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Archiv für die Kategorie ‘US-Produktion’

Die Britcoms des Jahres 2014

28. November 2014 7 Kommentare

Alle Jahre wieder: das Dezember-Humorkritik Spezial über die interessantesten Britcoms der vergangenen zwölf Monate, soeben erschienen in Titanic. Für regelmäßig Leser dieses Blogs dürfte nicht allzu viel Neues drinstehen, aber das dafür in einem Text übersichtlich zusammengefasst. Ich habe mich dieses Jahr nicht mehr nach Neuerscheinungen von DVDs gerichtet, weil es mittlerweile ja doch zu viele Alternativen zu diesem Medium gibt — es muss also jeder selbst gucken, welche interessante Serie er auf welchem Weg beziehen möchte. Und zu Amazon verlinke ich ja eh schon lange nicht mehr.

GOOD BYE, GREAT BRITAIN!

Nicht nur Schottland hätte sich dieses Jahr beinahe aus dem United Kingdom verabschiedet, auch die Britcom ist mal eben ausgewandert: einige der besten englischen Comedys kommen dieses Jahr aus den USA.

2014 haben britische Schauspieler endlich wirklich alle wichtigen Positionen im US-Fernsehen besetzt. So weit ist es gekommen, dass nicht nur ur-amerikanische Sheriff-Klischees wie „The Walking Deads“ Hauptfigur Rick Grimes von einem Briten gespielt (Andrew Lincoln) werden. Selbst wenn eine US-Agenten-Serie „The Americans“ heißt, wird als Hauptfigur mal lieber ein Briten besetzt (Matthew Rhys), und auch „Masters of Sex“-Hauptfigur William Masters ist natürlich in Tat und Wahrheit Brite (Michael Sheen). Die kennen sich halt aus mit Sex.

Wenig überraschend also, dass die beste britische Sitcom im vergangenen Jahr gar nicht aus Großbritannien kam: „You’re The Worst“ (FX) ist zwar so unverstellt misanthrop und giftig, wie man es aus dem United Kingdom kennt, und hat einen britischen Hauptdarsteller (Chris Geere), der einen misanthropen Briten spielt. Ansonsten aber lief die Serie um zwei gefühlsblinde Thirtysomethings und ihre toxic relationship in den USA und spielt in Los Angeles, wo Jimmy (Geere) und Gretchen (Aya Cash) zwar erfolgreich sind, er als Buchautor („Congratulations, You’re Dying“), sie als PR-Frau einer Karikatur von einer Hip-Hop-Gang, aber unglücklich — kein Wunder, so neurotisch, bindungsunfähig und insgesamt schrechliche Menschen, wie sie sind. „You’re The Worst“ könnte zu einem komischen Generationen-Porträt werden, wie es „Spaced“ (Channel 4) vor 15 Jahren war — wenn, ja wenn die Serie ein bisschen erfolgreicher wäre. Im Moment hat sie nämlich kaum noch jemand gesehen. Aber FX war mutig genug, eine zweite Staffel in Auftrag zu geben.

Weitere Briten in den USA waren und sind die beiden Fernsehautoren Beverly und Sean Lincoln (Tamsin Greig und Stephen Mangan) in der dritten Staffel „Episodes“ (Showtime/BBC Two). Sie kämpfen noch immer gegen ihren egomanen Star Matt LeBlanc (Matt LeBlanc), haben aber im neuen Senderchef Castor Sotto (Chris Diamantopoulos) einen Antipoden, dessen unverstellter Wahnsinn die dritte Season „Episodes“ zur bislang besten macht. Martin Freeman wiederum hat es geschafft, als Brite einen archetypischen Ami zu spielen: nämlich den naiven Hillbilly Lester Nygaard in der exzellenten Fernsehversion von „Fargo“ (FX), die zwar Figurenzeichnung, Setting, etliche Motive und den Humor des Originals von den Coen-Brüdern übernommen hat, aber nicht die Story.

Umgekehrt haben 2014 auch einige Amerikaner den Weg nach Großbritannien gefunden: allen voran Robert B. Weide, Produzent und Regisseur von „Curb Your Enthusiasm“. Sein „Mr. Sloane“ (Sky Atlantic) zählt zu den besten Britcoms des Jahres. Weil Sloane aber erst vor Monatsfrist in der Humorkritik ausführlich besprochen wurde (Titanic 10/2014), verweise ich fix auf diesen a.a.O.

