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O’Shannons komische Theorie

1. Oktober 2012 Keine Kommentare

Eine sichere Methode, mit der man Freizeit- wie Berufskomikern die Laune augenblicklich verhageln kann: Man spreche sie auf Komiktheorien an. Denn so viele unterschiedliche Erklärmodelle des Witzes es auch geben mag, keine stimmt so ganz. Seien es philosophische Theorien wie die von Schopenhauer, seien es psychologische wie die Freudsche von der Einsparung eines psychischen Aufwands — keine dieser Theorien taugt wirklich, um das Phänomen der Komik plausibel zu erklären. Warum etwa ist derselbe Witz einmal gut und einmal schlecht, wenn ihn zwei verschiedene Menschen vortragen? Warum empfindet der eine etwas als urkomisch, was den anderen empört? Und was ist denn nun eigentlich komisch?

Vielleicht kranken viele Komiktheorien ja daran, dass sie sämtlich von Theoretikern stammen. Nun aber hat ein Handwerker der Comedy ein Handbuch geschrieben, das das Zeug zum Standardwerk hat: »What Are You Laughing At?« (Continuum Books) von Dan O’Shannon, einem langjährigen Autor und Produzenten u.a. von »Cheers«, »Frasier« und »Modern Family«. Er entwickelt auf knapp dreihundert Seiten eine komische Systemtheorie, die im Grunde ein Kommunikationsmodell ist — aber ein enorm detailliertes.
Das beginnt damit, dass der Kontext eines Witzes hier mindestens genauso wichtig ist wie der Witz selbst. Sind doch vor die Rezeption schon etliche Filter geschaltet: von der (sozialen, mentalen, gesundheitlichen) Verfassung des Empfängers über seine bereits vorher bestehenden Gefühle gegenüber der Quelle eines Scherzes bis hin zur Art der Kommunikation, die uns womöglich denselben Scherz komisch erscheinen lässt, wenn ein Arbeitskollege ihn vorträgt, in einer Hollywoodkomödie aber nicht. Dieser Kontextfrage widmet O’Shannon den kompletten ersten Teil seines dreiteiligen Buches. Weiß man etwa, dass der Typ am Kneipentisch Berufskomiker ist, kann es die Wirkung eines erzählten Witzes sogar mindern, weil man vielleicht ahnt: Da will jemand nur sein neues Material ausprobieren — es geht ihm gar nicht darum, mich persönlich zu unterhalten.

Beispiele wie diese machen die Lektüre von »What Are You Laughing At?« wesentlich kurzweiliger als andere wissenschaftliche Bücher zum Thema. Sehr erhellend ist auch eine Anekdote, die belegt, wie wichtig es für Komik ist, den Rahmen zu kennen, innerhalb dessen man gerade lacht. Da berichtet O’Shannon von einer merkwürdigen Publikumsreaktion während einer Sitcom-Aufzeichnung der »Mary Tyler Moore Show«: Mary und ihr Boss Lou, langjährige Arbeitskollegen, beschließen ein Date. Doch das verläuft weniger romantisch als peinlich, vor allem, als sie sich küssen wollen und sich einander zuneigen — aber lachen müssen, weil ihnen bewusst wird, wie albern es ist, aus einer Freundschaft mehr machen zu wollen, als sie ist. Das Publikum kreischt zunächst vor Lachen — um dann schnell zu verstummen.

Eigentümlich und unbefriedigend sei diese Reaktion gewesen, so O’Shannon, und ihm erst viele Jahre später ein weiteres Mal begegnet, nämlich bei »Cheers«. Dort hat er dem (extrem phlegmatischen) Norm ins Drehbuch geschrieben, dass er, Norm, zunächst mit ernstem Gesicht erzählt, er wolle nun sein Leben in die Hand nehmen und sich einen Job suchen — um sich aber prompt das Lachen nicht verkneifen zu können, denn natürlich hat er die anderen »Cheers«-Kneipenhocker nur zum besten gehalten. Auch hier, so der Autor weiter, habe das Studiopublikum erst laut gelacht, sei aber abrupt verstummt — und da sei ihm klar geworden, warum: In beiden Fällen hatten die Zuschauer gemeint, Zeugen eines »Bloopers« zu werden, bei dem die Schauspieler ihren Text vergessen oder lachen müssen, jedenfalls aus der Rolle fallen, was das Studiopublikum stets besonders lustig findet. Weil aber die Szene ganz nach Buch weiterging und das Publikum seinen Fehler schnell bemerkte, brach das Gelächter ab; niemand wollte den Fortgang der Szene verpassen.

