergessliche und abwesende Greisin und ein Beschwerdeführer), der sozial aber doch recht homogen ist.

Deshalb war ich überrascht, dass „Vicious“ doch die weitaus bessere zweite Folge zu bieten hat als „The Job Lot“. [Achtung, jetzt kommen ein paar Spoiler!] Letztere nutzt das Angebot der Vielzahl möglicher Gastfiguren sofort und führt für nur eine Folge einen höherrangigen Militär ein, der so etwas wie ein Motivationsseminar leiten soll und prompt Konflikte im Team auslöst (der Sicherheitsmann fühlt seine Autorität unterminiert, die Frauen und Karl streiten um seine Aufmerksamkeit).

„Vicious“ hingegen thematisiert die Armut der beiden Hauptfiguren: Freddie braucht für einen Auftritt vor dem „Doctor Who“-Fanclub einen neuen Mantel, den er sich jedoch nicht leisten kann. Also arbeitet Stuart heimlich beim Herrenausstatter. Diese Heimlichkeit aber führt zu Verdächtigungen und hübschen Verwirrungen. Und sie gibt den Autoren Mark Ravenhill und Gary Janetti Gelegenheit, Szenen zu schaffen, in denen je zwei Figuren miteinander interagieren können, um so die jeweiligen Beziehungen zu beleuchten und zu vertiefen: Ash klagt Freddie sein Leid mit seiner Freundin, umgekehrt klagt Freddie Ash sein Leid mit Stuart, Violet konfrontiert Stuart mit ihrem Verdacht usw.

Die Folge ist, dass das „Vicious“-Ensemble sehr viel stärker und komischer wird, weil wir die Figuren und ihre Beziehungen zueinander intensiver kennenlernen — während bei „The Job Lot“ vorwiegend die Konflikte zwischen einer neuen (außerdem recht schwach gezeichneten) Figur und dem Cast gezeigt werden, statt die Verstrickungen zwischen den Hauptfiguren. In „Vicious“ sind es die Konflikte, die zwischen den Hauptfiguren angelegt sind, die für Komik sorgen — in „The Job Lot“ braucht es auch in der zweiten Folge eine Figur von außen, um die Konflikte in Gang zu bekommen.

Natürlich ist es ein bisschen ungerecht und recht willkürlich, die beiden zweiten Folgen dieser Serien zu vergleichen.  Und selbstverständlich kann man auch „Vicious“ kritisieren: Ich hatte etwa den Eindruck, dass die ganzen blumigen Beleidigungen, die da ausgetauscht werden, gar nicht so sehr von ihrem Wortlaut lebten, sondern eher von der Theatralik und Bühnenpräsenz von McKellen und Jacobi, die wiederum vom Publikum und dessen frenetischem Gelächter unterstützt werden. Und selbstverständlich ist „Vicious“ über die Maßen altmodisch.

Aber gerade das Altmodische, die Beschränkung auf ein Set und eine Nebenbühne (in der zweiten Folge: das Kaufhaus, in dem Freddie und Stuart den Mantel kaufen/wo Stuart jobbt), die Beschränkung auf einen Cast ohne viele Nebenfiguren, macht „Vicious“ stärker als das modernere „Job Lot“ mit all seinen One-Camera-Möglichkeiten.

Mal sehen, wie es nach der dritten Folge aussieht: Wird „The Job Lot“ abermals eine Figur nur für die eine Folge einführen? Vielleicht funktioniert die Show ja gerade dann wieder: Wenn dieses Prinzip erst einmal etabliert ist. Vielleicht wird „Vicious“ schwächer, wenn die Beschränkungen allzu deutlich werden und die Beschimpfungen zwischen Freddie und Stuart ihren Neuigkeitswert verloren haben. Vielleicht also sieht dann schon wieder alles ganz anders aus, und ich muss einen Eintrag schreiben, warum die dritten Folgen alles entscheiden.

Die Anspielungen der Woche

8. November 2011 3 Kommentare

Wer auf Details achtet, hat mehr zu lachen: Zuerst durften die „Breaking Bad“-Fans schmunzeln, die „The Walking Dead“ (beides AMC) guckten. Da nahm Redneck Daryl (Norman Reedus) unvermittelt dringend benötigte Medikamente aus einem Beutel, in dem noch andere drugs spazierengefahren wurden…

Dann streifte die Kamera bei den „Simpsons“ über ein Comic-Heft auf Barts Schreibtisch:

Und zuletzt feierte „Mongrels“ (BBC3, gerade ist die zweite Staffel mit einer Doppelfolge losgegangen) ein wahres Fest der Anspielungen, Zitate und Parodien mit einer Zombie-Folge, in der nicht nur „Being Human“ (BBC3) eine zentrale Rolle spielte und Russell Tovey (gerade auch in der zweiten Staffel „Him & Her“ zu sehen) einen Cameo hatte, sondern auch eine „Shaun of the Dead“-Parodie und, eher erratisch, nachstehende Musicaleinlage zu sehen war. Let’s do the… äh… Zombies? again?
https://www.youtube.com/watch?v=fCIMYVOIokg?version=3&hl=de_DE

Yeah! Zombies! Again!