Mit Taylor Lautner, Star der „Breaking Dawn“-Reihe, in der Rolle des Sohns von „Cuckoo“ (BBC Three) haben Robin French und Kieron Quirke echtes Stuntcasting betrieben — und damit die Serie gerettet, die nach dem Abgang des ersten Cuckoo, Andy Samberg, schon den Bach hinunter schien: komisches Talent hätte in dem Teenagerschwarm Lautner vor „Cuckoo“ sicher kaum jemand vermutet — hat er aber, wie ich bestätigen kann.

Ohne US-Gaststars kommt dagegen „Detectorists“ (BBC Four) aus, die spröde-komische Sitcom um englische Metallsucher-Spinner. Mackenzie Crook (Freemans Counterpart in „The Office“) hat mit seiner ersten eigenen Serie als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller ein Schmuckstück von einer kleinen (i.e. billig produzierten) Serie geschaffen: melancholisch, leise, warm, mit liebenswert exzentrischen Versagern, die nach dem großen Schatz suchen. („Saxon hoard. It’s basically the holy grail of treasure hunting.“ — „Well, no. The holy grail is the holy grail of treasure hunting.“)

Das schwermütig-schöne Titellied von „Detectorists“ stammt übrigens von Johnny Flynn, der neben einem Gastauftritt ebenda die erste Geige in seiner eigenen Sitcom spielen darf: „Scrotal Recall“ (Channel 4). Deren größtes Manko liegt im Titel, denn zwar geht es durchaus darum, dass ein gewisser Dylan (Flynn) all seine Ex-Gespielinnen darüber informieren muss, dass er Chlamydien hat und sie sich besser mal untersuchen lassen sollten. Ansonsten aber ist „Scrotal Recall“ das Gegenteil von dem Schock-Humor, den man erwarten könnte, sondern eher sophisticated, beinahe erwachsen, aber jedenfalls mit real gezeichneten Figuren, deren Hauptproblem nicht in sexuell übertragbaren Krankheiten liegt, sondern eher in allzu großer Schüchternheit und Kompliziertheit.

Schüchternheit wiederum ist nicht das Problem von „Uncle“ (BBC Three). Andy (Nick Helm) ist so etwas wie die ungewaschene Version von Will Freeman aus „About a Boy“: er kommt als „Musiker“ (= Straßenmusikant) wie die Jungfrau zum Kind — in diesem Fall zum Sohn seiner drogenkranken Schwester, der das Gegenteil von Andy ist: spießig, altklug, allergisch gegen praktisch alles. Ein odd couple also, dem vom gemeinsamen Weiberaufreißen bis zum gemeinsamen Band-Gründen alles passiert, was auch in „About a Boy“ vorkommt. Und trotzdem muss man keine Sekunde an Hornbys Geschichte denken, weil „Uncle“ eben nicht annähernd realistisch ist, sondern immer larger than life, drastischer — und zum Glück auch komischer.

Wie nahe an der Realität „W1A“ (BBC Two) ist, ist dagegen schwer zu sagen: diese Mockumentary auf die BBC selbst (W1A ist die Anschrift des neuen BBC-Hauptgebäudes) jedenfalls führt einen Dauer-Unfall von einem Sender vor, in dem selbst und gerade die höchsten Positionen von Menschen besetzt werden, die keine Ahnung davon haben, was sie tun — im wörtlichen Sinne, denn der neue „Head of Values“ Ian Fletcher („Downton Abbeys“ Hugh Bonneville) hat nicht die geringste Vorstellung, was seine Aufgabe ist. Er weiß ja nicht einmal, wo sein Büro ist. Dass das ziemlich absurd und gleichzeitig vollkommen glaubwürdig scheint, ließe einen erschrecken, wenn man denn vor Lachen dazu käme.

Als bester englischer Fernsehexport in die USA hat sich 2014 aber John Oliver erwiesen, dessen Late-Night-News-Comedy (wenn man das so bezeichnen kann) „Last Week Tonight“ auf HBO sich mit langen, gleichermaßen tiefschürfend wie höchst komischen Nachrichten-Satiren sehr schön gegen „Daily Show“ und „Colbert Report“ (beide Comedy Central) profilieren konnte. Wenn es mit rechten Dingen zugeht, wird es ein solches Format vielleicht auch irgendwann einmal in Deutschland geben. Mein Tipp: gegen 2019, Anchorman: Jan Böhmermann. Wer hält dagegen?

Was will Will wirklich?