So leicht verständlich schreibt O’Shannon auch jenseits der anekdotischen Einschübe, so dass einem die vielen Schaubilder zunächst albern vorkommen. Doch je weiter man sich durch seinen »Comprehensive Guide to the Comedic Event« arbeitet, desto komplexer werden auch die Theorien. Da bedauere ich schon jetzt mal vorsorglich, dass sich wohl kein deutscher Verlag finden wird, diese künftige Bibel der Humortheorie auch adäquat übersetzen zu lassen. Doch lohnt sich der Import für alle, die sich für Theorie und Praxis der Komik interessieren. Eines allerdings, so warnt O’Shannon selbst schon zu Beginn des Buches, lernt man aus »What Are You Laughing At?« sicher nicht: wie man einen guten Witz macht. Man kann zwar den Bauplan eines guten Witzes studieren – reverse engineering funktioniert bei der Komikproduktion aber leider nicht.

Zuerst erschienen in der Humorkritik in Titanic 10/2012

Emmy-Nominierungen 2012: Am besten nichts Neues

Die Emmy-Nominierungen sind raus, und insbesondere in puncto Comedy hat die Academy alle auch nur ansatzweise innovativen Shows weiträumig umfahren — auch wenn sich etwa Louis C.K. offenbar selbst keinen Gefallen getan hat.

Die (Nominierungs-)Abräumer des Jahres sind zum größeren Teil seit Jahren geläufig: „Modern Family“ (ABC) ist 14 Mal (!) nominiert, „30 Rock“ (NBC) ganze 13 Mal; neben diesen beiden sind noch der Mainstream-Krempel „Big Bang Theory“ (CBS) von Chuck „Two and a Half Men“ Lorre sowie der Klassiker „Curb Your Enthusiasm“ (HBO) als beste Comedyserien nominiert.

Nicht prominent vertreten unter den Nominierungen ist dagegen die für meine Begriffe phantastisch komische Meta-Sitcom „Community“ (NBC), die eine einzige eher versteckte Nominierung für „Outstanding Writing“ erhalten hat (für die brillante Folge „Remedial Chaos Theory“); das gleichfalls hochkomische „Parks And Recreation“ (NBC) ist ebenfalls lediglich für eher abseitige Auszeichnungen nominiert wie „Outstanding Writing“, „Outstanding Special Class – Short-format Live-Action Entertainment Programs“, „Outstanding Sound Mixing For A Comedy Or Drama Series (Half-Hour) And Animation“ (ja, das gibt es wirklich) und, nun gut, Amy Poehler ist nominiert als „Outstandin Lead Actress In A Comedy Series“.

Louis C.K. hat sich, wenn man dem Blogger und Comedy-Veteran Ken Levine Glauben schenken darf, mit der Auswahl seiner eingereichten Folge „Louie“ (FX) ins Knie geschossen:

There were better, funnier episodes he could have submitted. The first one he offered opens with him waiting at a subway platform. There’s a violinist playing furiously for five minutes and a homeless guy showering by pouring bottled water on himself. This goes on endlessly. Then the subway arrives. We see the refuge of New York City. On a seat there is some disgusting sludge. People stare at it. Louie finally gets us, takes off his jacket, and mopes up the disgusting mess. If you’re a LOUIE fan, I’m fan this was all rollicking. But if you’re not, or you’ve heard good things but were sampling the show for the first time, I think by the seven-minute mark you were done.

Immerhin ist auch Louis C.K. wenigstens zweimal nominiert, für Regie und Drehbuch.