Die Rückkehr des Nichts

16. September 2010 1 Kommentar

„Shows about nothing“ sind sooo Neunziger! Gut, „Seinfeld“ behauptete nur, „about nothing“ zu sein. In Wahrheit hatte aber natürlich jede Episode eine nacherzählbare Story, und oft sogar ein Thema, das Jerry in den ersten Staffeln meist im Anfangsmonolog umriß. Zeitgleich mit dem Ende von „Seinfeld“ aber lief in England eine Show an, die der Idee des „about nothing“ viel eher entsprach: „The Royle Family“ (1998 – 2000, BBC2/BBC1). Da sah man Woche für Woche einer Manchester Arbeiterklassen-Familie dabei zu, wie sie im Wohnzimmer vor dem Fernseher saß und sich unterhielt — und allenfalls ab und zu Besuch empfing. Das ganze in Realtime, mit nur einer Kamera und auf 16-mm-Material gefilmt statt wie die meisten Sitcoms mit mindestens drei Kameras auf Video. Und mit „Storys“, die man kaum als solche bezeichnen konnte: Es ging zwar schon immer um irgendwas — aber es passierte doch so gut wie nichts.

Ein minimalistisches Konzept also, mit dem Caroline Aherne und ihre Mitautoren Craig Cash und Henry Normal anfänglich auf wenig Gegenliebe stießen. Und zwar zuallererst beim legendären Comedy-Produzenten Geoffrey Perkins, der in seiner damaligen Funktion als Head of Comedy der BBC schon in der Entwicklungsphase vehement Einwände hatte. Zum Glück konnte sich Aherne durchsetzen — und so eine der erfolgreichsten und landesweit beliebtesten Sitcoms der späten Neunziger kreieren.

Offenbar ist die „Royle Family“ nun so lange her, daß man keine Bauchschmerzen mehr haben muß, sich das Konzept einfach anzueignen. Gleich zwei Sitcoms versuchen sich derzeit in dieser Art Kammerspiel: „Roger And Val Have Just Got In“ (BBC2) in der Rentner-Version mit Dawn French und Alfred Molina. Und nun „Him & Her“ (BBC3, bislang zwei Folgen) mit Sarah Solemani und Russell Tovey („Being Human“) in der Mittzwanziger-Version der storyfreien Realtime-Sitcom.

„Him & Her“ sind Steve und Becky: arbeitslos und sexbesessen, dabei aber auch faul, schlampig und eklig. Sieht man in der ersten Folge Becky bei offener Scheißhaustür defäkieren (und anschließend nicht runterspülen), puhlt sie ihm in der zweiten Folge einen schönen dicken Popel aus der Nase und schmiert ihn ans Bettlaken. Im Bett liegen die beiden eigentlich die ganze Zeit, dort essen sie (auch wenn Kontrollfreak Steve, in dessen Wohnung wir uns befinden, das wegen der Krümel nicht so gerne hat), dort sehen sie fern (und zwar mit einer Vorliebe den spießig-langweiligen „Inspector Morse“ auf DVD), und dort empfangen sie auch Besuch: den unvermeidlichen Weirdo-Nachbarn Dan (Joe Wilkinson, der tatsächlich einige Lacher verbuchen kann), die Schwester von Becky und ihren Freund, der gleichzeitig ein Kumpel von Steve ist, und Steves Mutter, die ihm zum Geburtstag einen Dachs-Kalender schenkt und eine Flasche Ouzo („Den gab’s günstig in der Zwei-für-eins-Packung!“ — „Und wo ist deine Flasche?“). Das erinnert, wenn man nach der „Royle Family“ noch einen zweiten Vergleich braucht, sehr an „Ideal“, wo Moz in einer ebenfalls, sagen wir: leicht unhygienischen Kifferhöhle haust und Besuch kriegt. Nur daß die beiden Spießer nicht mal kiffen.

Das Publikum schien sich schon nach der ersten Episode in zwei Lager geteilt zu haben: in begeisterte Fans, die von den brillanten Skripts von Stefan Golaszewski („Cowards“) sprechen, und in eine Fraktion, die „Him & Her“ nicht begreift. Oder höchstens als Zeitverschwendung. So wie, leider mal wieder, ich. Denn auch wenn ein paar gute Gags dabei sind pro Episode: Lange Strecken der ersten beiden Folgen kamen ohne jeden Witzversuch aus. Dafür mag ich weder sie noch ihn. Sie hat, so gut sie aussieht, leider zu viele abstoßende Angewohnheiten, und er neigt zu sehr zu Hysterie und Selbstverliebtheit („You are very good at blow jobs, and I am very good at receiving them“). Und daß er ihr aus reiner Gehässigkeit das Brot unterjubelt, das eben noch mit der Butterseite nach unten auf dem gewöll-übersäten Schlafzimmerteppichboden lag: igitt. Benehmen sich Mittzwanzigjährige wirklich so? Und wenn ja: Was hält sie zusammen? Denn Hinweise auf Affekte zwischen ihm und ihr fehlen einfach, da ist kein Moment von Zuneigung oder gar Liebe — nur dauerndes Gerede über Sex, Sex und noch mal Sex.

„Ehrlich und akurat beobachtet“ nennt der Comedy-Guide das. Ich will mal hoffen, daß das nicht stimmt. Und daß BBC3 („Two Pints Of Lager And a Packet Of Crisps“, „Horne & Corden“) bald auch für etwas anspruchsvollere Mittzwanziger gute Comedy produziert.