30. Oktober 2014 15 Kommentare

Gerade geht ein Ausschnitt aus der Jimmy-Kimmel-Show rum, in dem Will Arnett von seinen Erlebnissen vor und hinter den Kulissen von „Wetten, dass..?“ erzählt. Hier ist er:

… leider nicht mehr.

Eine schöne Vorlage, die Meedia wie auch Nutzer sozialer Netzwerke gerne nehmen, um ihre Kritik an „Wetten, dass..?“ von prominenter Seite bestätigt zu sehen. Aber auch zu Recht?

Damit zweierlei klar ist: ich will weder „Wetten, dass..?“ schönreden, dazu ist ja die häufig und von jedermann geäußerte Kritik dann doch zu berechtigt. Es ist halt ein in die Jahre gekommenes Format, dessen Moderator einem durchaus unsympathisch sein darf. Und ich will auch nicht unterstellen, Arnett sei böswillig oder hätte nicht Recht mit dem, was er erzählt. Ich glaube ihm alles, was er sagt.

Aber da liegt schon der Hase im Pfeffer: es geht im Grunde nicht um Wahrheit oder Fakten oder Informationen bei dem Ausschnitt aus Kimmels Show. Sondern es geht um eine Anekdote, um Comedy, um fünf Minuten amüsantes Geplauder, das umso komischer ist, wenn es auf Klischees und Vorurteilen fußt, an die die Zuschauer anschließen können.

Glaubt man ja auch sofort, dass es ein Handicap gerade für Comedians ist, wenn ein Gespräch erst von Synchronübersetzern nachgeplappert werden muss, so dass jede Pointe, jedes Timing ruiniert sind. Da kann man schnell auf die Idee kommen, Deutsche hätten per se keinen Humor und seien unempfindlich gegen Witze — selbst wenn das nicht ohnehin das Klischee wäre, das jeder gerne belacht.

Noch einmal: dagegen habe ich gar nichts — Klischees sind natürlich Klischees, eben weil sie so oft stimmen, und in der Comedy unverzichtbar, wenn man schnelle, mehrheitsfähige Witze machen möchte.

Aber ich glaube nicht, dass man diese Witze zur Grundlage von inhaltlicher Fernsehkritik machen sollte. Oder auch nur zur Bestätigung eigener Kritik heranziehen.

Denn natürlich hätte sich Arnett genauso gut über italienisches, französisches, polnisches, russisches Fernsehen und seine Shows lustig machen können, wäre er dort eingeladen gewesen. Macht er ja vielleicht auch, was weiß ich.

Genauso wie sich jeder deutsche Fernseh- und Filmstar darüber lustig machen könnte, wie im Ausland Fernsehen gemacht wird — wenn darüber in Deutschland nicht sofort die Nase gerümpft würde (und wenn es deutsche Fernseh- und Filmstars gäbe, die im Ausland in Fernsehshows auftreten): die schrill-bunten Kulissen des französischen Fernsehens! Die leicht bekleideten Mädels im italienischen Fernsehen! Zum Schießen, diese Ausländer.

Aber würde das in Italien oder Frankreich wirklich zum Beleg dafür herangezogen, dass die eigenen, landestypischen Sehgewohnheiten falsch, schlecht, doof wären? Ich hoffe nicht.

Denn kann es wirklich darum gehen, dass ein amerikanischer Star in eine deutsche Fernsehshow eingeladen wird und dann praktisch keinen Unterschied zu zuhause feststellt? Weil überall die gleichen Standards gelten, weil es einen globalen Mainstream gibt, der überall gleichermaßen funktioniert? DANN wäre etwas falsch und schief gelaufen.

Um es nochmal zu sagen: das heißt nicht, dass mit „Wetten, dass..?“ alles gut wäre. Ist es nicht.

Aber ich glaube nicht, dass Will Arnett ein guter Zeuge der Anklage ist und dass dieser Clip als Beleg dafür dient, wie desaströs das deutsche Fernsehen ist.

Zweite Staffel für „You’re the Worst“

1. Oktober 2014 Keine Kommentare

Zum Glück sind FX die Quoten offenbar nicht so wichtig: „You’re the Worst“, die britischste US-Sitcom seit langem, erhält eine zweite Staffel — trotz mediokrer Zuschauerzahlen. Und nicht nur das, sondern auch mehr Episoden: 13 statt der 10 Folgen der ersten Season. Dass FX die Serie seinem Nebenkanal FXX zuschiebt, spielt da gar keine so große Rolle, der war schließlich von Anfang an als Kanal für die jüngere Zielgruppe gedacht und ist seit der Aktion, alle „Simpsons“-Folgen am Stück zu zeigen, auch ins Bewusstsein des TV-Publikums gerückt.