Weitere Überraschung dieses Jahr: „Veep“ (HBO) ist prominent vertreten, obwohl Armando Iannuccis Politsatire um die Vizepräsidentin der USA (gespielt von Julia Louis-Dreyfus, auch als Outstanding Lead Actress In A Comedy Series nominiert) für meine Begriffe nicht so recht funkioniert hat: Dass sich Amerikaner so angiften, wie es für Briten selbstverständlich erscheint, will mir nicht recht einleuchten — zu niedrig erscheinen mir die amerikanischen Hierarchien, als dass auf diesem Weg Komik erzeugt werden könnte, wie es in „The Thick of It“ sehr einleuchtend funktioniert hat.

Viel interessanter als die Comedy-Nominierungen aber sind die für Drama: da rangeln mit „Boardwalk Empire“ (HBO), „Breaking Bad“ (AMC), „Downton Abbey“ (wegen der Ausstrahlung auf PBS trotz britischer Herkunft nominiert), „Games of Thrones“ (HBO), „Homeland“ (Showtime) und „Mad Men“ (AMC) gleich sechs Schwergewichte um die Auszeichnung „Outstanding Drama Series“. Favoriten hier „Mad Men“ mit 17 Nominierungen — und „American Horror Story“ (FX). Letzteres bleibt mir unbegreiflich, denn „American Horror Story“ war wirklich Car Crash TV: So schlecht, dass man nicht wegschauen konnte.

Wer noch mehr wissen möchte: DWDL berichtet ausführlich, und hier gibt es ein .pdf mit allen Nominierungen auf ingesamt 40 Seiten. Viel Spaß.

Recreational Comedy

26. April 2011 5 Kommentare

Gerade als man dachte, der große Sitcomtrend der letzten Dekade sei tot, läuft nun doch noch eine Mockumentary im Stile von „The Office“ zu neuen Höchstformen auf: „Parks and Recreation“ (NBC) dürfte derzeit neben „Modern Family“ die beste US-Sitcom sein. Denn sie gibt dem dokumentarischen Stil das zurück, was bei der amerikanischen „Office“-Version zuletzt arg fehlte: Relevanz.

Man könnte es beinah satirisch nennen, wie „Parks and Recreation“ die kommunale Politik in der amerikanischen Provinz beschreibt: Leslie Knope (Amy Poehler) ist die stellvertretende Leiterin der Abteilung „Parks und Erholung“ im (fiktiven) Städtchen Pawnee, Indiana. Ihr ungebrochener Enthusiasmus für Grünanlagen, Spielplätze und ihren Job kollidiert ständig mit der Haltung ihrer Kollegen, die längst resigniert haben, auf ihre Verrentung warten, nur ihren eigenen Vorteil suchen oder ganz generell gegen jede Form von Staat und Regierung sind, wie ihr Vorgesetzter Ron Swanson (hervorragend mit Betonfrisur, Schnauz und stets todernstem Gesicht: Nick Offerman). Knopes größtes Projekt zu Beginn der Serie ist es, aus der aufgelassenen Grube eines gescheiterten Bauunternehmens einen, genau: Stadtpark zu machen. Und zwar wenn nötig auch gegen den Widerstand der Erzfeinde des „Parks and Recreation“-Departments: die Bibliothekenverwaltung, die dort eine Bücherei errichten möchten. Keine leichte Aufgabe für Knope, die Leute von der Bibliothekenverwaltung sind schließlich sehr belesen, aber Leslie nimmt die Herausforderung gut gelaunt und kämpferisch wie allzeit an…

https://www.youtube.com/watch?v=PdxkdQ-gmaw?fs=1&hl=de_DE

Nur beinah satirisch ist „Parks and Recreation“, weil die Scherze über unfähige Stadtplaner, korrupte Kommunalpolitiker und Wutbürger, die sich sogar darüber beschweren, daß auf dem im Park gefundenen Sandwich kein Senf war, nie zu aufklärerisch werden. An erster Stelle steht immer der komische Effekt – und der beruht einerseits so sehr auf den prima gezeichneten Charakteren, wie man es aus britischen Sitcoms kennt (die permanent gelangweilte, apathische Praktikantin etwa ist ein Musterbeispiel beobachtender Comedy), ist aber so dicht an Gags, wie es nur US-Sitcoms hinbekommen. Allein die vielen Fresken in der Stadtverwaltung sind schon ein unerschöpflicher Quell von Komik: gemalt im naiven Realismus der dreißiger Jahre verprügelt da ein weißer Farmer seine Frau, wird ein gefesselter Indianerhäuptling mit einer großen Kanone von US-Soldaten erschossen oder eine Hochzeit zwischen einem Indianer und einer Weißen von sowohl aufgebrachten Rothäuten als auch weißen Siedlern brutal überfallen – selten hat man in einer Network-Sitcom so explizite Witze über die amerikanische Geschichte gesehen. Solche Scherze gehen vermutlich nur durch, weil sie in einem vordergründig heiteren und harmlosen Rahmen erzählt werden, wie ihn die US-Version von „The Office“ eben auch hat.

Tatsächlich stammen die Serien-Macher Greg Daniels und Michael Schur aus dem kreativen Team der US-„Office“-Produktion, und auch Rashida Jones, eine der „P&R“-Hauptfiguren, hat man dort schon gesehen. Doch „Parks and Recreation“ darf nun nicht als Spin-Off mißverstanden werden; das ist es nicht. Sondern eine leider sträflich unterbewertete politische Sitcom, die den Vergleich mit dem brillanten britischen „The Thick of It“ nicht scheuen muß. Gerade weil sie dem bösartig beißenden Humor der Engländer, die mit ihren Regierungspolitikern ins Gericht gehen, einen hinterhältig nachsichtigen Blick auf Provinzpolitiker der mittleren Eben entgegensetzt, der aber genauso aussagekräftig ist. Und, falls ich das noch nicht oft genug gesagt haben sollte, sehr, sehr komisch.

Ein paar Gedanken zu „Modern Family“

23. Januar 2011 4 Kommentare

Es gibt, abgesehen vielleicht von den „Simpsons“, im Moment keinen fester gebuchten Fernsehtermin in der Woche als den von „Modern Family“ (ABC, 2009 -). Aber nicht nur das: Außerdem haben die Frau und ich um Weihnachten herum noch einmal die ganze erste Staffel auf DVD geguckt. Und vor ein paar Tagen noch einmal die ersten vier, fünf Folgen mit einem gemeinsamen Freund. Und ich hätte nicht das kleinste Problem, mir alle Folgen direkt nochmal anzusehen. Ich muß gestehen: Ich habe mich in so ziemlich jedes Familienmitglied der „Modern Family“ verliebt.

Aber warum eigentlich? „Modern Family“ ist all das, was ich an amerikanischen Sitcoms nicht mag: Warm, freundlich, moralisch, versöhnlich, von tieferen Einsichten getragen — durch und durch positiv. Es gibt keinen einzigen Unsympathen. Permanent wird alles gut, keiner bleibt allein, wir sind eine Familie, friends will be there for you, where everybody knows your name. Genau das Gegenteil von britischen Sitcoms, in denen die Welt schlecht ist und das Leben scheiße und böse Menschen grausame Sachen tun und deswegen alleine bleiben und allenfalls trotzdem geliebt werden. Und auch das vielleicht nur vom Zuschauer, aber nicht von anderen Charakteren.

Andererseits muß ich einräumen: so süßlich „Modern Family“ ist, so klug ist es auch. Auf mehreren Ebenen.