Die zweite Staffel „You’re the Worst“ freut mich sehr, denn diese Sitcom um zwei emotional derangierte Thirtysomethings in L.A. gehört zu den besten US-Comedies seit Jahren: dunkel, extrem unamerikanisch in Hinsicht auf sexuelle Freizügigkeit, likeability der Hauptfiguren und Regie-Ambitionen.

Ein amerikanisches „Spaced“ (Channel 4, 1999 – 2001) für die 2010er-Jahre, würde ich fast sagen, jedenfalls legen nicht nur der britische Touch, die filmische Regie und die hohe Witzdichte das nahe, sondern auch die Medienaffinität der männlichen und weiblichen Hauptfigur und dass Tim wie Jimmy einen besten Freund mit Militärvergangenheit hat (obwohl Mike ja eher eben keine Militärvergangenheit hatte, aber eine starke Vorliebe für alles Militärische) und Daisy wie Gretchen eine beste Freundin, die ziemlich bitchy drauf war.

Na ja, und dass eben hier wie da die Figuren, bei „You’re the Worst“ trotz ihrer emotionalen Blindheit, einem schnell ans Herz wachsen, weil beide Serien trotz aller Comedy die Probleme ihrer Figuren ernst nehmen.

Mit anderen Worten: Bitte sofort „You’re the Worst“ gucken. Wenn es mit halbwegs rechten Dingen im Humoruniversum zugeht, wird diese Serie in das Comedyerbe der 10er-Jahre aufgenommen werden.

Giftige Romcom

16. September 2014 3 Kommentare

Toxic nennen Amerikaner, für die soziale Begegnungen ja gar nicht oberflächlich freundlich genug sein können, solche Mitbürger, deren Stinkstiefeligkeit alle Menschen in ihrer Umgebung „runterzuziehen“ droht. Quietschvergnügt muss das Sozialleben ja mindestens sein in den USA, und wer seine Umwelt nicht permanent mit guter Laune ansteckt, sondern ein Miesepeter ist, ein mürrischer Brummkopf oder gar Engländer, der wird geschnitten, kriegt keine Weiber ab und kann sich schon freuen, wenn er zur Hochzeit seiner Exfreundin eingeladen wird.

Wenn er dann doch eine abkriegt, die gerade Bock auf einen sinnlosen One Night Stand hat, weil sie Hochzeiten deprimierend findet, und sich aus diesem One Night Stand dann eine (Nicht-) Beziehung entwickelt, die „kompliziert“ zu nennen eine schamlose Untertreibung wäre: dann ist das Rezept für eine Sitcom gefunden, die auf dem amerikanischen Markt gerade ziemlich einzigartig ist.

„You’re the Worst“ (FX, gerade sind neun von zehn Folgen gelaufen) erzählt die Geschichte dieser, genau: toxic relationship, also die Geschichte von Jimmy Shive-Overly (Chris Geere), einem englischen Jungautor in Los Angeles, und Gretchen (Aya Cash), der PR-Frau einer schwer angesagten schwarzen HipHopper-Bande. Beide sind recht erfolgreich, zumindest hat Jimmys Vorschuss auf sein erstes Buch für ein schniekes Haus gereicht, und Gretchen hat jederzeit genügend Kohle für Drogen auf der Naht.


Beide funktionieren also, wie es sich für anfang Dreißigjährige in L.A. (und auch überall sonst) gehört; aber beide sind emotional taub und blind, könnten ihre Gefühle kaum benennen, wenn sie denn welche hätten, und würden sie aber auch dann verleugnen, wenn sie welche hätten und sie benennen könnten.

Stattdessen haben sie schon mit Anfang Dreißig das Konzept von festen Beziehungen begraben — und müssen sich, als sie einander als verwandte Geister erkannt haben, umso quälender an den kleinsten Dingen abarbeiten, die Paare so tun: zusammen aufwachen, Schlüssel tauschen, die gemeinsamen Sonntags-Aktivititäten gegen nervtötende Hipster verteidigen.

Zum Glück schafft es Creator Stephen Falk, der schon für das hervorragende „Orange is the New Black“ (Netflix seit 2013) und „Weeds“ (Showtime, 2005 – ’12) geschrieben hat, Jimmy und Gretchen nicht als die ungehobelten, narzisstischen, lauten dreißigjährigen Pubertierenden erscheinen zu lassen, die sie sind — nun ja, jedenfalls nicht nur. Er stellt ihnen Jimmys Hausmitbewohner Edgar (Desmin Borges) zu Seite, einen an PTSD leidenden Veteran, der trotz seiner Heroin- und Medikamentenabhängigkeit die verständigste, mitfühlendste, sympathischste Figur der Serie ist, immer um Jimmy und Gretchen und ihre Beziehung besorgt, und Lindsay (Kether Donohue) als Gretchens beste Freundin, die längst bereut, dass sie einen spießigen Langweiler geheiratet hat, um finanziell abgesichert zu sein.

Dank dieser Nebenfiguren ergibt sich nämlich ein größeres Bild: eines von einer Generation, die sich zwischen beruflicher und existenzieller Anpassung und innerer Leere aufreibt, an sich selbst leidet und damit ihren Mitmenschen gehörig auf die Nerven geht. Im wirklichen Leben möchte man nämlich weder Gretchen noch Jimmy begegnen (z.B. im Kino).

Allerdings möchte man den meisten Figuren dieser Serie nicht im wirklichen Leben begegnen: weder dem noch egozentrischeren Filmregisseur, mit dem Gretchen hin und wieder schläft, noch den schwarzen Hip Hoppern, von denen einer Shitstain heißt und die insgesamt enorm von Donald Glovers Troy Barnes in „Community“ profitieren. Schon gar nicht aber den Hütchen-Hemdchen-Bärtchen-Hipstern, die schamlos Edgars „Funday“-To-Do-Liste abkupfern (obskurer Plattenladen, Nackenmassage im Park, versteckter Taco-Stand).

Bedauerlich, dass „You’re the Worst“ noch nicht die Aufmerksamkeit gefunden hat, die die Serie verdient (in den USA im Schnitt nur eine halbe Million Zuschauer), denn die könnte, wenn sie sich so weiterentwickelt, durchaus mit „Parks and Recreation“ oder dem US-„The Office“ mithalten. Mit Alex Hardcastle ist auch schon ein (britischer) Regisseur genau dieser Serien an Bord, der außerdem schon bei „Lead Balloon“ und „Not Going Out“ Regie geführt hat, und ebenso Matt Shakman, der schon bei „Mad Men“, „Six Feet Under“, „House M.D.“ und „It’s Always Sunny in Philadelphia“ auf dem Regiestuhl saß.

Vielleicht lösen dann Jimmy und Gretchen am Ende noch „Communitys“ Britta ab, von der es ja nun bislang immer hieß: You’re the worst. Sechs Staffeln und einen Film, bitte!

Gute Witze, schlechte Witze

2. September 2014 6 Kommentare

Seit ich (bewusst) fernsehe, gibt es amerikanische Sitcoms, bei denen ich immer mal wieder beim Durchzappen hängen geblieben bin; einige davon habe ich irgendwann regelmäßig geguckt; zwei davon habe ich irgendwann komplett auf DVD erworben und auch noch einmal von A bis Z geguckt: „Seinfeld“ (NBC, 1989 – ’98, deutsche Erstausstrahlung 1995 auf ProSieben) und „Frasier“ (NBC, 1993 – 2004, dt. Ea. 1995 auf Kabel eins). Jetzt, nachdem das Box Set in Großbritannien auf erschwingliches Niveau gefallen ist, ist „Cheers“ dran (NBC 1982 – ’93, dt. Ea. 1985 im ZDF).

Klar, nach „Cheers“ kamen US-Sitcoms, die mich mehr geprägt haben: „Married … with Children“ (Fox, 1987 – ’97, dt. Ea. 1992 auf RTL als „Eine schrecklich nette Familie“) und „Frasier“, weniger schon wieder „Friends“ (NBC, 1994 – 2004, dt. Ea. 1996 auf Sat.1). Heute bleibe ich hin und wieder bei „The Big Bang Theory“ (CBS, seit 2007, dt. Ea. 2009, ProSieben) und „How I Met Your Mother“ (CBS, 2004 – ’15, dt. Ea. 2008, ProSieben) hängen, aber erwerben und von Anfang an gucken würde ich sie nicht. Jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.