Erstmal bin ich schon fast der Überzeugung, daß „Modern Family“ die Erzähltechnik der Mockumentary auf die nächste (dialektische? Was weiß ich) Ebene hebt: Zwar ist es formal an eine Dokumentation angelehnt, inklusive vieler talkings heads-Szenen, in denen Charaktere alleine oder zu zweit in die Kamera hineinphilosophieren. Abgesehen von seltenen Blicken in die Kamera aber scheint den Rest der Zeit das Kamerateam überhaupt nicht anwesend zu sein: Weder sind die Familienmitglieder verkabelt, noch scheint die Anwesenheit des öffentlichen Auges ihre Handlungsweise in irgendeiner Form zu beeinflussen (was etwas bei „The Office“ eine zentrale Idee war). Ja, häufig ist die Kamera sogar in Situationen anwesend, wo sie es nicht sein könnte, hätten wir es mit einer echten Dokumentation zu tun: Etwa wenn Haleys Freund Dylan im Haus der Dunphys versehentlich eingeschlossen wird und wegen der Alarmanlage nicht hinaus kann, die Kamera aber bei ihm bleibt. Was aus mehr als einem Grund nicht plausibel ist: Die Dunphys hätten das Haus nicht Hals über Kopf verlassen und das Kamerateam dabei einfach übersehen und eingeschlossen (schon weil sie ja alle eigentlich verkabelt sein müßten), Dylan selbst hätte in so einer Situation die Kamera ebenfalls nicht einfach ignoriert, und die Kamera (ein zweites Team?) bleibt außerdem weiterhin bei den Dunphys.

Nicht nur gibt es aber offenbar kein Kamerateam. Auch die Anmutung der Show legt keinen Wert darauf, authentisch zu sein: Ganz offensichtlich haben wir es mit einem Single Camera-Setup zu tun, und ebenso offensichtlich ist hier nichts improvisiert. Like cinéma vérité never happened. Die Selbstreflexion, die der Dokumentationsgestus in die Fernsehcomedy gebracht hatte, fehlt bei „Modern Family“ vollkommen; die Form der Mockumentary soll uns nichts über das Fernsehen und seinen Einfluß auf die abgebildete Wirklichkeit vermitteln. Das aber ist kein Rückschritt, sondern eine Weiterentwicklung, die es erlaubt, die Figuren noch facettenreicher zu schildern: Weil wir hören, was sie über sich selbst denken und sagen — und sehen, wie viel oder wenig das damit zu tun hat, wie sie agieren. Die Figuren werden also tiefer, vielschichtiger, und es gibt mehr Möglichkeiten für Gags, die auf ihren Charaktereigenschaften beruhen. Was eher englisch ist. Daß dabei die Frequenz an Onelinern trotzdem hoch bleibt, ist allerdings wiederum sehr amerikanisch.

Genau wie die thematische Narration. Viele Folgen haben ein Thema, das in drei Subplots (einer pro Familie) variiert wird: Was es ausmacht, ein guter Vater zu sein, oder, in „Run For Your Wife“, wie sehr man seine Kinder behüten soll. In dieser Folge, es ist der erste Schultag nach den Ferien, will Manny in seinem columbianischen Poncho zur Schule gehen, was sein Stiefvater Jay verhindern möchte, um ihn nicht dem Spott seiner Mitschüler auszusetzen. Mitchell und Cameron geraten in Panik, weil sich Baby Lily den Kopf angeschlagen hat, und Phil fühlt sich herausgefordert, in einem Dauerlauf gegen Claire anzutreten — die ihn gewinnen läßt, um sein Ego nicht allzu sehr zu beschädigen.

Nun ist das Thema des (Über-) Behütens hier so subtil angelegt, daß man es gar nicht bewußt wahrnehmen muß. Wenn aber doch, wird einem der hübsche Dreh auffallen, daß in der dritten Variation der Familienvater Phil die Rolle des Kindes einnimmt und von seiner eigenen Ehefrau geschont wird. Das ist clever — und ziemlich lustig. Noch lustiger wird es allenfalls, wenn die drei parallelen Plots in bester „Seinfeld“-Manier auch noch miteinander verwoben werden und in einer einzigen großen Slapstick- oder jedenfalls Ensemble-Nummer enden.

All das: die formalen wie die inhaltlichen Drehs, sind nicht neu. Allenfalls erneuert. Aber sie haben es geschafft, das Genre der Familien-Sitcom (in beiden Bedeutungen: über eine und für die ganze Familie) im Alleingang wiederzubeleben. Und es sogar für einen einsamen, verbitterten, zynischen, abgebrühten alten Arsch wie mich konsumierbar gemacht.

Kleine Einkaufsliste (1)

8. November 2010 8 Kommentare

Weihnachten nähert sich mit großen Schritten, und wer über die Feiertage mit Serien versorgt sein möchte, bestellt besser jetzt — oder wartet allenfalls noch ein paar Tage, bis wirklich Unmengen an neuen DVDs erscheinen. Hier meine Tips für ein wahrhaft frohes Fest:

Für den ganzen Winter: „Modern Family“ (ABC, 2009)

Diese Serie ist DER Gute-Laune-Garant schlechthin und mein Tip für alle, die ihre Zeit gerne mit der Familie verbringen, so lange es nicht die eigene ist. „Modern Family“ ist midbrow entertainment vom Feinsten: Es ist sowohl klug, weil praktisch jede Folge ein Thema hat, das in allen drei Familien durchgespielt wird, als auch unglaublich lustig. Besonders geeignet für Fernsehabende zu zweit, denn diese Mockumentary aus den Federn der „Frasier“-Macher Christopher Lloyd und Steven Levitan strahlt große Wärme aus. Mit 24 Folgen könnte man den ganzen Dezember hindurch bis Weihnachten jeden Abend eine Folge sehen.

Für die Feiertage: „Sherlock“ (BBC1, 2010)

Nur drei Folgen (á 90 Minuten) kurz ist diese moderne Adaption des Sherlock-Holmes-Stoffes mit Benedict Cumberbatch und Martin Freeman. Aber Steven Moffat (Autor von „Coupling“ und neueren „Dr Who“-Folgen) und Mark Gatiss („The League Of Gentlemen“ und kürzlich eine hervorragende dreiteilige BBC4-Doku über Horrorfilme) haben ein Händchen bewiesen für einen Mittelweg zwischen Krimi und Fantasy, Spannung und Humor, und dabei so hohe Produktionsstandards, daß man auch etwas abwegigeren Plots gerne folgt. Sehr kurzweilig, mit nur einem von drei möglichen Punkten für Humor, aber dafür vier von drei Punkten für typisch englische Miniserien.

Für die Adventswochenenden mit (des Englischen mächtigen) Kindern:
„Walk On The Wild Side“ (BBC1, 2009)

Lange verschoben, aber endlich erschienen: die nicht übertrieben originelle, aber recht lustige Doku über sprechende Tiere. Bzw. genaugenommen natürlich eine Comedy mit sensationellen BBC-Tierdoku-Aufnahmen, über die einige talentierte Comedians Quatsch synchronisiert haben. Hier bereits mehrfach besprochen.

Für einen misanthropen Vorweihnachtsabend allein zuhaus:
Stewart Lee: „If You Prefer A Milder Comedian, Please Ask For One“ (2010)

Verbittert, von Menschenhaß zerfressen, mit so schlechter Laune ausgestattet, daß normale schlechte Laune daneben wie gute Laune wirkt: So von Stewart Lee zu sprechen, wäre bestimmt übertrieben. Aber er verfügt über einen kaustischen Humor, der selbstbewußt genug ist, auch mal das ganze Publikum zu verlieren, nur um es dann über eine halbe Stunde hinweg wieder für sich zu gewinnen. Seine Shows sind anstrengend, nicht zuletzt, weil sein liebstes Stilmittel die Wiederholung ist, aber wer damit kann, wird einen der besten Stand Up-Comedians Englands für sich entdecken. Um genau zu sein: den 41.-besten. Habe ich eigentlich je sein Buch mit dreien seiner Stand-Ups und einer Handvoll autobiographischer Kapitel erwähnt? Wenn nein: gehört das auch auf den Wunschzettel.