Alle diese Sitcoms hatten drei Gemeinsamkeiten:

– Sie liefen sehr lange und hatten viele Folgen pro Staffel (i.d.R. über 20), so dass sie schon allein qua Menge praktisch täglich liefen und laufen, oft sogar mehrere Folgen am Tag. Man konnte ihnen gar nicht entkommen. Schon gar nicht früher, als es noch nicht so viele Sender gab.

– Sie waren praktisch statisch, d.h. es kamen zwar über die Staffeln hinweg Figuren dazu und andere Figuren verließen die Show, aber abgeschlossene Handlungsbögen (wie sie bei britischen Sitcoms mit ihren sechs Folgen pro Season die Regel sind) gab es praktisch nicht. Dass mal eine Figur eine andere heiratete (Niles etwa Daphne) war schon ein Höhepunkt und auf lange Sicht auch schon einigermaßen knifflig, weil es das Beziehungsgefüge der Figuren ja nicht unwesentlich veränderte. Die Frage will they, won’t they war damit nämlich beantwortet.

– Sie waren alle live vor Publikum aufgezeichnet.

Als ich gestern nun die ersten drei Folgen „Cheers“ zum ersten Mal in dieser Reihenfolge gesehen habe (womöglich auch tatsächlich zum ersten Mal, jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern, wie Diana überhaupt zum Bar-Team gestoßen ist), war ich überrascht: überrascht, wie gut „Cheers“ gealtert ist. Denn 1982 war ich zehn, die Fernsehstandards haben sich seitdem stark geändert, und ich wüsste auf Anhieb weder eine deutsche noch eine englische Sitcom aus dieser Zeit, die heute noch den Test der Zeit so gut bestünde.

Aber „Cheers“ funktioniert wie ein Uhrwerk: Diana (Shelley Long) kommt in der Pilotfolge als die neue Figur in ein schon bestehendes Setting (das der Bar), und zwar auf eine Weise, die ihre spannungsgeladene Beziehung zu Sam (Ted Danson) klärt: sie, Studentin der Boston University, ist mit ihrem Verlobten, dem Professor Sumner Sloan auf dem Weg zur Hochzeit und in die Flitterwochen. Er will nur noch den Ehering von seiner zukünftigen Exfrau holen, Diana wartet so lange im Cheers. Und wartet. Und wartet. Und lässt sich so lange von Sam aufziehen, der als ehemaliger Jock, als gutaussehender (und dem Vorurteil nach dümmlicher) Sportler das Gegenteil von dem ist, was Diana als männliches Ideal vorschwebt. Während umgekehrt natürlich auch sie als halbintellektuelle Oberschichtsangehörige überhaupt nicht in sein Beuteschema passt.

Während Diana also auf ihre Verlobten wartet (der selbstverständlich nicht zurückkehrt), wird uns das restliche Personal vorgestellt: Coach (Nicholas Colasanto) als seniler Alter, der für irrlichternd-abseitige Witze zuständig ist, Carla (Rhea Perlman) als verbitterte Kellnerin, dere Gebiet die schneidend-treffende Punchline ist, sowie die Stammgäste Norm (George Wendt) und Cliff (John Ratzenberger), die das tun, was Bargäste tun: saufen und Quatsch reden („Bier? Ja, davon habe ich gehört“).

Die Dialoge aber sind so schnell und mit guten, nacherzählbaren Pointen gestrickt, dass ich kaum mit dem Mitschreiben nachgekommen bin: visuelle Scherze, Dialogscherze, schnell reingestreute Gags (das Telefon klingelt. Carla: „Who’s not here?“ alle Gäste: „Me!“) — alle Witze zeitlos (also ohne Anspielungen ewta auf zeitgenössische Promis oder Themen), immer in charakter (also nicht nur komisch, sondern auch die Figur beschreibend, die den Gag liefert) und selten der erwartbarste Witz, sondern meistens ein besserer. Wenn es aber der Witz war, den ich habe kommen sehen, dann war er immerhin viel schöner ausgeführt, als ich es erwartet hätte.

Aber das sind halt die Vorteile, wenn man erfahrene Produzenten (in diesem Falle James Burrows, Glen Charles und Les Charles) und Autoren hat (u.a. Ken Levine und Earl Pomerantz), die in der Lage sind, so gute Witze gut in Szene zu setzen, dass ein Live-Publikum sich wegschmeißt vor Lachen.

Und dann habe ich „Welcome to Sweden“ gesehen (NBC, 2014).