Wo wir schon dabei sind: Auch Charlie Brookers Buch „TV Go Home“ (2001) mit ausgedachten Fernsehprogrammhinweisen ist gerade wieder erschienen. Brooker hat zu Protokoll gegeben, mittlerweile erschienen einige seiner Späße von damals als völlig plausible Ideen für Fernsehshows, aber das heißt ja letztlich nur, wie lustig das Buch ist (vermutlich — ich hab’s noch nicht UPDATE: jepp, ist lustig!), denn: It’s funny cos it’s true.

Demnächst (vielleicht) an dieser Stelle: Kaufhinweise für

Wer nach Neuerscheinungen sucht und nach einer Liste bald erscheinender DVDs, wird übrigens auch immer hier und hier fündig.

Zufälle gibts

21. Mai 2010 2 Kommentare

Zwei der besten Sitcoms der Frühlings-Season sind Familienserien: Die britische Domcom „Outnumbered“ und die US-Mockumentary „Modern Family“, deren erste Staffel am Mittwoch zuende gegangen ist. Die Serien sind recht unterschiedlich: Hie das (typisch britisch) knapp budgetierte „Outnumbered“, das vorwiegend in den eigenen vier Wänden spielt und die üblichen sechs Folgen hat (obwohl die letzte, dritte Staffel finanziell offenbar besser ausgestattet war als die ersten beiden), da das 24 Folgen starke US-Pendant mit gleich drei Familien und zusätzlichen Außendrehs en masse. Hier britischer Humor, in dem es um Darmspiegelung und Sexualkundeunterricht geht, trotzdem „Outnumbered“ natürlich eine Serie für die ganze Familie ist, dort integrativer US-Humor, mithilfe dessen Homosexuelle, Ausländer und Patchwork-Familien immer wieder (und sehr pc) feststellen, daß Familie doch das Allerwichtigste ist im Leben.

Doch bei allen Unterschieden: In den letzten Wochen sind in beiden Serien gleich zweimal sehr ähnliche Motive aufgetaucht — und das auch noch verblüffend zeitnah. Zunächst stellten in beiden Serien präpubertäre Söhne ihre Väter beim Schachspielen bloß: In „Modern Family“ in Episode 19 („Game Changer“, 31. März) fordert Jay (Ed O’Neill) seinen angenommenen Sohn Manny heraus. Mannys Mutter Gloria (Sofia Vergara) weiß, wie gut ihr Sohn im Schachspielen ist und, vor allem, was für ein schlechter Verlierer ihr Mann Jay ist, und interveniert zunächst, so daß Manny freiwillig verliert. Dann allerdings provoziert Jay Manny so lange, bis der ihn herausfordert — und prompt Jays teure Armbanduhr gewinnt. In der zweiten Folge „Outnumbered“ („The Internet“, 15. April) ist es Ben (Daniel Roche), der ein für seine chronische Konzentrationsstörung verblüffendes Schachtalent an den Tag legt. Er schlägt zunächst seinen Vater Pete (Hugh Dennis) und treibt anschließend bei einem Match gegen einen Mitschüler alle mit den battle noises in den Wahnsinn, mit denen er seine Züge orchestriert.

Zwei Wochen später ist es eine Taube, die in der vierten Folge „Outnumbered“ („The Pigeon“, 6. Mai) in die Küche der Brockmans fliegt und zunächst den Aberglauben Carens (Ramona Marquez) befeuert, die in dem Flattermann ein böses Omen sieht, und anschließend ein Haus-Verkaufsgespräch ruiniert. In „Modern Family“ wiederum (Episode 24: „Family Portrait“, 19. Mai) fliegt eine Taube in Mitchells und Camerons Wohnung, die Mitchell (Jesse Tyler Ferguson) daraufhin in einem Panikanfall in ein Schlachtfeld verwandelt. Patrick Süskind hätte seine Freude.

Was uns das sagt? Daß da einer vom anderen abgekupfert hat? Eher nicht. Daß Familienserien nach je knapp zwanzig Folgen auf so ausgefallene Drehs wie die eben beschriebenen verfallen müssen, wenn sie noch interessante Geschichten erzählen wollen? Keine Ahnung. Vermutlich sagt es nur: daß es Zufälle halt gibt. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!