Gut, das hätte ich nicht, wenn nicht Amy Poehler („Parks and Recreations“) als Produzentin hinter dieser Show steckte, in der ihr Bruder Greg Poehler die Haupt- und sie selbst eine Nebenrolle spielt. Wie auch Aubrey Plaza (dito „Parks and Rec“), Will Ferrell, Gene Simmons von Kiss, Patrick Duffy und andere Prominente.

„Welcome to Sweden“ ist eine mit nur einer Kamera gefilmte Sitcom (das immerhin im schönen Schweden), also ohne Publikum. Und das ist auch besser so, denn viel zu lachen hätte da auch niemand. Was jetzt nicht bedeuten soll, dass das die Anforderung an jede Comedy ist; Louis CK etwa schafft ja auch (oft) gute Sitcomfolgen, die ohne große Lacher auskommen.

Aber „Welcome to Sweden“ behauptet, komisch zu sein. Stattdessen liefert die Show über US-Expat Bruce (Poehler), der mit seiner schwedischen Frau Emma (Josephine Bornebusch) in ihre Heimat zieht, dann allerdings nur konventionelle Peinlichkeitsscherze, die ohne große Pointen auskommen — wenn sich etwa Emma mit einer Freundin auf Schwedisch über eine sterbende gemeinsame Bekannte unterhält und Bruce dazwischenkaspert, indem er sich über die schwedische Sprache lustig macht. Oder komisch gemeinte Figuren wie Emmas Slacker-Bruder Gustaf, der aber über diese eine Eigenschaft großer Faulheit hinaus völlig flach bleibt.

Ich habe so eine Ahnung, dass „Welcome to Sweden“ in dreißig Jahren nicht mehr so gut funktioniert wie „Cheers“ heute. Aber das ist nur so eine Ahnung. Als Kontrastmittel zu einer klassischen Sitcom hätte es aber kaum ein besseres geben können.

Und „Welcome to Sweden“ hat so (unfreiwillig und eher zufällig) meine These untermauert, dass es kein Zufall ist, dass die großen Sitcoms, die, mit denen wir auf- und die uns ans Herz wachsen, alle live vor Publikum gedreht sind. Schon weil ein Livepublikum der beste Test dafür ist, wie komisch eine Sitcom tatsächlich ist.

„Cheers“ ist komisch, nach dreißig Jahren immer noch. „Welcome to Sweden“ nicht.

Ich werde über die nächsten Wochen nach und nach die 42 DVDs durcharbeiten, die der Ziegel von einer Komplettbox „Cheers“ hat, oder es jedenfalls versuchen, und darüber bloggen. Wenn es etwas Bloggenswertes gibt jedenfalls.

Urlaubslektüre für Fernsehjunkies

8. August 2014 1 Kommentar

Ich war ein paar Tage weg, und weil es Urlaub war, habe ich in dieser Zeit nicht ferngesehen, sondern gelesen, wie es sich gehört — nämlich (unter anderen) ein Buch über Fernsehen: Alan Sepinwalls „Die Revolution war im Fernsehen“ (Luxbooks 2014).

Sepinwalls Fernsehkritiken auf hitfix.com verfolge ich schon lange, genauer gesagt, seit „Breaking Bad“ (das er zu Beginn noch hier besprochen hat), weil er nicht nur gut darin ist, einzelne Folgen zu analysieren und interpretieren, sondern auch noch Zugang zu Autoren, Schauspielern, Produzenten und Showrunnern hat, die er gerne und oft interviewt. Ich lese nicht alles, logischerweise, sondern nur Beiträge zu Serien, die ich auch sehe; außerdem aber gucke ich hin und wieder mit einem Auge auf Texte zu Serien, die ich (noch) nicht kenne. Vorsichtig allerdings, denn wie schnell ist man angefixt, und dann muss man sieben Staffeln à 34 Folgen einer SciFi-Serie über Hirnchirurgen auf dem Mars angucken oder sowas.

 Tja. Genau das (angefixt) ist mir dann allerdings mit „Die Revolution war im Fernsehen“ passiert. Denn hier schreibt Sepinwall in langen, fundierten Essays über die zwölf US-Serien, die das serielle, erzählende Fernsehen seit der HBO-geführten Revolution geprägt haben: Von „Oz“ und den „Sopranos“, „The Wire“, „Deadwood“ und „The Shield“, über „Lost“, „Buffy, the Vampire Slayer“ und „24“ bis zu „Battlestar Galactica“, „Friday Night Lights“, „Mad Men“ und „Breaking Bad“.

Und weil ich davon wohl gute zwei Drittel kannte, ein Drittel aber nicht, steht jetzt ein schönes großes Paket mit staffelweise DVDs hier noch ungeöffnet herum und wartet auf das Sommerloch.

Auch von den Geschichten, die Sepinwall zu erzählen hat, kannte ich zwar schon einige, aber nicht in dieser Tiefe, die meisten waren mir komplett neu, und im Zusammenhang haben sie ein aufschlussreiches Bild davon ergeben, wie Fernsehen funktioniert.

Zum einen nämlich immer wieder anders: Jeder Autor, jeder Showrunner tickt auf seine Weise, und die Umstände, unter denen Serien entstehen, sind genauso unterschiedlich wie die Serien selbst.

Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten bei allen großen, neuen, wagemutigen, „anderen“ Serien. Die größte Gemeinsamkeit: Sender wollen sie, die große, neue, wagemutige, „andere“ Serie. Kleine, unbekannte Sender wollen auf sich aufmerksam machen. Sender wollen eine Alternative zu den frei empfangbaren, großen Anbietern sein, wollen umgekehrt die Freiheiten von Bezahlkanälen für sich nutzbar machen, Sender wollen ein neues Profil oder überhaupt erst mal irgend ein Profil.

HBO macht die schreckliche „Rome“-Erfahrung: eine Serie, die nach zwei Staffeln eingestellt wird, weil die erste Season in der Erstausstrahlung überhaupt nicht gesehen wurde. Ohne vernünftiges Finale, sondern mittendrin (wie ja auch „Deadwood“). Dummerweise ist nicht nur die zweite Staffel viel erfolgreicher als die erste, sondern die Leute beginnen auch noch, die erste auf DVD zu kaufen wie verrückt. Leider sind zu diesem Zeitpunkt schon alle Mitarbeiter entlassen, die Sets abgebaut. Keine Chance, die nun doch erfolgreiche Serie fortzusetzen. Ein potentieller Riesen-Hit — verschenkt, weil die Quoten der ersten Staffel zu mau waren, und ohne dass die Serie vernünftig zuende erzählt wäre. HBO beschließt also, auch vermeintlich erfolglose Serien lieber zuende zu erzählen, als noch einmal einen möglichen Erfolg zu verschenken.

Diese Entscheidungen sind es, die statt nur gutem wirklich brillantes Fernsehen hervorbringen: Manager, die Künstler machen lassen. Aus welchem Grund immer. Oft genug, weil sie als David gegen Goliath antreten und mutige Entscheidungen brauchen. Nach dem ersten Sieg Davids gegen den Riesen sieht es dann oft schon wieder anders aus: wenn der Außenseiter erst einmal in der Favoritenrolle ist, kommen dann auch die Anzugträger wieder und wollen mitreden.

So lange die Bosse lange Leine lassen, gibt es Hoffnung. Nie ist eine gute Serie gegen den Sender entstanden, der sie ausstrahlt. Höchstens trotzdem (wie etwa „Lost“, eine Serie, die es eigentlich nicht geben dürfte, so chaotisch war ihre Entstehungsgeschichte).

In den nächsten Wochen werde ich also etliche Grundlagenwerke der jüngeren US-Fernsehgeschichte nachholen (in der ich ja lange nicht so bewandert bin wie in der britischen). Ich bin sehr gespannt, ob die frühen Serien der Nach-Revolutionszeit das halten, was Sepinwall mir von ihnen versprochen hat. Ich werde auch den „Sopranos“ noch eine Chance geben — ich hatte mal ca. eineinhalb Staffeln gesehen, war und bin aber kein Freund des Mafia-Genres und hatte insgesamt zu hohe Erwartungen, glaube ich.

Möglicherweise werde ich dann berichten. Erst einmal aber empfehle ich allen Freunden der guten Fernsehunterhaltung noch einmal ausdrücklich Alan Sepinwalls „Die Revolution war im Fernsehen“, freue mich darüber, dass es ein deutscher Verlag überhaupt ins Programm genommen hat, weise dann aber doch noch darauf hin, dass Sepinwalls Original bereits von 2012 ist. Weshalb dann letzte Worte zu „Breaking Bad“ etwa fehlen, weil die Serie noch nicht zuende war, als Sepinwalls Buch in Druck gegangen ist.

Nun, aber so lange Fernsehserien an sich nicht auserzählt sind, wird man nie ein Resümee ziehen können — irgend eine tolle Serie läuft (im angelsächsischen Fernsehen) ja immer. Hoffentlich.